Das Versagen der internationalen Gemeinschaft in Sudan

Zitate in: Watson, 9.7.2025

Symbol globaler Ohnmacht: das Versagen des Sicherheitsrats

Der Sudan-Experte Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zeichnet ebenfalls ein düsteres Bild. Der UN-Sicherheitsrat, eigentlich für den internationalen Frieden zuständig, spiele bei diesem Krieg seit Langem “nur eine untergeordnete Rolle”.

Ein Resolutionsentwurf, der zumindest den Schutz der Zivilbevölkerung verbessern sollte, wurde 2024 von Russland blockiert – offenbar aus geopolitischem Kalkül: um westlichen Einfluss in der Region zu schwächen und die eigene Rolle als Schutzmacht einzelner Konfliktparteien zu wahren.

Sanktionen, Friedensmissionen und Mediationen sind alles Instrumente, die früher bei ähnlichen Konflikten auf UN-Ebene genutzt wurden. Heute seien sie kaum noch verfügbar. “Das ist Ausdruck einer massiven Krise multilateraler Konfliktbearbeitung”, sagt Kurtz gegenüber watson.

Viele der Staaten, die heute entscheidend Einfluss nehmen könnten, hätten andere Interessen: strategische Allianzen, Rohstoffe, Migration etwa. Die Rettung der sudanesischen Bevölkerung hat keine Priorität.

Lokaler Widerstand im Sudan: Die Hoffnung kommt von innen

Und doch gibt es sie: Orte der Hoffnung, die jedoch weitgehend von der sudanesischen Zivilgesellschaft selbst getragen werden. Immer wieder gelingt es Aktivist:innen laut Kurtz, lokale Waffenstillstände auszuhandeln, Evakuierungen zu organisieren oder Schutzräume für besonders gefährdete Gruppen einzurichten.

Diese Initiativen sind nicht nur mutig, sondern oft effektiver als die Handlungen offizieller internationaler Institutionen. Dem Experten zufolge ließen sich solche lokalen Strukturen mit gezielter internationaler Unterstützung ausbauen und stärken, auch ohne formalen Waffenstillstand. “Gleichzeitig muss klar sein, dass nur ein effektives Ende des Krieges wirklich nachhaltigen Schutz bieten kann”, sagt er.

Eine internationale Militärmission hingegen sei derzeit nicht realistisch. Es brauche vielmehr gezielten diplomatischen Druck, gezielte Finanzierung lokaler Partner und endlich eine handlungsfähige internationale Kontaktgruppe.

Ein solches Format war zuletzt im April 2025 bei einer Konferenz in London diskutiert worden. Doch die Gründung scheiterte – ausgerechnet an der Afrikanischen Union (AU), die zwar Vermittlungsformate etabliert hat, jedoch als ineffektiv gilt.

Ihre internen Widersprüche, mangelnde Ressourcen und die seit 2021 bestehende Suspendierung des Sudan aus der AU machen sie zu einem zahnlosen Akteur in einem blutigen Spiel.

Dass der Krieg im Sudan kein medialer Dauerbrenner ist, liegt nicht an mangelnder Kenntnis. “Die größte humanitäre Krise, die jemals gemessen wurde, ist kein ‘blinder Fleck’ der Weltpolitik”, sagt Kurtz. “Alle relevanten Regierungen wissen, was im Sudan geschieht, und tun dennoch nicht genug – wenn sie nicht sogar dazu beitragen, ihn anzuheizen.”

Kurtz warnt, dass internationale Normen “allenthalben von den mächtigsten Staaten der Welt ignoriert” würden: Der Trump-Regierung sei es beispielsweise augenscheinlich wichtiger, Migrant:innen “in Drittstaaten zu deportieren oder Rohstoffe zu extrahieren als sich um echte Diplomatie zu kümmern”. Weiter sagt Kurtz:

“Für andere, wie die Bundesregierung, sind die bilateralen Beziehungen zu einflussreichen Staaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Ägypten offensichtlich deutlich wichtiger als deren Einfluss in Sudan einzudämmen.”

Rethinking Mediation in Sudan

Contribution to “Ask the Experts”, Global Public Policy Institute, 27 June 2025

Any Leadership Welcome 

Gerrit Kurtz

Whether it be Saudi Arabia, the United States, Egypt, the African Union, the United Nations, IGAD, Türkiye, or Qatar – many countries and international organizations have been involved in mediation efforts in Sudan or have been suggested as potential mediators. The results: competition, forum-shopping, and ever more violence. Every mediator has weaknesses, be it their influence on, or bias toward one of the conflict parties, their lackluster approach, distraction, or lack of capacity. Ultimately, international actors (or, it seems, the Sudanese) have little influence on who will lead a peace process.

At the moment, no one party is really leading anything when it comes to Sudan. There has been a dearth of effective initiatives following frustration over the parties’ lack of commitment, the new government in the US and the battlefield advances of the Sudanese Armed Forces culminating in the recapture of central Khartoum in late March. Given the scale of the immense suffering in Sudan and the increasing regionalization of the conflict, this lack of leadership is an indictment of our current international order.

What Sudan needs in order to stop this madness is more coherent and effective international leadership. Everyone, including those in Europe, should be asking themselves what they can bring to the table and how they can contribute to shaping the mediation process. Effective mediation leadership would entail maintaining communication channels to the various parts of the armed coalitions, while being in continuous exchange with other diplomats about any openings and leads they may encounter. 

Increasing the cost (to meddle) for external sponsors can be just as essential as supporting civilian political organizing, ensuring humanitarian access, enabling mutual aid networks or establishing the documenting of human rights abuses.

No comprehensive and inclusive process is likely to emerge in the foreseeable future. In the meantime, virtually any leadership that will help stop this catastrophe is welcome to apply.

“The wars in Sudan and South Sudan are increasingly intertwined”

Comments on the war in South Sudan, EFE Agency, 4 April 2025

“The wars in Sudan and South Sudan are increasingly intertwined, and each side is likely to support armed actors in the other territory,” I tell Spanish media.

Kurtz says that although “there is no solid evidence” that the Sudanese Army supports the White Army or groups linked to the South Sudanese opposition, “there are strong historical ties” between the Sudanese military and Machar.

However, he points out that the Sudanese Army “has an interest in preventing the South Sudanese government from allowing the RSF to operate in South Sudanese territory and receive weapons” through the neighbouring country, especially after the agreement between the paramilitaries and SPLM-N, Kiir’s ally.

The Sudanese military dome is also concerned about the opening of an UAE hospital in Madhol, in northern South Sudan, as they “suspect it could be used as a concentration point for RSF supplies, as well as for the treatment of its soldiers,” as happened with the Emirati medical centre in Amdjarass (Chad).


Although the expert points to a growing interconnection of both crises, he recalls that “neither the Sudanese or South Sudanese parties have much resources, they are unlikely to act as major material sponsors.”

Added to this is Uganda’s participation and the influence of the Emirates in the area, so “it is absolutely possible that the conflict will become increasingly regional.”

“But we are not seeing two clear blocks, but rather a complex tangle of contradictions,” he says.

Razzien gegen Brigade N’Hamedu in Deutschland

Zitate in: Eritreas Konflikte werden in Deutschland ausgetragen, Deutsche Welle, 31.3.2025

….

Hier kommen die Eritrea-Festivals in westlichen Ländern ins Spiel. Offiziell sind sie Kulturveranstaltungen. Organisiert werden sie von der eritreischen Regierung und ihr nahestehende Exilgruppen in Deutschland. In Gießen etwa steht der regierungsnahe Zentralrat der Eritreer in Deutschland e.V. dahinter.

Ihr Charakter hat sich im Laufe der Zeit sehr gewandelt, schreibt der Eritrea-Experte Gerrit Kurtz von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik der DW: “Früher waren sie eine Gelegenheit, an den Freiheitskampf zu erinnern. Die kulturell angelegten Festivals wurden zunehmend von Vertretern des Regimes übernommen, so dass dort jetzt häufig Offizielle der eritreischen Regierung oder ihnen nahestehenden Personen auftreten und Propaganda für das autoritäre Regime in Asmara verbreiten.”

Die deutschen Behörden sind hier in einem Dilemma, meint Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik: “Deutschland sollte sich nicht auf die Seite der eritreischen Regierung stellen, die oft versucht, auf Mitglieder der Diaspora Druck auszuüben oder sie zu überwachen. Gleichzeitig kann Deutschland natürlich gewalttätige Aktionen, in die Brigade N’Hamedu und andere Diasporaorganisationen verwickelt sind, auf seinem Boden nicht tolerieren.”

Der Eritrea-Experte Gerrit Kurtz rät: “Deutschland sollte grundsätzlich die Seite der gewaltfreien Opposition in der Diaspora einnehmen und demokratisch orientierte Akteure fördern, auch wenn die Bundesregierung weiterhin bilaterale Beziehungen zu Asmara unterhalten sollte.” Da Deutschland derzeit keinen Botschafter in Eritrea habe, seien seine Einflussmöglichkeiten dort begrenzt. “Allerdings hat Eritrea durchaus Interesse, die Beziehungen mit Deutschland zu verbessern, was gewisse Einflussmöglichkeiten eröffnet. Das Vorgehen gegen die Brigade N’Hamedu in Deutschland wird die Stellung Deutschlands beim Regime in Asmara positiv beeinflussen, auch wenn das nicht das Ziel der – rechtsstaatlich mutmaßlich gebotenen – Razzien war.”

Kommen Kriegsverbrechen in Tigray vor ein deutsches Gericht?

Zitate in einem Artikel der Deutschen Welle, 28.März 2025

Gerrit Kurtz, Äthiopien-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, dämpft die Erwartungen: “Es soll eine Aufarbeitung geben, aber es kommen ständig neue Verletzungen hinzu, weil es ja gerade insbesondere in Amhara und Oromia weitere aktive Konflikte gibt, wo weiterhin massive Menschenrechtsverletzungen passieren. Und die äthiopische Justiz ist da nicht ausreichend hinterher.”

Schon die Strafverfolgung einfacher Täter ist damit nicht gewährleistet. Doch bei Entscheidungsträgern – wie in der LAW-Strafanzeige – ist sie noch unwahrscheinlicher, räumt Kurtz im DW-Interview ein: “Am einfachsten ist es natürlich immer, wenn es einen klaren Cut gibt nach einem Krieg, und andere Menschen, andere Parteien an der Regierung sind, die nicht für den Krieg verantwortlich waren. Nur dann kann es im eigenen Land zu einer glaubwürdigen Aufarbeitung kommen – und selbst dann gibt es immer noch größere Probleme. Aber das ist ja überhaupt nicht der Fall in Äthiopien.” Weil das effektivste Rechtsmittel, nämlich inländische Strafverfolgung, demnach nicht zur Verfügung stehe, zeigt Kurtz Verständnis für die Entscheidung, das sogenannte Weltrechtsprinzip zu bemühen.

Dass Äthiopien oder Eritrea hingegen ihre eigenen Staatsbürger nach Deutschland ausliefern würden, gilt als ausgeschlossen. Aus Sicht von SWP-Wissenschaftler Kurtz ist aber hierbei wichtig, dass die Namen aus der Strafanzeige nicht veröffentlicht wurden. “Das heißt: Bestimmte Menschen, die in dieses Raster reinfallen könnten in Äthiopien und Eritrea, die hochrangige Funktionen in Militär oder Staatsapparat haben, können sich nicht ganz sicher sein, ob sie betroffen sind oder nicht”, sagt Kurtz. Wenn es zu Ermittlungen kommt, müssten diese Menschen also beim Reisen vorsichtiger sein

Äthiopien: „Der nationale Dialog trägt zurzeit wenig bei“

Interview bei Africa.Table, 15.Oktober 2024

Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht keinegute Perspektive für den nationalen Dialog in Äthiopien, der denVielvölkerstaat eigentlich zusammenbringen soll. Im Gespräch mitMerga Yonas spricht er über Konfl ikte sowie über die Ängste undSorgen der Bevölkerung.

Herr Kurtz, Sie haben vor kurzem einen Artikel über den nationalenDialog in Äthiopien veröffentlicht. Warum halten Sie es gerade jetztfür wichtig, den nationalen Dialog in Äthiopien zu thematisieren?
Der nationale Dialog ist ein zentrales Vorhaben der Regierung. DasNarrativ der Regierung ist, dass dieser ein wesentliches Instrumentist, um die grundsätzlichen Konfl ikte, die das Land seit Jahrhundertenbewegen, anzugehen. Die äthiopische Bevölkerung und auchäthiopische Oppositionsgruppen müssen einen Umgang mit demDialog fi nden. Auch Äthiopiens internationale Partner suchen nacheinem konstruktiven Umgang mit den Konfl ikten im Land, damitÄthiopien nicht nur innerlich stabiler wird, sondern damit auchwieder mehr in die regionale Sicherheit investieren kann. Dafür sollteeigentlich ein solcher Prozess wie der nationale Dialog eine wichtigeRolle spielen.


Sie haben in Ihrer Veröffentlichung erwähnt, dass das Ziel desnationalen Dialogs darin besteht, die Bevölkerung hinter Abiys Einheitskonzept zu versammeln. Wie realistisch wird das sein?

Das ist genau das Problem: Im Moment hat der nationale Dialog sehrgeringe Chancen, zur Einigung des Landes beizutragen. Niemand istgrundsätzlich gegen die Herstellung eines nationalen Konsenses. DasProblem ist, dass diese nationale Einigung unter der Hegemonie Abiysbeziehungsweise der Prosperity Party stattfi nden soll. Es gibt sehr vielMisstrauen bei der Bevölkerung, bei bewaffneten Gruppen undanderen Oppositionsgruppen gegenüber dem nationalen Dialog, weildas Parlament, das die Kommission eingesetzt hat, massiv von derProsperity Party dominiert wird. Solange die Dominanz des gesamtenStaatsapparats durch die Regierungspartei so stark ist, wird es immerein hohes Misstrauen geben. In der Theorie ist der Dialog ein gutesInstrument, in der aktuellen Praxis gibt es sehr viele Fragezeichen.


Wenn Dialog hilft, Frieden zu schaffen, warum arbeitet die Regierung dann dagegen?
Ich glaube, es gibt eine komplexe Motivlage. Klar, die schärfstenKritiker würden sicherlich sagen, die Regierung hat den nationalenDialog nur geschaffen, um internationale Geber oder auchinnerstaatliche Kritiker zu besänftigen. Das funktioniert offensichtlichnicht. Die Leute, die den nationalen Dialog durchführen, meinen esdurchaus ernst. Es ist aber auch so, dass ein solcher Dialog ungewohntist, in dem Sinne, dass er eine staatsferne öffentliche Sphärevoraussetzt, bei der auch das Regierungshandeln infrage gestelltwerden könnte. Daher kommt dann auch dieser Widerspruch.


Die Opposition befürchtet, dass die Regierung den Dialog nutzen könnte, um Verfassungsänderungen durchzusetzen. Wenn sich diese Befürchtungen bewahrheiten, was wird dann aus der Regierung Abiy und dem Schicksal der Menschen in diesem Land?

Die Befürchtung der Oppositionsparteien ist eben, dass es Verfassungsänderungen gibt, mit denen sie nicht einverstanden sind,beispielsweise könnten einige der großen Bundesstaaten verkleinert werden oder das Prinzip des Ethno-Föderalismus gestrichen werden.Oder dass statt eines parlamentarischen Systems ein Präsidialsystemeingeführt werden könnte. Aber es ist ja noch nicht klar, welcheÄnderungen überhaupt angestrebt werden. Das kann man jetzt auchnoch nicht konkret sagen. Das löst diese Sorgen aus. Ich kann erstmalnur über diese berichten, die wiederum Ausdruck des Misstrauens inTeilen der Bevölkerung sind.


Die Menschen befürchten, dass der Dialog als Instrument benutztwerden könnte, um Artikel 39 der Verfassung abzuschaffen, der ein uneingeschränktes Recht auf Selbstbestimmung, einschließlich des Rechts auf Sezession, verspricht. Haben die Menschen bei Ihren Recherchen solche Befürchtungen geäußert?
Das ist genau die Sorge, dass es eine weitere Zentralisierung geben könnte. Die Transformation der früheren Regierungskoalition derEPRDF zur jetzigen Regierungspartei der Prosperity Party wird da alsein entsprechendes Zeichen gesehen. Im Gegensatz zur EPRDF ist diePP stärker hierarchisch an der Führung des Premierministersorientiert. Gleichwohl hat die aktuelle Regierung ja auch dieAnwendung der weiteren Selbstbestimmung im Süden des Landeszugelassen, wo neue Bundesstaaten entstanden sind.


Warum unterstützen Deutschland und NGOs wie die Berghof-Stiftung weiterhin die Kommission, obwohl sie bereits wussten, dass die Kommission auf dem falschen Weg ist?

Die Unterstützung ist ja genau darauf ausgerichtet, die
Kommissionsmitglieder zu unterstützen, den Prozess effektiver und
glaubwürdiger zu machen. Das Ziel ist nicht, damit per se die
Regierung zu unterstützen. Man sieht das Potenzial des nationalen
Dialogs und nicht viele Alternativen, die einer konstruktiven
Friedensförderung zumindest dienen könnten. Ich glaube, dass die
Gefahr noch nicht so groß ist, solange die Kommission Konsultationen
durchführt. Der mögliche Schaden würde erst eintreten, wenn daraus
Empfehlungen kommen oder wenn die Regierung diesen nationalen
Dialog beispielsweise für Verfassungsänderungen nutzen sollte oder
für andere politische Entscheidungen. Aus der deutschen und
internationalen Unterstützung entsteht natürlich auch eine gewisse
Legitimierung für den Prozess. Deswegen ist es so wichtig, dass diese
Partner genau beobachten, um nicht für eine autoritäre
Konsolidierung eingespannt zu werden.


Ist ein Dialog in der jetzigen Form und in dem Verfahren der
Kommission möglich? Wenn nicht, was sind die Alternativen?

Die hohen Ambitionen, welche das äthiopische Parlament für den nationalen Dialog formuliert hat, werden sicher nicht eingelöst werden. Im besten Fall könnte dieser Prozess auch eher den Rahmen dafür schaffen, nationale Streifragen in Zukunft konstruktiv auszutragen. Danach sieht es im Moment aber überhaupt nicht aus. Die äthiopische Regierung riskiert damit, dass einige der Streitfragen auch weiterhin gewaltsam ausgetragen werden und sich die Fliehkräfte vergrößern könnten. Alternativen könnten zumindest Dialoge auf lokaler und bundesstaatlicher Ebene sein, um die dortigen Streitfragen systematisch anzugehen, auch wenn Fragen der nationalen Identität, verfassungsmäßigen Ordnung und des politischen Systems aufgrund des autoritären Kontexts nicht offen besprochen werden können.

Dr. Gerrit Kurtz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Kurtz hat in Friedens- und Konfliktstudien am King’s College London promoviert. Vor kurzem hat er einen Artikel über die Herausforderungen des nationalen Dialogs in Äthiopien veröffentlicht.

“There is a high risk of targeted attacks against civilians”

Aiyn Network, 22 June 2024

Quotes in: Experts ask for a new civilian protection force in Sudan, https://3ayin.com/en/civilprotection/

“Gerrit Kurtz, a researcher at the German Institute for International and Security Affairs, sees little chance of passing such a resolution via the UN Security Council and places more hope through regional mechanisms. “The UN Security Council is largely blocked because of the bad relations between Russia on the one side and the US, UK and France on the other among the permanent members. Therefore, only the AU Peace and Security Council or the AU Assembly could authorise an African deployment,” he said.”

“Kurtz warns of further mass atrocities perpetrated by hate speech. He expressed concern that the current polarisation is taking on a tribal dimension and that civilians arm themselves either for self-defence or to join a warring party. “There is a high risk of targeted attacks against civilians based on their ethnic identity if the RSF manage to capture El Fasher,” he said.”

“Kurtz argues that the international community could exert more influence over the warring parties, especially given the significant financial and military flows benefiting them.”

„Russland betreibt ein doppeltes Spiel“

IPG-Journal, 20.6.2024

Neuer Einfluss in Afrika? Gerrit Kurtz über russische Marinebasen, die Rolle Moskaus im Bürgerkrieg im Sudan und deutsche Interessen am Roten Meer. (Quelle)

Die Fragen stellte Constantin Grund.

Die Russische Föderation verstärkt durch eine neue Marinebasis ihre Militärpräsenz am Roten Meer. Wie laut schallt die russische Nationalhymne künftig über dem Roten Meer?

Das müssen wir noch sehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Einrichtung einer russischen Marinebasis am Roten Meer schon seit mehreren Jahren im Grundsatz vereinbart war, allerdings wurde diese Vereinbarung bisher nicht umgesetzt. Kürzlich bestätigte der russische Vize-Außenminister laufende Gespräche, ließ aber durchblicken, dass das Abkommen noch nicht final sei. Neben Sudan verhandelt Russland auch mit Eritrea über eine Präsenz am Roten Meer. Dort scheinen die Gespräche schon sehr viel weiter fortgeschritten als mit Sudan.

Was beinhaltet das Abkommen konkret, und was steht möglicherweise auch nur zwischen den Zeilen?

Diskutiert wurde zunächst nur eine kleinere Basis für logistische Zwecke, die perspektivisch aber auch von der russischen Marine genutzt werden kann. Konkret sollen an dieser Basis bis zu 300 Soldaten stationiert werden und bis zu vier russische Militärschiffe andocken können. Dies war bereits seit längerem bekannt. Jetzt hat die sudanesische Seite als Gegenleistung für diese Basis neue Waffenlieferungen aus Russland ins Spiel gebracht, wenngleich dafür eine Bestätigung aus Moskau noch aussteht.

Die Ursprünge dieses Abkommens gehen ins Jahr 2017 zurück. Das Russland nahestehende sogenannte Afrikakorps hatte im Verlauf der aktuellen Auseinandersetzungen die Rapid Support Forces (RSF) unterstützt. Vollzieht Russland mit der neuen Kooperation jetzt einen Strategiewechsel im Sudan?

Auch vorher war schon deutlich geworden, dass Russland im Sudan ein doppeltes Spiel betreibt. Bereits vor rund einem Jahr waren führende Vertreter der sudanesischen De-facto-Regierung in Moskau und haben das Gespräch mit der russischen Führung gesucht. Der stellvertretende russische Außenminister war kürzlich in Port Sudan und hat sich dort sehr eindeutig auf die Seite der SAF, also der Armee, gestellt und mitgeteilt, dass Russland die aktuelle Regierung als die einzig legitime Regierung des Sudan anerkenne. Gegenstand der Gespräche war auch die Forderung der SAF nach einem Ende der Unterstützung des Afrikakorps für die RSF. Die russischen Vertreter haben dann die Existenz der ukrainischen Soldaten auf Seiten der SAF thematisiert. Bislang ist noch nicht klar, ob es tatsächlich zu einem Ende des Engagements des Afrikakorps im Sudan kommt.

Wenn es zu einer russischen Marinebasis käme, wäre dies dann ein Gamechanger für den innersudanesischen Konflikt? Kann man damit rechnen, dass die SAF mittelfristig die Oberhand gewinnt?

Damit würde ich nicht rechnen. Es wäre sicherlich ein Gamechanger, wenn das russische Militär selbst in den Konflikt eingreifen würde, so wie es das in Syrien seit dem Jahr 2015 getan hat. Danach sieht es momentan im Sudan nicht aus. Hier geht es vorrangig nur um die Lieferung von Waffen, von denen die Streitkräfte natürlich profitieren würden, aber am Ende braucht es nicht einfach nur bestimmte Waffentypen, sondern auch qualifiziertes Personal und taktische Fertigkeiten. An beidem mangelt es den Streitkräften bisher, um gegenüber den RSF wirklich Erfolge erzielen zu können. Von einem Gamechanger kann man daher bisher nicht sprechen.

Früher hieß es, Zentralasien sei das neue Great Game der internationalen Politik. Jetzt kann man den Eindruck gewinnen, am Roten Meer kulminierten die Interessen von sehr viel mehr Akteuren auf sehr engem Raum. Wie gefährlich wird das in Zukunft?

Ja, in der Tat. Auch über Sudan hinaus gibt es sehr viele Akteure, die sich gerade am Roten Meer konzentrieren. Die Angriffe der Houthis auf Handelsschiffe hatten Folgen, auch in militärischer Hinsicht, und führten zu einem stärkeren Engagement der US-Amerikaner und der Europäer. Es könnte noch weitere, anders gelagerte Auseinandersetzungen in der Region geben aufgrund der Bedeutung dieser geografischen Achse für den Handel zwischen Europa und Asien. Die direkten Anrainerstaaten wie Saudi-Arabien und Ägypten haben enorme Interessen, auf die andere Staaten wiederum reagieren müssen.

Sind deutsche außen- und sicherheitspolitische Interessen für die Region ausreichend definiert?

Deutschland hat am Roten Meer definierte Interessen. Dies zeigte sich deutlich an der zeitnahen Entsendung der Fregatte Hessen zum Schutz der maritimen Handelswege, die für Deutschland wichtig sind. Immerhin verfügt die Bundesmarine nur über drei solcher Schiffe. Eines davon für eine solche Mission abzustellen, und sei es nur zeitweise, ist definitiv ein commitment. Die Ergebnisse einer solchen Mission stehen immer auf einem anderen Blatt. Insgesamt bräuchte es sicherlich ein vertiefteres politisches Engagement in der Region mit einer stärkeren Schärfung unseres eigenen Interessenprofils.

Deutschland ist gerade stark mit Innenpolitik beschäftigt. Welche Bedeutung hat das für die Formulierung deutscher außen- und sicherheitspolitischer Interessen im Sudan und am Roten Meer?

Ich würde davon abraten, sich zu stark auf ein mögliches Abkommen für die Marinebasis zwischen Sudan und Russland zu konzentrieren. Der Krieg im Sudan ist an sich schon eine Bedrohung der internationalen Sicherheit und gleichermaßen eine humanitäre Katastrophe, die jeden Tag schlimmer wird. Dies ist die größte Vertreibungskrise der Welt und ich glaube, auch dort sind deutsche Interessen direkt betroffen. Deutschland hat ein Interesse an der Aufrechterhaltung einer regelbasierten Weltordnung. Zu diesen Regeln gehört auch das humanitäre Völkerrecht, gehören grundlegende Menschenrechte sowie der Zugang zu humanitärer Hilfe für Bedürftige. All dies wird im Sudan derzeit mit Füßen getreten.