Den Krieg in Sudan stoppen

Zivile Akteure, nicht allein die Konfliktparteien, sollten die Friedensverhandlungen führen

SWP-Aktuell zusammen mit Hager Ali (GIGA Institut), erschienen am 15.5.2023

In Sudan kämpfen die wichtigsten Sicherheitskräfte des Landes gegeneinander. Eine schnelle militärische Entscheidung ist angesichts des relativ ausgeglichenen Kräfteverhältnisses zwischen den Sudanesischen Streitkräften (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF) nicht zu erwarten. Durch dieses strategische Patt sind die Chancen auf eine erfolgreiche Vermittlung nicht ausweglos. Dafür müssten Sudans internationale Partner aber von dem seit Jahrzehnten dominierenden Ansatz Abstand nehmen, Gewaltakteuren die Hauptrolle in Verhandlungen zuzugestehen. Zivile Akteure haben eine breite Anti-Kriegs-Koalition gebildet, die bei Friedensgesprächen von Anfang an den Ton angeben sollte. Dies könnte durchaus auch im Interesse der Konfliktparteien sein, denn diese brauchen einen dritten Akteur, der ihr Verhältnis in Zukunft mode­rieren kann. Die Bundesregierung sollte sich um eine stärkere Koordination inter­nationaler Vermittlungsansätze unter ziviler Führung aus Sudan bemühen. In der EU sollte sie eine Initiative zur Eingrenzung des finanziellen Spielraums der sudanesischen Gewaltakteure anstoßen.

Seit dem 15. April 2023 erschüttern heftige Kämpfe Sudan. Das schon lange befürchtete schlechteste Szenario ist eingetreten: ein offener bewaffneter Kampf zwischen den SAF unter Führung von General Abdel Fattah al-Burhan und den RSF, die unter dem Befehl von General Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti, stehen.

Im Gegensatz zu früheren Kriegen finden diese Auseinandersetzungen nicht nur in Sudans leidgeplagter Peripherie statt, son­dern auch in der Agglomeration, die von den Millionenstädten Khartum, Omdurman und Bahri gebildet wird. Die Kämpfe er­schweren die Versorgung der Bevölkerung und haben bereits zu massiven Preisanstie­gen für Güter des täglichen Bedarfs geführt.

Falls die Kämpfe länger andauern sollten, sind die Gefahren für das Land und die Region immens. Hunger, Unterversorgung und massive Fluchtbewegungen sind zu befürchten. Die islamistische Bewegung in Sudan könnte weiter an Einfluss gewinnen. Zivilisten, die sich bedroht fühlen, könnten sich zum Selbstschutz bewaffnen, während die schon existierenden bewaffneten Grup­pen sich auf eine der beiden Seiten schlagen könnten. Die fragilen Nachbarländer könn­ten selbst destabilisiert werden und Raum bieten für jihadistische Akteure.

Interessen der Konfliktparteien

Die seit langem bestehende Konkurrenz zwischen den SAF und den RSF hat sich durch Hemedtis politischen Aufstieg nach dem Fall des Diktators Omar al-Bashir ver­schärft. Bashir hatte die RSF 2013 bewusst als Gegengewicht gegen die SAF und den ebenfalls mächtigen National Intelligence and Security Service (NISS, heute General Intelligence Service, GIS) aufgebaut. Der Wettbewerb im Sicherheitssektor sollte Bashirs Herrschaft in einem der putsch­anfälligsten Länder der Welt stabilisieren. Die komplementären Einsatzfelder der SAF und der RSF ermöglichten es den beiden Militärorganisationen, im selben Staat zu koexistieren.

Bashirs Strategie der Machtsicherung miss­lang, weil ihm die Ressourcen ausgingen, um weiter Subventionen an die Bevölkerung und Loyalitätszahlungen für den Sicherheitssektor zu finanzieren. Seine engsten Verbündeten wandten sich an­gesichts landesweiter Proteste seit Dezember 2018 gegen ihn, nicht zuletzt deshalb, weil auch einige SAF-Einheiten Sympathie mit den Demonstrierenden (darunter Kinder einfluss­reicher SAF-Generäle) zeigten. Wäh­rend sich der mutmaßliche Architekt des Kom­plotts, NISS-Chef Salah Gosh, ins Exil ab­setzte, machten die islamistischen Anhän­ger von Bashirs Regime insbesondere Hemedti, der eine 180-Grad-Volte von Bashirs Be­schützer zu dessen Gegner voll­zog, für den Sturz des Systems verantwortlich.

Angewiesen auf die kampferprobten und skrupellosen RSF machte Burhan als neuer Oberbefehlshaber der Streitkräfte Hemedti im April 2019 zum Stellvertretenden Vor­sitzenden des Übergangsmilitärrats. Doch die Zweck­gemeinschaft der beiden Generäle stellte bereits die Weichen für den Kolli­sionskurs zwischen den SAF und den RSF.

Für die SAF und vor allem für islamistische Kräfte in ihrer Mitte ist es nicht hin­nehmbar, dass mit der RSF eine De-facto-Parallelarmee unabhängig und mit eigenen Einkommensquellen im gleichen Staat ope­rieren kann. Die relative Stärke der RSF er­schwert es den SAF auch perspektivisch, die volle Kontrolle über die Exekutive auszuüben, wie die bisherigen autoritären Regie­rungen Sudans es vermochten. Daher ist es das Ziel der SAF, die konkurrierende Sicher­heitskraft aufzulösen. Eine erfolgreiche In­tegration der RSF würde die Effektivität des Militärs erhöhen und das Putschrisiko mini­mieren.

Umgekehrt will Hemedti die Unabhängig­keit seiner RSF so lange wie möglich erhal­ten und sich nicht einem Militär unterord­nen, das durchsetzt ist mit Offizieren, die ihn und seine Truppe ablehnen. Nach dem Militärputsch im Oktober 2021 hat Burhan Tausende Bedienstete zurück in den öffent­lichen Dienst geholt, die wegen ihrer Loya­lität zum Bashir-Regime vorher entlassen worden waren. Hochrangige Repräsentan­ten des früheren Regimes kamen aus dem Gefängnis frei. Die Sudanesische Islamisti­sche Bewegung unter dem früheren Außen­minister Ali Karti macht aus ihrer Unterstützung für die SAF keinen Hehl.

Hemedti werden politische Ambitionen auf das höchste Staatsamt nachgesagt. Da­für müsste er seine politische Basis deutlich verbreitern, was schwieriger würde, wenn seine RSF in den Streitkräften aufgingen. Das ökonomische Imperium der RSF und der Familie Dagalo macht nach Schätzungen eines Experten die Hälfte der sudanesischen Wirtschaftsleistung aus. Hemedti pro­fitiert somit direkt von den militärischen Kapazitäten der RSF. In Darfur hat er sie zur gewaltsamen Einnahme von Gold­minen eingesetzt.

Sowohl den SAF als auch den RSF geht es also darum, ihre Privilegien zu wahren und Dominanz in einer zukünftigen politischen Ordnung in Sudan zu erlangen. Dafür stre­ben sie nach Legitimität in der sudanesischen Öffentlichkeit und bei internationalen Akteuren.

Strategisches Patt

Sowohl die SAF als auch die RSF werden aller Voraussicht nach geschwächt aus diesem Krieg hervorgehen, auch wenn eine der beiden Parteien Erfolge erzielen sollte. Derzeit ist es jedoch wahrscheinlich, dass beide diesen Konflikt weder militärisch noch politisch in nächster Zeit für sich ent­scheiden können. Je schneller sie einsehen, dass sie sich in einem strategischen Patt befinden, desto eher könnten sie bereit für ernsthafte Friedensgespräche sein.

Schätzungen über die genaue Truppengröße der SAF und der RSF gehen weit aus­einander, zumal beide Kampfverbände stark rekrutiert haben in letzter Zeit. SAF und RSF kontrollieren jedoch eine vergleichbare Größenordnung von Truppen, wobei die SAF noch auf Einheiten von GIS und der Central Reserve Police zurückgreifen. Die militärischen Spezialisierungen der SAF und der RSF erschweren es beiden Streit­kräften, die Oberhand zu gewinnen: Die SAF ist auf konventionelle Kriegsführung mit schweren Waffen und auf die Verteidigung von stationären Ein­richtungen aus­gelegt. Die RSF operiert als reine Boden­truppe hochmobil mit punk­tuellen An­griffen, die oft von Plünderungen begleitet werden.

Keiner der Kontrahenten ist damit auf urbane Kriegsführung im Großraum Khar­tum ausgerichtet. Die SAF tun sich schwer damit, die wesentlich beweglicheren RSF durch die Straßen zu verfolgen. Die Luft­überlegenheit der SAF hat die RSF dazu veranlasst, ihre Basen in der Hauptstadt zu räumen und sich in Wohn­gebieten und Privathäusern einzunisten. Sie hat Schwie­rigkeiten, ihre Versorgung sicherzustellen. In Khartum gibt es einen erbitterten Kampf um stra­tegische Orte wie den Präsidentenpalast, das Militärhauptquartier und die Brücken über den Nil.

Beide Parteien laufen Gefahr, durch den Krieg und die mögliche Beteiligung weiterer bewaffneter Gruppen zu zersplittern. Durch Rekrutierungen und Allianzen verfügen die RSF über Truppen aus vielen Teilen Sudans, nicht nur aus ihrem Ur­sprungsgebiet in Darfur. Dazu zählen auch Angehörige von Drittstaaten wie Tschad und anderen Sahel­ländern, die vor allem opportunistisch agie­ren. Islamistische Kräfte innerhalb der SAF könnten ab einem gewissen Punkt eigen­ständig handeln. Der Abnutzungskampf ist am Ende ruinös für die militärischen Fähig­keiten der beiden Kontrahenten.

Politisch werden SAF und RSF ohnehin geschwächt aus dem Gewaltkonflikt her­vor­gehen. Ihr Putsch war bereits vorher ge­scheitert, denn es war ihnen nicht wie anderen Militärregierungen vor ihnen ge­lungen, zivile politische Parteien zu koop­tieren. Burhan brachte zwar Angehörige der verbotenen National Congress Party (NCP) zurück ins öffentliche Leben, konnte es sich aber nicht leisten, die Partnerschaft publik zu machen. Dazu waren die Proteste der sudanesischen Zivilgesellschaft gegen sein Vorgehen zu groß. Außerdem hätte eine offen islamistische Regierung zu Reibungen mit den wichtigsten Partnern Sudans in der Region – wie Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Saudi-Ara­bien – geführt. Hatten die letzteren beiden nach dem Sturz Bashirs dem damaligen Militärregime unter Burhan und Hemedti noch eine Finanzspritze von drei Milliarden US-Dollar versprochen, zeigen sich die Geber mitt­lerweile zurückhaltender. Eine milliardenschwere Investition aus den VAE in einen Hafen mit umliegendem Gewerbegebiet wurde wiederholt auf­geschoben und erst verkündet nach der prinzipiellen Eini­gung auf eine zivile Regierung im Dezember 2022.

Die Golfstaaten wissen, dass ohne eine Fortsetzung eines IWF-Programms mit makro-ökonomischen Reformen, ohne den Abbau von Sudans Auslandsschulden von über 50 Milliarden Dollar und ohne die Wiederaufnahme der Unterstützung durch die Weltbank und westliche Regierungen die sudanesische Wirtschaft weiter abstür­zen dürfte. Das wäre schlecht für ihre ge­planten Investitionen.

Diese Aussichten waren lange vor dem Ausbruch der Kämpfe in Khartum bekannt. Ein lange anhaltender Krieg wäre weder im Interesse der SAF noch der RSF. Daher spricht einiges dafür, dass die Konflikt­parteien diese Art der Auseinandersetzung so nicht gewollt haben, auch wenn beide mobilisiert und eskaliert haben. Eine Seite hat vermutlich für sich die Chance einer schnellen Entscheidung gesehen oder einem befürchteten unmittelbar bevorstehenden Angriff der anderen zuvorkommen wollen. Ähnliche Eskalationsdynamiken hat es be­reits in der Vergangenheit gegeben, zuletzt im Februar und Anfang März. In diesen Phasen war es sudanesischen und inter­nationalen Vermittlern jedoch gelungen, die Lage vor der Anwendung von Gewalt zu entschärfen. Einige Beobachterinnen wie die sudanesische Analystin Kholood Khair vermuteten in diesem Gehabe von Eskala­tion und Deeskalation eine Taktik des Sicherheitssektors, um unliebsame Kom­promisse in den Verhandlungen für eine zivile Regierung zu vermeiden. Khair warnte zu der Zeit auch vor einer bewaffneten Aus­einandersetzung zwischen beiden Kräften mit »desaströsen Folgen«.

Deals mit Gewaltakteuren sind gescheitert

Die Friedens- und Übergangsprozesse, die Sudan in den letzten Jahrzehnten durchlaufen hat, haben den Gewaltakteuren immer eine überproportionale Rolle zugemessen. Es liegt in der Logik von Abkommen, die unter solchen Vorzeichen starten und in der Regel unter internationaler Vermittlung zustande kommen, dass sie die Anwendung von Gewalt als Mittel der Interessendurchsetzung belohnen. Rebellengruppen haben diese Lektion seit langem gelernt: Wer Auf­merksamkeit und einen Platz am Verhandlungstisch will, sollte möglichst aggressiv auftreten.

Die SAF und die RSF sind Teil dieser am Horn von Afrika verbreiteten Dynamik und verhalten sich entsprechend. Sie sind es gewohnt, bewaffnete Gewalt und bewusste Regelverletzungen als Mittel einzusetzen – und damit Erfolg zu haben.

Diplomatinnen und Diplomaten begründen ihren Umgang mit den Gewaltakteuren in der Regel mit Pragmatismus und Real­politik. Jedes Abkommen sei besser als Krieg und Gewalt. Sudan ist ein gutes Bei­spiel für die Fehlerhaftigkeit dieser Argu­mentation. So stieg die konfliktbezogene Gewalt in Darfur nach dem Friedensabkom­men von Juba 2020 an. Der Deal revitalisierte Rebellengruppen, die in Sudan selbst keine Truppen oder relevante Zustimmung mehr hatten, und verhalf diesen zu einer Beteiligung an der Übergangsregierung.

Obwohl die sudanesische Zivilgesellschaft gerade ihre Organisationskraft auch angesichts massiver Gewalt der Sicherheitskräfte bewiesen hatte, konnten sich letztere während der 2019 eingesetzten zivil-militä­rischen Interimsregierung immer mehr Macht verschaffen. Das lag auch am Verhal­ten der Parteien der Forces of Freedom and Change (FFC), die sich in der Frage der Ver­tei­lung von Sitzen für die Einsetzung eines Übergangsparlaments nicht einigen konn­ten. Stattdessen ließen sie es zu, dass Hemedti und Burhan Einfluss auf die täg­lichen Regierungsgeschäfte nahmen. Das Militär hatte nicht nur daran mitgewirkt die Regeln zu schreiben, sondern legte sie in der Praxis auch für sich aus.

Kein Wunder, dass eine Reihe von ehe­maligen internationalen Diplomaten wie der frühere US-Sondergesandte für das Horn von Afrika, Jeffrey Feltman, diesen mutmaßlich pragmatischen Ansatz mitt­ler­weile ablehnen. Denn er geht von der Prä­misse aus, die Generäle seien gutwillige Akteure, die sich an Abmachungen halten. Das sind sie nicht.

Wettbewerb um Vermittlung

Die Konfliktparteien werden sich wahrschein­lich dann ernsthaft zu Friedens­gesprächen bereiterklären, wenn sie erken­nen, dass sie mit militärischer Gewalt nicht mehr vorankommen können.

Die vielen regionalen und internatio­nalen Akteure, die Interessen in und mit Sudan verfolgen, müssten daher eine einheitliche Linie verfolgen. Vor allem Ägypten, die VAE und Saudi-Arabien sollten den Konflikt­parteien signalisieren, dass sie keine militä­rische Unterstützung zu erwarten haben.

Dies ist durchaus möglich. Kein Land in der Region hat ein Interesse an einem aus­geprägten Bürgerkrieg in Sudan. Auch wenn viele ausländische Regierungen Sympathien für die eine oder andere Seite hegen, hat bis­her keine einzige offiziell ihre Unter­stützung für eine Partei zum Ausdruck ge­bracht. Im Gegenteil haben sich die Nach­barstaaten und die wichtigsten anderen Regierungen einschließlich aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats auf Initiative der Afrikanischen Union zu einer Verurteilung des Krieges bekannt und gegen ex­terne Einmischung ausgesprochen.

Gleichwohl zeichnet sich bereits eine Konkurrenz um die Führung von Friedensgesprächen ab. Diese nutzt am Ende nur den Gewaltakteuren selbst, die sich den­jenigen Rahmen aussuchen werden, der ihnen den größtmöglichen Freiraum so­wohl individuell als auch im Verhältnis zu zivilen Parteien erlaubt.

Den USA und Saudi-Arabien gelang es, die SAF und die RSF davon zu überzeugen, Delegationen nach Jeddah zu entsenden, wo die Gegner seit dem 6. Mai 2023 über eine humanitäre Feuerpause verhandeln. Zwar stehen die Media­toren in Kontakt mit den zivilen Forces of Freedom and Change; beteiligt sind diese jedoch nicht direkt an den Gesprächen, bei denen es nicht um das Ende des Krieges gehen soll. Washington und Riad stehen letztlich genau für den Ansatz von Eliten-Deals, der immer wieder gescheitert ist. Schließlich hat der Druck der US-Regierung auf das Militär, den ein­mal festgelegten Zeitplan zur Einrichtung einer zivilen Regierung einzuhalten, ob­wohl es keine belastbare Einigung zum Kernthema Sicherheitssektorreform gab, zur Eskalation beigetragen. Die Afrika-Beauftragte und Verhandlungsführerin der USA, Molly Phee, ist mitverantwortlich für bereits spektakulär gescheiterte Friedensprozesse in Südsudan und Afghanistan.

Aus der Sicht der Konfliktparteien im Grunde noch attraktiver ist die Einladung von Südsudans Präsident Salva Kiir Mayar­dit für Gespräche in Juba. Kiir agiert zwar im Auftrag der Regionalorganisation Inter­governmental Authority on Development (IGAD), hat jedoch eigene Interessen. Er sorgt sich um die Sicherheit der Ölexporte über Port Sudan, von denen sein Staatshaushalt fast ausschließlich abhängt. Sudan und Südsudan haben bereits meh­rere Frie­densabkommen verhandelt. Zivile Akteure waren dabei stets höchstens am Rand be­teiligt, ging es doch um rein transaktionale Macht­teilungsvereinbarungen zwischen Gewaltunternehmern.

Größere Chancen könnte eine Vermittlung von IGAD haben, wenn sich Kenias Präsident William Ruto noch stärker ein­bringen sollte, der zusammen mit den Regierungschefs von Südsudan und Dschi­buti von einem IGAD-Gipfel für Friedens­gespräche in Sudan mandatiert wurde. Er hat sich bereits gegen eine Fortsetzung der Militärregierung in Sudan eingesetzt. Kenia spielt auch in Äthiopien und in Ostkongo eine konstruktive Vermittlerrolle.

Die US-saudisch geführte Initiative bringt zumindest sehr gewichtige Länder zusam­men. Andere Vermittlungsangebote aus der Türkei, Äthiopien, Israel oder vom Präsi­denten der AU-Kommission Moussa Faki Mahamat hätten weniger Chancen, zumal diese Akteure selbst eine große Nähe zum sudanesischen Sicherheitssektor aufweisen.

Umso wichtiger ist es daher, dass die EU und die Bundesregierung sich bei den ge­nannten internationalen Partnern für einen anderen Verhandlungsansatz einsetzen. Deutschland könnte dabei an seine führen­de Rolle zu Beginn des sudanesischen Über­gangsprozesses anknüpfen, als die Bundes­regierung die diplomatische Kontaktgruppe der Friends of Sudan mit ins Leben rief, die erste Partnerschaftskonferenz mit und für Sudan ausrichtete und, zusammen mit Großbritannien, federführend das Mandat der UN-Mission in Sudan (UNITAMS) im UN-Sicher­heits­rat aushandelte. Die Friends of Sudan brin­gen die wesentlichen westlichen und arabischen Partnerländer Sudans in einer losen, aber regelmäßigen Austauschrunde zusammen.

Zivile Akteure in die Führung bringen

Wie könnte ein alternativer Ansatz aus­sehen? Beginnen müsste er mit einer anderen Haltung gegenüber den Gewalt­akteuren. Vermittler sollten deren Ver­sprechungen keinen Glauben schenken, son­dern davon ausgehen, dass sie jede Gelegen­heit zu ihrem eigenen Vorteil nutzen werden und Regeln missachten. Die immer wieder gebrochenen Feuerpausen sind Ausdruck dieser Dynamik.

Aus dieser Haltung heraus müsste größerer Druck auf die Gewaltakteure ausgeübt werden, auch zur Einschränkung ihres finanziellen und diplomatischen Handlungs­spielraums. Die USA und die EU sollten Finanz- und Reise­sanktionen gegen aus­gesuchte Personen und Institutionen er­lassen. Dabei sollten sie aber darauf achten, das tägliche Leben für Bürgerinnen und Bürger in Sudan nicht weiter zu erschwe­ren. Auch Zivilisten haben beispielsweise Konten bei Banken, die mehrheitlich dem Sicherheitssektor gehören.

Die Konfliktparteien könnten durchaus ein Eigeninteresse entwickeln, sich einer zivilen Regierung zu unterwerfen. Da kein baldiger militärischer Sieg zu erwarten ist, werden sie einen Dritten brauchen, der ihr gegenseitiges Verhältnis nach dem Krieg moderiert. Eine zivile Regierung und ein­heitlich agierende internationale Akteure könn­ten diese vermittelnde Funktion überneh­men. Sie könnten einen strukturierten Prozess begleiten, der sowohl die SAF von islamistischen Einflüssen befreit als auch alle Milizen einschließlich der RSF inte­griert und damit schrittweise auflöst.

Deutschland sollte sich starkmachen für eine führende Rolle politischer Parteien und anderer zivilgesellschaftlicher Akteure in möglichen Friedensgesprächen. Wichtige Parteien, Gewerkschaften, Widerstands­komitees, Frauenorganisationen und andere nicht-staatliche Initiativen und Vereinigun­gen haben bereits eine breite Anti-Kriegs-Koalition gegründet. Diese Civil Front bietet ein glaubwürdiges, konstruktives Gegen­gewicht zu den Generälen. Ermutigend sind Anstrengungen traditioneller Führer und lokaler Freiwilligenkomitees, räumlich be­grenzte Waffenstillstände auszuhandeln und zu überwachen. Freiwillige kümmern sich auch um die Erstversorgung von Opfern der bewaffneten Konfrontation, um sichere Fluchtwege und die Organisation von Hilfe.

Die Bundesregierung sollte sich innerhalb der von ihr mitinitiierten Koordinierungs­runden der Friends of Sudan gegen jede Parteinahme in Sudan einsetzen und darauf hinwirken, dass der sudanesischen Anti-Kriegs-Koalition schnell die Führungsrolle in Verhandlungen zugemessen wird. Internationaler Druck sollte die Kon­fronta­tion der Gewaltakteure nicht verschärfen, wie in den Wochen vor Ausbruch des Krie­ges. Vielmehr sollte die neu gebildete Civil Front entscheiden, welche Art von inter­nationaler Unterstützung sie will und welche ihren Anliegen eher schaden würde.

Fazit

Den Einfluss der Sicherheitskräfte in Wirt­schaft, Politik und Gesellschaft zurück­zudrängen wird eine lange Zeit brauchen. Der Mindestanspruch jeder zivilen Regierung sollte sein, den bisherigen Bedeutungs­zuwachs des Sicherheitssektors zu stoppen. Die Einigkeit der zivilen Anti-Kriegs-Koali­tion könnte in neuen Verhandlungen leicht zerbrechen, wenn politische Parteien wie­der versuchen sollten, sich gegenseitig aus­zustechen. Die Erfahrung der massiven Kämpfe der letzten Wochen müsste also auch zu einem Umdenken bei sudanesischen Poli­tikerinnen und Politikern führen.

Rückschläge einschließlich erneuter Putschversuche sind angesichts der auto­ritä­ren Instinkte der Gewaltakteure wahr­scheinlich. Ein neuer Ansatz in Sudan würde nicht sofort und vollständig zu Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit, dem Slogan der Revolution von 2018/19, führen. Aber er bietet die beste Hoffnung, dass Sudan einen stabileren Weg dorthin einschlägt. Zivile Akteure in den Vordergrund zu stellen ist damit »realistischer« als ein Deal, der wieder nur mit den Generälen vorbereitet wird.

Outbreak of war in Sudan in April 2023: Interviews and other media appearances

Das Versagen der US-Diplomatie im Sudan, Echo der Zeit, SRF Radio, 12.05.2023

RSF will have to be integrated into a professional army: Gerrit Kurtz, Research Fellow, SWP, Deutsche Welle, 8 May 2023

Zitate in: Streit um die Beute: Warum im Sudan Militärs gegeneinander kämpfen, Berliner Kurier, 07.05.2023

Quotes in: „Zonder burgers aan tafel sneuvelt ieder bestand in Sudan”, Reformatorisch Dagblad, 06.05.2023

Experte zur humanitären Lage im Sudan, ORF III Aktuell, 05.05.2023

“Bei Afrika-Reise des Bundeskanzlers geht es vor allem um Frieden“, MDR Aktuell, 04.05.2023

The Sudan Crisis: Local and Global Perspectives on the New Instability in Africa, DGAP Morning Briefing, 04.05.2023

Politologe: Scholz sollte sich auf Afrika-Reise für Frieden einsetzen, NDR Info, 04.05.2023

Der Tag, HR2 Inforadio, 02.05.2023 (ab Minute 46:20).

Machtkampf im Sudan: Was steckt hinter dem blutigen Konflikt?, Die Presse Podcast, 01.05.2023

Politologe: Keine Kompromisse mit Autokraten machen, Information und Musik, Deutschlandfunk, 01.05.2023

«Der Konflikt zwischen dem Militär und der RSF-Miliz war bekannt. Es hatten nur alle gehofft, dass er nicht in Gewalt umschlagen würde,” Das war eine Fehleinschätzung,“, Zitate in: Der Sahel versinkt im blutigen Chaos – und Deutschland zieht sich zurück, Neue Zürcher Zeitung, 29.04.2023

„Die RSF haben politisch an Einfluss gewonnen durch die EU und ihre Politik der Migrationsabwehr”, Zitate in: Sudan: Welche Fehler auch die EU gemacht hat, heute.de, ZDF, 29.04.2023

Politologe: Zivile Kräfte in Sudan brauchen internationale Unterstützung, NDR Info, 29.4.2023

„Es fehlte dann nur noch das Streichholz, um dieses Pulverfass zu entzünden.“, DGVN.de, 27.04.2023

Interview, MDR Aktuell, 27.04.2023

“Es bringt nichts, einen neuen Ausgleich allein zwischen den beiden autoritär gesinnten Gegnern zu suchen.« Nur unter einer zivilen Regierung könne das Verhältnis der beiden Militärs dauerhaft geklärt warden“, Zitate in: Sudan: Ein Land als Beute, DIE ZEIT, 27.04.2023

Machtkampf im Sudan: Wird der Konflikt zum Flächenbrand in Afrika?, Tagesspiegel, 27.04.2023

Zitate in: Sudan: Das bedeuten die Machtkämpfe für die jungen Menschen im Land, watson.de, 26.04.2023

Gerrit Kurtz, Stiftung Wissenschaft und Politik, bewertet die derzeitige Feuerpause im Sudan, Tagesschau24, 25.04.2023

Radio Bremen, 25.04.2023

Kämpfe in Sudan – Welche Ziele verfolgt die russische Söldnergruppe Wagner?, FAZ Podcast, 24.04.2023

Gefährliche Rettungsmission im Sudan, Thema des Tages, BR24, 24.04.2023

„Der aktuelle Konflikt hat sich lange angekündigt. Die Streitkräfte und die Rapid Support Forces blicken auf eine jahrelange Rivalität zurück“, Zitate in: Frankfurter Rundschau, 24.04.2023

Zitate in: ProSiebenSat1 Nachrichten, 24.4.2023

Zitate in: MDR Nachrichten, 24.04.2023

Zitate in: Droht im Sudan ein neuer Bürgerkrieg?, t-online.de, 24.4.2023

NDR Info, 23.04.2023

Wer kann die Gewalt im Sudan stoppen?, Informationen am Morgen, Deutschlandfunk, 22.April 2023

Wenn sich „auch die südsudanesischen Parteien versuchen zu positionieren, was den Konflikt im Norden betrifft, könnte das jetzt halt auch zu Gewaltexplosionen in Südsudan führen”, Zitate in: Sudans Nachbarn in großer Sorge, Deutsche Welle, 21.04.2023

“The SAF and the RSF can’t just go back to the status quo ante, because this was not working”, quotes in Newshour, BBC World Service, 20 April 2023 (from 37:00 minutes).

„Je länger die Kämpfe andauern, umso schwieriger wird es zu Verhandlungen über eine zivile Regierung zurückzukehren“, Zitate in: ZEIT Online Erklärvideo, 20.04.2023

„Derzeit verhalten sich die regionalen Partner der Konfliktparteien in Sudan eher abwartend und versuchen zu vermitteln“, Zitate in: ARTE Journal, 20.04.2023

»Ich kann keine konkrete Rolle Russlands erkennen«, Spiegel Online, 19.04.2023

Machtkampf im Sudan. Konflikt mit Außenwirkung, Zur Diskussion, Deutschlandfunk, 19.04.2023

Gerrit Kurtz: «Gewalt in Sudan ist Folge von Eskalationsspirale», Tagesgespräch, SRF, 19.04.2023

Konflikt in Sudan: Ein Land am Rande des Bürgerkriegs, Auf den Punkt, Podcast der Süddeutschen Zeitung, 18.04.2023

Sudan: “Konflikt war Vereinten Nationen sehr bewusst”, Mittagsecho, WDR5, 18.04.2023

Blutiger Machtkampf im Sudan, Deutsche Welle, 18.04.2023

Die beiden Konfliktparteien seien die “mit Abstand mächtigsten, größten und am besten bewaffneten Kräfte des Landes”, Zitate in: evangelischer Pressedienst, 18.04.2023

“For now, there is unlikely to be a reliable truce until one of the parties is in firm control of key state and military institutions in Khartoum,” quotes in: What’s behind the fighting in Sudan, and what is at stake?, Washington Post, 18.04.2023

Machtkampf im Sudan: „Das Ganze könnte in einem Bürgerkrieg münden“, Tagesspiegel, 17.04.2023

Kampf um die Dominanz im Staat, Phoenix, 17.04.2023

Kampf um Gold, Macht und Einfluss – und wie Russland dabei mitmischt, Südwest Presse, 17.04.2023

Experte zu den Kämpfen im Sudan: Große Gefahr eines Bürgerkriegs, rbb inforadio, 17.04.2023

Sudan Chaos escalates, The World, ABC Australia, 17.04.2023

Sudan: Hintergründe des Konflikts – Droht ein Bürgerkrieg?, Studio 9, Deutschlandfunk Kultur, 17.04.2023

„Entscheidend ist die Entwicklung der kommenden Tage. Dazu zählt, wer von den beiden Parteien Kontrolle über die Staatsinstitutionen im Zentrum Khartums erlangt und wer den Kampf um innenpolitische und internationale Legitimität gewinnt.“ Zitate in: DPA, 17.04.2023

HR2 Inforadio, 17.04.2023

Machtkampf in Sudan, Was jetzt Podcast, Die Zeit, 17.04.2023

“Weitere Kämpfe zwischen den Parteien erscheinen derzeit wahrscheinlich, trotz kurzfristiger Feuerpause heute Nachmittag. Ein Bürgerkrieg ist möglich.”, Zitate in: Droht Sudan ein Bürgerkrieg?, ZDF heute.de, 16.04.2023

Konflikt zwischen Militärmachthabern im Sudan, Echo der Zeit, SRF, 16.04.2023

Note: Links are provided where they are available.

Sustaining Peace in Ethiopia

The end of the war in the North should be the prelude to fundamental governance reforms

SWP Comment 2023/C 14, 07.03.2023

The agreement signed by the Tigray People’s Liberation Front (TPLF) and the Ethio­pian government on 2 November 2022 offers a real chance to end one of the bloodiest wars in the world. The implementation of the agreement is going well so far. How­ever, the peace process has brought into focus the question of a stable distribution of power within Ethiopia and in the Horn of Africa. The government under Prime Minister Abiy Ahmed faces three key challenges. First, it must integrate the TPLF and at the same time disengage from the partnership with Eritrea. Second, it must rebalance the domestic relationship between the main political actors in order to stop the escalating violence in the states of Amhara and Oromia. Finally, it must bring together a society divided and impoverished by war. International partners should support Ethiopia in addressing these challenges with conditional financial assistance and peacebuilding projects.

In January, Federal Foreign Minister Anna­lena Baerbock and her French counterpart, Catherine Colonna, visited Addis Ababa together. Their message: European partners are willing to intensify their cooperation with the Ethiopian government again if the peace process in Tigray is credible and, above all, if steps are taken to address the massive human rights violations.

Ethiopia’s civil war is the expression of a power struggle within the country’s ruling elite. In 2018, Prime Minister Abiy had sur­prisingly won an internal vote in the multi-party coalition Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front against the can­didate supported by the TPLF. When Abiy formed the new Prosperity Party from the old coalition in 2019, the TPLF, which had dominated the coalition government for 27 years, was left out. The TPLF retreated to Tigray while Abiy scaled back its influence within the government and security appara­tus and pursued a political and economic reform agenda.

However, the centralist course of Abiy’s government ran counter to demands for greater ethnic self-determination and political participation from communities across the country who saw their time had come after the TPLF had been set back. The 2018 transfer of power took place after years of protests in the states of Amhara and Oromia against Tigray’s dominance in Ethiopia. However, the differences between the government and the TPLF intensified the most, and in early November 2020, these differences escalated into an armed conflict.

The war was not limited to Tigray; there­fore, neither can the peace process be. In Ethiopia’s most populous states, Oromia and Amhara, ethno-nationalist forces have gained ground in recent years, fighting partly against the state and also against each other.

Abiy’s power base is crumbling as a re­sult of these fault lines, and no alternative centre of power has emerged. At stake is the stability – and ultimately even the unity – of the Ethiopian state. An optimistic per­spective, however, is that the peace process also offers an opportunity to involve more communities, strengthen civil society and renegotiate the distribution of power be­tween the centre and ethnically defined federal states that has preoccupied Ethiopia for decades.

Stopping the fighting helps Abiy to remain in power

The “agreement for a lasting peace through a permanent cessation of hostilities”, which the TPLF and the Ethiopian government signed in Pretoria, South Africa, and which was mediated by the African Union (AU), came as quite a surprise. A ceasefire lasting about five months in the first half of 2022 had brought no progress in negotiations. The fighting, which had flared up again at the end of August, was marked by a partic­u­lar degree of cruelty and a massive deploy­ment of troops. Reports speak of up to one million fighters deployed by all sides. In a joint offensive, Eritrean troops and the Ethiopian National Defence Forces (ENDF) captured strategically important towns in Tigray and were close to the regional capi­tal, Mekelle. The TPLF was sceptical about the AU as a credible mediator, which had delayed the start of peace talks.

In light of the military situation, the Ethiopian government’s rationale in partic­ular requires explanation. Its opponent, the Tigray Defence Forces (TDF), had already driven the Ethiopian armed forces out of Tigray in guerrilla actions in 2021 and then advanced into Amhara and Afar. However, the TDF did not manage to reach Addis Ababa or the supply routes between the economic centre of the country and the port in Djibouti. In autumn 2022, the TDF also ran out of supplies and ammunition.

For both sides, the war was associated with enormous costs. Estimates put the civil­ian death toll in Tigray alone at 518,000 at the end of 2022. Civilian casualties in Afar and Amhara and presumably hundreds of thousands of fallen fighters need to be added to this count. A total of 600,000–800,000 fatalities also corresponds with the order of magnitude cited by high-ranking representatives of the European Union (EU), the United States and the AU. Thus, about one-tenth of Tigray’s pre-war population may have lost their lives in the war, mainly due to the lack of medical care and mal­nutrition. The government blocked humani­tarian access for months and cut off Tigray’s population from electricity, telecommunications and banking services.

Abiy probably agreed to the cessation of hostilities because it helps to secure his own power. A complete military conquest of Tigray would probably have meant that the government would have had to con­centrate its armed forces in Tigray permanently in order to prevent possible guerrilla actions. The high military expenditure was a burden on Ethiopia’s national budget any­way. It would have become more difficult for Abiy to finance public investments, which have driven economic growth in the last decade and provided opportunities for patronage.

A permanent troop concentration in Tigray would also have prevented the government from deploying more military to the other conflict areas in the country. More­over, this scenario would have further increased Abiy’s dependence on Eritrea, which had deployed a significant part of its forces against the TDF.

After all, a military end to the war would have exposed the government to further international pressure. Although it had support for its course from the Trump ad­ministration and AU Commission Chair Moussa Faki Mahamat at the beginning of the war, this changed later. The United States suspended trade privileges under the African Growth and Opportunity Act on 1 January 2022, which hit Ethiopia’s textile sector particularly hard. Calls for further sanctions intensified in the US Congress. In the region, Kenya campaigned for a peace­ful solution to the war. After AU Special Envoy Olusegun Obasanjo failed to make progress, the AU expanded the mediation panel to include Uhuru Kenyatta, Kenya’s ex-president, and Phumzile Mlambo-Ngcuka, a former vice-president of South Africa.

The agreement is working – so far

The core of the agreement consists of a deal: The TPLF has committed to the complete disarmament, demobilisation and reintegration of the TDF into civilian life or into regular Tigray security forces and to the peaceful transfer of control to the police and armed forces of the central government. In return, the TPLF is to be removed from the Ethiopian terror list, humanitarian deliveries and basic services for the popu­lation in Tigray are to be restored and non-federal troops are to withdraw.

The most important goal of the agreement was achieved very quickly: an end to the fighting between the TDF and the ENDF. Both forces withdrew from the front lines. For most people in northern Ethiopia, the situation improved. Ninety per cent of Tigray’s population is dependent on food assistance – a large proportion of them now have access to aid again. Many towns were reconnected to the electricity grid in December. Banks reopened, telecommunications and internet connections were restored. Ethiopian Airlines resumed direct flights between Mekelle and Addis Ababa. But the quality of infrastructure is often still weak, and some areas remain barely accessible to humanitarian agencies, espe­cially those off of major roads and on the border with Eritrea. There are 2.3 million children out of school in Tigray alone, more than half of them for more than two years. Reconstruction will take a long time.

Close partnership with Eritrea

A sticking point in the peace process re­mains how to deal with those armed actors who were not present at the peace negotia­tions, primarily Eritrea and groups from Amhara.

For Abiy, Eritrean President Isaias Afwerki was an important ally in his power struggle against the TPLF. Isaias has har­boured deep hostility towards the TPLF ever since the border war over the town of Badme in northern Tigray (1998–2000). Al­though the Ethiopian government occupied the territory awarded to Eritrea by an international border commission after the war, Eritrea became increasingly isolated internationally. When it became known that the government in Asmara was sup­porting Al‑Shabaab in Somalia, the United Nations (UN) Security Council, at Ethiopia’s instigation, imposed sanctions and an arms embargo on Eritrea in 2009. The alleged threat posed by the TPLF – Ethiopia’s rul­ing party at the time – was used by Isaias to justify the introduction of indefinite mili­tary and labour service, which con­scripts Eritrean men and women alike.

The July 2018 agreement between Eritrea and Ethiopia, which earned Abiy the Nobel Peace Prize a year later, brought little last­ing progress in the border region. Nevertheless, it strengthened security and intelligence cooperation between the two govern­ments and led to the lifting of UN sanctions. As relations between the TPLF and Abiy deteriorated, the peace agreement turned into a war pact. Months before the war be­gan, Abiy moved military forces to Tigray. Eritrea organised training for 60,000 troops from Amhara state (according to the federal constitution, Ethiopian states have their own security forces).

Isaias accordingly views the peace process between the TPLF and the Ethiopian government with great scepticism. Even though Eritrean troop movements from some Tigray towns were reported as with­drawing in January, Eritrean military units are arguably still present in some areas of Tigray, in addition to special forces from other Ethiopian federal states, especially from Amhara. Eritrean and Amharic troops are blamed for attacks on civilians, includ­ing sexual violence, kidnapping and loot­ing. Between the beginning of November and the end of December 2022 alone, sev­eral thousand people are said to have been killed.

In contrast, the senior military commanders of the two conflict parties had agreed at a follow-up meeting 10 days after the Pretoria agreement in Nairobi that all non-ENDF troops should withdraw “concur­rently” with the disarmament of the TDF. To monitor compliance with the agreement, the AU set up a monitoring and verification mechanism led by Major General Stephan Radina from Kenya. This began its work at the end of December and confirmed on 10 January 2023 that the TDF had handed over most of its heavy weapons to the ENDF, including tanks and artillery. However, the AU team has not yet reported the withdrawal of non-ENDF troops from Tigray.

Domestic tensions

The ceasefire agreement offers indications for the peace process going forward, but it does not contain a comprehensive settlement of longer-term conflicts. Abiy’s chal­lenge is to make concessions to the TPLF in the peace process without putting too much strain on his other domestic alliances.

First, there is the future role of the TPLF in Ethiopian politics. The agreement fore­sees the formation of an inclusive interim administration for Tigray after the delisting of the TPLF as a terrorist organisation. It is considered likely that the TPLF will achieve a broad majority in the as of yet unscheduled elections for the regional parliament and for the representation of Tigray in the Ethiopian parliament. The question is whether the TPLF will allow itself to be integrated into Abiy’s government, whether it will withdraw to an opposition role or whether it will allow itself to be permanent­ly reduced to a purely regional party. At the same time, the TPLF must also strive for a more open and inclusive style of gov­ernment in Tigray itself, which opposition parties there are already calling for.

Abiy is encountering scepticism from Amhara about the peace process with the TPLF. Amhara were themselves victims of mass atrocities committed by the TDF, in­cluding sexual violence and looting of civil­ian infrastructure. Amharic leaders have therefore advocated for accountability of the TDF’s abuses and remain cautious about the possible involvement of the TPLF in the federal government.

Abiy will also have to perform a balancing act with regard to areas in West and South Tigray, which Amharic units occupied together with the ENDF at the beginning of the war (see map). In doing so, they dis­placed a large portion of the Tigrinya popu­lation in a campaign that a comprehensive report by Human Rights Watch and Amnes­ty International described as ethnic cleans­ing. The Amharic side points out that the TPLF had annexed the areas to the state of Tigray in the early 1990s and in turn dis­placed Amharic residents. The ceasefire agreement only stipulates that the affilia­tion of these areas is to be settled within the framework of the constitution. The Ethiopian government is likely to try to delay a final decision on the status of the disputed areas as long as possible in order to avoid having to choose between the peace partner TPLF and allies from Amhara.

Finally, the government has been trying since mid-2022 to curb the influence of irregular Amharic militias, the Fano, with whom it had cooperated during the war. They are accused of massive human rights violations. At one point numbering several tens of thousands, the Fano threaten the government’s monopoly on the use of violence. They are also active in Oromia.

Escalation in Oromia

Potentially the most explosive situation for Abiy and Ethiopia’s stability is no longer the conflict in Tigray, but conflicts in Oromia and tensions between Oromos and Amhara. The peace process with the TPLF could have both positive and negative effects on the government’s handling of these conflicts. The root cause is ultimately the same, namely the distribution of power between regions and the centre.

Although they are the largest ethnic group in the country, accounting for about one-third of the population, Oromos have never had a leading role in Ethiopia’s his­tory. Large parts of today’s Oromia state only became part of the Ethiopian empire in the second half of the 19th century.

Abiy himself comes from Oromia, where he worked in the regional government. However, many young people who were drivers of the pre-2018 reform protests see Abiy’s unitarism as a return to accommodation with Amharic-style centralism.

Operating at the end of Oromia’s nationalist spectrum is the Oromo Liberation Army (OLA), an armed group that split from the decades-old Oromo Liberation Front (OLF) in 2018. The OLF signed a peace agree­ment with Abiy’s government in 2018 that the OLA subsequently rejected. In 2021, the OLA allied itself with the TPLF. After various phases of ups and downs, violence escalated again in November 2022, with clashes be­tween the OLA and Fano militias and regu­lar ENDF units, in addition to attacks on civilian infrastructure. Oromos are con­cerned that the Fano could occupy land that they consider Amharic, just as they did in Tigray. Land conflicts between Oromos and Amhara are thus politicised by armed groups from both sides. Hundreds of thou­sands of people have already fled from Oromia to Amhara.

The violence in Oromia is different from the conflict with the TPLF, but still serious. The OLA is probably too small, fragmented and ill-equipped to conquer larger cities or even Addis Ababa, even though it sometimes fights up to 25 kilometres from the capital (see map). The larger consequence of their actions is the climate of insecurity in an economically important region of the country. The German ambassador to Ethio­pia, for example, has already expressed his concerns about attacks on investors in Oromia. Ethiopia’s main supply links with the port of Djibouti also run through Oromia.

If the conflict between armed groups of Amhara and Oromia escalates, this could have serious consequences for the unity and governability of Ethiopia. At present, this scenario still seems unlikely, not least because the political actors in both states are much more heterogeneous than in Tigray.

However, the peace process in the north could also serve as a model for Oromia. Around 80 members of parliament from Abiy’s party in Oromia have already called on him to enter into peace negotiations with the OLA. The government has so far rejected negotiations, citing the fragmented leadership structure of the OLA, which – like the TPLF – is listed as a terrorist group. More recently, however, Abiy has shown himself to be more open to negotiations.

Holding the country together

The armed conflicts are being fuelled by a polarised society and an economy in crisis. Although Abiy’s government is not cur­rent­ly in danger of being overthrown by an in­surgency or voted out in elections, it needs to consolidate its position and unite society.

Politicians and other public actors have exacerbated ethnic polarisation during the war. Prime Minister Abiy himself referred to the TPLF in July 2021 as a “weed” and a “cancer” that needed to be eradicated. While the government stressed that it dis­tinguished between the people of Tigray and the TPLF, there were dehumanising statements on social media towards the people of Tigray in general, as Alice Wairi­mu Nderitu, the UN Special Adviser on the Prevention of Genocide, warned in October 2022. From the perspective of many people in Tigray, Abiy’s government stands for genocide against Tigray.

One answer to the polarisation in society can possibly be provided by the national dialogue that the government initiated with the establishment of a commission in December 2021. For this to be effective, opposition forces – not least the TPLF and parties from Oromia – would have to par­ticipate. So far, many perceive the process as being too one-sided and dominated by the government. In addition, the government would have to stop restricting access to media. If the national dialogue became more inclusive and independent – possibly also thanks to German support for a multi-track dialogue that has been ongoing for some time – it could provide an important platform to address fundamental social and political issues.

Looking at recent Ethiopian history, con­flict researcher Semir Yusuf argues that neither protest movements nor violent resistance have led to Ethiopia’s democratic transformation. Instead, what is needed for genuine democratisation is greater indepen­dence of institutions and stronger party structures.

Last but not least, Ethiopia’s economy and public finances have suffered enor­mously. The government estimates that the financial need for reconstruction in the war-torn areas in Tigray, Afar and Amhara is around US$ 20 billion. At the same time, the national budget is running a high deficit due to elevated military spending and an economic downturn. If access to financial resources continues to tighten, it is likely to become more difficult for the government to co-opt key elites. With currency reserves lower than one month’s external payment obligations, the rating agency Fitch has already warned of an increased credit default risk for Ethiopia.

In addition to the war, the economy is still suffering from the aftermath of the Covid-19 pandemic and the increase in fertiliser and energy prices in the wake of Russia’s war of aggression against Ukraine.

The population is feeling the consequences. The annual inflation rate was 33.9 per cent in December 2022 – the third highest in Africa. Due to the armed con­flicts and a regional drought due to the failure of five rainy seasons in a row to materialise, 28.6 million people have become dependent on humanitarian aid.

The government is therefore urgently seeking a debt adjustment programme and financial support from the International Monetary Fund (IMF). The IMF had post­poned such talks due to the renewed out­break of fighting in 2022.

European support needs prudence

Baerbock and Colonna also placed their visit to Ethiopia in the current geopolitical context. Standing in front of sacks of wheat donated by Ukraine and financed by the two governments, the German Foreign Minister justified the aid with the aim of “not letting the people of Ethiopia also be­come victims of Russia’s war of aggression”.

This narrative has not caught on in Ethio­pia, whose relations with Russia and China have become even closer since the start of the Tigray war. Both partners held a protective hand over Ethiopia’s government in the UN Security Council. China is the largest source of foreign investment in Ethiopia.

Instead, Baerbock’s statement attests to the risk of ignoring the specific context of the country, Africa’s second-largest by popu­lation, in favour of a pro-government narrative by focusing on the geopolitical competition for influence. In addition to the climate change-induced drought, mil­lions of people in Ethiopia are food-in­secure because of the war at home and the previous humanitarian blockade by Abiy’s govern­ment. In February, Abiy even launched wheat exports to bring in much-needed foreign currency.

An uncritical engagement by Europe to recover ground from its geopolitical rivals Russia and China could be counterproductive. It was not least the excessive inter­national enthusiasm at the beginning of Abiy’s reform course that encouraged the prime minister to follow his uncompromising course towards the TPLF.

The Tigray war did not lead the German government to put its preferred partnership with the government of Ethiopia on ice. At the end of 2020, it suspended the pledged reform financing but maintained Ethiopia’s status as a reform partner country of Ger­man development cooperation. Chancellor Angela Merkel promoted German investment at her Africa Summit in August 2021, which Abiy also attended. It was not until January 2023 – in the course of the new Africa Strategy of the Federal Ministry for Economic Cooperation and Development (BMZ) – that Development Minister Svenja Schulze announced that the reform part­ner­ships would be phased out as an instrument.

At the end of December 2022, the EU member states spelt out their conditions for a gradual resumption of budget support, which was also suspended by the EU. These are 1) progress in implementing the cease­fire agreement, 2) unimpeded humanitar­ian access and 3) addressing the massive human rights violations. In particular, there has been progress in the first two areas, such as disarming the TDF and deliv­ering aid to large parts of Tigray. In early February 2023, Abiy met TPLF representatives in person for the first time since the war began.

The EU has not publicly clarified what exactly the condition for accountability entails. It is true that the Ethiopian govern­ment rejects the International Commission of Human Rights Experts for Ethiopia, which the UN Human Rights Council established at the end of 2021. However, the Ethiopian Human Rights Commission continues to work with the Office of the UN High Com­missioner for Human Rights on the issue of accountability. In addition, the Ethiopian Ministry of Justice published a green paper on transitional justice.

Germany and its European partners should do what they can to support the peace process, which is rightly driven pri­marily by the Ethiopian parties to the con­flict. Concrete projects for stabilisation and peacebuilding are important for this. How­ever, Germany should also work to ensure that the media, civil society and academia in Ethiopia are given greater freedom. Tran­sitional justice and reconciliation should remain on the agenda without prescribing specific mechanisms. In any case, the Ger­man government should also continue its support for the Ethiopian Human Rights Commission and the Election Commission.

In the course of their gradual normalisation of relations with Ethiopia, Germany and its European partners should pay closer attention to the root causes of the violence, not only in Tigray but also in Oromia and Amhara. For this, they do not need to change the conditions they have already set, but they need to focus more on trans­parency, population orientation, broad inclusivity and government accountability. This is especially true for reconstruction aid and for the modalities of a new IMF pro­gramme and debt reduction under the G20 Common Framework. A new government palace and housing complex in Addis Ababa, whose total cost is almost equal to the entire national budget, albeit financed from private and Arab sources, sends the wrong signal here.

If Ethiopia wants to achieve sustainable peace and stability, it needs a more inclu­sive political system. The peace process with the TPLF and its critical-constructive support from international partners can be the starting point for corresponding long-term progress.

Äthiopiens Chance auf Frieden sichern

Das Ende des Krieges im Norden sollte der Auftakt für grundlegende Reformen der Regierungsführung sein

SWP-Aktuell 14/2023, erschienen am 1.März 2023

Das Abkommen, das die Tigray People’s Liberation Front (TPLF) und die äthiopische Regierung am 2. November 2022 unterschrieben haben, bietet eine reale Chance, einen der blutigsten Kriege weltweit zu beenden. Die Umsetzung der Vereinbarung verläuft bisher gut. Durch den Friedensprozess ist jedoch die Frage nach einer stabi­len Machtverteilung innerhalb Äthiopiens und am Horn von Afrika ins Blickfeld gerückt. Die Regierung unter Premierminister Abiy Ahmed steht vor drei zentralen Herausforderungen. Erstens muss sie die TPLF integrieren und sich gleichzeitig aus der Partnerschaft mit Eritrea lösen. Zweitens muss sie das innenpolitische Verhältnis der wichtigsten politischen Akteure neu austarieren, um eskalierende Gewalt in den Bundesstaaten Amhara und Oromia zu stoppen. Schließlich muss sie die durch den Krieg gespaltene und verarmte Gesellschaft wieder zusammenbringen. Internationale Partner sollten Äthiopien mit konditionierten Finanzhilfen und Projekten zur Frie­densförderung bei der Bewältigung dieser Herausforderungen unterstützen.

Im Januar besuchten Bundesaußenminis­terin Annalena Baerbock und ihre französische Amtskollegin Catherine Colonna zu­sammen Addis Abeba. Ihre Botschaft: Euro­päische Partner sind bereit, ihre Zusammen­arbeit mit der äthiopischen Regierung wie­der zu intensivieren, wenn der Friedens­prozess in Tigray glaubwürdig gestaltet wird und es vor allem Schritte zur Aufarbeitung massiver Menschenrechts­verletzungen gibt.

Äthiopiens Bürgerkrieg ist Ausdruck eines Machtkampfs innerhalb der regierenden Elite des Landes. Premierminister Abiy hatte sich 2018 in einer internen Abstimmung in der Mehrparteienkoalition Ethio­pian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) überraschend gegen den Kan­didaten der TPLF durchgesetzt. Als Abiy 2019 aus der alten Koalition die neue Pros­perity Party (PP) formte, blieb die TPLF, die seit 27 Jahren die Koalitionsregierung be­herrscht hatte, außen vor. Die TPLF zog sich nach Tigray zurück, während Abiy ihren Einfluss innerhalb des Regierungs- und Sicherheitsapparats zurückdrängte und eine politische und wirtschaftliche Reform­agenda vorantrieb.

Der zentralistische Kurs von Abiys Regierung stand jedoch den Forderungen nach größerer ethnischer Selbst- und Mitbestimmung von Bevölkerungsgruppen aus dem ganzen Land entgegen, die nach der Zurück­setzung der TPLF ihre Zeit gekommen sahen. Der Machtwechsel 2018 war zustande ge­kommen, nachdem in den Bundesstaaten Amhara und Oromia jahrelang gegen die Dominanz Tigrays protestiert worden war. Am stärksten verschärften sich jedoch die Differenzen zwischen der Regierung und der TPLF: Anfang November 2020 eskalierten sie in einem bewaffneten Konflikt.

Der Krieg war nicht auf Tigray beschränkt; daher kann es auch der Friedensprozess nicht sein. In Äthiopiens bevölkerungsreichsten Regionen Oromia und Amhara haben ethnonationalistische Kräfte in den letzten Jahren an Zulauf gewonnen, die teilweise gegen den Staat und auch gegeneinander kämpfen.

Abiys Machtbasis zerbröckelt als Folge dieser Verwerfungen, ohne dass sich ein alternatives Machtzentrum gebildet hätte. Auf dem Spiel steht dabei die Stabilität und letztendlich sogar die Einheit des äthiopischen Staates. Aus einer optimistischen Sicht bietet der Friedensprozess aber auch eine Gelegenheit, mehr Bevölkerungsgruppen einzubinden, die Zivilgesellschaft zu stärken und die Machtverteilung zwischen dem Zentrum und ethnisch definierten Bundesstaaten, die Äthiopien seit Jahr­zehnten beschäftigt, neu auszuhandeln.

Der Frieden dient dem Macherhalt

Die »Vereinbarung über einen dauerhaften Frieden durch einen permanenten Waffen­stillstand«, welche die TPLF und die äthio­pische Regierung auf Vermittlung der Afri­kanischen Union (AU) im südafrikanischen Pretoria unterzeichneten, kam durchaus überraschend. Eine etwa fünfmonatige Feuerpause in der ersten Jahreshälfte 2022 hatte keine Verhandlungsfortschritte ge­bracht. Die seit Ende August wieder auf­geflammten Kämpfe waren von einer be­sonderen Härte und einem massiven Trup­peneinsatz gekennzeichnet. Berichte spre­chen von bis zu einer Million Kämpfern auf allen Seiten. In einer gemeinsamen Offen­sive eroberten eritreische Truppen und die Ethiopian National Defense Forces (ENDF) strategisch wichtige Städte in Tigray und standen kurz vor der Regionalhauptstadt Mekele. Die AU war aus Sicht der TPLF kein rundum glaubwürdiger Vermittler und ver­zögerte den Beginn von Friedensgesprächen.

Angesichts der militärischen Lage ist vor allem das Rational der äthiopischen Regie­rung erklärungsbedürftig. Ihr Gegner, die Tigray Defense Forces (TDF), hatte zwar bereits 2021 in Guerilla-Aktionen die äthio­pischen Streitkräfte aus Tigray vertrieben und war danach nach Amhara und Afar vorgerückt. Allerdings gelang es den TDF damals nicht, Addis Abeba oder die Ver­sorgungswege zwischen dem wirtschaft­lichen Zentrum des Landes und dem Hafen in Dschibuti zu erreichen. Im Herbst 2022 gingen ihnen überdies Nachschub und Munition aus.

Für beide Seiten war der Krieg mit enormen Kosten verbunden. Schätzungen gehen von 518.000 zivilen Todesopfern allein in Tigray bis Ende 2022 aus. Hinzuzuzählen sind zivile Opfer in Afar und Amhara sowie vermutlich Hunderttausende gefallene Kämpfer. Dies entspricht auch den Größen­ordnungen, die hochrangige Vertreter der EU, der USA und der AU nennen. Somit könnte rund ein Zehntel der Vorkriegs­bevölkerung Tigrays im Krieg ihr Leben ver­loren haben, vor allem wegen mangelnder medizinischer Versorgung und Unter­ernäh­rung. Die Regierung blockierte monatelang den Zugang für humanitäre Organisationen und schnitt die Bevölkerung Tigrays von Elektrizität, Telekommunikation und Bank­dienstleistungen ab.

Abiy stimmte dem Abkommen wahrscheinlich vor allem deshalb zu, weil es da­zu beiträgt, seine eigene Macht zu sichern. Eine vollständige militärische Eroberung Tigrays hätte vermutlich bedeutet, dass die Regierung ihre militärischen Kräfte auf Dauer in Tigray hätte konzentrieren müssen, um mögliche Guerilla-Aktionen zu unter­binden. Die hohen Militärausgaben belaste­ten ohnehin den Staatshaushalt Äthiopiens. Für Abiy wäre es schwieriger geworden, öffentliche Investitionen zu finanzieren, die das Wirtschaftswachstum der letzten Dekade in erster Linie angetrieben haben und Gelegenheit für Patronage boten.

Eine permanente Truppenkonzentration in Tigray hätte die Regierung auch daran gehindert, mehr Militär in die anderen Kon­fliktgebiete des Landes zu verlegen. Außer­dem hätte dieses Szenario Abiys Abhängig­keit von Eritrea weiter verstärkt, das einen erheblichen Teil seiner Streitkräfte gegen die TDF eingesetzt hat.

Schließlich hätte ein militärisches Ende des Krieges die Regierung weiterem inter­nationalen Druck ausgesetzt. Hatte sie zu Beginn des Krieges noch Unterstützung für ihren Kurs von Seiten der Trump-Adminis­tration und des Vorsitzenden der AU-Kom­mission Moussa Faki Mahamat, so änderte sich das später. Die USA setzten zum 1. Januar 2022 Handelsprivilegien unter dem African Growth and Opportunity Act (AGOA) aus, was insbesondere den äthio­pischen Textilsektor empfindlich traf. Im US-Kongress verstärkte sich die Forderung nach weiteren Sanktionen. In der Region setzte sich Kenia für eine friedliche Lösung des Krieges ein. Nachdem der AU-Sonder­gesandte Olusegun Obasanjo keine Fort­schritte erzielt hatte, erweiterte die AU das Mediationspanel um Uhuru Kenyatta, Kenias Ex-Präsidenten, und Phumzile Mlambo-Ngcuka, eine frühere Vizepräsidentin Südafrikas.

Das Abkommen wirkt – bislang

Der Kern des Abkommens besteht aus einem Deal: die TPLF verpflichtete sich zur kom­pletten Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der TDF ins zivile Leben bzw. in reguläre Sicherheitskräfte Tigrays und zur friedlichen Übergabe der Kontrolle an die Polizei und Streitkräfte der Zentralregie­rung. Im Gegenzug soll die TPLF von der äthiopischen Terrorliste gestrichen werden, die Versorgung der Bevölkerung in Tigray wiederhergestellt werden und sollen nicht-föderale Truppen abziehen.

Das wichtigste Ziel des Abkommens wurde sehr schnell erreicht: ein Ende der Kampf­handlungen zwischen den TDF und den ENDF. Beide Streitkräfte zogen sich von den Frontlinien zurück. Für die meisten Menschen im Norden Äthiopiens verbesserte sich die Situation. 90 Prozent der Bevöl­kerung Tigrays sind auf Unterstützung bei der Nahrungsmittel­versorgung angewiesen. Ein Großteil von ihnen hat jetzt wieder Zu­gang zu Hilfslieferungen. Viele Städte wur­den im Dezember wieder an das Elektrizi­tätsnetz angeschlossen. Banken öffneten wieder, Telekommunikations- und Internet­verbindungen wurden wiederhergestellt. Ethiopian Airlines nahm wieder Direktflüge zwischen Mekele und Addis Abeba auf. Doch die Qualität der Infrastruktur ist oft noch schwach, und einige Gebiete sind weiterhin kaum für humanitäre Organisationen zugänglich, insbesondere solche ab­seits großer Straßen und an der Grenze zu Eritrea. 2,3 Millionen Kinder gehen allein in Tigray nicht zur Schule, mehr als die Hälfte davon seit mehr als zwei Jahren. Der Wiederaufbau wird noch lange dauern.

Enge Partnerschaft mit Eritrea

Ein Knackpunkt des Friedensprozesses bleibt der Umgang mit jenen bewaffneten Akteuren, die bei den Friedensverhandlungen nicht dabei waren, primär Eritrea und Gruppen aus Amhara.

Für Abiy war Eritreas Präsident Isaias Afwerki ein wichtiger Verbündeter in sei­nem Machtkampf gegen die TPLF. Isaias hegt seit dem Grenzkrieg um den Ort Badme im Norden Tigrays (1998–2000) eine tiefe Feindschaft gegenüber der TPLF. Obwohl die äthiopische Regierung das Territorium, das von einer internationalen Grenzkommis­sion Eritrea zugesprochen wurde, nach dem Krieg besetzt hielt, wurde Eritrea inter­national zunehmend isoliert. Als bekannt wurde, dass die Regierung in Asmara die somalische Al‑Shabaab unterstützte, ver­hängte der UN-Sicherheitsrat auf Betreiben Äthiopiens 2009 Sanktionen und ein Waf­fen­embargo gegen Eritrea. Die mutmaß­liche Bedrohung durch die TPLF, Äthiopiens damalige Regierungspartei, diente Isaias zur Begründung für die Einführung eines unbefristeten Wehr- und Arbeitsdiensts, zu dem eritreische Männer und Frauen gleichermaßen herangezogen werden.

Das Abkommen zwischen Eritrea und Äthiopien vom Juli 2018, das Abiy ein Jahr später den Friedensnobelpreis eintrug, hatte in der Grenzregion zwar wenig nachhaltige Fortschritte gebracht. Gleichwohl stärkte es die Sicherheits- und Geheimdienstkooperation beider Regierungen und führte zur Auf­hebung der UN-Sanktionen. Als sich das Ver­hältnis zwischen TPLF und Abiy verschlech­terte, wurde aus dem Friedensabkommen ein Kriegspakt. Monate vor Kriegsbeginn verlegte Abiy Militär nach Tigray. Eritrea organi­sierte ein Training für 60.000 Truppen des Bundesstaats Amhara (gemäß der födera­listischen Verfassung haben äthiopische Bundesstaaten eigene Sicherheitskräfte).

Isaias sieht den Friedensprozess zwischen der TPLF und der äthiopischen Regierung dementsprechend mit großer Skepsis. Auch wenn im Januar eritreische Truppen­bewegungen aus einigen Städten Tigrays als Rückzug vermeldet wurden, sind eritreische Militäreinheiten wohl weiterhin in einigen Gebieten Tigrays präsent, zusätzlich zu Spezialkräften anderer äthiopischer Bundes­staaten, vor allem aus Amhara. Die eritrei­schen und amharischen Truppen werden für Angriffe auf die Zivilbevölkerung verant­wortlich gemacht, die auch sexuelle Gewalt, Entführungen und Plünderungen einschlie­ßen. Dabei soll es allein zwischen Anfang Novem­ber und Ende Dezember 2022 meh­rere Tausend Todesopfer gegeben haben.

Dabei hatten sich die Oberkommandierenden der beiden Konfliktparteien in Nairobi geeinigt, dass alle Nicht-ENDF-Trup­pen gleichzeitig mit der Entwaffnung der TDF abziehen sollten. Zur Überwachung der Einhaltung des Abkommens setzte die AU einen Monitoring- und Verifikationsmecha­nismus unter Führung von Generalmajor Stephan Radina aus Kenia ein. Dieser nahm Ende Dezember seine Arbeit auf und be­stätigte am 10. Januar 2023, dass die TDF einen Groß­teil ihrer schweren Waffen an die ENDF abgegeben hatte, darunter Panzer und Artillerie. Einen Abzug der Nicht-ENDF-Truppen aus Tigray vermeldete das AU-Team bisher indes nicht.

Innenpolitische Spannungen

Das Waffenstillstandsabkommen bietet Anhaltspunkte für den weiteren Friedensprozess, es enthält aber keine umfassende Rege­lung längerfristiger Konflikte. Abiys Herausforderung ist es, im Rahmen des Frie­densprozesses Zugeständnisse an die TPLF zu machen, ohne dabei seine sonstigen innen­politischen Allianzen zu sehr zu belasten.

Zuerst ist da die zukünftige Rolle der TPLF in der äthiopischen Politik. Das Ab­kommen sieht vor, dass nach der Entlistung der TPLF als Terrororganisation eine inklu­sive Interimsverwaltung für Tigray gebildet werden soll. Es gilt als wahrscheinlich, dass die TPLF bei den noch nicht terminierten Wahlen für das Regionalparlament und für die Repräsentation Tigrays im äthiopischen Parlament eine breite Mehrheit erreichen wird. Die Frage ist, ob sich die TPLF in Abiys Regierung einbinden lassen, auf eine Oppo­sitionsrolle zurückziehen wird oder dauer­haft auf eine reine Regionalpartei reduzieren lassen will. Denn gleichzeitig muss sich die TPLF auch um einen offeneren und in­klusiven Regierungsstil in Tigray selbst be­mühen, den dortige Oppositionsparteien bereits einfordern.

Skepsis gegenüber dem Friedensprozess mit der TPLF begegnet Abiy aus Amhara. Amharen waren selbst Opfer von Massenverbrechen der TDF, bei denen es auch zu sexueller Gewalt und Plünderungen ziviler Infrastruktur gekommen ist. Amharische Führer haben sich daher für eine Aufarbeitung der Übergriffe der TDF eingesetzt und werden einer möglichen Einbindung der TPLF reserviert gegenüberstehen.

Einen Balanceakt wird Abiy darüber hin­aus im Hinblick auf Gebiete in West- und Süd-Tigray vollführen müssen, die amhari­sche Einheiten zusammen mit den ENDF zu Anfang des Krieges besetzten (siehe Karte). Dabei vertrieben sie einen Großteil der tigrinischen Bevölkerung im Zuge einer Kampagne, die ein umfassender Bericht von Human Rights Watch und Amnesty Inter­national als ethnische Säuberung bezeichnete. Die amharische Seite verweist darauf, dass die TPLF die Gebiete Anfang der 1990er Jahre dem Bundesstaat Tigray zugeschlagen und ihrerseits amharische Bewohner ver­trieben hatte. Das Waffenstillstandsabkom­men sieht lediglich vor, dass die Zugehörigkeit dieser Gebiete im Rahmen der Verfas­sung geregelt werden soll. Die äthiopische Regierung dürfte be­strebt sein, einen end­gültigen Beschluss über den Status der umstrittenen Gebiete so lange wie möglich hinauszuzögern, um sich nicht zwischen dem Friedenspartner TPLF und Verbündeten aus Amhara entscheiden zu müssen.

Schließlich versucht die Regierung be­reits seit Mitte 2022, den Einfluss irregu­lärer amharischer Milizen, der Fano, ein­zudämmen, mit denen sie während des Krieges zusammengearbeitet hatte. Diesen werden massive Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt. Mit einer Größe von zwischenzeitlich mehreren Zehntausend gefährden die Fano das Gewaltmonopol der Regierung. Sie sind auch in Oromia aktiv.

Eskalation in Oromia

Potentiell die größte Sprengkraft für Abiy und die Stabilität Äthiopiens haben mittler­weile nicht mehr der Konflikt in Tigray, sondern Konflikte in Oromia und Spannungen zwischen Oromos und Amharen. Der Friedensprozess mit der TPLF könnte dabei sowohl positive als auch negative Wirkungen auf den Umgang der Regierung mit die­sen Konflikten haben. Die Wurzel ist letzt­lich die gleiche, nämlich die Machtverteilung zwischen Regionen und Zentrum.

Obwohl sie mit rund einem Drittel der Bevöl­kerung die größte ethnische Gruppe des Landes sind, hatten Oromos in Äthio­piens Geschichte nie eine Führungsrolle. Weite Teile des heutigen Bundesstaats Oromia wurden erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Teil des äthiopischen Reiches.

Abiy stammt selbst aus Oromia, wo er in der Regionalregierung tätig war. Viele junge Menschen, die Treiber der Reformproteste vor 2018 waren, sehen in Abiys Unitarismus jedoch eine Rückkehr zur Anpassung an einen amharisch geprägten Zentralismus.

Am Ende des nationalistischen Spektrums operiert die Oromo Liberation Army (OLA), eine bewaffnete Gruppe, die sich 2018 von der jahrzehntealten Oromo Liberation Front (OLF) abspaltete. Die OLF unterzeichnete 2018 ein Friedensabkommen mit Abiys Regierung, was die OLA ablehnte. 2021 ver­bündete sich die OLA mit der TPLF. Nach verschiedenen Phasen des Aufs und Abs eskalierte die Gewalt wieder ab November 2022. Neben Angriffen auf zivile Infrastruktur kommt es dabei zu Zusammenstößen der OLA mit Fano-Milizen und regulären ENDF-Einheiten. Oromos sind besorgt, die Fano könnten ebenso wie in Tigray Land besetzen, das diese als amharisch betrachten. Landkonflikte zwischen Oromos und Amharas werden so von bewaffneten Gruppen beider Seiten politisiert. Hunder­tausende Menschen flohen bereits aus Oromia nach Amhara.

Die Gewalt in Oromia ist anders gelagert als der Konflikt mit der TPLF, aber dennoch ernst zu nehmen. Die OLA ist vermutlich zu klein, fragmentiert und schlecht ausgerüstet, um größere Städte oder gar Addis Abeba zu erobern, auch wenn sie teilweise bis zu 25 Kilometer nahe der Hauptstadt kämpft (siehe Karte). Die größere Folge ihres Agie­rens ist das Klima der Unsicherheit in einer wirtschaftlich wichtigen Region des Landes. So sprach der deutsche Botschafter in Äthio­pien bereits besorgt über Angriffe auf In­ves­toren in Oromia. Äthiopiens Hauptversor­gungsverbindungen mit dem Hafen von Dschibuti laufen ebenfalls durch Oromia.

Eskaliert der Konflikt zwischen bewaffne­ten Kräften Amharas und Oromias, könnte das ernste Konsequenzen für die Einheit und Regierbarkeit des Staates Äthiopien haben. Derzeit scheint dieses Szenario noch un­wahr­scheinlich zu sein, nicht zuletzt weil die politischen Akteure in beiden Bundesstaaten deutlich heterogener sind als in Tigray.

Der Friedensprozess im Norden könnte jedoch auch eine Vorbildfunktion für Oromia haben. Rund 80 Abgeordnete von Abiys Partei aus Oromia forderten ihn be­reits auf, in Friedensverhandlungen mit der OLA einzutreten. Die Regierung hat Ver­handlungen bisher mit Verweis auf die fragmentierte Führungsstruktur der OLA abgelehnt, die wie die TPLF als Terrorgruppe gelistet ist. In jüngerer Zeit zeigte sich Abiy jedoch offener für Verhandlungen.

Das Land zusammenhalten

Die bewaffneten Konflikte werden an­geheizt von einer polarisierten Gesellschaft und einer Wirtschaft in der Krise. Auch wenn Abiys Regierung derzeit nicht Gefahr läuft, durch Aufstände oder Wahlen gestürzt zu werden, muss sie ihre Position konsolidieren und die Gesellschaft einen.

Politiker und andere Akteure des öffentlichen Lebens haben die ethnische Polari­sierung während des Krieges verschärft. Premier­minister Abiy selbst bezeichnete die TPLF im Juli 2021 als »Unkraut« und »Krebs«, den es auszumerzen gelte. Während die Regierung betonte, dass sie zwischen der Bevölkerung Tigrays und der Partei TPLF unterscheide, gab es in den sozialen Medien dehumanisierende Statements gegenüber der Bevölkerung Tigrays generell, wie Alice Wairimu Nderitu, die UN-Sonderberaterin für die Prävention von Völkermord, im Oktober 2022 warnte. Aus Sicht vieler Men­schen in Tigray steht Abiys Regierung für einen Völkermord an ihrer Bevölkerung.

Eine Antwort auf die Polarisierung in der Gesellschaft kann möglicherweise der nationale Dialog liefern, den die Regierung mit der Einrichtung einer Kommission im Dezember 2021 angestoßen hat. Damit dieser Wirkung entfalten kann, müssten Oppositionskräfte, nicht zuletzt die TPLF und Parteien aus Oromia, daran mitwirken. Bisher nehmen viele den Prozess als zu ein­seitig von der Regierung dominiert wahr. Außerdem müsste die Regierung aufhören, den Zugang zu Medien einzuschränken. Wenn der nationale Dialog inklusiver und unabhängiger würde, eventuell auch dank der seit einiger Zeit laufenden deutschen Unterstützung für einen Multi-Track-Dia­log, könnte er eine wichtige Plattform bie­ten, um grundlegende gesellschaftliche und politische Fragen zu klären.

Mit Blick auf die jüngere äthiopische Ge­schichte argumentiert der Konfliktforscher Semir Yusuf, dass weder Protestbewegungen noch gewaltsamer Widerstand zur demokratischen Transformation Äthiopiens geführt haben. Für eine echte Demokratisierung brauche es vielmehr eine größere Unabhängigkeit der Institutionen und stär­kere Parteienstrukturen.

Nicht zuletzt haben auch die Wirtschaft und die Staatsfinanzen Äthiopiens enorm gelitten. Die Regierung schätzt den Bedarf für den Wiederaufbau in den kriegszerstörten Gebieten in Tigray, Afar und Amhara auf 20 Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig verzeichnet der Staatshaushalt wegen der hohen Militärausgaben und des wirtschaftlichen Rückgangs ein hohes Defizit. Sollte sich der Zugang zu finanziellen Ressourcen weiter verengen, dürfte es für die Regierung schwieriger werden, wichtige Eliten ein­zubinden. Angesichts von Währungs­reserven, die geringer sind als die in einem Monat anfallenden Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Ausland, warnte die Rating­agentur Fitch bereits vor einem erhöhten Kreditausfallrisiko Äthiopiens.

Neben dem Krieg leidet die Wirtschaft auch noch unter den Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie und der Preissteigerung bei Düngemitteln und Energie in der Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.

Die Bevölkerung spürt die Konsequen­zen. Die jährliche Inflationsrate lag im Dezember 2022 bei 33,9 Prozent, der dritthöchste Wert in Afrika. Wegen der bewaffneten Auseinandersetzungen und einer weiteren regionalen Dürre nach der fünften aus­gebliebenen Regen­zeit in Serie sind 28,6 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Die Regierung sucht daher dringend nach einem Schuldenanpassungsprogramm und finanzieller Unterstützung des Inter­nationalen Währungsfonds (IWF). Dieser hatte entsprechende Gespräche wegen des Wiederausbruchs der Kämpfe 2022 aller­dings aufgeschoben.

Europäische Unterstützung braucht Umsicht

Ihren Besuch in Äthiopien stellten Baer­bock und Colonna auch in den aktuellen geopolitischen Kontext. Vor Weizensäcken stehend, die die Ukraine gespendet hatte und deren Transport die beiden Regierungen finanziert hatten, begründete die deut­sche Außenministerin die Hilfe mit dem Ziel, »die Menschen in Äthiopien nicht auch noch zum Opfer des russischen Angriffskrieges werden« zu lassen.

Dieses Narrativ verfängt in Äthiopien nicht, dessen Beziehungen zu Russland und China seit dem Tigray-Krieg noch intensiver geworden sind. Beide Partner hielten ihre schützende Hand über Äthiopiens Regierung im UN-Sicherheitsrat. China ist die größte Quelle ausländischer Investitionen in Äthiopien.

Vielmehr bezeugt Baerbocks Aussage das Risiko, durch eine Fokussierung auf den geopolitischen Wettbewerb um Einfluss in dem nach Bevölkerung zweitgrößten Land Afrikas den spezifischen Kontext zugunsten eines regierungsfreundlichen Narrativs aus­zublenden. Neben der klimawandelbedingten Dürre sind in Äthiopien Millionen Men­schen wegen des Krieges im eigenen Land und der vorherigen huma­nitären Blockade von Abiys Regierung von Nahrungsmittel­unsicherheit betroffen. Im Februar startete Abiy sogar Weizenexporte, die dringend benötigte Devisen einbringen sollen.

Ein unkritisches Engagement Europas, um Boden gegenüber den geopolitischen Konkurrenten Russland und China gut­zumachen, könnte allerdings kontra­produktiv wirken. Es war nicht zuletzt der übermäßige internationale Enthusiasmus zu Beginn von Abiys Reformkurs, der den Premier­minister in seinem kompromiss­losen Kurs gegenüber der TPLF bestärkte.

Der Tigray-Krieg hat die Bundesregierung nicht dazu veranlasst, ihre bevorzugte Part­nerschaft mit der Regierung Äthiopiens auf Eis zu legen. Ende 2020 setzte sie eine schon zugesagte Reformfinanzierung zwar aus, behielt den Status Äthiopiens als Reformpartnerland der deutschen Entwicklungs­zusammenarbeit jedoch bei. Bundeskanzlerin Merkel warb bei ihrem Afrikagipfel im August 2021, an dem auch Abiy teilnahm, für deutsche Investitionen. Erst im Januar 2023 kündigte Entwicklungsministerin Svenja Schulze im Zuge der neuen Afrika-Strategie des BMZ an, die Reformpartnerschaften als Instrument auslaufen zu lassen.

Die Mitgliedstaaten der EU haben Ende Dezember 2022 ihre Bedingungen für eine graduelle Wiederaufnahme der auch von der EU ausgesetzten Budgethilfe ausbuchstabiert. Diese sind 1) Fortschritte bei der Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens, 2) ungehinderter Zugang für huma­nitäre Hilfe und 3) Aufarbeitung der mas­siven Menschenrechtsverletzungen. Ins­besondere in den ersten beiden Bereichen gibt es Fortschritte wie die Entwaffnung der TDF und Hilfslieferungen in weite Teile Tigrays. Anfang Februar 2023 traf Abiy TPLF-Vertreter das erste Mal seit Beginn des Krieges persönlich.

Was genau die Bedingung für die Auf­arbeitung beinhaltet, ist unbestimmt. Zwar lehnt die äthiopische Regierung die Inter­nationale Menschenrechtsexperten-Kommis­sion für Äthiopien ab, die der UN-Menschen­rechtsrat Ende 2021 eingesetzt hat. Doch die äthiopische Menschenrechtskommission arbeitet auch in der Frage der Aufarbeitung weiterhin mit dem Büro des UN-Hoch­kommissars für Menschenrechte (OHCHR) zu­sammen. Zudem veröffentlichte das äthiopische Justizministerium einen Ent­wurf für Leitlinien einer Übergangsjustiz.

Deutschland und seine europäischen Partner sollten den Friedensprozess, der richtigerweise vornehmlich von den äthio­pischen Konfliktparteien getragen und vorangetrieben wird, nach Kräften unter­stützen. Konkrete Projekte für Stabilisierung und Friedens­förderung sind dafür wichtig. Deutschland sollte aber auch darauf hin­wirken, dass Medien, Zivilgesellschaft und Wissenschaft in Äthiopien größere Frei­heiten erhalten. Aufarbeitung und Versöh­nung sollten auf der Agenda bleiben, ohne bestimmte Mechanismen vorzugeben. In jedem Fall sollte die Bundesregierung auch ihre Unterstützung der äthiopischen Men­schenrechtskommis­sion und der Wahlkommission fortsetzen.

Im Zuge der anstehenden Vertiefung der Beziehungen zu Äthiopien sollten Deutschland und seine europäischen Part­ner genauer die tieferen Probleme beachten, die ursächlich für Gewalt nicht nur in Tigray, sondern auch in Oromia und Amhara sind. Dafür müssen sie ihre bereits gesetzten Bedingungen nicht ändern, aber stärker auf Transparenz, Bevölkerungsorientierung, breite Inklusion und Rechenschaft der Regie­rung setzen. Dies gilt insbesondere für Wie­deraufbauhilfen und für die Modalitäten eines neuen IWF-Programms und des Schul­denabbaus im Rahmen der G20. Ein neuer Regierungspalast und Wohnkomplex in Addis Abeba, dessen Gesamtkosten fast dem gesamten Staatshaushalt entsprechen, wenn auch aus privaten und arabischen Quellen finanziert, setzt hier ein falsches Signal.

Wenn Äthiopien nachhaltigen Frieden und Stabilität erreichen will, braucht es ein inklusiveres politisches System. Der Frie­dens­prozess mit der TPLF und dessen kri­tisch-konstruktive Unter­stützung durch internationale Partner können der Aus­gangspunkt für eine entsprechende lang­fristige Entwicklung sein.

Dr. Gerrit Kurtz ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

Menschliche Sicherheit weiterdenken – Den Maßstab für progressive Außen- und Sicherheitspolitik schärfen

Gerade in Krisenzeiten kommt es darauf an, zivile und militärische Ansätze der Konfliktbearbeitung zu verbinden und menschliche Sicherheit ins Zentrum der nationalen Sicherheitsstrategie zu stellen.

Heinrich-Böll-Stiftung, 28.November 2022

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat eine Verunsicherung in der außenpolitischen Debatte auch innerhalb der grünen Partei ausgelöst. Während eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung die verteidigungspolitischen Wenden für deutliche höhere Rüstungsausgaben, Waffenlieferungen und Abschreckung unterstützt, sorgen sich andere vor einer „Militarisierung“ der deutschen Außenpolitik.

Derweil hat sich die neue Bundesregierung vorgenommen, erstmalig eine Nationale Sicherheitsstrategie zu erstellen. Außenministerin Annalena Baerbock forderte am 23. März 2022 im Deutschen Bundestag, Deutschland müsse darin „neben den dringenden militärischen Ausgaben eben unser Verständnis von einem erweiterten Sicherheitsbegriff, von einem Human-Security-Ansatz weiter fortschreiben.“

Menschliche Sicherheit stammt aus dem Bereich der Vereinten Nationen. Die UN-Generalversammlung definierte das Konzept 2012 als „das Recht von Menschen, in Freiheit und Würde zu leben, frei von Armut und Verzweiflung.“ Menschliche Sicherheit, so die UN-Mitgliedsstaaten weiter, umfasse vier Prinzipien: sie sei „menschenfokussiert, umfassend, kontextspezifisch und ausgerichtet auf Prävention.“ Die Anwendung von Gewalt und Zwangsmaßnahmen wurde explizit ausgenommen.

Menschliche Sicherheit sollte weiterhin im Zentrum der deutschen Außenpolitik stehen. Sie  steht sowohl gegen die Aggression eines autokratischen Regimes wie Putins Russland als auch gegen die Zerstörung menschlicher Lebensgrundlagen. „Sicherheit nicht von nationalen Grenzen, sondern von jedem einzelnen Menschen her“ zu denken, wie es das Grüne Grundsatzprogramm von 2020 fordert, zeigt den zentralen Wert menschlicher Sicherheit für deutsche und europäische Außenpolitik auf. Es zählt demnach nicht nur, ob Staaten friedlich nebeneinander existieren, sondern auch, ob einzelne Menschen und besonders die Schwächsten innerhalb dieser Staaten frei und sicher sind. Es ist die konsequente Anwendung von freiheitlich-demokratischen Grundprinzipien in der Sicherheitspolitik. Sowohl im Innern als auch jenseits der eigenen Grenzen sollte staatliches Handeln darauf ausgerichtet sein, individuelle Rechte so weit wie möglich zur Entfaltung zu bringen. 

Spätestens Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstreicht jedoch, dass das Konzept menschlicher Sicherheit auch und gerade für die Anwendung von militärischer Gewalt und anderen Zwangsmaßnahmen in Krisensituationen relevant ist. Denn es bietet einen verlässlichen Wertemaßstab. Statt einen scheinbar unversöhnlichen Widerspruch zwischen militärischer Wehrhaftigkeit und sozialer Gerechtigkeit zu konstruieren, bietet das Konzept menschlicher Sicherheit eine Orientierung, wie eine Regierung solche Ziele miteinander in Einklang bringen kann.

Denn eine zeitgemäße (grüne) Außenpolitik bedeutet, moralisch bequeme Positionen absoluter Gewissheit zu vermeiden und stattdessen prinzipiengeleitet in Abwägungsentscheidungen zu gehen.

Menschliche Sicherheit ist gefährdet

In letzter Zeit werden abstrakte Gefahren, vor denen Strategiedokumente und Expert*innen schon lange warnen, für viele Menschen zunehmend greifbar. Dabei geht es nicht nur um objektiv feststellbare Herausforderungen, sondern in zunehmenden Maße auch um das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürger*innen. Laut einer UN-Studie basierend auf globalen Umfragedaten fühlt sich weniger als jeder siebte Mensch weltweit sicher. Zwar fühlen sich insgesamt mehr Menschen in Ländern mit niedrigem Lebensstandard unsicher, in Ländern mit sehr hohem Lebensstandard hat das Sicherheitsgefühl in den letzten Jahren aber besonders stark abgenommen – und das war vor Russlands Einmarsch in der Ukraine, der Energiekrise und der Hitzewelle des Sommers 2022.

Bei menschlicher Sicherheit geht es um ein Leben in Würde und in Freiheit, frei von Not und Angst. Wer in Deutschland nachts von einrückenden russischen Truppen träumt, ist somit in seiner menschlichen Sicherheit gefährdet. Das gleiche gilt für Menschen, die sich wegen der hohen Inflation Sorgen um ihre Grundversorgung und ihre gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben machen. Andere wiederum sorgen sich vor einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft, einem Auseinanderdriften von Lebenswelten und einer Radikalisierung einer kleinen Minderheit, seien es Rechtsextremisten, Querdenker oder Islamisten, welche die Fundamente der freiheitlich-demokratischen Ordnung angreifen wollen.

So wie es darauf ankommt, in der Innenpolitik klare Kante gegen Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu zeigen, auch mit den Zwangsmaßnahmen des Rechtsstaats (wie konsequenter strafrechtlicher Verfolgung), so gilt es, auch die äußere Sicherheit zu garantieren. Diese ist zunehmend unter Beschuss, nicht nur durch Putins Politik. Die Klimakrise, die Covid-19 Pandemie und zunehmender Autoritarismus und Nationalismus in vielen Ländern bedrohen die Grundlagen eines friedlichen globalen Zusammenlebens.

Bei all diesen Bedrohungen gibt es eine enge Verbindung von innen- und außenpolitischen Entwicklungen. Es sind unsere aktuellen und historischen Emissionen, die das Klima global anheizen. Die Flut im Ahrtal, die Waldbrände in vielen Teilen Deutschlands, und Dürren auf den Feldern machen immer deutlicher, dass die Klimakrise nicht nur eine Frage zukünftiger Generationen ist, sondern die größte Bedrohung der Menschheit heute. Vielleicht das erschreckendste daran ist, dass selbst im 1,5 Grad Szenario eine Reihe von Kipppunkten des Weltklimas wahrscheinlich erreicht werden.

An der russischen Invasion zeigt sich, wie eng die verschiedenen Aspekte von Sicherheit und Frieden zusammenhängen: Die Klimakrise bedroht unsere Sicherheit, indem sie unsere Existenzgrundlagen gefährdet. Daher braucht es eine konsequente Energiewende mit einem forcierten Ausstieg aus fossilen Energieträgern und einer ökologischen Transformation der Wirtschaft. Eine intensivierte Energiewende kann dem russischen Staat mittel- bis langfristig die Finanzierungsgrundlage entziehen. Russische Desinformationskampagnen haben allerdings in den letzten Jahren zur Polarisierung in westlichen Ländern beigetragen, wie insbesondere bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 und 2020. Diese Polarisierung macht es schwerer, gesellschaftliche Akzeptanz für die weitgehende Transformation für den Schutz von Klima zu erreichen. Putins Russland bedroht also nicht nur die Ukraine und die europäische Sicherheitsordnung, sondern auch globale Zusammenarbeit zur Bearbeitung der wichtigsten Bedrohung menschlicher Sicherheit. Wer langfristige Sicherheit will, muss Putins Russland in die Schranken weisen.

Kein Rückfall in alte Zeiten

Im Zuge der vom Bundeskanzler ausgerufenen Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gibt es ein größeres Augenmerk auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Die Bundeswehr wird für diese Aufgabe gestärkt und vernünftig ausgerüstet. Außenpolitisch fragen sich deutsche Entscheidungsträger*innen, mit welchen Partnern sie international in Zukunft noch vertieft zusammenarbeiten wollen, und wie sie die Abhängigkeit von Autokratien streuen und verringern können. Neben der Abschreckung Russlands kommt dabei vor allem die Umsteuerung der Zusammenarbeit mit China in den Blick. Global zeichnet sich eine stärkere Konkurrenz zwischen unterschiedlich organisierten politischen Systemen ab, und Druck auf Staaten des globalen Südens, sich klar zu positionieren.

Diese Entwicklung trifft auf einen bereits seit längerem wachsenden Nationalismus in vielen Ländern weltweit, im Westen als auch im Globalen Süden. Das gilt auch für enge Partner Deutschlands. Für Trump, Brexit-Anhänger oder PiS-Regierungsvertreter geht die Betonung der eigenen Nation in der Außenpolitik einher mit der Abgrenzung von vermeintlich Fremden, besonders von Geflüchteten. Die britische Regierung will Geflüchtete ins autoritär regierte Ruanda bringen, um damit seine Verantwortung für Asylsuchende auf ein Drittland abzuwälzen. Während Polen über zwei Millionen ukrainische Menschen mit offenen Armen aufnahm, stellte es seinen Zaun an der Grenze zu Belarus fertig. Polens Regierung, und mit ihr die EU, ließ sich vom belarussischen Diktator Lukaschenko mit ein paar tausend Geflüchteten aus dem Nahen Osten unter Druck setzen. Auf der polnischen Seite der Grenze sind Kinder und Familien in geschlossenen Migrationszentren eingesperrt, wenn sie nicht illegal zurückgeschoben werden. Polens Ministerpräsident Morawiecki sprach in diesem Zusammenhang von „Lukaschenkos Angriff auf die polnische Grenze mit Belarus“ als „erste[s] Zeichen des Kriegs in der Ukraine.“

Es besteht das Risiko, dass solch ein nationalistisches Sicherheitsverständnis zunimmt. In Deutschland geschieht dies insbesondere mit Verweis auf die kommenden Härten des Winters im Zuge steigender Energiekosten. In der Außenpolitik zeigt es sich bei solchen Stimmen, welche die Ukraine zu Territorialkompromissen gegenüber Russland bringen wollen, ungeachtet der Massaker und Entführungen in den besetzten Gebieten.

Sicherheit primär im Sinne eines territorial begrenzten Staates zu denken, läuft Gefahr, die Folgen für betroffene Menschen sowie innerstaatliche Entwicklungen zu ignorieren. Regionale Stabilität ist nicht nur eine Frage zwischenstaatlicher Beziehungen, sondern auch der Freiheit vor Unterdrückung und Gewalt in diesen Staaten. Autoritäre Staaten versuchen durch aggressives äußeres Auftreten Unterstützung im Innern zu sichern. Die Zentralisierung der Macht durch Präsident Putin erschwert nicht nur das Leben der russischen Bevölkerung, sondern erleichtert auch externe Aggressionen, weil sie die Rechenschaft des Präsidenten innerhalb des politischen Systems reduziert.

Entscheidungsmaßstab statt moralisierende Politik

Die Erkenntnis, dass innerstaatliche Repression unsere äußere Sicherheit gefährdet, ist nicht neu. Für die deutsche Außenpolitik, wie sie die Grünen prägen sollten, gibt es aber natürlich Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten, Ressourcen, Fähigkeiten, und Interessen. Die Welt ist schließlich komplex.

Eine Ausrichtung auf menschliche Sicherheit darf nicht zu einer moralisierenden Politik bequemer Bekenntnisse und absoluter Gewissheit führen. Es reicht eben nicht, zu betonen, dass es „keine militärische Lösung“ für Konflikte geben dürfe, oder dass eine Verbesserung der militärischen Verteidigungsfähigkeit nicht auf Kosten der sozialen Absicherung zuhause oder ziviler Mittel der Konfliktbearbeitung gehen dürfe.

Im Gegenteil bedarf es in Anbetracht des Aufstrebens rückwärtsgewandter Autokratien mit vermeintlich einfachen Antworten (z.B. eines totalitären Überwachungsstaats, der vorgibt, seine Bürger*innen mittels drakonischem Freiheitsentzug vor der Covid-19-Pandemie zu schützen) einer strategischen Politik der menschlichen Sicherheit ohne Naivität. Denn dort, wo wir massive Verletzungen des Völkerrechts einschließlich universeller Menschenrechte hinnehmen, obwohl wir ihnen Einhalt gebieten könnten, sägen wir an dem Fundament unserer eigenen Sicherheit.

Eine verantwortliche Politik erkennt an, dass es Zielkonflikte des eigenen Handelns gibt, gerade im Bereich Frieden und Sicherheit. Dazu gehört, dass in bestimmten Situationen der Einsatz militärischer Mittel richtig sein kann, auch wenn beispielsweise die dafür nötige Beschaffung und Vorhaltung militärischer Mittel Ausgaben verursacht, die nicht für andere Zwecke – etwa der zivilen Krisenprävention – verwendet werden können. Es ist kein Widerspruch für eine Orientierung an menschlicher Sicherheit, sich gegen Aggression zur Wehr zu setzen oder Zwangsmaßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung einzusetzen.

Menschliche Sicherheit kann vielmehr als Leitmaßstab außenpolitischer Entscheidungen dienen, gerade in Zielkonflikten und angesichts begrenzter Kapazitäten und Fähigkeiten. Die Politik sollte sich stets fragen, wie sie unter den gegebenen Umständen individuelle Sicherheit, Freiheit und Würde am besten zur Geltung bringen kann. Hier ergibt sich auch eine Verbindung zur feministischen Außenpolitik der neuen Bundesregierung. Diese lenkt den Blick insbesondere auf die Perspektive von marginalisierten Teilen einer Gesellschaft und setzt auf die konsequente Transformation von hergebrachten Machtstrukturen.

In akuten Notsituationen wie aktuell in der Ukraine gilt es, das Leid für die Zivilbevölkerung zu minimieren und Massenverbrechen zu verhindern – oder zu stoppen. In dieser Situation sollte menschliche Sicherheit den Einsatz militärischer Mittel wie derzeit Waffenlieferungen an die Ukraine einschließen – innerhalb eines „politischen Gesamtkonzepts“, wie es das Grundsatzprogramm explizit für den Einsatz militärischer Gewalt fordert. Ein solches ist notwendig für jegliches außenpolitische Engagement in Krisen- und Konfliktsituationen, nicht erst wenn es um den Einsatz der Bundeswehr geht. Zu oft stand Deutschland in der Vergangenheit auf der Bremse innerhalb der EU oder anderen internationalen Organisationen, wenn es um die Anwendung von Zwangsmitteln wie Sanktionen ging. Gleichzeitig dienen gerade Sanktionen und Militäreinsätze oft als Politikersatz. Grüne haben bereits während der Kriege und des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien erkannt, dass Krisenprävention mit zivilen Mitteln scheitern kann. Wenn dies passiert, kann die Alternative nicht sein, lediglich auf gewaltlose Proteste und Kooperationsverweigerung zu setzen.

Bisherige Leitplanken deutscher Politik für den Einsatz von Zwangsmitteln und Militär bleiben weiterhin bestehen: nie alleine, immer im Interesse Europas und des Multilateralismus. Jedoch ist es wichtig, zwischen dem Willen autokratischer Eliten in Europa und anderswo und dem Bedürfnis der Bevölkerung nach Sicherheit und Selbstbestimmtheit zu unterscheiden. Oder sollte ein ungarisches Veto im Rat der Europäischen Union oder ein russisches Veto im UN-Sicherheitsrat schwerer wiegen als der Einsatz für menschliche Sicherheit? Der Verweis auf die Positionen von Verbündeten sollte ebenfalls nicht dazu dienen, gegebenenfalls für andere Maßnahmen zumindest zu werben und entsprechend internationale Führung zu übernehmen.

Implikationen für die nationale Sicherheitsstrategie

Die Planungen für die nationale Sicherheitsstrategie sehen ein „integriertes“ Verständnis von Sicherheit vor. Das Ziel ist dabei, über die bisher bekannte „vernetzte“ Sicherheit, also die Kooperation zwischen den Kernressorts internationalen Handelns von Diplomatie, Stabilisierung, Entwicklungszusammenarbeit und Verteidigung, hinauszugehen. Bedrohungen für unsere Freiheit und unsere Art zu leben ergeben sich schließlich auch im Bereich Klima, Energie, kritischer Infrastruktur, Ernährung, digitaler Sicherheit, oder wirtschaftlicher Stabilität. Diese Ausweitung ist im Sinne menschlicher Sicherheit, d.h. frei von Furcht, frei von Not und in Würde zu leben.

Wichtig ist jedoch auch bei einem derart erweiterten integrierten Sicherheitsbegriff, den Fokus auf der Würde und Freiheit des Individuums zu behalten. Deswegen sind beispielsweise die Arbeitsbedingungen in Katar nicht von der Gasversorgung zu trennen, sondern waren richtigerweise Teil der Gespräche des Wirtschafts- und Klimaschutzministers Robert Habeck. Die Prinzipien menschlicher Sicherheit können somit dabei helfen, eine oft befürchtete „Versicherheitlichung“ von Politikfeldern zu vermeiden, die es ermöglichen würde, Grundprinzipien im Interesse des jeweiligen politischen Ziels außer Kraft zu setzen. Denn es sind diese Grundprinzipien, welche das Fundament unserer Sicherheit ausmachen.

Die Sicherheitsstrategie sollte die Leitprinzipien menschlicher Sicherheit also nicht als ein isoliertes Feld betrachten, sondern sie als Grundlage für die Entwicklung eines ganzheitlichen friedens- und sicherheitspolitischen Leitbilds ins Zentrum rücken.

The Spoilers of Darfur

Sudan’s protracted political crisis and the intensifying violence in Darfur are closely connected

SWP Comment 2022/C 53, 07.09.2022

The Juba Peace Agreement of October 2020 has not pacified conflicts in Sudan, and has instead actually created new alliances between armed groups and security forces. After decades of marginalisation, conflict entrepreneurs from the periphery are now shaping Sudan’s national politics and undermining the country’s potential to return to democratic transition. Insecurity in Darfur could escalate and contribute to fur­ther destabilisation of the country. International donors should pressure these con­flict entrepreneurs to relinquish power. They should also prudently promote projects to foster peace in Darfur at the same time.

Sudan’s political crisis continues. In July 2022, both the leader of the Sudanese Armed Forces (SAF) General Abdel Fattah al‑Burhan and the leader of the paramilitary Rapid Support Forces (RSF) Lieutenant General Mohamed Hamdan Dagalo, known as Hemedti, promised to hand over power to a civilian government if the political parties and social movements reached an agree­ment. But Sudan is still far from being able to transition to functioning, broadly popular non-military leadership. Thus, the country remains in limbo. Since the Octo­ber 2021 coup, security forces rule and they have only appointed a caretaker govern­ment.

Representatives of armed groups that supported the coup are a major obstacle to ending the political crisis (see below info box “Sudan’s conflict entrepreneurs”). They have become part of the government over the course of implementing the October 2020 Juba Peace Agreement (JPA).

Their inclusion in the government has not pacified Sudan’s conflicts in the periph­eral regions of the country, but rather fuels them. As is often the case in Sudan, armed violence in rural regions is exceedingly worse than in the political centre that is the area in and around the capital. While around 120 people have died in Khartoum since the coup at the hand of security forces during demonstrations, around ten times as many have died in attacks and armed con­frontations outside the capital during the same period – most notably in the five states of the western Darfur region.

The Sudanese government is trying to depoliticise the violence in Darfur, por­traying it as purely “tribal conflicts”. In reality, however, the conflicts occurring there have complex causes. The volatile political situation in Khartoum is exacer­bating local tensions in the periphery, while the peace process for the conflicts in Darfur and other peripheral regions of Sudan is shifting the balance of power in Khartoum in favour of conflict entrepreneurs who are not known to be friends of democracy.

Conflict dynamics in flux

Sudan’s conflict entrepreneurs State security forces whose organisation is regulated by law:
■ Sudanese Armed Forces (SAF; led by General Abdel Fattah al-Burhan) ■ Rapid Support Forces (RSF; emerged from Darfur’s Janjaweed militias; led by Lieutenant General Mohamed Hamdan Dagalo – who is also called Hemedti)
■ Police, Central Reserve Police, and the Gen­eral Intelligence Service (GIS)

13 armed groups from across Sudan that are signatories to the Juba Peace Agreement, including:
■ Justice and Equality Movement (JEM; Islamist; from Darfur; led by Sudanese Finance Minis­ter Gebreil Ibrahim)
■ Sudan Liberation Army – Minni Minawi (SLA-MM; from Darfur; led by Governor of the Darfur region Minni Minawi)
■ Sudan People’s Liberation Movement – North/Revolutionary (SPLM-N [Agar]; from the Blue Nile state; led by Member of the Sovereign Council Malik Agar)

Groups and ethnic/tribal militias that are not signatories to the Juba Peace Agreement, some based in Libya, including:
■ Sudan Liberation Army – Abdel Wahid (SLA‑AW; based in Jebel Marra/Darfur; led by Abdel Wahid al-Nur; most influential rebel group in Darfur)
■ Sudan People’s Liberation Movement-North (SPLM-N (al-Hilu); based in the Nuba Mountains; led by Abdel Aziz al-Hilu; controls the most territory in Sudan)
Most of the signatory groups were originally part of the Forces of Freedom and Change (FFC), but split from them in October 2021 and named themselves the FFC-National Accord (FFC-2); from August 2022 they rebranded as the National Con­sensus Forces. SAF leader Burhan is chair­man of Sudan’s governing Sovereign Council, and Hemedti describes himself as his deputy even though the constitutional document of 2019 does not include a deputy position.

Internationally, the Darfur region is mostly known for the mass atrocities against civil­ians in 2003/04, which then-US Secretary of State Colin Powell described as genocide. The Janjaweed (militias armed and sup­ported by the Sudanese government) ter­rorised the civilian population, leading to hundreds of thousands of deaths.

The current violence in Sudan is not as intense. According to a database main­tained by the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), over 2,600 people have died as a result of armed vio­lence in the five states within the Darfur region since the beginning of the Sudanese revolution in December 2018. Still, the num­ber of internally displaced people in Sudan (largely concentrated in Darfur) increased from 2.3 to 3.2 million between 2020 and 2021.

The main parties to the conflict have also changed. By the time Omar al-Bashir was ousted in April 2019, most armed groups from Darfur had already shifted their focus to Libya, mainly by offering mercenary ser­vices to Khalifa Haftar paid for by the United Arab Emirates (UAE).

In 2018, clashes between rebels (especially the SLA-AW) and security forces were respon­­sible for most of the victims of organised violence in Darfur. Nowadays, however, clashes with and among ethnically grouped, irregular militias claim the highest number of lives, especially when members of the Arab Rizeigat are involved. The change in conflict dynamics is also reflected in the shift of geographical hotspots: there are now fewer incidents in Central Darfur (the base of the SLA-AW) but more in South and West Darfur (see Map below).

The outbreaks of violence in Darfur follow a pattern. They are often triggered by individual disputes and criminal incidents with members of one ethnic group some­times holding entire other groups accountable for the misconduct of just one or a few antagonists. The attacked group is often armed and fights back. State security forces hold back, intervening belatedly or even retreating because they are no match for the attackers. Such violent clashes can some­times involve up to 3,000 fighters with vehicles on one side alone, as has been ob­served with the Rizeigat. Some members of the Rizeigat militia reportedly wear official RSF insignia during their attacks.

Old and new causes of conflict

The current conflict dynamics in Darfur can be traced back to both the long impact of past violence and the influences of the power struggle in Khartoum.

First, competition between groups pur­suing different types of livelihoods is inten­sifying due to desertification and erratic rainfall. Farmers may come into conflict with nomads with livestock, as conflicts often erupt over the use of arable or pas­ture land and water.

Second, socioeconomic inequalities and high youth unemployment contribute to conflict. Darfur’s nomadic communities have the least access to health and edu­cation, with only 9 per cent of 9 to 13-year-old girls and 17 per cent of boys of the same age attending school; compare this to the 50 per cent of internally displaced children who attend school. This remarkable finding also seems to be the result of one-sided inter­national support that has focused on internally displaced people (IDPs).

Third, traditional conflict management mechanisms have been weakened by dec­ades of civil war, local government reforms and the arming of ethnic militias. When marginalised groups rebelled against the government in the early 2000s, Khartoum armed and supported Arab militias loyal to the government to fight the uprisings. In doing so, the Sudanese government of the time also instrumentalised the widespread notion among the Arab population that they were superior to the non-Arab popu­lation and thus the rebels. As a result of this outsourcing of counterinsurgency, formal rule-of-law mechanisms have been eroded and police forces undermined. They are often unable to solve criminal incidents and small arms are widely used in Darfur.

During the civil war, Sudan developed into a “militarised political marketplace”. Armed attacks serve as a tool for political conflict entrepreneurs to make their pres­ence felt and raise the price of their loyalty in negotiations with government represen­tatives. The 2019 Sudanese transition and the 2021 military coup have brought a new dynamic to this marketplace. Both (Arab) nomadic tribes and (non-Arab) displaced groups in Darfur felt empowered by the new arrangement in Khartoum. The for­mer counted on support from the rise of Hemedti, who himself belongs to a Rizeigat tribe; and IDPs’ hopes grew that they would benefit from a peace process that would, among other things, allow them to per­ma­nently return to their fields. However, re­turn­ing IDPs now often come into conflict with the current users of the land.

The violence in Darfur is exacerbated by rivalries between armed movements seek­ing to gain greater influence in Khartoum. Some Arab groups feel set back by the re­cruitment of non-Arab RSF members and Hemedti’s alliance with the signatories of the JPA. Their desire for attention and pat­ron­age manifests itself in recurrent attacks on villages and IDP camps. They succeed with such efforts. Hemedti spent more than a month in the summer of 2022 in West Dar­fur attending tribal reconciliation confer­ences and building alliances with local elites.

Meanwhile, tribal self-defence units, such as that of the Masalit in West Darfur, are increasingly organising themselves. They are often well-armed and sometimes able to inflict heavy losses on attacking Rizeigat militias.

Hemedti himself blames Islamist forces loyal to the old Bashir government for the outbreaks of violence in Darfur as they strive to tie down his RSF forces in the periph­ery. The exact role of the Islamists remains unclear, but it is clear that they have gained momentum in the shadow of the coup. Their representatives are back in the civil service and Bashir’s former foreign minister Ali Karti was recently appointed secretary-general of the Sudanese Islamic Move­ment. The Movement continues to wield influence in the SAF, which Islamists see as a competitor to Hemedti’s more diffi­cult-to-control RSF.

Peace agreement with weaknesses

The current violence in Darfur also reveals the weaknesses of the JPA and its implemen­tation. These exacerbate Sudan’s politi­cal crisis.

The main armed groups (including JEM, SLA-MM and SPLM-N; see above info box “Sudan’s conflict entrepreneurs”) showed solidarity with the civilian actors even before the JPA, with whom they signed the Declaration for Freedom and Change in January 2019 – which is the founding docu­ment of the Forces of Freedom and Change (FFC). However, over the course of the revolution these armed groups were marginalised. It was ultimately the non-violent methods of civil society that brought down Bashir and renewed military rule, not the decades of rebels’ armed struggle. For the FFC representatives, the installation of a civilian-led transitional government was the top priority. They did not want to delay this with peace negotiations, and therefore they tasked the transitional government with these negotiations instead.

Peace negotiations began in October 2019 in Juba with South Sudan as the mediator. The civilian components of the transitional government left the talks pre­dominantly to representatives of the secu­rity agencies. The outcome, which was solemnly signed in October 2020, has so far mainly served to provide the signatory actors opportunities to enrich themselves and access government positions. It has hardly contributed to the pacification of the region. For at the time of the signing, the parties involved hardly had any troops of their own left in Darfur or other parts of Sudan (with the exception of the Blue Nile state in the South). At the same time, those actors who played the most important roles in conflicts in Darfur were not adequately represented. Hemedti himself could not speak for all Arab groups, and neither IDPs, women nor young people were sufficiently included. One of the most influential groups in Darfur, the SLA-AW, rejected the talks.

Of the many promises that the JPA made to marginalised segments of the Sudanese periphery, hardly any were fulfilled. It was already clear at the time of signing that the government would need to rely on inter­national donors to implement the agreement. However, these donors showed little willingness to provide substantial support to a peace agreement that they had hardly been involved in drafting. Anyways, the JPA had left the clarification of many details to implementation commissions.

The agreement does not specify how many fighters are to be demobilised or in­tegrated into state security forces. The gov­ernment has not yet appointed a de­mobili­sation commission for Darfur. Contrary to the expectations of the armed groups, Hemedti made it clear that he only wanted to integrate a small part of Darfur’s fighters into the RSF.

The JPA provides for the formation of a joint protection force numbering 20,000 soldiers, half of whom would come from government troops and the other half from armed movements. This force was a key argu­ment used by the transitional government to justify its push for the UN-AU Mis­sion in Darfur (UNAMID) to withdraw from the region after its mandate expired at the end of 2020.

However, with considerable delay, the government only just reported the com­pletion of training for the first 2,000 mem­bers of the joint protection force in the end of June 2022. Moreover, it is unclear why this force should be better able to protect the civilian population from violence than the individual units that are to be absorbed into it. After the withdrawal of UNAMID however, the prospect of a renewed inter­national peacekeeping mission is extremely slim. Therefore, only Sudanese units can make up a protection force.

Even the Permanent Ceasefire Commis­sion, which was established with the JPA, can only make a modest contribution to the implementation of the JPA. The United Nations Integrated Transition Assistance Mission in Sudan (UNITAMS) chairs the Com­mission and its sectoral sub-units, which consist of representatives of the sig­na­tories to the JPA. The Commission sup­ports the demobilisation or training of mem­bers of the armed groups and can in­vestigate violations of the ceasefire at the request of one of the parties. However, those involved in today’s conflicts often do not belong to one of the signatory groups.

New players in Khartoum

The dynamics of conflict in Darfur are also having a significant impact on Sudan’s national politics. Hemedti’s rise to become the country’s most important political actor is shaking the traditional foundations of Khartoum politics. Darfur serves as a source of income, a recruitment pool for the RSF and a base for Hemedti’s political ambitions at the national level.

Hemedti thereby operates on both the demand and supply side of security in Dar­fur. Although major acts of violence are a challenge to his authority, they allow the RSF leader to present himself as a peacemaker at tribal reconciliation conferences. However, the agreements reached at these conferences do not address the roots of the conflicts. His own RSF’s attacks on villages and IDP camps usually go unpunished, creat­ing a climate of impunity. An example of this can be seen in allegations that the chairman of the Peace and Reconciliation Committee and commander of the RSF in West Darfur, Mousa Ambeilo, led an attack against civilian populations in late 2019.

The Juba peace process also allowed Hemedti to forge alliances with his former opponents. Like the rebels, he did not trust the Sudanese armed forces under Burhan’s leadership. He resisted attempts to integrate the RSF into the regular army. Through cooperation with armed groups, Hemedti was able to build a “counterweight to the transition at the centre” and thus to the sphere of influence of the SAF and the civilian parties of the FFC.

In fact, the Juba peace process undermined democratisation from the beginning. The transitional government assured the armed groups that a transitional parliament would not be convened so long as peace negotiations were ongoing. Even after the Juba Peace Agreement was signed, differ­ences within the FFC blocked the formation of the transitional parliament, which could have formed a counterpart to the security sector and thus a safeguard against military takeover. The JPA gave the militias impor­tant government positions, and the influ­ence they were able to exert therefrom spanned far beyond their actual political significance. For example, Gebreil Ibrahim, the leader of JEM, became Sudan’s Minister of Finance, and Minni Minawi, leader of the SLA-MM, became Governor of the Darfur region. The SLA-MM had not fought against the armed forces in Sudan since 2014, JEM since 2015.

As members of armed groups became members of Prime Minister Abdalla Ham­dok’s cabinet in February 2021, the FFC parties also insisted on assuming government posts for which they had previously only nominated experts. However, the “political cabinet” entered into an increasingly open conflict with the representatives of the security sector. Here, representatives of the armed groups acted as allies of the military. They expanded the military’s political base to include signatories of the Declaration for Freedom and Change and thus the original opposition to the Bashir regime. In early October 2021, 16 armed groups, led by JEM and SLA-MM, split from the FFC forming the “FFC National Accord” or FFC-2. Shortly afterwards, they organised a sit-in in Khartoum and demanded that the other FFC parties leave the government. Consequently, the armed groups included the only non-military ministers and repre­sentatives in the Sovereign Council who retained their positions after the coup of 25 October 2021.

Finally, in the spring and summer of 2022, the FFC-2 representatives hampered the facilitation of the of AU-UNITAMS-IGAD (Intergovernmental Authority on Development) Trilateral Mechanism. They insisted on an “inclusive” round that included Islamist representatives (and themselves), while the remaining representatives of the groups now called the FFC-Central Com­mittee, or FFC-1, rejected the participation of “pro-coup parties”. The conflict between the FFC-1 and FFC-2 provided the military with the pretext to blame the “civilian” camp for the political crisis.

Current security risks

The rise of conflict entrepreneurs from Dar­fur and the lack of implementation of the JPA pose significant risks to security and stability in the region. After all, there are consequences if the state does not have the monopoly on the use of force. Stronger self-defence groups could develop into rebel groups – as they did 20 years ago – and conflicts between farmers and nomadic Rizeigat could escalate further.

Thousands of fighters from the signatory groups who have returned from Libya pose a risk to the population in Darfur as they often turn to criminal activities. At the same time, JPA signatories recruited new mem­bers en masse in Darfur to strengthen their following. One signatory group alone claimed to have already recruited 11,000 new fighters in the region. However, the groups have little to offer the recruits other than the tenuous promise of future posts in the state security forces.

Tensions are also arising from the possibly divided loyalties of the security forces in Darfur, which are officially under the high command of Governor of Darfur Minni Minawi, whose SLA-MM creates insecurity at the same time.

Moreover, the armed groups may lack credibility in the eyes of their members and supporters due to their involvement in the coup in Khartoum. The first members of the signatory groups have already turned their backs on their leaders and are now walking their own paths.

In addition, the SLA-AW under Abdel Wahid al-Nur is gaining popularity, as his notorious refusal to negotiate provides him with an image of trustworthiness. However, an attempt by the Sudanese Communist Party to persuade him to form a political alliance failed. The ceasefire between SLA‑AW and SAF is currently holding.

Historically, albeit with few exceptions, conflicts of the periphery have rarely directly affected the population in Sudan’s centre. With the presence of the leaders of the Darfur groups and some of their fighters in Khartoum, this could change. Crime is also said to have increased in the capital – in part due to triple-digit infla­tion and the growing supply crisis. The greatest potential for escalation would be a direct military confrontation between the SAF and RSF. Even if this is unlikely at present, the question remains how long their leaders will manage to keep the fight­ing between these rival security forces con­fined to Darfur. Violent conflict between and with their respective allied militias such as the Tamazuj, a signatory group said to have links to military intelligence, would also be possible. Indeed, in late July 2022, Hemedti blamed the Tamazuj for recent attacks in Darfur.

For Sudan’s neighbouring states, there is a risk that armed groups will continue to retreat to their border regions or directly join parties to the conflict there. This ap­plies particularly to Libya, where some Sudanese fighters are still present, but also to South Sudan, Chad and the Central African Republic (CAR).

Entry points for international peacebuilding

The international community should not wait until there is a new country-wide tran­sition process in place to address the con­flicts in Darfur. Rivalries between conflict entrepreneurs jostling for influence and access to patronage and resources will continue.

The UN is right to call on international donors to support peace projects in Darfur. Effective programmes at the local level may be able to reduce some of the security risks. After all, Darfur is also an arena for the power struggle in the centre of the country.

Germany can promote these efforts as the largest donor to the UN Peacebuilding Fund, and it can also provide direct assis­tance to local civil society organisations where possible.

Effective peacebuilding requires a comprehensive and conflict-sensitive approach that addresses the needs of all groups, in­clud­ing nomadic pastoralists and settled or displaced farmers. Members of signatory groups who were recruited after the con­clu­sion of the JPA should not receive greater benefits than those afforded to mem­bers of other groups, including infor­mal ones. When it comes to peacebuilding measures, the conflict hotspots in Darfur should be prioritised. Conceivable activities include supporting community programmes for vocational training, nurturing basic ser­vices in the fields of education and health, and strengthening local conflict management committees. The latter should prior­itise the inclusion of young people and women, not only tribal elders – as was the case with the agreements brokered by Hemedti.

The short-term goal of these measures should be to prevent the escalation of inter­personal disputes into larger conflicts that lead to the deaths of dozens or even hun­dreds. As long as the establishment of reli­able and legitimate state structures and basic services remains a distant goal, the main focus – within the framework of hu­manitarian aid – should be to strengthen individual resilience.

More intensive peacebuilding efforts on the part of the EU and Germany should go hand in hand with deeper diplomatic engage­ment. Their pressure should not just focus on the military, but also on the armed movements that support the coup. Even if it may not be feasible to exclude them from power completely (partly because of their post-JPA recruitment), leaders of the National Consensus Forces should demonstrate their readiness to nominate experts for a new cabinet instead of vehemently holding on to their ministerial positions by threat of renewed war. After all, they are demanding that the FFC-1 member groups agree to a so‑called technocratic transitional government as well. The Europeans and their transatlantic partners retain some leverage through the continued suspension of bi­lateral and multilateral financial assis­tance, amounting to several billion Euro, which clearly irritates the junta. Instead of generi­cally calling for all political actors to find common ground, Sudan’s international interlocutors should highlight the role that Darfur’s conflict entrepreneurs are playing in standing in the way of the country’s democratic progress.

Crisis Prevention and Stabilisation in Africa: three implications for Germany’s National Security Strategy

Germany’s new National Security Strategy should emphasise crisis prevention, stabilisation, and peacebuilding. It should look at not only threats but also opportunities, identify principles for coherence, and ensure greater review of effectiveness, writes Gerrit Kurtz (SWP) in this Megatrends Afrika Spotlight.

Megatrends spotlight 14, 14.09.2022

Auch verfügbar auf Deutsch. Re-Posted auf 49Security am 14.12.2022

As of 2017, Germany has positioned itself as the world’s largest provider of official development assistance (ODA) in the area of crisis prevention, stabilisation, and peacebuilding (see figure 1). The German government has more than doubled its spending in this field over the past decade (see figure 2). German aid now accounts for around a quarter of all peacebuilding funds reported to the Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD).

Along with Afghanistan (through 2021) and the Middle East, Africa occupies a focal point for Germany’s efforts as the destination of over 30 percent of its total aid spending. In 2020, the focuses were Mali, Niger, and the Democratic Republic of Congo. This is consistent with Germany’s approach to supporting crisis prevention, stabilisation, and peacebuilding, as Africa is home to the highest number of armed conflicts of all continents.

Within this context, the German government has begun a consultation and dialogue process to develop a National Security Strategy, which it intends to present within a year. The Strategy will be the first of its kind for Germany, setting out the key security policy challenges, interests, goals, and governmental instruments.

The National Security Strategy will provide the overall framework also for German peacebuilding in Africa. Its authors should pay particular attention to three areas: opportunities for change, peace policy coherence, and effectiveness.

Expenditure for crisis prevention in 2022.
Figure 1: ODA-eligible expenditures (in USD millions) for crisis prevention, stabilisation, and peacebuilding in 2020. Source: OECD DAC Credit Reporting System. © Megatrends Afrika

Identifying not only threats but also opportunities

National security draws attention to threats: Russia’s war on Ukraine, cyberattacks, disinformation campaigns, pandemics, and terrorism – to name a few. But sustainable security policy should also include peace policy in line with the broader concept of security that Foreign Minister Annalena Baerbock often refers to. Thinking in terms of peace policy also means looking for opportunities for constructive change and recognising the different directions and speeds of political systems.

After all, crisis prevention is a forward-looking, proactive action. Analyses, therefore, should include scenarios with the drivers of crises, identifying entry points for one’s own actions and communicating them to decision-makers. Whether it is a unilateral peace agreement, a military coup, or an elite political deal, the international handling of these events often matters significantly.

For example, in June 2019, Sudan was at a crossroads. After months of nationwide protests, security forces had ousted President Omar al-Bashir and established a transitional military council. However, this did not satisfy the protesters, who were calling for the instalment of a civilian government. They maintained a protest camp in front of the military headquarters in the capital Khartoum. Security forces attacked the camp on June 3, killing over a hundred people. The country was on the verge of slipping back into cycles of deep repression and spiralling conflict.

But on June 30, the non-violent movement mobilised demonstrations on an unprecedented scale. At the same time, the United States and United Kingdom pressured Sudan’s Arab supporters. In Berlin, the German government organised a diplomatic meeting of influential governments from the newly formed ‘Friends of Sudan’ group. Ethiopia and the African Union (AU) mediated between the democracy movement and the military, and shortly thereafter an agreement was reached for a civil-military transitional government. The international efforts, including those of Germany, not only prevented further escalation but helped the Sudanese people to initiate a process of extensive reform – even if it did come to an abrupt end with the coup in October 2021.

In recent years, the German government has invested heavily in strategic foresight and early crisis detection, both within and across its ministries. At the same time, the link between analysis and preventive action, or “early action”, is still often missing – as the German government itself acknowledged last year. In this regard, it is important to use opportunities for conflict transformation even more flexibly. The German government could coordinate existing instruments more closely, for example, as part of the interplay between humanitarian and development policy and peacebuilding measures. It could also work together with partners in the European Union (EU) or at the United Nations (UN).

Principles for coherent peace and security policy

Peace and conflict research has found that not all normative peacebuilding goals can be achieved simultaneously, and that enormous tensions between common goals may sometimes arise. The best known – though often oversimplified – tension is that between peace and justice. However, the same can be said for the rapid reconstruction of war-torn areas on the one hand and fighting corruption on the other.

Peacebuilding also means looking for resilient approaches that don’t just temporarily stop the violence, especially in morally difficult situations. At the very least, such approaches should allow for (later) changes to the systems that were responsible for the violence in the first place. Peace negotiations often reward those who were particularly brutal and violent. Civilian groups, in contrast, have difficulty achieving their goals in repressive systems. People in South Sudan, for example, are well acquainted with this dynamic. There, the unity government that formed after the peace agreement just extended its own term by two years to avoid renewed infighting among its constituents.

How a state actor like the German federal government should behave in concrete situations cannot be determined in advance and in the abstract. However, it is helpful to state the principles that are relevant for decision-making and to openly acknowledge that tensions and conflicting goals will arise. To this end, the National Security Strategy can draw on existing documents such as the 2017 guidelines “Preventing Crises, Managing Conflicts, Promoting Peace”.

The German government’s Advisory Council on Civilian Crisis Prevention and Peacebuilding coined the concept of “peace policy coherence” and commissioned studies on it with a view to Germany’s Africa policy. In this context, peace policy coherence means that governmental action should conform as far as possible to the four principles of peace policy laid out in the guidelines (human rights orientation; context-specificity, inclusive and long-term action; risk management; and primacy of politics and priority of prevention). These should also be incorporated into the guiding principles of a National Security Strategy.

An important aspect of peace policy coherence is departmental coherence, which is often a challenge. Although guidelines are formal documents relevant to the entire German government, in practice the ideas and approaches surrounding them noticeably differ from department to department – especially between the Federal Foreign Office, the Federal Ministry for Economic Cooperation and Development, and the Ministry of Defence.

This is particularly evident in the discussion around Germany’s contribution to the UN stabilisation mission in Mali (MINUSMA) following several blockades by the government there. The German ministries’ views of how their respective activities contribute to the overarching goal of sustainable peace are not always aligned.

German expenditure for crisis prevention.
Figure 2: ODA-eligible expenditures in USD million for crisis prevention, stabilisation, and peacebuilding of the Federal Republic of Germany between 2011 and 2020. Source: OECD DAC Credit Reporting System. © Megatrends Afrika

Defining effective approaches

What approaches have been effective? Given the significant financial and political investments already made in this area, it is particularly important to keep this question in mind. It is difficult to measure the success of prevention; after all, at best, it is a non-event that is the outcome of a complex chain of effects.

For example, a project that supports civil society organisations in building local peace committees may be a building block to preventing violence at the village level. There may be other causes for the same outcome of decreasing violence though, too. At a higher level, elites may have economic incentives to avoid resolving their conflicts through violence, or they may be pressured to avoid violence by regional allies.

It is not enough to evaluate individual projects or programs. Rather, one must see them in the overall context of one’s own actions and the actions of third parties. The National Security Strategy should therefore prepare for further interdepartmental portfolio evaluations of German crisis engagement. In doing so, it can refer to the evaluations on Iraq and, soon, Afghanistan.

Crisis prevention, stabilisation, and peacebuilding already make up an important part of Germany’s international engagement and this should be reflected in the National Security Strategy. Considerations from this thematic field that would be particularly useful within the Strategy include analysing not only threats but also opportunities for change, identifying decision-relevant principles for coherent action, and ensuring a regular review of measures’ effectiveness.

Prävention, die sich lohnt

Wie Deutschland seine Führungsrolle bei der Friedensförderung und der Verhinderung von Krisen aus- bauen kann – und was zivile Konfliktbearbeitung von der Zeitenwende lernen sollte.

Erschienen in: Internationale Politik Spezial 5/2022, 29. August 2022.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat eine lebhafte Debatte über die Prioritäten deutscher Außen- und Sicherheitspolitik ausgelöst. Die Bundesregierung spricht von einer Zeitenwende und meint damit insbesondere die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und Waffenlieferungen an die Ukraine. Doch was bedeuten diese Veränderungen für das deutsche Engagement in anderen Krisen und Konflikten auf der Welt, zumal mit Mitteln der zivilen Konfliktbearbeitung?


Zumindest kurzfristig saugen der Krieg in der Ukraine und seine Folgen einen erheblichen Teil der außenpolitischen Aufmerksamkeit für die Bearbeitung von Krisen und Konflikten auf. Der Krieg prägt auch den Blick auf andere Weltregionen, insbesondere dort, wo Russland und seine Söldnertruppe Wagner unterwegs sind, etwa in Afrika. Die notwendigen Bemühungen um eine Stärkung der eigenen militärischen Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung könnten das Engagement für die Konfliktbearbeitung außerhalb Europas in den Hintergrund drängen.


Ohnehin steckt die Politik der Stabilisierung von fragilen Kontexten in einer Glaubwürdigkeitskrise. In Afghanistan haben zwei Jahrzehnte internationaler und afghanischer Bemühungen nicht genügt, um legitime und effektive staatliche Strukturen aufzubauen, die den Taliban gewachsen gewesen wären. Und auch Mali ist nicht gerade ein Nachweis für die Effektivität von internationaler Unterstützung für Sicherheit und Entwicklung – nach zwei Putschen, Massakern an der Zivilbevölkerung, der Einladung russischer Söldner und einem weitgehenden Rückzug des Staates angesichts der Bedrohung durch extremistische Gruppen sogar ganz gewiss nicht. Die deutsche Öffentlichkeit hört selten von Erfolgen ziviler Konfliktbearbeitung, aber umso mehr vom krachenden Scheitern überambitionierter Interventionen.


Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, eine Nationale Sicherheitsstrategie vorzulegen. Dieser Prozess bietet eine gute Gelegenheit, die Bedeutung und Wirksamkeit von ziviler Konfliktbearbeitung im Rahmen eines vernetzten Ansatzes herauszuarbeiten. Deutschland hat gute Voraussetzungen, seine Führungsrolle in diesem Bereich weiter auszubauen.


Statt sich in ideologischen Grabenkämpfen über das Verhältnis ziviler zu militärischen Mitteln in der deutschen Außenpolitik aufzureiben, sollten staatliche und nichtstaatliche Protagonisten die Aufmerksamkeit für den Krieg gegen die Ukraine und die Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes nutzen, um ihr Engagement für zivile Konfliktbearbeitung zu vertiefen. Dafür sollten Bundestag, Regierung und Zivilgesellschaft die Ziele und Schwerpunktsetzung klären, Gewissheiten in der Analyse von Krieg und Frieden hinterfragen, Ressourcen und Instrumente schärfen sowie konkrete Ansatzpunkte für glaubhafte Strategien entwickeln.


Schwerpunkte setzen

Es gibt heute mehr bewaffnete Konflikte als je zuvor seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach Berechnung der Vereinten Nationen lebt ein Viertel der Menschheit in Gegenden, die von Konflikten betroffen sind. Die Auswirkungen dieser Konflikte sind erheblich. In diesem Jahr waren schon vor der russischen Invasion in der Ukraine 274 Millionen Menschen auf humanitäre Unterstützung angewiesen, ein Rekordwert. Die Covid-19-Pandemie hat einen Vorgeschmack darauf geliefert, wie verheerend sich die immer bedrohlicher werdende Klimakrise auf die Stabilität von Staaten und Gesellschaften auswirken dürfte. Die Krise des Multilateralismus und die Fragmentierung der internationalen Ordnung verhindern oft ein abgestimmtes internationales Handeln.


Angesichts rapide steigender Bedürfnisse sehen sich Geberländer in wachsendem Maße dazu gezwungen, auszuwählen. Schwerpunktsetzung in der zivilen Konfliktbearbeitung ist nicht nur eine Frage von finanziellen Ressourcen, sondern auch von Personal, Expertise, politischer Aufmerksamkeit und Partnern – Ressourcen, die sich nicht so leicht aufstocken lassen wie ein Haushalt. Mit ziviler ­Konfliktbearbeitung sind etwa Dialogprozesse zwischen verfeindeten Gruppen, der Einsatz mobiler Gerichte oder der Aufbau legitimer öffentlicher Strukturen auf lokaler Ebene nach dem Abzug bewaffneter Gruppen gemeint.


Wenn man die Ziele für Friedenspolitik zu stark moralisch und historisch auflädt – ein Fehler, der in Deutschland gern begangen wird –, dann macht man es sich mit der Schwerpunktsetzung im Zweifel unnötig schwer. Zwar ist es grundsätzlich richtig, sich an hohen ethischen Maßstäben messen lassen zu wollen. Doch sollte darüber nicht der nüchterne strategische Wert von Konfliktbearbeitung vergessen werden.


Zudem gilt es immer wieder, die eigene Rolle zu hinterfragen: Hat man möglicherweise selbst zur Fragilität beigetragen? Entschiedene EU-Sanktionen gegen Russland hätten russischen Kriegsverbrechen in Syrien frühzeitig Einhalt gebieten können, deren Muster sich jetzt in der Ukraine wiederholt. In anderen Krisen wiederum sollte ein Land wie Deutschland sich bewusst machen, inwieweit es selbst die Konflikte verschärft hat – als Rüstungsexporteur oder als Emittent von Treibhausgasen.


In weiter Ferne, so nah

Die 2017 vom Bundeskabinett beschlossenen Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ nennen Anhaltspunkte zur eigenen Schwerpunktsetzung: „die unmittelbare Bedrohung für Frieden und Sicherheit, die Betroffenheit Deutschlands und Europas, die Erwartung an Deutschland zu handeln sowie unsere Fähigkeit, vor Ort einen Mehrwert zu leisten“. Diese Kriterien müssen mit Leben gefüllt werden.


Inwiefern Deutschland und Europa durch Kriege betroffen sind, deren zerstörerische Wirkung nur in den Nachrichtenbildern erlebbar wird, ist nicht immer so leicht nachzuvollziehen wie im Fall der Ukraine. Hier sind es die ukrainischen Familien in den Zügen der Deutschen Bahn, die steigenden Preise an der Zapfsäule oder fehlendes Sonnenblumenöl in den Geschäften, die den Menschen deutlich machen, dass es hier (auch) um ihre Belange geht. Und kommt nicht eine Art unterschwelliger Rassismus zum Vorschein, wenn man von „Städten und Menschen“ spricht, „die so aussehen wie wir“?


Umso wichtiger ist es, die Relevanz und die Wechselwirkungen scheinbar ferner Krisen so konkret und spezifisch wie möglich aufzuzeigen. Angst ist dabei ein schlechter Berater. Angst vor Terrorismus, Angst vor organisierter Kriminalität, Angst vor Geflüchteten führen zu Erpressbarkeit, zu faulen Deals mit problematischen Regimen und zu falschen oder zumindest nicht nachhaltigen Antworten. Besser ist es, herauszustellen, wie stark Deutschland und Europa von einer vernetzten und offenen Ordnung profitieren.


Oft würde es schon genügen, aus den ernüchternden Erfahrungen, liberale Friedensordnungen zu fördern, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Denn das würde dazu führen, dass man sich stärker an – progressiven – Interessen orientierte als an überschießenden normativen Zielen. Realistische Ziele sollten darauf ausgerichtet sein, eskalierende Entwicklungen mittels politischem Druck frühzeitig abzubremsen, die Folgen von Unrecht und Gewalt abzufedern (etwa durch den Kampf gegen Straflosigkeit) und da, wo es möglich ist, eine Konflikttransformation, also tiefe Reformprozesse von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, zu unterstützen. Die Situation durch eigenes Handeln oder Unterlassen nicht noch weiter zu verschlimmern, kann manchmal schon das Wichtigste sein.


Gewissheiten hinterfragen

Realistische Ziele sollten auf einer klaren Konfliktanalyse basieren. Die breitere Auseinandersetzung mit Gewaltprozessen anhand der russischen Invasion in der Ukraine kann helfen, verbreitete Gewissheiten zu hinterfragen, die auch in innerstaatlichen Konflikten eine Rolle spielen.


Für viele kam der russische Angriff überraschend, obwohl es zuvor zahlreiche Warnungen und detaillierte Hinweise etwa der amerikanischen Nachrichtendienste gegeben hatte. Während der russische Truppenaufmarsch sich über Monate vor den Augen der Welt hinzog, schien die Vorstellung eines breit angelegten Angriffs gegen einen souveränen Staat aus der Zeit gefallen – und angesichts der drohenden Wirtschaftssanktionen und Russlands ohnehin bereits bestehendem Einfluss in der Ostukraine auch nicht rational. Eine Herausforderung war es also, den passenden Maßstab dafür zu finden, was Russlands Führung antrieb. Die toxische Männlichkeit des abgeschotteten Herrscherzirkels um Putin und dessen imperiale Fantasien waren möglicherweise wichtiger als eine kühle Kalkulation der Kosten für Staat und Bevölkerung.


Auch der Verlauf des russischen Angriffskriegs gibt Anlass, manche Gewissheiten zu hinterfragen. Die langsamen militärischen Fortschritte der russischen Streitkräfte trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit gegenüber der Ukraine unterstreichen, dass kriegerische Auseinandersetzungen ausgesprochen dynamische Prozesse sind, die keinem mechanischen Schema folgen.


Analysten und Nachrichtendienstmitarbeiter sollten stärker als bislang in Szenarien denken, über die Bedingungen für mögliche Zukünfte sprechen und dabei ihre Annahmen und die damit verbundene Unsicherheit offenlegen. Sie sollten auf Kipppunkte, strukturelle Faktoren und mögliche Entscheidungspfade hinweisen, die das umreißen, was Soziologen einen Raum der Möglichkeiten nennen. Konkrete Ansatzpunkte für Veränderungen helfen, präventiv zu agieren, um Bedrohungen abzuwenden. Die politischen Empfänger sollten solche Szenarien einfordern, statt nur zu fragen, wer gewinnen und verlieren wird.


Umgekehrt können Erfahrungen der zivilen Konfliktbearbeitung aus anderen Krisenherden auch für den Krieg in der Ukraine relevant sein. Wenn es etwa um die Mechanismen der Konfliktbeendigung geht, so haben die Vertreterinnen und Vertreter deutscher Mediationsorganisationen darauf hingewiesen, was bei Verhandlungen in der Ukraine aus ihrer Sicht wichtig ist. So sollten Drittparteien in „hocheskalierten Konflikten“ zunächst nicht auf inhalt­liche Kompromisse drängen, sondern eher anbieten, einen klaren Verhandlungsprozess zu strukturieren. Zudem gilt, dass der Erfolg von Verhandlungen eine Frage von Zeitpunkt und Bedingungen wie dem Vorhandensein einer (auch nur vermeintlich) guten Alternative zu einer Einigung sind.


Wissen, was wirkt

Ein zentraler Bestandteil der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende ist die dauerhafte Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Wer aus dieser Steigerung militärischer Fähigkeiten einen neuen Führungsanspruch Deutschlands für das internationale Krisenmanagement ableitet, kann dies erst recht für die zivile Konfliktbearbeitung tun.


Deutschland ist hier seit 2017 der größte Geber. Laut Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gab die Bundesregierung 2020 über 666 Millionen Dollar für „zivile Friedensförderung, Konfliktprävention und Konfliktbeilegung“ aus – mehr als ein Viertel aller Geber in diesem Bereich. Damit liegt Deutschland weltweit auf dem Spitzenplatz, vor der EU, den USA und Großbritannien. Damit das so bleibt, müsste der Bundestag vor allem die mit dem Ende des dortigen Einsatzes entfallenden Mittel des Stabilitätspakts für Af- ghanistan (170 Millionen Euro im Jahr 2021) kompensieren und Sparpläne der Bundesregierung, den Haushalt des Auswärtigen Amts in den kommenden fünf Jahren um über ein Viertel zu kürzen, stoppen.


Helfen könnte bei den Haushaltsverhandlungen eine systematische und übergreifende Analyse des deutschen Engagements für zivile Konfliktbearbeitung. Bislang gibt es solche Auswertungen nur vereinzelt, da sie in der Regel auf Projekt- und Programmebene stattfinden. Im Frühjahr 2022 erschien die erste ressortübergreifende Evaluation des Engagements von AA und BMZ zur Stabilisierung des Irak von 2014 bis 2019. Weitere sollen folgen, insbesondere für das Engagement in Afghanistan. In beiden Fällen erfolgt die externe Begutachtung allerdings für den zivilen Bereich getrennt vom militärischen Einsatz, obwohl sich Deutschland gerade hier auf die Fahnen geschrieben hatte, dass zivile und militärische Mittel im Rahmen des vernetzten Ansatzes zusammenwirken sollten.


Die Irak-Evaluation kam zu dem Ergebnis, dass die beiden Ressorts „einen signifikanten Beitrag zur Bearbeitung der Krise“ leisten konnten. Ein wichtiger Gradmesser war, dass es auch aufgrund des deutschen Engagements gelang, die Bedingungen für eine Rückkehr von fast 75 Prozent der Binnenvertriebenen zu schaffen, die vor dem IS und den Kämpfen geflohen waren. Neben stabilisierenden Maßnahmen im engeren Sinne kamen insbesondere humanitäre Hilfe und strukturbildende Übergangshilfe zum Einsatz – und das in einem Umfang von insgesamt 2,1 Milliarden Euro im Betrachtungszeitraum 2014 bis 2019.


Dass zivile Konfliktbearbeitung in fragilen Kontexten oft mit einem erheblichen Risiko des Scheiterns einhergeht, liegt auf der Hand. Einige der Gründe für mangelnde Wirksamkeit liegen in der Konfliktdynamik begründet und können von der Bundesregierung nicht beeinflusst werden. Ihre eigenen Mechanismen kann sie jedoch verbessern. Dazu gehört zum einen, schnell und flexibel zu reagieren, wenn eine Krise sich zuspitzt oder sich Möglichkeiten des Wandels auftun. Dazu gehört zum anderen, auch in verzwickten Konflikten so zu handeln, dass man anschlussfähig an längerfristige Entwicklungszusammenarbeit bleibt.


Wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, um ein positives Beispiel zu nennen, begann das Auswärtige Amt bereits damit, erste Treibstofflieferungen an die Ukraine zu organisieren. In anderen Situationen ging es nicht so schnell. So war der Großteil der Stabilisierungsmaßnahmen zur Unterstützung des demokratischen Übergangsprozesses im Sudan auch zwei Jahre nach dessen Beginn noch nicht eingetroffen – dann kam es zum Putsch im Oktober 2021.


Besonders nachhaltig ist die Friedensförderung für gewöhnlich, wenn lokale Partner sie tragen. Doch schwache Regierungen sind oft überfordert, wenn es darum geht, eine Vielzahl von internationalen Akteuren zu koordinieren, von denen jeder seine eigenen Finanzierungs- und Unterstützungsmechanismen mitbringt. Ein gemeinsamer, multilateraler Mechanismus kann hier helfen.


Schließlich braucht es genügend Personal an deutschen Auslandsvertretungen und in Stabilisierungsprojekten, um einen regelmäßigen Dialog mit den politisch Handelnden jenseits der Regierung zu führen, um sich mit internationalen Partnern abzusprechen und um analytisch abgesichertes Wissen an die Entscheidungsebene der eigenen Behörden zu liefern. Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampelregierung dazu verpflichtet, das Auswärtige Amt ausreichend auszustatten und zivile Planziele für die schnelle Bereitstellung von Personal zu definieren.


Strategiefähiger werden

Um alle Elemente zusammenzubringen, müssen die Handelnden strategiefähiger werden. Strategiefähigkeit heißt, die eigenen Annahmen zu reflektieren, ­Ansatzpunkte für eigenes Handeln zu identifizieren und dieses bei Bedarf flexibel anzupassen. Ebenso wie wir darüber diskutieren, wie einzelne Waffensysteme bestimmte Fähigkeiten der ukrainischen Streitkräfte stärken, gilt es aufzuzeigen, wie genau die vielen zivilen Einzelmaßnahmen Deutschlands und seiner Partner sich zu einem kohärenten Ansatz in der Konfliktbearbeitung fügen.


Klingt selbstverständlich? Das sollte es für den größten Geber in Sachen zivile Konfliktbearbeitung sein, ist es in der Praxis aber nicht. Weder im Irak noch in Mali hat die Bundesregierung eine gemeinsame, ressortübergreifende Länderstrategie. Das Ressortprinzip führt oft zu Konkurrenz um Sichtbarkeit und Ressourcen zwischen Ministerien, befeuert von der jeweiligen politischen Spitze.


Gleichwohl gibt es Fortschritte in der Ressortkoordination. Die „gemeinsame Analyse und abgestimmte Planung“ sind ein Abstimmungsprozess von AA und BMZ für Länder, in denen beide mit Projekten tätig sind. Hier wird nach konkreten Ansatzpunkten Deutschlands oder der Wirkungs- und Interventionslogik von Projekten gefragt. Allerdings ist ein gemeinsamer Vermerk noch keine Länderstrategie. Wichtig wäre es, für einen mehrjährigen Zeitraum zentrale Annahmen, angepasste Ziele, Wechselwirkungen, Synergien und mögliche rote Linien aufzuzeigen. Eine belastbare Strategie sollte Ansätze nicht nur für ein Best-case-Szenario, sondern für verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten bereithalten. Rückschläge sind in Übergangsprozessen der Normalfall.


Solche Strategien auszuarbeiten, ist aufwendig und daher erstmal nur für wenige Schwerpunktländer zu leisten. Neben dem gemeinsamen Einüben von Verfahren ist es wichtig, die unterschiedlichen Perspektiven der Mitstreiter auf die gemeinsamen Ziele zu verstehen. ­Szenario-Übungen bis auf Kabinettsebene wie in den USA können zu einem gemeinsamen Verständnis über die Arbeitsebene hinaus beitragen. Gemeinsame Haushaltsmittel können Anreize zur Abstimmung setzen – wie es bereits bei AA und Bundesverteidigungsministerium für die Ertüchtigung von Sicherheitskräften praktiziert wird.


Schließlich braucht es hochrangige politische Führung. Wenn Mitglieder der Bundesregierung durch robuste Szenario-Übungen gegangen sind, sollte es ihnen leichter fallen, ihre internationalen Partner und das heimische Publikum zu überzeugen, statt wie in der Vergangenheit bei Ansätzen mitzumachen, an die sie selbst nicht so recht glauben. Expertinnen und Experten können ihren Beitrag über einen Wettbewerb der konstruktivsten ­Ideen für Konfliktbearbeitung leisten.


Klare politische Ziele ergeben thematische und geografische Schwerpunkte. Eine umfassende Konfliktanalyse berücksichtigt die Dynamik und Kontingenz von Gewaltprozessen. Zuverlässig wachsende Ressourcen erlauben es einem für fragile Kontexte geschulten Personal, schnell, effektiv und konfliktsensibel zur Stärkung legitimer öffentlicher Institutionen und Dienstleistungen beizutragen. Diese Überlegungen fließen in länderspezifische Strategien als Ergebnis ressortgemeinsamer Szenario-Übungen ein. So könnte eine Zeitenwende auch für die zivile ­Konfliktbearbeitung gelingen.

Die Spoiler von Darfur

Im Schatten des gescheiterten Übergangsprozesses verschärft sich die Konfliktsituation in Sudans Westen

SWP-Aktuell 2022/A 54, 26.08.2022

Das Juba-Friedensabkommen von Oktober 2020 hat nicht zu einer Befriedung der sudanesischen Konflikte geführt. Stattdessen hat es vor allem neue Allianzen zwi­schen bewaffneten Gruppen und Sicherheitskräften geschaffen. Nach ihrer jahr­zehntelangen Marginalisierung prägen nun Gewaltunternehmer aus der Peripherie die nationale Politik Sudans und unterminieren eine mögliche Rückkehr zu einem demokratischen Übergangsprozess. Die Unsicherheit in Darfur könnte eskalieren und zu einer weiteren Destabilisierung des Landes beitragen. Internationale Geber sollten einerseits Druck auf diese Gewaltunternehmer ausüben, damit sie die Macht abgeben, und andererseits umsichtig Friedensprojekte in Darfur fördern.

Sudans politische Krise hält an. Im Juli 2022 haben zwar sowohl General Abdel Fattah al-Burhan, der Führer der Sudanesischen Streitkräfte (SAF), als auch Generalleutnant Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti, der Führer der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF), versprochen, die Macht an eine zivile Regierung abzugeben, sofern die politischen Parteien und gesell­schaftlichen Bewegungen zu einer ent­sprechenden Einigung kämen. Doch von einem neuen Übergangsprozess unter einer funktionierenden nicht-militärischen Füh­rung mit breitem Rückhalt in der Bevölkerung ist Sudan nach wie vor weit entfernt. Die Sicherheitskräfte üben seit ihrem Putsch im Oktober 2021 faktisch die Herrschaft aus und haben lediglich eine geschäftsführende Regierung ernannt.

Ein Haupthindernis für ein Ende der politischen Krise sind Vertreter bewaffneter Gruppen, die den Putsch unterstützten (siehe Infokasten). Diese wurden im Zuge der Umsetzung des Juba-Friedensabkom­mens (JPA) vom Oktober 2020 Teil der Regierung.

Ihre Machtbeteiligung hat Sudans Peripheriekonflikte nicht befriedet, sondern heizt diese eher an. Wie so oft in Sudan übersteigt die bewaffnete Gewalt in den Regionen diejenige im Zentrum um ein Vielfaches. Während in Khartum seit dem Putsch bislang rund 120 Menschen durch das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte bei Demonstrationen ums Leben kamen, starben im gleichen Zeitraum etwa zehnmal so viele Menschen bei Angriffen und bewaffneten Auseinandersetzungen außerhalb der Hauptstadt – besonders viele in den fünf Bundesstaaten der west­lichen Darfur-Region.

Sudans Gewaltunternehmer

Staatliche Sicherheitskräfte, deren Organisa­tion gesetzlich geregelt ist:
■ Sudanesische Streitkräfte (SAF, geführt von General Abdel Fattah al-Burhan)
■ Rapid Support Forces (RSF, hervorgegangen aus Janjaweed-Milizen aus Darfur, geführt von Generalleutnant Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti)
■ Polizei, Central Reserve Police, General Intelligence Service (GIS)

Bewaffnete Gruppen: 13 Unterzeichnergruppen des Juba-Friedensabkommens vom 3.10.2020 aus ganz Sudan, darunter :
■ Justice and Equality Movement (JEM, isla­mistisch, Darfur, geführt von Finanzminister Gebreil Ibrahim)
■ Sudan Liberation Army – Minni Minawi
(SLA-MM, Darfur, geführt von Minni Minawi, Gouverneur der Region Darfur)
■ Sudan People’s Liberation Movement North/ Revolutionary (SPLM-N, Blue Nile, geführt von Malik Agar, Mitglied des Übergangsrats)
Nicht-Unterzeichnergruppen und ethnisch/ tribale Milizen, teilweise in Libyen ansässig, darunter :

■ Sudan Liberation Army – Abdel Wahid (SLA-AW, Jebel Marra/Darfur, geführt von Abdel Wahid al-Nur, wichtigste Gruppe in Darfur)
■ Sudan People’s Liberation Movement-North (SPLM-N (al-Hilu), Nubaberge, geführt von Abdel Aziz al-Hilu, Gruppe mit der größten territorialen Kontrolle in Sudan).

Die meisten Unterzeichnergruppen waren ursprünglich Teil der politischen Gruppe der Forces of Freedom and Change (FFC), spalteten sich im Oktober 2021 jedoch ab und nannten sich fortan FFC-National Accord (FFC-2), ab August 2022 National Consensus Forces. Burhan ist der Vorsitzende des Übergangsrats, Hemedti bezeichnet sich als dessen Stellvertreter, auch wenn diese Position offiziell nicht vorgese
Sudans Gewaltunternehmer

Die sudanesische Regierung versucht, die Gewalt in Darfur zu entpolitisieren und als reine »Stammeskonflikte« darzustellen. Tat­sächlich haben die Auseinandersetzungen dort jedoch komplexe Ursachen. Die vola­tile politische Situation in Khartum ver­schärft die lokalen Spannungen in der Peri­pherie, während der Prozess zur Beilegung der Konflikte in Darfur und den anderen Randregionen Sudans die Machtverhält­nisse in Khartum zugunsten von wenig demokratiefreundlichen Gewaltunter­nehmern verschiebt.

Konfliktdynamik im Wandel

International hat die Region Darfur vor allem wegen der Gewaltexzesse gegen die Zivilbevölkerung in den Jahren 2003/04 traurige Berühmtheit erlangt, Massen­verbrechen, die der zu jener Zeit amtier­ende US-Außenminister Powell als Völker­mord bezeichnete. Damals terrorisierten von der sudanesischen Regierung bewaff­nete und unterstützte Milizen (Janjaweed) die Zivilbevölkerung.

Die aktuellen Ereignisse erreichen diese Dimension nicht. Seit Beginn der sudanesischen Revolution im Dezember 2018 sind laut einer Datenbank (ACLED) über 2.600 Menschen in den fünf Darfur-Bundesstaaten durch bewaffnete Gewalt umgekommen. Die Zahl der Binnenvertriebenen in Sudan (die sich in Darfur konzentrieren) stieg zwi­schen 2020 und 2021 von 2,3 auf 3,2 Mil­lionen.

Die wichtigsten Konfliktparteien haben sich verändert. Bereits zum Zeitpunkt des Sturzes von Omar al-Bashir im April 2019 hatten die meisten bewaffneten Gruppen aus Darfur den Schwerpunkt ihrer Aktivi­täten und Truppen nach Libyen verlagert, vor allem in Form von Söldnerdiensten im Auftrag Khalifa Haftars und bezahlt von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE).

Noch 2018 waren Zusammenstöße zwi­schen Rebellen (vor allem der SLA-AW) und Sicherheitskräften für die meisten Opfer organisierter Gewalt verantwortlich. Mitt­lerweile fordern Auseinandersetzungen mit und unter ethnisch gruppierten, irregulären Milizen die höchste Zahl an Menschenleben, insbesondere wenn Angehörige der arabischen Rizeigat beteiligt sind. Der Wan­del der Konfliktdynamik zeigt sich auch an der Verlagerung der geographischen Hot­spots: weniger Vorfälle in Zentral-Darfur, der Basis der SLA-AW, und mehr in Süd- und West-Darfur (siehe Karte, S. 4).

Die Gewaltausbrüche in Darfur folgen einem Muster. Auslöser sind häufig indivi­duelle Streitigkeiten und kriminelle Vor­fälle. Angehörige unterschiedlicher ethni­scher Gruppen ziehen teilweise gleich die gesamte Gruppe eines Antagonisten für die Wiedergutmachung von dessen Fehlverhalten zur Rechenschaft. Die angegriffene Bevölkerungsgruppe ist oft auch bewaffnet und setzt sich zur Wehr. Staatliche Sicher­heitskräfte halten sich zurück, greifen ver­spätet ein oder räumen gar das Feld, weil sie der angreifenden Übermacht nicht ge­wachsen sind. In solche gewaltsamen Zu­sam­menstöße können schon mal bis zu 3.000 Kämpfer mit Fahrzeugen auf Seiten der Rizeigat involviert sein. Berichten zu­folge tragen manche von ihnen bei ihren Angriffen Abzeichen der offiziellen RSF.

Alte und neue Konfliktursachen

Die aktuelle Konfliktdynamik in Darfur lässt sich sowohl auf die lange Wirkung früherer Gewalt zurückführen als auch auf Einflüsse des Machtkampfs in Khartum.

Zum einen verschärft sich wegen einer klimatischen Verschiebung die Konkurrenz von Gruppen, die unterschiedlichen Erwerbs­formen nachgehen. Die Wüste breitet sich aus und Regenfälle werden erratischer. Menschen, die vorwiegend Ackerbau be­treiben, geraten mit Gruppen in Konflikt, die überwiegend nomadisch von Viehzucht leben. Oft geht es um die Nutzung von Acker- bzw. Weideland und Wasser.

Zweitens gibt es sozio-ökonomische Un­gleichheiten und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Am schlechtesten ist der Zugang zu Gesundheit und Bildung in der nomadischen Gemeinschaft in Darfur. Nur 9 Pro­zent der 9–13-jährigen Mädchen und 17 Prozent der Jungen gehen zur Schule, während immerhin jedes zweite binnen­vertriebene Kind eine Schule besucht. Die­ser bemerkenswerte Befund scheint auch die Folge einer einseitigen internationalen Unterstützung zu sein, die sich auf die Ver­triebenen konzentriert hat.

Drittens sind traditionelle Konfliktbearbeitungsmechanismen durch Jahrzehnte des Bürgerkriegs, Reformen der kommunalen Verwaltung und die Aufrüstung ethni­scher Milizen geschwächt. Als marginalisierte Gruppen gegen die damalige Regie­rung aufbegehrten, bewaffnete und unter­stützte Khartum arabische, regierungstreue Milizen, damit diese die Aufstände bekämpf­ten. Dabei instrumentalisierte die damalige sudanesische Regierung auch die unter der arabischen Bevölkerung verbreitete Vor­stellung einer Vorherrschaft gegenüber den nicht-arabischen Bevölkerungsteilen und damit auch gegenüber den Rebellen, die sich aus diesen überwiegend rekrutierten. In der Folge dieser Auslagerung der Auf­stands­bekämpfung sind formelle rechtsstaatliche Mechanismen ausgehöhlt und Polizeikräfte unterminiert worden. Letztere sind oft nicht in der Lage, kriminelle Vor­fälle aufzuklären. Kleinwaffen sind in Darfur weit verbreitet.

Während des Bürgerkriegs entwickelte sich Sudan zu einem »militarisierten poli­tischen Marktplatz«. Gewaltsame Ausein­andersetzungen dienen politischen Gewalt­unternehmern als Instrument, um sich bemerkbar zu machen und den Preis für ihre Loyalität in Verhandlungen mit Regie­rungsrepräsentanten zu erhöhen. Der suda­nesische Übergangsprozess 2019 und der Militärputsch 2021 haben eine neue Dyna­mik in diesen Marktplatz gebracht. Sowohl (arabische) nomadische Stämme als auch (nicht-arabische) Vertriebenengruppen in Darfur fühlten sich durch das neue Arrange­ment in Khartum gestärkt. Erstere rechneten auf Unterstützung durch den Aufstieg Hemedtis, der selbst einem Rizeigat-Stamm angehört. Und unter den Binnenvertriebenen wuchs die Hoffnung, von einem Friedensprozess zu profitieren, der ihnen unter anderem eine dauerhafte Rückkehr zu ihren Feldern ermöglichen würde. Wo immer dies geschieht, geraten sie dabei allerdings in der Regel in Konflikt mit den aktuellen Nutzern der Böden.

Verschärft wird die Gewalt in Darfur durch Rivalitäten zwischen bewaffneten Milizen um Einfluss in Khartum. Einige arabische Gruppen fühlen sich durch die Rekrutierung von nicht-arabischen RSF-Mitgliedern und Hemedtis Bündnis mit den Unterzeichnern des JPA zurückgesetzt. Ihr Verlangen nach Aufmerksamkeit und Patronage äußert sich in wiederkehrenden Angriffen auf Dörfer und Vertriebenen-Camps. Durchaus mit Erfolg: Im Sommer 2022 verbrachte Hemedti mehr als einen Monat in West-Darfur.

Derweil organisieren sich wieder vermehrt Selbstverteidigungseinheiten, wie die der Masalit in West-Darfur. Mit ihrer hoch­wertigen Bewaffnung sind diese in der Lage, den angreifenden Rizeigat-Milizen mitunter hohe Verluste zu bescheren.

Hemedti selbst macht islamistische Kräfte, die loyal zur alten Bashir-Regierung sind, für die Gewaltausbrüche in Darfur verantwortlich. Diese verfolgten das Ziel, seine RSF-Kräfte in der Peripherie zu binden. Die genaue Rolle der Islamisten bleibt unklar, doch ist deutlich, dass sie im Schatten des Putschs Aufwind bekommen haben. Ihre Vertreter sind zurück im öffentlichen Dienst und Bashirs früherer Außenminister Ali Karti wurde kürzlich zum Generalsekre­tär der Sudanesischen Islamischen Bewegung ernannt. In den SAF verfügt die Bewegung weiterhin über Einfluss. Die Islamisten sehen Hemedtis RSF als schwer zu kontrollierende Konkurrenz zu den SAF.

Friedensabkommen mit Schwachstellen

Die aktuelle Gewalt in Darfur offenbart auch die Schwächen des JPA und seiner Umsetzung. Diese verschärfen Sudans politische Krise.

Die wichtigsten bewaffneten Gruppen (u.a. JEM, SLA-MM, SPLM-N, siehe Infokasten) solidarisierten sich noch vor dem JPA mit den zivilen Akteuren, mit denen sie im Januar 2019 die »Erklärung für Frieden und Wandel« unterschrieben, das Gründungsdokument der »Kräfte für Frieden und Wan­del« (Forces of Freedom and Change, FFC). Im Laufe der Revolution wurden sie jedoch marginalisiert. Es waren schließlich die ge­waltfreien Methoden der Zivilgesellschaft, die Bashir und eine erneute Militärherr­schaft zu Fall brachten, nicht der jahrzehn­telange bewaffnete Kampf der Rebellen. Für die FFC-Vertreter hatte die Einsetzung einer zivil geführten Übergangsregierung oberste Priorität. Deren Installation wollten sie nicht durch Friedensverhandlungen ver­zögern, die stattdessen eine der Aufgaben ebenjener Übergangsregierung sein sollten.

Die Friedensverhandlungen begannen im Oktober 2019 in Juba mit Südsudan als Mediator. Die zivilen Teile der Übergangsregierung überließen die Gespräche über­wiegend Vertretern der Sicherheitsorgane. Das Ergebnis, das im Oktober 2020 feierlich signiert wurde, bot den unterzeichnenden Akteuren bisher vor allem Gelegenheit, sich zu bereichern und mit politischen Posten zu versorgen. Zur Befriedung der Region hat es kaum beigetragen. Denn zum Zeitpunkt der Unterzeichnung hatten die Beteiligten kaum noch eigene Truppen in Darfur oder anderen Teilen Sudans (mit Ausnahme von Blue Nile im Süden). Gleichzeitig waren die­jenigen Player, die für die Konfliktdynamik in Darfur die wichtigste Rolle spielten, nicht adäquat vertreten. Hemedti selbst konnte nicht für alle arabischen Gruppen sprechen. Schließlich waren weder Vertriebene, Frauen oder junge Menschen ausreichend be­teiligt. Die SLA-AW lehnte die Gespräche ab.

Von den vielen Versprechen, die das JPA für marginalisierte Bevölkerungsteile in der sudanesischen Peripherie enthält, konnten kaum welche eingelöst werden. Denn be­reits bei der Unterzeichnung war abzusehen, dass die Regierung für die Umsetzung des Abkommens auf internationale Geber an­gewiesen sein würde. Diese zeigten sich je­doch wenig bereit, ein Friedensabkommen substanziell zu unterstützen, in dessen Zu­standekommen sie kaum eingebunden waren. Die Klärung vieler Details hatte das JPA zudem Umsetzungskommissionen überlassen.

So legt das Abkommen nicht fest, wie viele Kämpfer demobilisiert oder in regu­läre Truppen integriert werden sollen. Die Regierung ernannte bisher keine Demobilisierungskommission für Darfur. Entgegen den Erwartungen der bewaffneten Gruppen machte Hemedti deutlich, dass er nur einen kleinen Teil ihrer Kämpfer in die RSF inte­grieren wolle.

Das JPA sieht die Bildung einer gemeinsamen Schutztruppe vor, die zur Hälfte aus Regierungstruppen und zur anderen Hälfte aus bewaffneten Gruppen gebildet werden soll, mit einer Gesamtstärke von 20.000. Diese Truppe war ein wesentliches Argu­ment der Übergangsregierung, sich für den Abzug der hybriden Friedensmission UNAMID der UN und der Afrikanischen Union (AU) in Darfur einzusetzen, deren Mandat Ende 2020 auslief.

Mit erheblicher Verspätung meldete die Regierung jedoch erst Ende Juni 2022 den Abschluss der Ausbildung der ersten 2.000 Mitglieder der gemeinsamen Schutztruppe. Es ist im Übrigen unklar, warum diese bes­ser in der Lage sein soll, die Zivilbevölkerung vor Gewaltexzessen zu schützen, als die ein­zelnen Verbände, die in ihr aufgehen. Nach dem Abzug von UNAMID ist die Aussicht auf eine erneute internationale Friedens­mission jedoch äußerst gering, so dass nur sudanesische Einheiten in Frage kommen.

Auch die Ständige Waffenstillstandskommission, die mit dem JPA ins Leben gerufen wurde, kann nur einen bescheidenen Beitrag leisten. Die United Nations Integrated Transition Assistance Mission in Sudan (UNITAMS) sitzt der Kommission und ihren sektoralen Untereinheiten vor, die aus Vertretern der Unterzeichner des JPA bestehen. Die Kommission unterstützt die Demobilisierung bzw. das Training von An­gehörigen der bewaffneten Gruppen und kann auf Antrag einer der Vertragsparteien Verletzungen des Waffenstillstands unter­suchen. Allerdings zählen diejenigen, die an Konflikten beteiligt sind, häufig nicht zu einer der Unterzeichnergruppen.

Neue Spieler in Khartum

Die Konfliktdynamik in Darfur hat erheb­liche Auswirkungen auf die nationale Poli­tik Sudans. Hemedtis Aufstieg zum bedeu­tendsten politischen Unter­nehmer des Lan­des erschüttert die hergebrachten Fun­da­mente der Politik in Khartum. Darfur dient ihm gleichermaßen als Einnahmequelle, Rekrutierungsbasis für die RSF wie auch zum Aufbau einer Basis für seine politischen Ambitionen auf nationaler Ebene.

Hemedti agiert dabei sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite von Sicherheit in Darfur. Wenngleich grö­ßere Gewaltakte eine Herausforderung für seine Autorität bedeuten, erlauben sie es dem RSF-Führer, sich als Friedensstifter bei tribalen Versöhnungskonferenzen zu prä­sentieren. Die dort getroffenen Verein­barun­gen rühren allerdings nicht an den Wurzeln der Konflikte. Übergriffe seiner eigenen RSF auf Dörfer und Vertriebenenlager bleiben in der Regel ungeahndet, was ein Klima der Straflosigkeit erzeugt. So soll der Vorsitzende des Friedens- und Versöhnungskomitees und Kommandeur der RSF in West-Darfur, Mousa Ambeilo, Ende 2019 selbst einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung angeführt haben.

Der Friedensprozess von Juba erlaubte es Hemedti überdies, Allianzen mit seinen früheren Gegnern zu schmieden. Wie die Rebellen traute er den sudanesischen Streit­kräften unter der Führung Burhans nicht. Versuchen, die RSF in die reguläre Armee zu integrieren, widersetzt er sich. Hemedti konnte über die Zusammenarbeit mit den bewaffneten Gruppen ein »Gegengewicht zur Transition im Zentrum« und damit zum Einflussbereich der SAF und der zivilen Parteien des FFC aufbauen.

So unterminierte der Friedensprozess von Juba von Anfang an demokratische Prozesse. Die Übergangsregierung sicherte den bewaffneten Gruppen zu, dass ein Über­gangsparlament so lange nicht einberufen werde, wie die Verhandlungen liefen. Dif­ferenzen innerhalb der FFC blockierten auch nach dem Friedensabschluss die Bil­dung des Übergangsparlaments, das einen Gegenpol zum Sicherheitssektor hätte bil­den können. Das JPA bescherte den Milizen wichtige Regierungspositionen. Der Ein­fluss, den sie von dort ausüben konnten, ging weit über ihre tatsächliche politische Bedeutung hinaus. So wurden Gebreil Ibra­him, der Führer des JEM, Finanzminister, und Minni Minawi, Führer der SLA-MM, Gouverneur der Region Darfur. Die SLA-MM hatte schon seit 2014 nicht mehr in Sudan gegen die Streitkräfte gekämpft, die JEM seit 2015 nicht mehr.

Mit dem Eintritt von Mitgliedern der be­waffneten Gruppen in das Kabinett von Pre­mierminister Abdalla Hamdok im Februar 2021 bestanden auch die FFC-Parteien auf einer direkten Beteiligung an Regierungsposten, für die sie vorher nur Experten nominiert hatten. Das »politischere Kabi­nett« geriet jedoch in einen zunehmend offen ausgetragenen Konflikt mit den Repräsentanten des Sicherheitssektors. Die Vertreter der bewaffneten Gruppen agier­ten dabei als Verbündete des Militärs. Sie erweiterten die politische Basis des Militärs um Unterzeichner der FFC-Erklärung und damit der ursprünglichen Opposition zum Bashir-Regime. Anfang Oktober 2021 spalte­ten sich 16 bewaffnete Gruppen, angeführt von JEM und SLA-MM, von den FFC als »FFC National Accord« bzw. FFC-2 ab. Kurz darauf organisierten sie eine Sitzblockade in Khartum und forderten die anderen FFC-Parteien auf, die Regierung zu verlassen. Konsequenterweise stellten die bewaffneten Gruppen praktisch die einzigen Minister und Vertreter im Übergangsrat, die nach dem Putsch vom 25. Oktober 2021 ihre Positionen behielten.

Schließlich erschwerten die FFC-2-Ver­treter die Vermittlungen des Trilateralen Mechanismus von UNITAMS, AU und der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) im Frühjahr und Sommer 2022. Sie bestanden auf einer »inklusiven« Runde, die islamistische Vertreter (und sie selbst) einschloss, während die verbliebenen Vertreter der mittlerweile FFC-Central Committee oder FFC-1 genannten Gruppierungen die Beteiligung von »Pro-Putsch Parteien« ablehnten. Der Konflikt zwischen FFC-1 und FFC-2 bot dem Militär einen Vor­wand, das »zivile« Lager für die politische Krise verantwortlich zu machen.

Aktuelle Sicherheitsrisiken

Der Aufstieg von Gewaltunternehmern aus Darfur und die mangelnde Umsetzung des JPA bringen erhebliche Risiken für die Sicherheit und Stabilität in der Region mit sich. Ein nicht vorhandenes staatliches Ge­waltmonopol hat Folgen. Erstarkte Selbst­verteidigungsgruppen könnten sich zu Rebellengruppen entwickeln – wie bereits vor 20 Jahren. Konflikte zwischen Bauern und nomadischen Rizeigat könnten weiter eskalieren.

Tausende aus Libyen zurückgekehrte Kämpfer der Unterzeichnergruppen stellen ein Risiko für die Bevölkerung in Darfur dar. Häufig wenden sie sich kriminellen Aktivitäten zu. Gleichzeitig rekrutierten die Signatoren des JPA massenhaft neue Mit­glieder in Darfur, um ihre Gefolgschaft zu stärken. Allein eine Unterzeichnergruppe gab an, bereits 11.000 neue Kämpfer in Darfur angeworben zu haben. Allerdings haben die Gruppen den Rekruten außer dem Versprechen zukünftiger Posten in den staatlichen Sicherheitskräften kaum etwas zu bieten.

Ein Spannungsfaktor ergibt sich aus der möglicherweise gespaltenen Loyalität der Sicher­heitskräfte in Darfur, die offiziell dem Oberkommando von Minni Minawi als Gouverneur von Darfur unterstehen, dessen SLA-MM gleichzeitig für Unsicherheit sorgen.

Überdies haben die bewaffneten Gruppen durch ihre Beteiligung am Putsch in Khartum ein Glaubwürdigkeitsproblem bei ihren Mitgliedern und Unterstützern. Erste Angehörige der Unterzeichnergruppen haben sich bereits von ihren Führern ab­gewandt und verfolgen eigene Ziele.

Darüber hinaus gewinnt die SLA-AW von Abdel Wahid al-Nur an Zulauf, dessen notorische Ablehnung von Verhandlungen ihm ein Image von Vertrauenswürdigkeit verleiht. Ein Versuch der Sudanesischen Kommunistischen Partei, ihn zu einer politischen Allianz zu bewegen, scheiterte jedoch. Der Waffenstillstand zwischen SLA‑AW und SAF hält derzeit.

Historisch gesehen haben die Konflikte der Peripherie – bis auf seltene Aus­nahmen – die Bevölkerung im Zentrum Sudans kaum berührt. Mit der Präsenz der Führer der Darfur-Gruppen und einiger ihrer Kämpfer in Khartum könnte sich das nun ändern. Die Kriminalität soll auch in der Hauptstadt zugenommen haben (die Inflation im dreistelligen Prozentbereich und die wachsende Versorgungskrise tragen ihren Teil dazu bei). Das größte Eskalations­potential hätte eine direkte militärische Konfrontation zwischen den SAF und den RSF. Auch wenn eine offene Auseinandersetzung derzeit unwahrscheinlich ist, stellt sich die Frage, wie lange ihre Führer es schaffen, dass die Kämpfe zwischen den rivalisierenden Sicher­heitskräften auf Darfur beschränkt bleiben. Möglich wären auch gewaltsame Konflikte zwischen und mit ihren jeweiligen verbündeten Milizen wie der Tamazuj, einer Unterzeichner­gruppe, der Verbindungen zum Militär­geheimdienst nachgesagt werden.

Für Sudans Nachbarstaaten besteht das Risiko, dass bewaffnete Gruppen ihre Grenzregionen weiter als Rückzugsräume nutzen oder sich direkt dortigen Konfliktparteien anschließen. Dies betrifft ins­besondere Libyen, wo einige sudanesische Kämpfer weiterhin präsent sind, aber auch Südsudan, Tschad und die Zentralafrika­nische Republik (ZAR).

Ansatzpunkte für internationale Friedensförderung

Die internationale Gemeinschaft kann mit der Bearbeitung der Konflikte in Darfur nicht warten, bis es einen neuen Übergangs­prozess für das ganze Land gibt. Rivalitäten zwischen Gewaltunternehmern um Einfluss und Zugang zu Patronage und Ressourcen werden ohnehin anhalten.

Die Vereinten Nationen rufen zu Recht internationale Geber dazu auf, Friedens­projekte in Darfur zu unterstützen. Effek­tive Programme auf lokaler Ebene können unter Umständen einige der Sicherheits­risiken reduzieren. Denn Darfur ist auch eine Arena für den Machtkampf im Zen­trum des Landes.

Deutschland kann diese Bemühungen im Rahmen seiner Unterstützung für den UN Peacebuilding Fund, bei dem es der größte Geber ist, fördern und nach Möglich­keit lokalen zivilgesellschaftlichen Organi­sationen auch direkt Hilfe leisten.

Für eine effektive Friedensförderung braucht es ein umfassendes und konfliktsensibles Vorgehen, bei dem auf die Bedürf­nisse aller Gruppen eingegangen wird, auch auf jene der nomadischen Viehhirten und sesshafter bzw. vertriebener Bauern. Mit­glieder von Unterzeichnergruppen, die erst nach Abschluss des JPA rekrutiert wurden, sollten nicht mehr von Unterstützungs­angeboten profitieren als Angehörige ande­rer, auch informeller Gruppen. Bei den Maßnahmen zur Friedensförderung sollten die Gewalt-Hotspots in Darfur priorisiert werden. Denkbar sind Programme zur Berufsförderung, Angebote von Grund­versorgungs­leistungen wie Bildung und Gesundheit und Maßnahmen zur Stärkung von lokalen Konfliktbearbeitungskomitees. Letztere sollten nicht nur Stammesältere einbeziehen, wie bei den von Hemedti ver­mittelten Vereinbarungen geschehen, son­dern un­bedingt auch junge Menschen und Frauen.

Das kurzfristige Ziel dieser Maßnahmen sollte sein, die Eskalation von interpersonalen Auseinandersetzungen in größere Kon­flikte mit Dutzenden oder gar Hunderten Toten zu verhindern. Solange der Aufbau von verlässlichen und legitimen staatlichen Strukturen und Basisdienstleistungen nur ein Fernziel bleibt, sollte das Hauptaugenmerk –im Rahmen der humanitären Unterstützung – auf der Stärkung der in­dividuellen Resilienz liegen.

Eine intensivere Friedensförderung von Seiten der EU und Deutschlands sollte ein­hergehen mit einem vertieften diplomatischen Engagement. Die Europäer können sich bei ihren Partnern am Arabischen Golf dafür einsetzen, dass diese einen neuen Übergangsprozess in Sudan unterstützen. Saudi-Arabien und die VAE sind zwar keine Anhänger einer sudanesischen Demokratie, bevorzugen aber Stabilität und Sicherheit in ihrer Nachbarschaft. Dafür bedürfte es einer Fortsetzung der multilateralen Finanz­hilfen. Die Spannungen innerhalb des Sicherheitssektors in Darfur und die tiefe wirtschaftliche Krise Sudans bieten An­knüpfungspunkte für einen entsprechen­den Dialog. Die Aussetzung internationaler Finanzhilfen schwächt die Junta sichtlich. Im Zentrum des internationalen Drucks sollten somit die Gewaltunternehmer aus Darfur stehen, die demokratischen Pro­zessen im Wege stehen.

Äthiopien: Kein Friedensprozess zu Lasten Dritter

Seit mehr als anderthalb Jahren herrscht ein Bürgerkrieg in Äthiopien. Nun bereiten sich die Regierung und Rebellen auf Friedensverhandlungen vor. Für eine nachhaltige Lösung sollten sie wichtige Drittakteure einbinden, meint Gerrit Kurtz.

SWP Kurz gesagt, 20.Juli 2022

In dem seit November 2020 andauernden Konflikt zwischen der äthiopischen Regierung und der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) sind Friedensverhandlungen in Reichweite. Nachdem die Regierung in Addis Abeba Ende Juni ein siebenköpfiges Verhandlungsteam unter der Führung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Demeke Mekonnen ernannte, meldet die TPLF nun, dass auch sie ein Verhandlungsteam ernennen werde. Seit März besteht eine humanitäre Feuerpause im Norden Äthiopiens. So konnten UN-Hilfsorganisationen – nach monatelanger Blockade – wieder Hilfsgüter nach Tigray und die angrenzenden Regionen bringen. 13 Millionen Menschen bleiben jedoch allein im Norden des Landes auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.

Chancen und Risiken von Friedensverhandlungen

Sowohl die TPLF als auch die äthiopische Regierung haben nach mehreren Offensiven erkannt, dass sie ohne größere Verluste keine militärischen Gewinne erwarten können. Für die Regierung sind die Kosten des Kriegs enorm und gefährden Ministerpräsident Abiy Ahmeds wirtschaftliche Reformagenda. Die TPLF steht unter Druck vonseiten der Bevölkerung in Tigray, die humanitäre Situation in dem Bundesstaat zu verbessern. Der Zugang zu Banken sowie dem Strom- und Telekommunikationsnetz bleibt ausgesetzt – und es fehlt an Treibstoff. Laut International Crisis Group sind dem Konflikt mindestens Zehntausende Menschen zum Opfer gefallen, manche Schätzungen gehen sogar von Hundertausenden Opfern durch Hunger und Krankheiten aus. Menschenrechtsorganisationen werfen beiden Seiten und ihren Verbündeten Kriegsverbrechen in Form von Massakern, sexueller Gewalt und Plünderungen vor.

Ein schlechtes Friedensabkommen könnte für weitere Instabilität sorgen – ähnlich wie der Friedensschluss zwischen Äthiopien und Eritrea 2018, der sich zwei Jahre später als Kriegspakt gegen die TPLF herausstellte. Die damalige TPLF-dominierte Regierung hatte 1998-2000 Krieg gegen Eritrea geführt. Eritreische Truppen unterstützten das äthiopische Militär im Kampf gegen die TPLF und verübten einige der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen des Kriegs. Abiy nutzte das gewaltige internationale Kapital, das der Friedensnobelpreisträger aus dem Friedensschluss und seinen innenpolitischen Reformen schlug, für einen kompromisslosen Kurs gegenüber der früheren Regierungspartei TPLF. Die Unterstützung insbesondere der USA für Abiys Kurs ging  so weit, dass sie die äthiopische Offensive gegen die TPLF in der Erwartung eines kurzen Entscheidungskriegs anfangs befürwortete.

So könnten sich auch die möglichen Friedensgespräche zwischen der TPLF und äthiopischen Regierung negativ auf die jeweiligen Verbündeten der beiden Konfliktparteien auswirken. Ein Knackpunkt ist der zukünftige Status West-Tigrays, ein Gebiet, das amharische Milizen am Anfang des Kriegs besetzten und aus dem sie Menschen tigrayischer Abstammung vertrieben haben. Für die TPLF ist die Rückkehr des Gebiets unter ihre Kontrolle ein wichtiges Ziel. Abiy könnte gezwungen sein, Kompromisse zu Lasten der Interessen seiner amharischen Verbündeten zu machen. Schließlich könnte ein bilaterales Abkommen zwischen TPLF und äthiopischer Regierung die Interessen weiterer ethnischer Gruppen berühren. In den vergangenen Monaten gab es die meisten Kämpfe im Bundesstaat Oromia, in dem die Rebellengruppe Oromo-Befreiungsarmee (OLA) für mehr Mitbestimmung der Oromo kämpft, der größten Bevölkerungsgruppe des Landes, aus der auch Abiy stammt. Die OLA ist mit der TPLF verbündet. Eine Stabilisierung im Norden könnte den äthiopischen Streitkräften erlauben, ihre Kräfte weiter auf den Kampf gegen die OLA zu konzentrieren. Verhandlungsgewinne der TPLF könnte die OLA gleichzeitig in ihrem bewaffneten Kampf ermutigen. Auch in anderen Teilen Äthiopiens gibt es immer wieder Massaker und gewaltsame Zusammenstöße, in denen Gewaltunternehmer die ethnische Zugehörigkeit von lokalen Bevölkerungsgruppen instrumentalisieren.

Inklusivität fördern, Gefahren eindämmen

Internationale und regionale Akteure sollten die Konfliktparteien darin unterstützen, einen nachhaltigen und inklusiven Verhandlungsprozess aufzusetzen. Noch konnten sich TPLF und Addis Abeba nicht auf einen Mediator oder einen Verhandlungsort einigen. Während die Regierung die Afrikanische Union favorisiert, zieht die TPLF Kenia vor.

Ein Schlüssel zum Erfolg der Friedensverhandlungen wäre ein schrittweises Vorgehen. Sicherheits- und Versorgungsfragen sollten ganz oben auf der Agenda stehen. Verfassungsfragen wie der zukünftige Status von Tigray, wo die TPLF ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten möchte, sollten in einem größeren Kontext wie dem bereits von der Regierung ausgerufenen nationalen Dialog geklärt werden. Hier könnte sie auch die OLA sowie oppositionelle Parteien aus Tigray involvieren, um so auch die Akzeptanz zu erhöhen. Die Friedensverhandlungen und den nationalen Dialog zu verbinden, könnte den Frieden auf eine breitere Grundlage stellen und helfen, insbesondere Frauen und junge Menschen besser einzubinden.

Eritreas Präsident Isaias Afwerki, Abyis regionaler Verbündeter, lehnt einen Friedensschluss mit der TPLF jedoch ab. Er betrachtet sie als existenzielle Gefahr für sein Regime. Isaias wird sich daher wahrscheinlich nicht in Friedensgespräche einbinden lassen. Mehr noch: Er hat die Mittel, den Friedensprozess durch Kämpfe eritreischer Truppen mit der TPLF auf äthiopischem Gebiet zu stören. Angesichts seiner destruktiven Rolle in Äthiopien und der ungebrochenen Unterdrückung seiner Bevölkerung sollte sich die EU für eine Eindämmungsstrategie entscheiden und ihre gezielten Sanktionen gegen das eritreische Regime ausbauen.

Die Bundesregierung sollte sich im Kreise ihrer transatlantischen Partner um eine einheitliche Position gegenüber äthiopischen Friedensgesprächen bemühen. Das Land benötigt Unterstützung beim Wiederaufbau und der Restrukturierung seiner Schulden. Ein stabiles Äthiopien könnte wieder ein konstruktiver Partner Europas auf dem gesamten Kontinent werden. Ein ganzheitlicher, inklusiver Ansatz für Frieden wäre dafür eine entscheidende Voraussetzung.