Vom Marinestützpunkt zur Luxusriviera

Die Bucht von Kotor in Montenegro diente bereits in der Antike als Marinestützpunkt. Heute ersetzen Luxusjachten und Kreuzfahrtschiffe das Militär, aber der jahrhundertelange Einfluss fremder Mächte hat viele Spuren hinterlassen.

Bucht von Kotor, gesehen von der Festung St. Johan
Bucht von Kotor, gesehen von der Festung St. Johann
Der Blick war überwältigend. Wie ein Keil roter Dächer ragte 280 Meter unter mir die Altstadt von Kotor in die Meeresbucht hinein. Ein breites, tiefblaues Band zog sich bis zum Horizont, wo der innerste und am besten geschützte Teil der Bucht sich durch eine nur wenige hundert Meter breite Enge zum äußeren Becken der Bucht öffnet. Links und rechts erhoben sich steile Abhänge mit schroffen, herausstehenden Felsen, nur leicht mit Bäumen und Gestrüpp grün gesprenkelt. Ich stand auf den Ruinen der Festung von Sankt Johann (San Giovanni), einer venezianischen Befestigungsanlage, die im 15. Jahrhundert errichtet wurde – an einer Stelle, an der bereits die vorrömischen Illyrer Verteidigungsanlagen errichtet hatten.
Die Bucht von Kotor erinnert an norwegische Fjorde, nur wurde sie nicht durch einen Gletscher, sondern durch einen Fluss geschaffen. Durch ihr tiefes Wasser ist sie bis zum Ende schiffbar für Hochseeschiffe. Zu jugoslawischer Zeit lagen an den steilen Hängen mehrere Militärstützpunkte für Titos Flotte; heute kommen Kreuzfahrtschiffe und Luxusjachten hier rein geschippert. Sandalenbewehrte Touristen und breite Sonnenbrillen tragende Jachteigner schlendern nunmehr durch die engen Gassen Kotors und die neu angelegten Promenaden an der 28 Kilometer langen Bucht. Die allgegenwärtige Strandurlaubsatmosphäre verdeckt nur auf den ersten Blick die tiefen Spuren, welche fremde Mächte über Jahrhunderte hier hinterlassen haben – und die Auseinandersetzung der Montenegriner mit diesen.
Promenade von Tivat
Promenade von Tivat

Untergekommen war ich in Tivat, das mit seinen 14.000 Einwohnern zu den mittelgroßen Städten Montenegros gehört. Zu jugoslawischer Zeit gab es hier eine große Schiffswerft, die jedoch in den 1990er Jahren mit dem Bundesstaat zerfiel. 2006 kaufte dann der kanadische Milliardär Peter Munk die Anlage. Sein Ziel: ein „Monaco an der Adria“ zu schaffen, „Porto Montenegro”. Nach erheblichen Investitionen waren bei meinem Besuch die Ähnlichkeiten unverkennbar: eine breite, extrem saubere und mit ausladenden Palmen gesäumte Promenade, Liegeplätze mit Dutzenden riesiger Jachten, Boutiquen, Hotelanlagen, Tennisplätze, ein Jachtclub, eine internationale Schule, selbst Französisch hörte ich häufiger in der Gegend.

Doch Montenegro ist weit entfernt von dem Reichtum des Stadtstaats Monaco; der durchschnittliche Bruttolohn liegt laut Statistikbehörde gerade einmal bei 755 € (Netto 502 €). Die meisten Bewohner Tivats werden sich die Cocktails, Designerkleidungen und Bootstouren nicht leisten können. So haben die Leute von Tivat ein gespaltenes Verhältnis zur Porto Montenegro. Natürlich sorgt die Anlage für lokales Wachstum, Arbeitsplätze und verbesserte Infrastruktur, aber einige hatten sich den Fortschritt doch irgendwie anders vorgestellt, meinten die Gastgeber in meiner Unterkunft.
Gornja Lastva
Gornja Lastva
Weg von dieser Umgebung führt eine schmale Straße das Bergmassiv Vrmac hinauf, das sich hinter Tivat erhebt. Nachdem ich die Häuser hinter mir gelassen habe, begegnen mir in anderthalb Stunden nicht mehr als eine Handvoll Autos in beiden Richtungen. Etwa 300 Meter über dem Meeresspiegel erreiche ich das Örtchen Gornja Lastva. Schmale, mit Schieferplatten befestige und teilweise überwachsene Wege führen zwischen den Häusern entlang. Ich sehe eine Reihe von zerfallenen Gebäuden, deren Bewohner schon lange weggezogen sind, aber auch einige Häuser, die anscheinend noch weiterhin bewohnt sind – auch wenn die meisten Bewohner mittlerweile ins Tal gezogen sind. Die sechshundert Jahre alte Kirche ist von Weitem zu sehen – in dem Vrmac Massiv zwischen Tivat und Kotor liegen noch mehr verlassene Weiler und sehr alte Kirchen. Am Ortseingang erinnert ein Gedenkstein an die „für Freiheit und Sozialismus 1941-45 gefallenen Soldaten“, darunter sechs mit dem gleichen Nachnamen. Im Zweiten Weltkrieg besetzten die Achsenmächte die adriatische Küste, die Bucht von Kotor wurde von Italien verwaltet. Partisanen kämpften jahrelang und am Ende erfolgreich für die Unabhängigkeit der Region.
Auf dem Weg von Tivat nach Kotor
Auf dem Weg von Tivat nach Kotor

Am nächsten Vormittag nehme ich den Bus nach Kotor. Der alte französische Postbus, in dem ein Schild darauf hinweist, dass Schwarzfahren mit 50 Francs bestraft wird, tuckert die schmale Uferstraße entlang. Die Straße führt in den inneren Teil der Bucht, an deren Ende die namensgebende Stadt liegt. Mit jeder Kurve werden die Felsen am gegenüberliegenden Ufer steiler und die Szenerie dramatischer. Das stark von der venezianischen Herrschaft zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert geprägte Kotor scheint, so formuliert es mein Reiseführer, geradezu aus dem Felsen herauszuwachsen. Dicke Festungsmauern umgeben die Alstadt und über dem Haupttor erinnert eine Tafel mit Tito-Zitat an die Befreiung Kotors im November 1944.

Kotor selbst ist sehr touristisch geprägt. Palazzi und orthodoxe Kirchen dominieren das Stadtbild architektonisch. An einer Stelle zeigt eine Tafel den Ort eines Gefängnisses aus österreich-ungarischer Zeit an. Montenegro wurde 1918 zusammen mit den anderen fünf Teilrepubliken als Mitglied des Königtums Jugoslawiens unabhängig von der zerfallenden Donaumonarchie. Kotor ist ohne Zweifel eine hübsche Stadt, aber die vielen Tourismusagenturen, Restaurants, Cafes und Hotels – und die vielen Gäste der vor Anker liegenden Kreuzfahrtschiffe – lassen die eigentlichen Bewohner der Stadt vermissen. Andererseits  leben die meisten hier vom Tourismus; nicht wenige Montenegriner kommen nur während der Hochsaison her und müssen in ein paar Monaten genug verdienen, um damit über das ganze Jahr zu kommen.
Stausee im Norden Montenegros
Stausee im Norden Montenegros

Montenegro ist nicht nur ein zunehmend beliebtes Urlaubsland im westlichen Balkan; es ist demnächst auch unser militärischer Verbündeter. Im Mai unterzeichneten die 28 NATO-Mitgliedstaaten ein Beitrittsprotokoll mit Montenegro. Wenn alle Mitgliedstaaten dieses ratifiziert haben werden, wird Montenegro in ungefähr einem Jahr Mitglied des Militärbündnisses. Einige befürchten schon, dass dann wieder Marineschiffe in der Bucht von Kotor vor Anker gehen könnten. Gerade einmal 2.000 Menschen gehören dem montenegrinischem Militär an, das über Schiffe aus jugoslawischem Bestand verfügt, über 20 Hubschrauber und Landstreitkräfte. Der Beitritt hat somit eher symbolische Bedeutung. Er zeigt die anhaltende Attraktivität und Offenheit der NATO und er hindert Russland daran, die Bucht von Kotor für eigene militärische Zwecke zu nutzen.

Jenseits der strategischen und historischen Bedeutung des Landes lohnt ein Besuch dieses Flecken Erde vor allem wegen seiner beeindruckenden Landschaft. Dazu zählt nicht nur die Bucht von Kotor, sondern ein Großteil des insgesamt sehr bergigen Landes. Auf dem Weg in den Norden Montenegros fuhr ich an herrlichen Seen, grasbedeckten Ebenen zu Fuße von felsigen Hügeln, langen Stauseen umgeben von dunklen, bewaldeten Hängen und tiefen Schluchten mit kristallklarem Wasser entlang. Hinter der Bucht von Kotor ragen links und rechts der Straße spitze, haushohe Felsen in einer Ebene hervor. Im Durmitor Nationalpark liegt mit der Taraschlucht die zweittiefste Schlucht der Erde, in der ich eine adrenalingeladene Wildwasserfahrt unternahm.
Ein Besuch Montenegros ist also absolut lohnenswert und sollte sich nicht allein auf die touristisch am besten erschlossene Küste begrenzen.

High Tea in den Wolken

Während häufig geradezu lächerlich schlechtes Wetter meinen Aufenthalt in Darjeeling im Sinne des Wortes vernebelte, konnte ich dennoch mit der höchsten Eisenbahn Indiens fahren, prunkvolle buddhistische Klöster besuchen und vor allen Dingen reichlich herausragenden aufgebrühten Tee aus der unmittelbaren Umgebung genießen.
Darjeeling4Alle, die in den Bergen leben, haben es natürlich verinnerlicht, genauso wie jede_r Kletter_in – das Wetter am Berg ist unberechenbar. Während die Online-Wettervorhersage von Sonnenschein bei angenehmen zwanzig Grad gesprochen hatte, empfing mich nasskalter Nebel bei meiner Ankunft in Darjeeling. Von hier, am Fuße des östlichen Himalaya, sollte man einen wunderbaren Ausblick auf den höchsten Berg Indiens (und dritthöchsten Berg weltweit), den Kanchenjunga, haben. Majestätisch, mit breiten Schultern sollte er sich über dem mit grünen Teeplantagen übersäten Tal erheben. Doch das konnte ich nur aus den zum Verkauf angebotenen Postkarten erschließen. Die Stadt war in der Regel vollkommen in Wolken eingehüllt, so dass die Sicht häufig unter hundert Meter lag. Die Einwohner bestätigten zwar, dass dies sehr ungewöhnlich für diese Jahreszeit sei, aber andere Reisende berichteten auch, dass das Wetter in den letzten drei Wochen nur äußerst selten besser gewesen sei. So war an ausgedehnte Wanderungen nicht zu denken, gleichwohl die Stadt auch so Beschäftigungsmöglichkeiten bot. Entschleunigung war also unweigerlich.

Darjeeling ist die international sicher bekannteste indische Hill Station, welche die Briten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichteten, um der schwülen Hitze Kalkuttas, des damaligen kolonialen Regierungssitzes, zu entkommen. Der Marktplatz und einige alt eingesessene Hotels verraten den früheren Charakter als viktorianischer Erholungsort noch. Mittlerweile ist die Stadt jedoch stark gewachsen und kann den Einwohnern und Touristen nur noch unzureichend mit ihren engen, steilen Straßen sowie akuten Wasserengpässen Herr werden. Die meisten westlichen Touristen sind Bagpacker, die sich auf ihrem Weg zu sich selbst (und durch Indien) meist gerade auf dem Weg in die wirklichen Berge in Sikkim im Norden Darjeelings befinden.

Der auf ca. 2.200 m gelegene Bergort im Norden Westbengalens liegt gleichzeitig in einem strategisch äußerst bedeutsamen Gebiet. Nur wenige Dutzend Kilometer misst der indische Staat an seiner dünnsten Stelle hier, eingezwängt zwischen Nepal und Bangladesch. In diesem schmalen Streifen verläuft die einzige Verbindung des abgelegenen Nordostens mit dem Hauptgebiet Indiens. Die mittlerweile sieben Bundesstaaten (mit Assam als dem größten unter ihnen) sind nach wie vor deutlich schlechter entwickelt als der Durchschnitt des Landes und vielfach von bewaffneten Aufständen durchzogen. Die indische Armee kann hier weitgehend von öffentlicher Kontrolle entledigt agieren, was auch in jüngster Zeit wieder zu starken Protesten geführt hat.

Darjeeling2Im friedlichen Darjeeling ist davon kaum etwas zu spüren. Separationstendenzen lassen sich jedoch auch hier beobachten. Darjeeling ist so etwas wie die Hauptstadt von „Gurkhaland“, dem Land der Gurkhas. Die Gurkhas sind ursprünglich aus Nepal eingewanderte Inder, deren kollektive Identität stark durch die Kolonialherrschaft geprägt wurde, nicht zuletzt als Hilfstruppen der britischen Armee in den Weltkriegen. In den 1980er Jahren bildeten sich Freiheitsbewegungen der Gurkhas heraus, welche, auch mit Gewalt, einen eigenen Bundesstaat für sich forderten. Der damalige indische Premier Rajiv Gandhi konnte jedoch eine weitere Aufsplitterung des indischen Bundesstaates mit der Einrichtung eines Regionalrats für die Gurkhas verhindern. Nachdem die Hauptakteure der Gurkha-Freiheitsbewegung (Gurkha National Liberation Front) sich gut im parlamentarischen System eingerichtet hatten, wurden diese jedoch durch eine neue Bewegung (Gorkha Jana Mukti Morcha) 2007 ersetzt, welche den Forderungen neuen Schwung verlieh. Die allgegenwärtigen Schilder und Plakate für ein eigenständiges Gurkhaland vermitteln ebenfalls diesen Eindruck.

Darjeeling5Wie auch im Westen des Himalaya in Shimla haben die Briten die Hill Station nicht nur durch eine sich in steilen Serpentinen nach oben schlängelnde Straße erschlossen, sondern auch durch eine Schmalspurbahn. Dieser „Toy Train“ ist mittlerweile UNESCO-Weltkulturerbe. Für die etwa 70 Kilometer von der Talstation nach oben braucht er gemütliche sieben bis acht Stunden. Zurzeit ist aber wegen Erdrutschen nur ein kleiner Teil befahrbar. Die indische Eisenbahn bietet speziell für Touristen dreimal täglich einen „Joy Ride“ ins sieben Kilometer entfernte Ghum an, den höchsten Bahnhof Indiens (2438 m). Wenn möglich, wird diese Fahrt sogar noch mit Dampflokomotiven durchgeführt – bei mir musste jedoch eine Diesellokomotive ausreichen.

Darjeeling3In Ghum, wie auch in Darjeeling selbst, liegen herrliche buddhistische Klöster, die sich abseits der engen Gassen auftun. Viele der Gurkhas sind Buddhisten, die den Dalai Lama als geistiges Oberhaupt verehren, wie die Tibeter. Über und über bemalte Tempelräume der Klöster zeigen wilde Dämonenfratzen, welche die zentrale Buddhastatue einrahmen. Während die in rot-gelbe Gewänder gekleideten Mönche auf den Märkten spazieren gehen oder den Klängen ihres iPods lauschen, finden sich in den spärlich beleuchteten Gebetsräumen gern auch meditierende westliche Touristen – auch eine Art kultureller Austausch.

Vor allem ist Darjeeling aber die Königin des Teeanbaus. An jeder Ecke im Zentrum kann man die Erzeugnisse der über 80 einzelnen Anbaugebiete in der Umgebung erwerben. Das Happy Valley Tea Estate hat nicht nur den Vorteil, bequem zu Fuß zu erreichen zu sein, sondern bietet auch kostenlose Führungen durch ihre Teefabrik an. Am produktionsfreien Sonntagvormittag war ich der einzige Gast, der eine persönliche Führung durch die Anlage erhielt, welche ausschließlich für Exportmärkte in Großbritannien und Deutschland produziert. Dabei lernte ich, dass der Produktionsprozess für schwarzen Tee aus drei Grundstufen besteht – der vorsichtigen Trocknung, der Oxidation (durch Pressen, Drehen und der Zufuhr frischer Luft für drei Stunden) sowie dem Rösten. Danach werden die Teeblätter nach Größen sortiert und verpackt.

High TeaEine ganze Reihe von Faktoren ist bedeutsam für den Geschmack des Tees. Dabei sind die Größen (ganz, gebrochen, Krümel oder Staub) und die Jahreszeiten (first flush, second flush, summer und autumn) nur die offensichtlichsten. Mit Qualität haben diese nämlich noch nicht in erster Linie zu tun. Diese wird vielmehr durch die Bewirtschaftungsweise, die Unterart der Teepflanze und Abstufungen im Herstellungsprozess bestimmt. Höhenlage, Sonneneinstrahlung und Beschaffenheit des Bodens beeinflussen ebenfalls den Geschmack. Daher lassen sich auch jeweils bemerkenswerte Unterschiede zwischen einzelnen Teegärten ausmachen. Grundsätzlich, so habe ich beim Probieren und Kaufen erfahren, sind first flush Darjeelingtees sehr leicht und werden daher immer ohne Milch getrunken. Herbsttees haben dahingegen häufig einen reichhaltigeren, auch etwas bitteren Geschmack, weswegen sie gern von britischen Kunden (die ihren Tee mit Milch trinken) gekauft, wie mir ein Händler verriet. So ein exklusiver Tee ist durchaus mit edlen Weinen vergleichbar (auch preislich), und ich vermeinte in dem exklusivsten Tee, den ich probierte, feine Orangennoten auszumachen.

Natürlich muss man solch einen Tee entsprechend genießen. Dafür haben die Briten den High Tea am Nachmittag eingeführt. Dazu gibt es in Darjeeling genau die richtigen viktorianischen Etablissements. In plüschigen Sofas kann man sich in britischer Wohnzimmeratmosphäre niederlassen und den Tee eines bestimmten Teegartens bestellen. Dieser wird sogleich von einem weiß gekleideten Kellner zusammen mit zwei dünnen Scheiben trockenen Fruchtkuchens serviert. Definitiv ein Erlebnis wert!