Unruhe am Horn von Afrika: Riskanter Deal zwischen Äthiopien und Somaliland

SWP-Podcast 2024/P 02, 01.02.2024

Somaliland soll Äthiopien Zugang zum Meer gewähren. Als Gegenleistung will es als Staat anerkannt werden. Gerrit Kurtz erklärt, welche Interessen hinter diesem Deal stecken und wie dieses Vorgehen die Stabilität am Horn von Afrika gefährdet. Moderation: Dominik Schottner.

Neue Unruhe am Horn von Afrika: Somaliland bietet Äthiopien Hafen gegen Anerkennung

Jemenitische Huthis beschießen Schiffe im Roten Meer. Auf der anderen Seite der Meerenge kocht nun ein weiterer Konflikt hoch. Jetzt reist Außenministerin Baerbock in die Region.

Erschienen im Tagesspiegel, 24.01.2024

Während die Huthi-Angriffe auf Schiffe im Roten Meer internationale Aufmerksamkeit auf den Jemen lenken, spitzt sich auch am anderen Ufer die regionale Konfrontation zu. Das Abkommen, das Äthiopien und Somaliland am 1.Januar 2024 unterzeichneten, beunruhigt die Region am Horn von Afrika.

Sowohl Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed als auch Somalilands Präsident Muse Bihi Abdi verfolgen mit dem Abkommen langjährige Interessen ihrer beiden Länder. Die nördliche Region Somaliland erhebt seit 1991 den Anspruch auf Unabhängigkeit von Somalia, dem bisher allerdings kein UN-Mitglied gefolgt ist. Allerdings treiben die beiden Regierungschefs mit ihrer unabgestimmten Vorgehensweise eine ohnehin konfliktreiche Region weiter auseinander. In dieser Form gefährdet der Deal die Stabilität am Horn von Afrika und dient kurzfristigen politischen Prioritäten.

Als Teil des Abkommens will Äthiopien einen 20 Kilometer langen Küstenstreifen in Somaliland für 50 Jahre pachten, um kommerzielle Hafendienste zu nutzen und eine Basis für die im Aufbau befindliche äthiopische Marine zu errichten. Äthiopien hatte 1993 mit der Unabhängigkeit Eritreas den direkten Zugang zum Meer verloren. In einer viel beachteten Rede hatte Abiy im Oktober 2023 gar davon gesprochen, dass Äthiopien als bevölkerungsreichstes Binnenland der Welt nicht ein „Gefangener der Geographie“ werden dürfe. Die Benutzung des Hafens von Dschibuti, den Äthiopien derzeit überwiegend für seinen Handel nutzt, kostet die Wirtschaft rund 1,5 Milliarden US-Dollar Gebühren pro Jahr.

Im Gegenzug, und das ist der kontroverse Teil der Abmachung, stellt Äthiopien Somaliland in Aussicht, das Land diplomatisch anzuerkennen. Somaliland bezieht sich auf die Grenzen des früheren britischen Protektorats, das 1960 für fünf Tage unabhängig war, bevor es sich mit der früheren italienischen Kolonie am Indischen Ozean zu Somalia vereinigte. In den 1980er Jahren gab es einen brutalen Bürgerkrieg zwischen somaliländischen Rebellen und der Zentralregierung, in deren Folge sich die Region abspaltete. Während Somalia nach dem Sturz des Diktators Siad Barres ins Chaos stürzte, bauten die Menschen in Somaliland ohne viel äußere Hilfe ihren Staat auf, der traditionelle und demokratische Elemente vermischt.

Ob das völkerrechtlich nicht bindende Abkommen tatsächlich die von den beiden Regierungen erhoffte Wirkung zeigen wird, ist allerdings offen. Der Text selbst wurde nicht veröffentlicht. Äthiopien stellte klar, dass es lediglich versprochen habe, „eine tiefgehende Bewertung durchzuführen hinsichtlich einer Position gegenüber den Bemühungen von Somaliland Anerkennung zu erlangen.“ Es ginge eher um Geschäftsinteressen, erklärte der nationale Sicherheitsberater Äthiopiens, Radwan Hussein. Als Bezahlung soll Somaliland entsprechende Anteile an der Fluggesellschaft Ethiopian Airlines erhalten, da Äthiopien über kaum Devisen verfügt.

Seit der Bekanntmachung des Abkommens zwischen Äthiopien und Somaliland ist die Region in Aufruhr. Somalias Präsident Hassan Sheikh Mohamud versprach dem Parlament, „jeden Zoll unseres Territoriums zu schützen“ und mobilisiert diplomatische Unterstützung. Eritrea, Ägypten, die Arabische Liga und die USA sprachen sich gegen das Abkommen aus.

Entscheidend ist das politische Signal, das von dem Abkommen ausgeht. Es zerstört Vertrauen, das ohnehin Mangelware am Horn von Afrika ist. Sowohl Abiy als auch Bihi stehen innenpolitisch stark unter Druck, wie bewaffnete Konflikte in den äthiopischen Regionen Amhara und Oromia sowie in der Region um Las Anod im östlichen Somaliland zeigen. Davon soll der Deal mutmaßlich ablenken und Autonomie- und Abspaltungstendenzen entgegenwirken.

Sowohl Äthiopiens Interesse an einem gesicherten Meereszugang als auch Somalilands Streben nach Anerkennung mögen nachvollziehbar seien. Doch um beide Ziele langfristig abzusichern, braucht es eine Verständigung mit allen betroffenen Stakeholdern. Dazu gehören die Staaten der Region einschließlich der Zentralregierung in Mogadischu. Tatsächlich hatten Somalia und Somaliland nur wenige Tage vor der Verkündung des Abkommens unter Vermittlung Dschibutis beschlossen, Gespräche über ihr gemeinsames Verhältnis wiederaufzunehmen.

Zudem trägt die Abmachung zu einer Lagerbildung bei, welche außerregionale Mächte einschließt. Somalia und Eritrea suchen die Kooperation Ägyptens. Umgekehrt verbinden Äthiopien und Somaliland enge Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auch im Krieg im Nachbarland Sudan unterstützen Ägypten und die VAE unterschiedliche Seiten.

Die Regionalorganisation IGAD ist gespalten, wie ihr jüngster Gipfel letzte Woche in Kampala zeigte. Dort stand das Abkommen auf der Tagesordnung, doch Abiy blieb dem Treffen fern.

Es bräuchte ein Dialog-Format, bei dem sowohl die regionalen als auch die außer-regionalen Regierungen zusammenkommen, was weder bei der Afrikanischen Union noch der Arabischen Liga der Fall ist. Die EU sollte eine entsprechende regionale Diplomatie unterstützen. Außenministerin Baerbock, die diese Woche die Region bereist, könnte sich dafür einsetzen.