Bürgerkrieg im Sudan: Deutschland kann mehr tun, um eine der größten Krisen unserer Zeit abzumildern

In: Tagesspiegel, 15.4.2024

Der Krieg in Sudan gefährdet auch europäische Sicherheitsinteressen. Deutschland sollte bei der humanitären Geberkonferenz Mitte April die Arbeit von Freiwilligen ins Zentrum rücken.

Seit Beginn des Krieges am 15. April 2023 erreichen die Entwicklungen in Sudan immer neue traurige Rekorde: Es handelt sich bereits um die größte Vertreibungskrise der Welt. Doch Sudan könnte Ort der größten Hungerkrise werden.

Über 220.000 Kinder könnten in den nächsten Monaten an Unterernährung sterben. Und das Risiko für weitere Massenverbrechen steigt.

In Sudan kämpfen die regulären Streitkräfte (Sudanese Armed Forces, SAF) gegen die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) um die Vorherrschaft im Staat. Die Armee arbeitet mit bewaffneten Gruppen aus Darfur, neu aufgestellten Freiwilligenverbänden und islamistischen Milizen zusammen. Die RSF haben ebenfalls massiv rekrutiert und kooperieren mit vorwiegend arabischen Milizen sowie abtrünnigen Armee-Angehörigen.

Der Krieg betrifft auch europäische Sicherheitsinteressen. Iran und Russland drängen die sudanesischen Behörden dazu, Militärbasen am Roten Meer einzurichten, einer der wichtigsten Versorgungsrouten zwischen Europa und Asien. Der US-Nachrichtendienstkoordinator warnte kürzlich davor, dass sich wie bereits Anfang der 1990er Jahre islamistische Terroristen und kriminelle Netzwerke in Sudan ausbreiten könnten. Der Krieg könnte sich darüber hinaus weiter destabilisierend auf Tschad und Südsudan auswirken. Menschen aus beiden Ländern verdingen sich bereits bei den Konfliktparteien.

Die internationale Aufmerksamkeit ist gering und wird dem Ausmaß dieser Eskalation nicht gerecht. Angesichts der Komplexität der Herausforderungen ist es auch leicht, sich frustriert, überfordert und gelähmt zu fühlen. Bisher sind alle Bemühungen für einen Waffenstillstand gescheitert.

Die Afrikanische Union, die Arabische Liga, die USA, Saudi-Arabien, Ägypten und IGAD, die Regionalorganisation am Horn von Afrika, kämpfen um ihre eigene Sichtbarkeit. Die Gespaltenheit und Schwerfälligkeit dieser Akteure erleichtert es den Konfliktparteien, deren Vermittlungsbemühungen gegeneinander auszuspielen.

Deutschland, Frankreich und die EU hoffen nun auf neuen Schwung durch eine humanitäre Geberkonferenz für Sudan, die sie am 15. April in Paris ausrichten. Das Hauptziel ist, mehr Mittel für die humanitäre Hilfe zu mobilisieren. Bisher ist der entsprechende Aufruf der Vereinten Nationen für 2024 zu weniger als sechs Prozent finanziert. Es werden noch knapp drei Milliarden US-Dollar benötigt.

Internationales Engagement sollte jedoch nicht bei humanitärer Hilfe stehen bleiben. Eine Gesamtstrategie für Frieden, die alle relevanten internationalen und sudanesischen Akteure berücksichtigt, ist nicht in Sicht. Zu tief sitzt das Misstrauen, zu stark ist das Geltungsbedürfnis der Konfliktparteien und ihrer Unterstützer.

Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung keine eigene Vermittlungsinitiative starten will. Deutschland kann den Konflikt in Sudan nicht allein beenden oder die dysfunktionale Landschaft von Vermittlungsakteuren kurzfristig verändern, auch wenn Bemühungen um mehr Koordination wichtig sind. Deutschland kann allerdings dazu beitragen, Bedingungen zu schaffen, die eine Beendigung des Kriegs ermöglichen. Gleichzeitig kann es temporäre und lokal begrenzte Ansätze fördern, um die Auswirkungen der Gewalt zu lindern oder eine weitere Eskalation zu vermeiden. Deutschland sollte auch eine stärkere Führungsrolle in der EU einnehmen, wie es auch von unseren europäischen Nachbarn erwartet wird.

Die Unterstützung ziviler Akteure aus Sudan sollte an erster Stelle stehen. Die sudanesische Zivilgesellschaft ist breit und vielfältig. Internationale Akteure sollten das politische Engagement von Parteien, Frauenorganisationen, Gewerkschaften, Jugend- und Menschenrechtsorganisationen finanziell und mit internationaler Expertise unterstützen. Geber sollten sich nicht nur auf einen Ansprechpartner wie den ehemaligen Premierminister Abdalla Hamdok und die von ihm geführte Koalition „Tagadum“ beschränken. In Kampala, Nairobi, Kairo und Addis Abeba finden in dichter Folge Workshops, Seminare und Konferenzen statt, die helfen können, eine neue politische Ordnung in Sudan vorzubereiten.

Internationale Geber wie Deutschland sollten in der humanitären Hilfe stärker mit Freiwilligennetzwerken in Sudan zusammenarbeiten. Diese operieren auch in den umkämpften Gebieten, organisieren Gemeinschaftsküchen und medizinische Versorgung. Letztes Jahr erreichten sie damit mehr als vier Millionen Menschen, und das mit einem Bruchteil der Mittel, die internationalen Organisationen zur Verfügung stehen. Seit Beginn des Konflikts erhielten sie gerade einmal rund zwei Millionen US-Dollar. Geber sollten innovative Wege finden, diese informellen „Emergency Response Rooms“ zu unterstützen, beispielsweise über einen dafür bestimmten Fonds.  

Die Ministerinnen und Minister, die sich in Paris treffen, sollten auch Druck auf die Konfliktparteien selbst ausüben. Im Fokus sollten Maßnahmen stehen, welche der Zivilbevölkerung helfen, sich selbst zu schützen. Die sudanesischen Behörden sollten den Zugang zu Telekommunikationsdienstleistungen wiederherstellen – er wurde Anfang Februar weitgehend eingestellt. Die Konfliktparteien müssten dazu bewegt werden, Verbote und Repressionen gegen die freiwilligen humanitären Helfer zurückzufahren, alle Grenzübergänge für internationale Konvois zu öffnen und aufzuhören, Warenlager von Hilfsgütern zu plündern.

Der internationalen Druck sollte auch darauf abzielen, weitere Massaker zu verhindern. Derzeit ist das Risiko für weitere Massenverbrechen am größten in und um Al-Faschir. Die Stadt ist Hauptstadt des Bundesstaats Nord-Darfur und letzte Bastion der SAF im Westen Sudans. Internationale Vermittler dort könnten sudanesische Bemühungen unterstützen, um die Situation zu entspannen. In der Umgebung leben rund eine halbe Million Binnenvertriebene. Sollte die RSF die Stadt vollständig einnehmen, könnte es zu massiven ethnisch motivierten Angriffen zwischen den arabischen Mitgliedern der RSF und dortigen bewaffneten Gruppen und Einwohnern von Al-Faschir kommen, die hauptsächlich der Gruppe der Zaghawa angehören.

Schließlich sollten Deutschland, Frankreich und die EU sich um größeren Druck auf diejenigen externen Akteure bemühen, die den Krieg durch Waffen und Finanztransaktionen anheizen. Besonders die Vereinigten Arabischen Emirate auf der einen (RSF) sowie Iran und Ägypten auf deren anderen Seite (SAF) sind hier zu nennen. Deutschland hat allerdings auch allen Grund, eigenes Handeln zu hinterfragen: Der Bundessicherheitsrat darf nicht zustimmen, dass sechs Airbus-A400m-Transportflugzeuge an die VAE geliefert werden. Die Pläne dazu wurden letztes Jahr bekannt. Die VAE haben in den vergangenen Jahren auch in Libyen und Äthiopien maßgeblich mit Waffenlieferungen eingegriffen.

Ein schnelles Ende der Gewalt in Sudan ist leider nicht in Sicht. Umso mehr sollte sich Deutschland bemühen, alle Ansatzpunkte und Kanäle zu nutzen, um die Friedensbemühungen der sudanesischen Zivilgesellschaft zu stärken.

Machtbeziehungen in Sudan nach dem Fall Bashirs. Von der Revolution zum Krieg.

SWP-Studie 2024/S 10, 20.03.2024, doi:10.18449/2024S1

  • Seit April 2023 herrscht Krieg in Sudan. Er ist Ausdruck grundsätzlicher Veränderungen in den politischen Machtverhältnissen. Der vorher dominierende Sicherheitssektor ist tief gespalten und die ehemals schwach vernetzte Zivilgesellschaft hoch mobilisiert.
  • Einerseits ermöglichte die Konkurrenz innerhalb des Sicherheitssektors, eine zivil-militärische Übergangsregierung zu bilden. Andererseits erhöhte der weitere Aufstieg der Rapid Support Forces zur Macht das Risiko eines bewaffneten Konflikts, erst recht nach dem Putsch 2021.
  • Seit Bashirs Fall 2019 haben die Sicherheitskräfte zweimal vergeblich versucht, eine alleinige Militärherrschaft zu errichten. Gleichwohl scheiterte auch die zivil-militärische Übergangsregierung, weil das Militär nach wie vor über erhebliche Machtressourcen verfügte. Sudans politische Elite trug zu diesem Ausgang bei, indem sie sich zu wenig um den Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen und zu viel um die eigene Sichtbarkeit kümmerte.
  • Internationale Akteure, die Sudans Übergangsprozess stärken wollten, hätten die Sicherheitskräfte entschiedener zurückdrängen können, statt sie reflexhaft einzubinden. Viele internationale und sudanesische Bemühungen krankten daran, dass sie entweder nur auf Einbindung oder nur auf Ausschluss der Sicherheitskräfte abstellten.
  • Ein neuer Elitendeal allein mit Sudans Gewaltunternehmern wird keinen Frieden bringen, solange keine zivilen Kräfte am Tisch sitzen. Sudans beste Chance liegt vielmehr im Sozialkapital des freiwilligen Engagements seiner Bürger:innen für humanitäre Versorgung, Demo­kratie und lokale Versöhnung.

Problemstellung und Empfehlungen

Der Ausbruch des Krieges zwischen den Sudanese Armed Forces (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF) am 15. April 2023 hat Sudan in eine tiefe Krise gestürzt. Binnen kurzer Zeit wurden Millionen Menschen vertrieben, Infrastruktur und Wirtschaft zerstört, die Gesellschaft zunehmend polarisiert und militarisiert. Sudans Hauptstadt ist zum Schlachtfeld geworden, eine De-facto-Aufteilung des Territoriums unter den Kriegsparteien scheint möglich. In Darfur werden Massaker verübt und gezielte Gewalt gegen ethnische Gruppen eingesetzt.

Deutschland war einer der wichtigsten Unter­stützer der Transition in Sudan. Es investierte erheb­liches diplomatisches und finanzielles Kapital in deren Erfolg. Doch der Kriegsausbruch erwischte die Bundesregierung kalt, genau wie viele ihrer Partner. Sie evakuierte hunderte deutsche und andere aus­ländische Staatsbürger:innen. Seitdem sucht Deutsch­land vergeblich nach einem wirkungsvollen Umgang mit einem Krieg, der zur größten Vertreibungskrise weltweit geführt hat.

Dabei schienen die hohe Mobilisierung von Sudans gewaltfreier Protestbewegung und die verhandelte Übergangsverfassung 2019 vielversprechend zu sein. Grundsätzlich erhöhte die Mitwirkung von Teilen der (Sicherheits-)Elite des früheren Regimes die Chancen auf erfolgreiche Demokratisierung, auch wenn diese Machtteilung auf harsche Kritik aus der Zivilgesellschaft traf. Eine gut organisierte Zivilgesellschaft übte Druck auf die zivil-militärische Übergangsregierung aus, die Ziele der Transition auch tatsächlich umzu­setzen. Die zivilen Politiker:innen in der Übergangsregierung konnten in den Verhandlungen auf diesen Druck verweisen, sobald der Sicherheitsapparat Anstalten machte, die Transition zu blockieren.

Dennoch scheiterte der Übergangsprozess nach nur gut zwei Jahren mit dem Militärputsch vom Okto­ber 2021. Angesichts der vielen Putsche in Sudans Geschichte, zuletzt zum Sturz Bashirs, überraschte es nicht, dass die Militärs wieder die ganze Macht an sich rissen. Anders jedoch als bei früheren erzwungenen Beendigungen ziviler Regierungsführung in Sudan und bei Transitionsprozessen in der Nachbarschaft gelang es den Sicherheitskräften nicht, eine stabile Putschregierung zu bilden. Stattdessen ließen sie sich auf Verhandlungen über die Bildung einer zivilen Regierung ein, die im April 2023 kurz vor dem Abschluss standen. Ungewöhnlich war auch, dass der Krieg innerhalb des Sicherheitssektors ausbrach, zwischen zwei militärisch nahezu gleich starken, wenn auch in ihren Fähigkeiten komplementär auf­gestellten Sicherheitskräften. Der Krieg entsprang im Zentrum des repressiven Apparats, nicht in dessen Peripherie und auch nicht zwischen diesem und der Demokratiebewegung. Damit steht der Krieg zwischen SAF und RSF auch für grundsätzliche Ver­änderungen im politischen System Sudans.

In dieser Studie wird untersucht, wie die angedeuteten Verschiebungen politischer Macht zustande kamen und in einem Krieg gipfelten, der Sudans gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Inte­grität in Frage stellt. Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf den Machtressourcen der wichtigsten Akteurs­gruppen und ihrem wechselseitigen Aushandlungsverhalten nach dem Sturz Bashirs im April 2019. Allerdings reichen die Wurzeln dieser Veränderungen in die Zeit vor Bashir zurück, als die sudanesische Regierung begann, die Bekämpfung von Aufständen bewaffneter Gruppen in der marginalisierten Peri­pherie an ethnische Milizen auszulagern. Zivile Oppo­sitionsgruppen wiederum üben sich schon seit rund einem Jahrzehnt in Techniken gewaltfreien Widerstands und organisieren sich auf Graswurzelebene. Mit der Entmachtung Bashirs und der Bildung einer Übergangsregierung im August 2019 kamen diese und weitere längerfristige Entwicklungen wie in einem Brennglas zusammen.

Die gewaltsame Eskalation der Spannungen zwischen SAF und RSF war das Ergebnis zweier gescheiterter Prozesse: des demokratischen Übergangsprozesses und des auf ihn folgenden Putsches. Im ersten gelang es den demokratischen politischen Akteuren nicht, ihren Zusammenhalt zu wahren und die Macht des Sicherheitssektors substantiell zu reduzieren. Die Übergangsregierung unter Premierminister Hamdok setzte auf eine vertiefte Partnerschaft mit den Sicher­heitskräften, konnte dabei aber weder deren Unter­stützung noch die der demokratischen Protestbewegung gewinnen. Anstatt das Terrain für zivile Politik institutionell zu sichern, verfolgten die politischen Parteien eine Nullsummenpolitik, sowohl untereinander als auch zunehmend gegenüber dem Militär. Auf der anderen Seite misslang es den Sicherheitskräften, ihre Herrschaft zu festigen, nachdem sie die zivilen Mitglieder aus der Regierung entfernt hatten. Deshalb erklärten sich die Sicherheitskräfte ab Sommer 2022 bereit, die Regierungsgewalt an eine zivile Regierung abzutreten. Immerhin gab es keine geeinte politische Kraft, die als Steigbügelhalter für eine Militärregierung dienen wollte. Das war der fortwährenden zivilgesellschaftlichen Mobilisierung und internationalem Druck zu verdanken. Zudem vertiefte der Putsch die Differenz zwischen SAF und RSF, die auf unterschiedliche politische Partner setzten, welche einander wiederum als Hauptgegner sahen: Die SAF stützten sich auf die islamistischen Loyalisten des Bashir-Regimes, während die RSF versuchten, durch Übernahme einer demokratischen Rhetorik wichtige politische Parteien für sich zu gewinnen (welche sich freilich um Unabhängigkeit bemühten).

Dass nach Äthiopien ein weiterer Übergangs­prozess in der Region in massiver Gewalt endete, gibt Anlass dazu, den vorherrschenden internationalen Ansatz zur Förderung solcher Transitionen zu über­denken. Die Verantwortung für den Krieg tragen die Konfliktparteien, aber Sudans internationale Unter­stützer und seine politische Elite hätten mehr tun können, die Bedingungen zu entschärfen, die diese Eskalation ermöglichten. Sie hätten stärkere Anreize für die Etablierung demokratischer Institutionen setzen und mehr Druck auf die Sicherheitskräfte ausüben können, damit diese ihre wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen, auch im Ausland, in den Dienst des Gemeinwohls stellen.

Um Übergangsprozesse wie in Sudan effektiver voranzubringen, sollte ein veränderter internatio­naler Ansatz angewandt werden, der auch Orientierung für Friedensgespräche bietet. Nichtinklusive Abkommen in Sudans Geschichte bildeten immer wieder den Nährboden für Gewalt. Ein erneutes Machtteilungsabkommen, das die Sicherheitskräfte in die Politik einbindet, würde ein hohes Risiko bergen, diese Gewaltgeschichte fortzuschreiben. Stattdessen sollten internationale Akteure so weit wie möglich die internationalen Finanz- und Unter­stützungsnetzwerke der Sicherheitskräfte eindämmen, zivilgesellschaftlichen Akteuren flexibler Rück­halt gewähren und in einem künftigen Übergangsprozess größeren Wert darauf legen, dass demokratie­fördernde Veränderungen auf nationaler und lokaler Ebene institutionell verankert werden. Im Zentrum einer möglichen Nachkriegsordnung Sudans sollte eine umfassende Sicherheitssektorreform stehen.

Ausgangslage

Am 11. April 2019 endete die Herrschaft von Omar al‑Bashir, als ihn seine eigenen Sicherheitskräfte ent­machteten.1 Seit dem 30. Juni 1989 hatte er, gestützt auf die National Congress Party (NCP) als Teil einer islamistischen Bewegung, an der Spitze eines autori­tären Staates gestanden. Am Ende scheiterte sein Herrschaftssystem an seinen eigenen Widersprüchen. Die Bedingungen, die zu Bashirs Fall und dem Ende der NCP-Regierung geführt hatten, wirkten nach und erschwerten es deren ehemaligen Kräften später, wieder die Macht zu übernehmen.2

Zusammenbruch und Hinterlassenschaft der NCP-Herrschaft

Das NCP-Regime konnte nie auf eine breite Basis in der Gesellschaft bauen, sondern musste sich durch andere Mechanismen stabilisieren. Dazu zählten gewaltsame Repression, der Kauf der Loyalität von Oppositionsparteien und Teilen der Bevölkerung sowie internationale Unterstützung. Seine relative Blüte bestand während des Ölbooms von 1999 bis zur Sezession Südsudans 2011. Mit der friedlichen Abspaltung des Südens im Juli 2011 verlor Sudan 70 Prozent seiner Staatseinnahmen, da die meisten Ölquellen im Süden liegen. Eine wachsende Gold­produktion konnte diesen Einbruch nicht wett­machen, den die Regierung eine Zeitlang mit der Monetarisierung des aus ihm resultierenden Budgetdefizits auszugleichen versuchte, also einer massiven Erhöhung der im Umlauf befindlichen Geldmenge durch die Zentralbank.3 Diese Strategie trieb jedoch die Preise in die Höhe – und die Menschen bereits vor 2018 auf die Straße.

Die Fähigkeiten des NCP-Regimes zur Repression schwanden, weil sowohl die islamistische Bewegung als auch die Sicherheitskräfte aus jeweils unterschiedlichen Gründen auseinanderbrachen. Unzufrieden mit der Abspaltung Südsudans und der mangelnden Konsolidierung der islamistischen Herrschaft, wand­ten sich führende Mitglieder von der Bewegung ab und gründeten eigene islamistische Parteien.4

Bashir entglitt die Kontrolle über den Sicherheitssektor. SAF-Angehörige stellten sich 2019 auf die Seite der Demonstranten, ebenso wie Kinder hoch­rangiger SAF-Generäle. So verbündeten sich die SAF, der Geheim­dienst und paramilitärische Kräfte gegen Bashir, um eine offene Auseinandersetzung zwischen Teilen der Sicherheitskräfte zu verhindern. Diese hätte ihre jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Privilegien gefährdet. Nicht zuletzt ent­fremdete die gewaltsame Repression wichtige Teile der sudanesischen Wirtschaftselite, die ihre lang­fristigen Interessen durch drohende Instabilität gefähr­det sahen und ebenfalls Söhne und Töchter in der Demokratiebewegung hatten.5

Schließlich konnte sich Bashir nicht mehr auf internationale Unterstützung verlassen. Er versuchte zwischen den beiden damaligen Blöcken in der arabi­schen Welt um Katar einerseits sowie um die Ver­einigten Arabischen Emirate (VAE) und Saudi-Arabien andererseits zu balancieren, war am Ende aber zu abhängig von der finanziellen Unterstützung durch die letzteren beiden. VAE und Saudi-Arabien waren enttäuscht, weil Bashir sich in der Katarkrise am Golf ab 2017 neutral verhalten und nicht von den heimischen Islamisten in der Regierung getrennt hatte. So entschieden sie, die Zahlungen an Bashir einzustellen, da sie ihn als unzuverlässig einstuften.6

Auch ohne Bashir blieb das Patronagesystem der »Ermächtigung« (Tamkeen) bestehen, das er und seine Herrschaftselite geschaffen hatten. Das System hatte zur Folge, dass die Ministerien voller unqualifizierter Personen waren, während der Geheimdienst die eigentliche Regierungsmacht ausübte. Der Sicherheits­sektor kontrollierte einen großen Teil der Wirtschaft.7 Nach Jahrzehnten von US-Wirtschaftssanktionen lagen dessen Produktivkräfte weitgehend brach. Jahr­zehntelang hatte der Staat mit Hilfe von Milizen und Sicherheitskräften die Peripherien und ländliche Gebiete ausgepresst. Per Gesetz wurden Frauen diskriminiert und in ihrer persönlichen Bewe­gungs- und Handlungsfreiheit eingeschränkt. Obwohl Sudan sich um Annäherung sowohl an Golfstaaten als auch in jüngerer Zeit an westliche Staaten bemühte, verfügte das Land kaum über belastbare außenpoli­tische Partnerschaften.

Die Transition als Chance für den Beginn einer Transformation

Mit Bashirs Sturz ging auch eine Gelegenheit für tiefe­ren Wandel des militarisierten politischen Systems einher, das er entscheidend geprägt hatte. Forschungen zu Regimewandeln zeigen, dass gewaltfreie Bewegungen größere Erfolgschancen haben als gewalt­tätige Aufstände.8 »Erfolg« meint hier allerdings den Moment des Umsturzes, nicht notwendigerweise dauerhafte Demokratisierung. Die Forschung zu demokratischen Transitionen betont seit langem, dass die Beteiligung von Kräften des früheren Regimes im Sinne eines verhandelten Übergangs (»pacted transition«) die besten Aussichten für einen fried­lichen Wechsel eines politischen Regimes bietet.9

Soll ein verhandelter Übergang erfolgreich sein, muss der innen- und außenpolitische Druck auf die Übergangsregierung hoch bleiben.

Solche »verhandelten Revolutionen« folgen oft dann, wenn auf die Person eines Herrschers aus­gerichtete Regierungssysteme zusammenbrechen. Weitere begünstigende Faktoren sind die Spaltung und teilweise die Unterstützung für den Wandel durch den Sicherheitsapparat, die Ablehnung von Gewalt durch die Reformkräfte, verbunden mit expliziter Unterstützung für Gewaltfreiheit, die Offenheit gegenüber liberalen internationalen Akteuren sowie eine eher schwache Staatlichkeit.10 Diesen Übergangsprozessen zugrunde liegen oft Aus­handlungen zwischen Refor­mern des alten Systems und moderaten Kräften der Opposition. Dabei kommt es darauf an, dass der innere und äußere Druck auf die Kräfte des früheren Regimes auch nach Beginn der Transition bestehen bleibt, damit diese sich einem weiteren Verlust ihrer Macht im Zuge der Stärkung von Rechtsstaat, Mitbestimmung und wirt­schaftlicher Öffnung fügen. Gewaltfreie Transitionen führen dann eher zu Demokratie, wenn sie Protestbewegungen auch nach dem Wechsel einbinden bzw. jene die Betei­ligung aktiv einfordern und wenn die zivile politische Elite gemäßigte Ziele verfolgt und kompromissbereit ist.11

Im Falle Sudans war es das Zusammenwirken von vier Faktoren, welche eine verhandelte Transition begünstigten.12 Da war erstens die andauernde Mobi­lisierung einer breiten gesellschaftlichen Bewegung im ganzen Land, vor allem getragen von jungen Menschen. Die ersten Proteste tauchten im Dezember 2018 in der Peripherie auf, nämlich in Atbara im Norden und Ed-Damazin im Süden, bevor sie Khar­tum erreichten. Dabei war diese Bewegung resilient selbst gegenüber heftiger Repression. Ein Wendepunkt war der »Millionenmarsch« am 30. Juni 2019, bei dem trotz Internet- und Telefonsperren Hunderttausende auf die Straße gingen, nachdem die Sicher­heitskräfte am 3. Juni das zentrale Protestcamp vor dem Militärhauptquartier in Khartum gewaltsam aufgelöst hatten. Die Sicherheitskräfte hätten diese Bewegung nur mit dauerhafter und skrupelloser bewaffneter Gewalt unterdrücken können.

Diese Option stand ihnen wegen ihrer Spaltung – dies war der zweite entscheidende Faktor – nicht offen. Es blieb attraktiv für Teile der Sicherheitskräfte, sich als die wahren Vertreter der Revolution darzustellen und um die Gunst der Bevölkerung zu buhlen. Massive Gewaltanwendung gegen die Zivilbevölkerung hätte diesen Graben zwischen den Sicherheitskräften vertieft und das Risiko einer bewaffneten Auseinandersetzung im Sicherheitssektor erhöht, da sich möglicherweise eine Kraft, wenn auch nur rhe­torisch, auf die Seite der Zivilgesellschaft geschlagen hätte.

Drittens waren die Gegner des Sicherheitssektors zumindest Anfang 2019 noch gut organisiert. Mit der Erklärung für Freiheit und Wandel vom 1. Januar 2019 bildete sich eine gemeinsame zivile Front, die politische Parteien, Gewerkschaften, Graswurzel­bewegungen und bewaffnete Gruppen einschloss – die Forces of Freedom and Change (FFC). In Gestalt der Sudanese Professionals Association (SPA) gab es eine Organisation, die als Transmissionsriemen innerhalb der FFC zwischen der alten Garde der politischen Parteien13 und den jungen Aktivistinnen und Aktivi­sten der Straße agieren konnte. SPA und FFC konnten im Namen der Demokratiebewegung verhandeln, woraus die Übergangsverfassung vom 17. August 2019 entstand.

Schließlich waren die regionalen und internatio­nalen Akteure, die Einfluss in Sudan hatten, zu Anfang des Übergangsprozesses relativ geschlossen. Hatten arabische Mächte noch das Militär mit einer großzügigen Finanzspritze von drei Milliarden US-Dollar kurz nach dem Fall Bashirs bedacht,14 setzten sie sich nach dem Massaker vom 3. Juni 2019 für Verhandlungen zwischen Demokratiebewegung und Militär ein, weil sie massive Instabilität in Sudan fürchteten. Die USA, die Europäische Union (EU), die Afrikanische Union (AU) und die Vereinten Nationen (UN) unterstützten den demokratischen Übergangsprozess ebenfalls, nicht zuletzt weil seine tragenden Akteure in der zivilen politischen Szene Sudans im weiteren Sinne liberal waren. Sie richteten sich ausdrücklich gegen die gesellschaftliche Unter­drückung durch das islamistische Bashir-Regime mit seiner Kleiderordnung für Frauen, rückwärts­gewandten Scharia-Gesetzgebung und Sittenpolizei.

Machtressourcen und Herausforderungen der zentralen Akteure

Jeder Übergangsprozess ist, vereinfacht gesagt, von einem Tauziehen zwischen Kräften des (fortschritt­lichen) Wandels und Beharrungskräften des ancien régime gekennzeichnet. Tatsächlich ziehen die wich­tigsten Akteure einer Tran­sition sogar oft in mehr als zwei Richtungen, so auch in Sudan. Dabei bringen alle Akteure unterschiedliche Machtressourcen zur Geltung, über die sie auf­grund ihrer Organisation und Ausrichtung verfügen. Solche Ressourcen betref­fen vier grundsätzliche Felder politischer Ausein­andersetzung in jedem Staatswesen: Sicher­heit, Wirt­schaft, Legitimität sowie internationale Beziehungen. Die Verteilung dieser Machtressourcen bildet den strukturellen Rahmen, in dem der politische Wett­bewerb eines Übergangsprozesses stattfindet. Für die Handlungsmacht der politischen Akteure spielen dazu Faktoren wie ihre Fachexpertise, ihre Erfahrung und ihre organisatorischen Fähig­keiten im Verhältnis zu den anderen Akteuren eine Rolle, sowie ihre Bereitschaft, Koalitionen einzugehen und Kompromisse zu schließen.15

Konstitutiv für einen Übergangsprozess nach Jahr­zehnten autoritärer Herrschaft ist der Wandel der Machtverhältnisse. Im Gegensatz zu stabilen autori­tären oder demokratischen Regimen besteht erheb­liche Unsicherheit darüber, welche »Spielregeln« im politischen Raum noch gelten, und daher auch, wer welche Ressourcen wie einsetzen kann.16 Der Sturz Bashirs und die Unfähigkeit des Militärs, angesichts fortwährender Proteste allein zu regieren, wirbelten die politischen Beziehungen in Sudan durcheinander.

Im Wettbewerb dieser Kräfte ist entscheidend, »wer schneller lernen kann und diese Lernerfolge erfolgreicher einsetzen kann«.17 Die handelnden Akteure interpretieren jede Maßnahme oder politische Aus­sage als eine Runde in einem Spiel, das die Macht der ein­zelnen Spieler definiert. Dieses Spiel bedeutet, dass die jeweiligen Akteure stets versuchen, ihren Hand­lungsspielraum zu erweitern, dabei aber nie genau wissen, wie weit sie gehen können, ohne dass es zu einer Zerreißprobe kommt. Zwar bietet die Fluidität eines Übergangsprozess die Chance für tiefgreifendere Veränderungen am politischen System als sonst. Aber ein zu schneller Wandel macht auch einen Rückfall in den Autoritarismus wahrscheinlicher, weil die demokratischen Kräfte noch nicht abgesichert und ihre Vorstellungen noch nicht ausreichend institutio­nell verankert sind. Zu vorsichtiger oder zu lang­samer Wandel beinhaltet gleichwohl das Risiko, dass dieselben oder neue Eliten die auf Ausbeutung gerich­teten Institutionen des Staates für sich nutzen (»state capture«)18 oder erneute Protestwellen einer mobilisierten Zivilgesellschaft einen Umsturz herbeiführen. Eine Balance zwischen diesen beiden Kräften, die einen wirklich nachhaltigen Wandel hin zu einer

stabilen liberalen Demokratie ermöglicht, erreichen auf Anhieb nur sehr wenige Übergangsprozesse.19

Zentral für den Ausgang von Übergangsprozessen sind daher sowohl die Machtressourcen als auch die Dynamik, die aus dem Lern- und Anpassungs­verhalten und den Strategien der wichtigsten Akteure entsteht. Nach dem Fall Bashirs waren dies vor allem die politischen Parteien, die Demokratiebewegung in der Zivilgesellschaft, die Sicherheitskräfte und die bewaffneten Gruppen. Im Hintergrund wirkten darüber hinaus wirtschaftliche Eliten und Angehörige des früheren Regimes mit, deren Rolle im Einzelnen jedoch schwer zu durchschauen ist.

Vertrauensverlust gegenüber politischen Parteien

In einem Übergangsprozess von einem autokratischen zu einem demokratischen System kommt poli­tischen Parteien eine entscheidende Rolle zu. Mit ihrem Personal und ihrer Programmatik bilden sie eine Alternative zur bisherigen Regierungspartei sowie einen Transmissionsriemen zur sozialen Bewe­gung, welche den Übergangsprozess angestoßen hat. Gleichwohl sind sie selbst geschwächt von der auto­ritären Herrschaft. Ihnen mangelt es an Regierungs­erfahrung, sie verfügen nur über eingeschränkten Rückhalt in der Bevölkerung und sind möglicher­weise in einem Nullsummenverständnis von Politik gefangen, was Kooperation erschwert. Diese Probleme sind allesamt in Sudan sichtbar.

Die Nullsummenpolitik der politischen Parteien beförderte die Polarisierung des zivilen Sektors.

Sudan weist ein vielfältiges Spektrum politischer Parteien auf. Dazu gehören die beiden »traditionellen« Parteien und ihre Abspaltungen, die National Umma Party (NUP) und die Democratic Unionist Party (DUP). Beide sind aus Verbindungen islamischer Orden mit der aufstrebenden handeltreibenden Klasse entstanden, die bis in die britische Kolonialzeit zurückreichen.20 Daneben gab es früher die »modernen« Parteien an den jeweiligen Rändern des politi­schen Spektrums: die Sudanese Communist Party (SCP) und die National Islamic Front (NIF, später National Congress Party, NCP) mit ihren jeweiligen Ablegern. Die NCP wurde nach Präsident Bashirs Sturz verboten. Schließlich existiert eine Reihe kleinerer, aber durchaus einflussreicher Parteien, welche aus Universitätspolitik (wie die Sudanese Congress Party) oder panarabischen Verbindungen (Baath Party) entstanden sind.

Die Parteien leiden unter erheblichem Vertrauensverlust in der Bevölkerung und besonders im gewalt­freien Widerstand. Aktivist:innen werfen ihnen vor allem die wiederholte Kooperation mit dem Militär und Militärregierungen vor. Kooption gibt es seit langem. Alle Phasen ziviler Herrschaft wurden durch Putsche beendet, bei denen das Militär mit einzelnen politischen Parteien zusammenarbeitete: Die NUP (1958), die SCP (1969) und die NIF (1989) sahen es jeweils als opportun an, sich mit dem Militär gegen ihre innenpolitischen Gegner zu verbünden.21 Die Nullsummenmentalität vieler politischer Führer beförderte die Polarisierung und führte dazu, dass sie sich vor allem um ihr politisches Überleben kümmerten und Eliten sich »wie Diktaturen« verhielten, wenn sie an die Regierung kamen.22 Außerdem entstammt das politische Führungspersonal einer dünnen sozia­len Schicht, die weniger unter den Folgen ihrer Fehler leiden musste als die Gesamtbevölkerung.23

Eine besondere Schwierigkeit für die Zusammenarbeit der politischen Parteien untereinander wäh­rend der Übergangsregierung 2019–2021 lag darin, dass völlig unklar war, wie viel Rückhalt die einzelnen Parteien in der Bevölkerung hatten. Meinungsumfragen gab es nicht. Bevölkerungs- und Wirtschaftsdaten waren überwiegend veraltet oder lücken­haft. Die letzten demokratischen Wahlen hatten 1986 stattgefunden,24 als die Mehrheit der Bevölkerung von heute noch gar nicht geboren war. Damals hatte die NUP die meisten Stimmen erhalten. Unter der NIF/NCP-Herrschaft galt die NUP auch als wichtig­ste Oppositionspartei. Bereits in den Oppositions­koalitionen gegen Bashir war die NUP daher unzufrie­den, wenn sie auf einer Stufe mit kleinen Kader-parteien wie der Baath-Partei in den jeweiligen Ent­scheidungsgremien vertreten war, »die es nie in ein gewähltes Parlament geschafft hatten«.25

Führende Vertreter der politischen Parteien sprachen offen über ihre strukturellen Schwächen, ihre mangelnde Erfahrung und unzulängliche politische Ausbildung. »Wir waren nicht vorbereitet, als Bashir gestürzt wurde. Wir hatten den Wandel nicht so schnell erwartet«, sagte ein NUP-Vertreter.26 Ein Mit­glied des Politbüros der Sudanese Congress Party meinte, politische Parteien seien zwar nicht reif, aber sie würden auch nicht reifer, wenn sie nicht Teil der Regierung seien.27

Dennoch brachten die politischen Parteien Macht­ressourcen ein, über die andere Akteure in dieser Form (bis dato) nicht verfügten. Die jeweiligen Partei­führungen waren Ansprechpartner für nationale und internationale Konsultationen. Auch verfügten die Parteien über ein gewisses Maß an politischer Organisation, die es ihnen ermöglichte, an Wahlen und Verhandlungen teilzunehmen. Schließlich besaßen sie politisch-taktische Expertise, die sie in Verhandlungen mit anderen Stakeholdern, besonders dem Militär, einbrachten.

Gewaltfreier Widerstand

Sudan besitzt eine lange Tradition gewaltfreier Pro­teste. 1964, 1985 und 2019 mündeten gewaltfreie Protestbewegungen in den Sturz von Militärregierungen. Die Organisationen des zivilen Widerstands entwickelten sich in einem Kontext extremer autori­tärer Repression unter dem NCP-Regime. Dieses verbot Gewerkschaften und Berufsverbände, welche zusammen mit Universitäten führende Rollen bei den früheren Aufständen gespielt hatten, und etab­lierte regimetreue Gewerkschaften. Der Geheimdienst (National Intelligence and Security Service, NISS) knüpfte ein dichtes Überwachungsnetz, das es demo­kratisch orientierten Akteuren erschwerte, sich effek­tiv zu organisieren. Fragmentierung und Kooption bildeten daher beträchtliche Herausforderungen für zivile Akteure. So erhoben sich zwar immer wieder Proteste gegen das NCP-Regime, beispielsweise inspi­riert von den Erfolgen in Ägypten und Tunesien 2011 oder aufgrund steigender Preise 2013, aber es fehlte an der Organisation, »welche in der Lage war, die Proteste anzuführen und ihnen eine Richtung zu geben«.28 Angesichts von bewaffneter Gewalt, Verhaf­tungen und Infiltrationsversuchen galt es, resilient zu sein.

Anfangs spielte die SPA eine wichtige Vermittlerrolle zwischen Protestbewegung und Parteien.

Das Verhältnis zwischen der Demokratiebewegung, in Sudan oft schlicht als »die Straße« bekannt, und der politischen Elite ist ausschlaggebend für die Erfolgs­aussichten zivilen Widerstands.29 Eine zentrale Rolle nahm dabei die Sudanese Professionals Asso­ciation (SPA) ein, ein Zusammenschluss inoffizieller Gewerkschaften und Berufsverbände, gegründet im Juli 2018. Als sich im Dezember 2018 landesweit Wut gegen die NCP-Regierung wegen der Erhöhung von Brotpreisen breit machte, sprang die SPA darauf an. Sie stellte das gesuchte Bindeglied zwischen den protestierenden Massen und den existierenden, elitär ausgerichteten Parteien her.

Eine Lehre aus früheren Protesten sowie den Erfah­rungen des arabischen Frühlings bestand darin, eine möglichst breite Koalition aufzustellen.30 Diese würde, so hoffte man, es den Behörden erschweren, den Protest zu brechen. Daher verfasste die SPA eine Grundsatzerklärung, der sich alle relevanten oppo­sitionellen Kräfte im Land anschlossen. Ausdrück­liches Ziel dieser Erklärung für Freiheit und Wandel war es, »politische Rückendeckung« für die Protestierenden zu schaffen.31

Die breite Mobilisierung ist vor allem ein Erfolg dezentraler, informeller Zusammenschlüsse, der lokalen Widerstandskomitees (Local Resistance Com­mittees). Deren Anfänge liegen etwa um 2013. Beson­dere Verbreitung fanden sie im Zuge der Proteste seit Dezember 2018, weswegen einige sie auch als »Hauptinnovation der Dezemberrevolution« bezeichnen.32 Vor allem junge Menschen finden sich in den lokalen Widerstandskomitees wieder. Jugend­aktivist:innen profitierten von jahrelangem Training in gewaltfreien Taktiken, Organisation, Genderfragen und Führungsqualitäten nach den Protesten von 2013. Deren Taktiken machten es den umfangreichen Überwachungsnetzwerken des Regimes schwer, diese Gruppen zu infiltrieren.33

Gerade bei jungen Menschen, die in einem Klima gesellschaftlicher und politischer Repression und wirtschaftlichen Niedergangs groß geworden waren, erzeugte die Zusammenarbeit in den Widerstandskomitees ein enormes Gefühl der Selbstermächtigung angesichts patriarchaler Machtstrukturen.34 Dieses ermöglichte es der revolutionären Bewegung, Mobili­sierung trotz massiver Gewalt und eigener Not auf­rechtzuerhalten. Freiwillige engagierten sich auch in der Basisversorgung, beispielsweise im Rahmen von »Emergency Response Rooms« nach Ausbruch des Kriegs, die sich um die humanitäre Versorgung der lokalen Bevölkerung beispielsweise mit Gemeinschaftsküchen und medizinischer Koordination kümmern.35

Die lokalen Widerstandskomitees besitzen erheb­liche Machtressourcen in der innenpolitischen Aus­einandersetzung. Sie verfügen über hohe Legitimität in ihren Nachbarschaften und sind dort fest ver­ankert. Es gibt sie im ganzen Land, in Städten und länd­lichen Gegenden. In einem von der sudanesischen Übergangsregierung in Auftrag gegebenen Mapping kam das Carter Center für das Jahr 2021 auf 7.238 Jugendorganisationen, darunter 5.289 Widerstandskomitees36 – eine Verbreitung, mit der keine politi­sche Partei Schritt halten kann.37 Die Gewaltfreiheit der Komitees setzt sie von anderen jungen Menschen ab, die bewaffneten Gruppen, Milizen und Sicherheitskräften beitreten. Der wirtschaftlichen Macht des Sicherheitssektors stellte die zivile Bewegung Streiks und Blockaden entgegen.

Die lokalen Widerstandskomitees sind kein einheitlicher Akteur, der ohne Weiteres in Verhand­lungen eingebunden werden könnte. Ihre Mitglieder vertreten unterschiedliche politische Positionen. Um in einem repräsentativen System konkret Einfluss zu nehmen, sind sie daher auf einen Transmissionsriemen angewiesen, wie ihn politische Parteien grund­sätzlich darstellen. Später entwickelten die Widerstandskomitees ihre eigenen Koordinationsmechanis­men auf bundesstaatlicher Ebene, um ihre politi­schen Vorstellungen zu artikulieren.

Spaltung der Sicherheitskräfte

Das Militär ist so eng mit Staat und Gesellschaft in Sudan verbunden, dass es nicht nur ihm gefällige Regierungen durch Putsche an die Macht brachte, sondern Teile des Militärs revolutionären Bewegungen auch dabei halfen, diese Regierungen wieder zu stürzen. Dies hatte vor allem mit der gesellschaft­lichen Nähe von Polizei- und Militärkräften zu den Führern der jeweiligen Aufstände zu tun, die in der Regel aus der oberen Mittelschicht im Zentrum Sudans stammten.38

Die Spaltung des Sicherheitssektors hat tiefe Wurzeln. Immer wieder gab es eine Entfremdung zwischen der Regierungsspitze, die durch einen Putsch ins Amt gekommen war, und dem restlichen Militär.39 So begann bereits Jafa’ar Nimeiri nach seinem Putsch 1969 mit dem Aufbau konkurrierender Sicherheitsorgane, um sein Regime vor einem Staats­streich zu schützen (»coup proofing«).40 Daneben lagerten Regierungen seit den 1980er Jahren, zuerst unter Premierminister Sadiq al-Mahdi (NUP), die Aufstandsbekämpfung in diversen Konflikten an parastaatliche, oft ethnisch oder religiös definierte Milizen aus.41

So entstanden neben den regulären Streitkräften (SAF) und der Polizei unter anderem die Rapid Support Forces (RSF), der General Intelligence Service (GIS, früher NISS) mit seinen Operationseinheiten sowie die Popular Defense Forces. Aufgrund ihrer Größe, ihrer politischen Rolle seit dem Sturz Bashirs und schließlich dem Kriegsausbruch im April 2023 sind die RSF von besonderer Bedeutung.

Die RSF gingen aus arabischen Milizen der Region Darfur im Westen Sudans hervor, welche die Bashir-Regierung dort zur Aufstandsbekämpfung einsetzte, oft verbunden mit gezielter Gewalt gegen die Zivil­bevölkerung. Dort waren sie als »Janjaweed« bekannt. RSF-Führer Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti, gehört den Mahariya an, einem Stamm der nördlichen Reizegat-Nomaden aus Darfur. Während des vorläufigen Höhepunkts der Gewalt in Darfur 2003/04 stieg Hemedti zu einem wichtigen Milizenführer auf. Nach einer kurzen Phase der Rebellion gegen den Staat wurde er 2008 Sicherheitsberater des Gouverneurs des Bundesstaats Süd-Darfur.42 2013 schuf Präsident Bashir die RSF, zunächst unter der Kontrolle des NISS. In zwei Großoffensiven 2014 und 2015 besiegten und vertrieben die RSF in Koordi­nation mit regulären Armee-Einheiten bewaffnete Gruppen aus Darfur. Während der Folgejahre stiegen die RSF in den Schmuggel von Migranten und in die Goldproduktion ein. Außerdem wurden RSF-Truppen in großer Zahl im Jemenkrieg unter Führung der VAE und Saudi-Arabiens eingesetzt (neben einem kleine­ren SAF-Kontingent).43 Aus diesen Quellen wuchs die Finanzkraft der RSF und ihres Führers stark an.44 2017 war ein wichtiges Jahr für die RSF: Hemedtis Konkurrent Musa Hilal wurde verhaftet, und die RSF wurden auf der Basis eines eigenen Gesetzes in eine »reguläre Streitkraft« unter der Hoheit des Ober­kommandierenden der Sicherheitskräfte, das heißt Präsident Bashir, verwandelt. In der Folge wurden die RSF de facto zu Bashirs persönlicher Schutzgarde.

SAF und RSF verbindet das Ziel, Dominanz über den sudanesischen Staat zu behalten bzw. vollständig zu erlangen. Ihre Vorstellungen vom Staat unterscheiden sich jedoch. Das SAF-Offizierskorps sieht die Streitkräfte als einzige wirklich »nationale«, gesamtgesellschaftliche Institution an (obgleich die SAF-Führung überwiegend aus den arabischen Stämmen Zentralsudans kommt). Ihr strategisches Interesse besteht darin, die Fragmentierung des Sicherheits­sektors sowie des Staates und der Gesellschaft wieder zurückzudrängen. Plurale zivile Politik, geprägt von demokratischen Auseinandersetzungen, sehen sie als Rezept für Fragilität und einen Staatszusammenbruch, wie ihn mehrere Länder in der weiteren Nachbarschaft Sudans (Jemen, Libyen, Somalia) erlebten.45

Die SAF und die RSF unterscheiden sich in ihren Vorstellungen vom Staat.

Die RSF sind weitaus weniger institutionalisiert als die SAF. Ihre Führung besteht größtenteils aus Mitgliedern der Dagalo-Familie. Hemedtis Stellvertreter ist sein Bruder Abdel Rahim Dagalo, der auch das wichtigste mit den RSF verbundene Unternehmen, Al‑Junaid, leitet. Es ist vor allem in der Förderung und dem Export von Gold aktiv. Angehörige des Stamms der Reizegat bilden den Kern der RSF und stellen die meisten ihrer Kommandeure. In den Rängen finden sich Kämpfer aus vielen anderen Ethnien aus Sudans Peripherie sowie Staatsangehörige der Länder des zentralen Sahel. Viele junge Männer schlossen sich, überwiegend aus finanziellen Gründen, den RSF an, denn diese zahlen vergleichsweise hohe Gehälter.46 Allerdings gibt es weiterhin Kräfte in den RSF, die eine Ideologie von »arabischer Vorherrschaft« ver­folgen. Diese motivierte die »Janjaweed«-Milizen bereits in den 2000er Jahren, genozidale Gewalt gegen nichtarabische Gruppen aus den Stämmen der Fur, Zaghawa und Masalit auszuüben.47 Die RSF streben Dominanz über den Sicherheitssektor an und wollen dazu eine neue Armee aufbauen, welche die alten SAF-Strukturen ersetzen würde. Insgesamt nutzen die RSF stärker informelle und persönliche Beziehungen als die SAF und versuchen vor allem mit Hilfe materi­eller Ressourcen und ethnischer Verbindungen Ein­fluss zu nehmen, während die SAF auch ihren Zugang zu öffentlichen Institutionen nutzen. Diese verschiedenen Vorgehensweisen erklären auch die unterschiedlichen Haltungen der SAF und der RSF zu einer zivilen Regierung. Setzen die RSF in erster Linie auf einen schwachen Staat mit geringer Regulierung, wollen die SAF eher den Staat unter ihrer autoritären Kontrolle behalten.

Die jeweiligen Sicherheitskräfte verfügen über beträchtliche Machtressourcen, die sie nicht nur gegen zivile Akteure, sondern auch gegeneinander einsetzen können. Am offensichtlichsten ist die Rolle der Sicherheitskräfte für die Sicherheit des Landes, denn sie können zu ihr beitragen, sie aber auch beeinträchtigen. Darüber hinaus besitzen sie große wirtschaftliche und finanzielle Macht.48 Die SAF kontrollieren etwa ein Viertel der Wirtschaft, die RSF gar die Hälfte.49 Weitere Machtressourcen bestehen in ihren privilegierten, oft personalisierten Außen­beziehungen. Die SAF pflegen enge Beziehungen mit Ägypten, RSF-Führer Hemedti hat intensive Verbindungen zu den VAE. Sowohl SAF als auch RSF arbei-teten mit der Wagner-Gruppe und der russischen Regierung zusammen und hatten ein gutes Verhältnis zu Saudi-Arabien.

Den Sicherheitskräften fehlen jedoch drei wichtige Ressourcen: ein ziviler Unterstützungsapparat nach dem Wegfall der NCP sowie innenpolitische Legitimität und westliche Unterstützung. Die Stellung der RSF ist prekärer als die der SAF, da sie als paramilitärische Einheit erhebliche Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ausgeübt hat. Dagegen wird die Existenz der SAF von Parteien und Demokratiebewegung zumindest nicht in Frage gestellt.

Opportunistische Führer bewaffneter Gruppen

Als Begleiterscheinung von Sudans anderen bewaffneten Konflikten und als Folge des Umgangs sudane­sischer Regierungen mit Aufständen existieren zahl­reiche bewaffnete Gruppen im Land. Grob lassen sich hierbei Gruppen aus dem westlichen Darfur von solchen aus dem Kontext des Nord-Süd-Konflikts sowie aus dem Osten Sudans unterscheiden. Wichtige Gruppen schlossen sich nach der Unabhängigkeit Südsudans 2011 zur Sudan Revolutionary Front (SRF) zusammen, deren Mitglieder jedoch weitgehend eigenständig blieben.50 2014 trat die SRF dem Bündnis Sudan Call bei, das sowohl Oppositionsparteien als auch bewaffnete Bewegungen umfasste und sich gegen die NCP-Herrschaft wandte.

Ein wichtiger Unterschied bestand zwischen den Gruppen, die zum Zeitpunkt der Proteste 2018/19 noch substantielle Truppen in Sudan hatten, und denen, die de facto militärisch besiegt waren und lediglich über einige versprengte Einheiten in Libyen und Südsudan verfügten. Territorium kontrollierten insbesondere die Sudan People’s Liberation Army/ Movement-North (SPLA/M-N) unter Führung von Abdel-aziz al-Hilu sowie die Sudan Liberation Army (SLA-AW) mit Abdel Wahid al-Nur an ihrer Spitze. Die SPLA/M-N beherrscht Gebiete in den Nuba-Bergen und in Blue Nile, die SLA-AW das Territorium um den Berg Jebel Marra in Darfur. Ihre lokal verankerte Macht erlaubte ihnen, sich zurückhaltend gegenüber Verhandlungen mit der neuen zivil-militärischen Regierung in Khartum zu verhalten, zumal sie keine größeren Kämpfe mit den Sicherheitskräften mehr ausfechten mussten.

Grafik 1

Anders war die Situation bei Gruppen aus Darfur wie der Fraktion der SLA, geführt von Mini Minawi (SLA-MM), und dem Justice and Equality Movement (JEM) unter Gebreil Ibrahim. Zum Zeitpunkt von Bashirs Fall verfügten sie in Sudan über keine eige­nen Truppen mehr und in Libyen und Südsudan lediglich über Einheiten, die oft für andere bewaff­nete Akteure tätig waren, wenn es ihnen opportun erschien.51 Zudem besaßen sie anscheinend nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung. Umso mehr waren sie daher an Verhandlungen mit den neuen Autoritäten interessiert, um Zugang zu Posten und Renten zu erhalten, die ihnen wiederum ermöglichen würden, ihre stark dezimierten Bewegungen zu ver­größern. Ihre Machtressourcen bestanden in ihrem transaktionalen Verhandlungsgeschick aus früheren Gesprächen, worin sie Hemedti ähnelten, und den Renten, die sie für ihre teils neu rekrutierten Mit­glieder in den Friedensverhandlungen vereinbaren konnten. Sowohl die Sicherheitskräfte als auch die zivilen Kräfte in den FFC bemühten sich, die Vertreter der bewaffneten Gruppen für ihre jeweilige Sache einzubinden.

Zwischenfazit

Keine Akteursgruppe verfügte nach dem Sturz Bashirs allein über ausreichend Machtressourcen, um sich gegen alle anderen durchzusetzen. Die Sicherheitskräfte (allen voran SAF und RSF) kontrollierten einen Großteil der sudanesischen Wirtschaft sowie militä­rische und polizeiliche Zwangsmittel. Auf diese Weise sorgten sie dafür, dass die zivilen Akteure sie nicht ignorieren konnten. Ihre Spaltung schwächte sie gleichwohl entscheidend, zumal sie nach dem Sturz der NCP kein ziviles Vehikel mehr für die Ausübung von Regierungsgeschäften besaßen. Ihnen fehlte es an Legitimität in der Bevölkerung, die große Ausdauer und Kreativität bei der Selbstorganisation bewies. Die Demokratiebewegung konnte zwar Proteste organisieren und auf der lokalen Ebene zur Grundversorgung der Bevölkerung beitragen. Für Verhandlungen mit dem mächtigen Sicherheitssektor und mit internationalen Akteuren zur Unterstützung der Transition war sie jedoch auf politische Parteien angewiesen, die ihre jeweils eigenen Interessen verfolgten. Der Übergangsprozess fußte somit auf einem äußerst fragilen und gleichzeitig dynamischen Verhältnis dieser Akteurs­gruppen, das sich aus der unterschiedlichen Verteilung von Machtressourcen ergab. Die daraus ent­stehende Ungewissheit eröffnete gleichzeitig einen Raum, in dem es besonders auf die Entscheidungen der beteiligten Akteure ankam.

Scheitern der zivil-militärischen Transition

Die Erfolgschancen der Transition, die 2019 begann und 2021 jäh gestoppt wurde, hingen maßgeblich von zwei Aushandlungsprozessen ab: Es ging darum, das Verhältnis zwischen den zivilen und militärischen Teilen der Übergangsregierung sowie das Ver­hältnis der zivilen Akteure untereinander zu klären (siehe Grafik 1, S. 17). Die Verantwortung für das vorzeitige Ende der Transition liegt bei den putschenden Sicher­heitskräften. Allerdings hätten die zivilen Akteure die Gefahr eines erneuten Putsches zumindest verringern können.

Partnerschaft statt Distanz zum Sicherheitssektor

In der sudanesischen Zivilgesellschaft wurde intensiv diskutiert, ob bereits die Verfassungserklärung von August 2019, die eine Beteiligung des Sicherheits­sektors an der Übergangsregierung vorsah, die Chan­cen für echte Veränderungen unterminierte, und ob andere Regelungen möglich gewesen wären. Schließ­lich hatten die Menschen beim zentralen Protestcamp vor dem Militärhauptquartier eine »Madaniya« gefor­dert, eine zivile Herrschaft, und sich nicht mit dem Austausch des Präsidenten durch das Militär zufrieden­gegeben. Einige Beobachter:in­nen glauben, der hohe interne und internationale Druck auf die zivilen Ver­handler habe dazu geführt, dass sie einem »unreifen Deal« zustimmten, der viele Widersprüche, Unklarheiten und Lücken ent­hielt.52 Ein zentrales Problem war in jedem Fall, dass das Militär diese Schwächen der Übergangs­verfassung für sich auszunutzen wuss­te, während die zivile Seite selbst diejenigen Gelegenheiten unzureichend ergriff, die sie dem Dokument zufolge gehabt hätte.

Die Übergangsregierung entschied sich, die notwendige Zusammenarbeit mit dem Sicherheitssektor zur Partnerschaft aufzuwerten. »The Sudanese model is based on a partnership between civilians and the military to build a democratic state and the rule of law«, sagte Premierminister Abdalla Hamdok im Dezember 2019.53

Eigentlich sah die Übergangsverfassung von 2019 eine begrenzte Rolle des Militärs vor. Es stellte fünf von elf Mitgliedern des Souveränitätsrats sowie dessen Vorsitz für die ersten 21 Monate der Übergangszeit. Außerdem wurden die Minister für Verteidigung und Inneres vom Militär nominiert. Laut Übergangsverfassung sollte der Souveränitätsrat vordringlich formelle Aufgaben übernehmen, welche früher dem Präsi­denten oblagen, beispielsweise die Bestätigung von Minister:innen, Gouverneuren und Mitgliedern des Übergangsparlaments sowie die Ausfertigung von Gesetzen. In der Übergangsverfassung war ausdrücklich festgelegt, dass »bestätigen« sich lediglich auf die »formell notwendige Unterschrift« beziehe, damit eine Entscheidung in Kraft treten könne. Falls der Rat sich nicht innerhalb von 15 Tagen äußerte, würde die Entscheidung bzw. das Gesetz auch so in Kraft treten.54 Die eigentliche exekutive Gewalt sollte beim Premierminister liegen.55

Zudem wurden die Aufgaben der Übergangsregierung mangelhaft gewichtet. Die Liste in der Übergangsverfassung und ihre Konkretisierung durch Premierminister Hamdok suggerierten, dass alle Ziele einander ergänzen könnten. Anhänger:innen dieses impliziten Verständnisses einer »liberalen Transi­tion«, in der Frieden, Demokratie, Menschenrechte und marktwirtschaftliche Reformen zusammen­kommen sollten, vernachlässigten jedoch die bedeut­samen Zielkonflikte bei der Verwirklichung eines solchen Übergangs.56 Hamdok sprach zwar stets davon, dass die Transition »nichtlinear« und »un­ordentlich« sei, präzisierte aber nicht, wie er mit den sich daraus ergebenden Rückschlägen umzugehen gedachte.

Viele politische Fragen des Übergangsprozesses ließen sich nicht an Technokraten delegieren.

Als »technokratische« Regierung sollte Hamdoks erstes Kabinett eigentlich die Auseinandersetzungen vermeiden, welche bisherige Koalitionen geplagt hatten. Doch viele grundsätzliche Fragen des Über­gangsprozesses waren elementar politischer Natur, betrafen also die Verteilung von Werten, prinzipielle Zielkonflikte und das ständige Tauziehen der Ver­treter:innen entgegengesetzter Interessen. Wie sollte das Verhältnis von Staat und Markt bei der Stabili­sierung der Wirtschaft aussehen? Welches Gewicht sollten Gewaltunternehmer im Friedensprozess und über diesen hinaus in den Institutionen der Übergangsregierung erhalten? Welche Kompromisse sollten bei der Aufarbeitung von Verbrechen und der Entflechtung der Wirtschaft von den alten Sicher­heitseliten im Interesse der Stabilität des Übergangsprozesses geschlossen werden? Antworten auf diese Fragen ließen sich nicht an mutmaßliche Techno­kraten delegieren, sondern erforderten eine breite und intensive öffentliche Debatte.

Diskussionen über die Zusammenarbeit mit dem Sicherheitssektor nahmen oft eine polarisierte Form an, so als gäbe es nur die Wahl zwischen enger Part­nerschaft und vollständiger Loslösung des Militärs von allen zivilen Bereichen. Die FFC waren in zwei Lager gespalten. Das eine wurde von den Kommunisten geführt und wollte das Momentum der Mobilisierung nutzen, um das politische System zu trans­formieren und eine rein zivile Regierung zu bilden. Das andere Lager unter Führung der NUP, der Suda­nese Congress Party und weiterer Parteien setzte sich für eine Regierung mit Beteiligung des Militärs ein. Das Ziel lautete, die Machtbalance während der Tran-sition allmählich zugunsten der zivilen Seite zu verändern. Die kommunistische Strategie, das Militär komplett von der Macht auszuschließen, bezeichnete ein führender Vertreter der FFC bereits im Dezember 2019 als »eine sehr gefährliche Strategie, die zu einem Bürgerkrieg in Sudan führen wird, weil es riesige Dif­fe­renzen innerhalb des Militärs gibt«. Wenn die zivile Seite mehr einfordere, könnte der Druck diese Diffe­renzen zwischen SAF und RSF verstärken. Dies würde zu einem »Kampf sogar hier in Khartum führen«. Danach werde der zivile Einfluss auf null zurück­gehen.57Alle anderen würden dann auch zu den Waffen greifen, um ihre Vorstellungen durchzusetzen, und die Unterstützung von Seiten der Bevölkerung würde keine Rolle mehr spielen.

Angesichts dieser Risiken setzten die Mainstream-Parteien der FFC auf einen eher reformistischen Umgang mit den Sicherheitskräften. Das Problem dieser Vorgehensweise war, dass sie »das politische Überleben der Generäle und ihren anhaltenden Einfluss sicherte«, so eine Analyse, obwohl allen Beteiligten klar war, dass die Sicherheitsakteure das größte Hindernis für die politischen Ziele der revo­lutionären Bewegung sein würden.58 Außerdem bau­ten die Vertreter:innen dieser Strategie darauf, die Einigkeit des zivilen Lagers über die vielen kontro­versen, aber notwendigen Entscheidungen des Über­gangsprozesses zu erhalten. Doch die explizite Zusammenarbeit mit Akteuren, welche letztlich für die gewaltsame Auflösung der Sitzblockade in Khar­tum verantwortlich waren, beschädigte nach­haltig das Vertrauen zwischen FFC und Protestbewegung.

Entgegen ihren anfänglichen Zielen gelang es den FFC nicht, während der Übergangsregierung ihre Macht zu Lasten des Militärs zu vergrößern. FFC-Ver­treter:innen waren enttäuscht von Hamdoks Rück­sichtnahme auf die Sicherheitskräfte, der sich mit öffentlicher Kritik des Militärs stets zurückhielt.59 So gab Hamdok der Forderung des Militärs nach, dass alle Entscheidungen des Kabinetts vom Souveränitätsrat genehmigt werden müssten.60 Im Ergebnis fand sich Hamdok zwischen den Stühlen und ohne eigene Macht wieder.

Unter Hausarrest wurde Hamdok für kurze Zeit nach dem Putsch vom 25. Oktober 2021 zur Galionsfigur der großflächigen Proteste, die sofort nach Bekanntwerden des Putsches ausbrachen und von den lokalen Widerstandskomitees organisiert wurden. Allerdings verspielte er dieses Kapital, indem er einer gemeinsamen Erklärung mit Militärführer Burhan am 21. November 2021 zustimmte. Das brachte ihn zwar wieder ins Amt, doch in der Präambel der Erklärung wurde Burhans beschönigende Umschreibung des Putsches verwendet, es sei notwendig, »den Pfad der demokratischen Korrektur zu vollenden«.61 Entrüstet erklärten jene FFC-Minister:innen, die nicht im Gefängnis saßen, am darauffolgenden Tag ihren Rücktritt. In der Folge gelang es Hamdok nicht, eine neue Regierung zu bilden, so dass er am 2. Januar 2022 zurücktrat. Seine Glaubwürdigkeit bei der Demokratiebewegung war dahin.

Nullsummenpolitik und mangelnde zivile Institutionalisierung

Die Einheit der zivilen Front im Rahmen der FFC bröckelte nach kurzer Zeit (siehe Grafik 2). Dies erschwerte es den zivilen Akteuren, das Militär für seine eigenmächtigen Erweiterungen der ihnen verfassungsrechtlich zustehenden Kompetenzen zur Verantwortung zu ziehen und demokratische Mechanismen zu institutionalisieren Die Gründe für diese Fragmentierung liegen nicht allein in den Spaltungsbestrebungen der Sicherheitskräfte oder einer bloßen Vielfalt von politischen Positionen, sondern zu einem Gutteil auch in den eng gefassten Machtinteressen der politischen Parteien. Diese waren stets um Sichtbarkeit und Einfluss bemüht und stark von der Nullsummenpolitik des ihnen bekannten autoritären Kontexts geprägt.

Kaum war Bashir gestürzt, traten die politischen Unterschiede in den FFC zu Tage. SPA-Mitgründer Nagi al-Assam berichtet, wie seine Mitstreiter und er Zeit und Energie darauf verwendeten, Auseinandersetzungen zwischen den politischen Parteien in den FFC zu schlichten, die nur auf den eigenen Vorteil bedacht waren.62 Bereits während der Verhandlungen über die Verfassungserklärung, die in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba stattfanden, sonderten sich die bewaffneten Gruppen der SRF von den FFC ab. Dadurch wurden die Friedensverhandlungen zur Aufgabe für die Übergangsregierung. Die SPA, die während der Proteste gegen Bashir einen wichtigen Transmissionsriemen zwischen der gewaltfreien Widerstandsbewegung und den politischen Parteien gebildet hatte, verlor an Bedeutung, als sich einige Mitglieder unter kommunistischem Einfluss von den FFC abwandten. Einige Mitgliedsorganisationen der SPA warfen der Kommunistischen Partei vor, die Vorstandswahlen bei der ersten SPA-Konvention für ihre Zwecke zu manipulieren.63 Die NUP kritisierte, dem Führungsrat der FFC sei es nicht gelungen, die zahlreichen Differenzen in der Koalition einzu­hegen.64 Wenig später unterbrach sie ihre Aktivitäten in den FFC und forderte baldige Wahlen, bei denen sie sich gute Chancen ausrechnete.65

In allen großen Fragen von Sudans Übergangs­prozessen kämpften die politischen Parteien um ihre eigene Sichtbarkeit. So protestierten die FFC gegen den graduellen Subventionsabbau im Haushalt 2020, den die von den FFC selbst nominierte Regierung vorsah. Daraufhin beließ die Regierung die Subventionen und vertagte die Diskussion auf eine nationale Wirtschaftskonferenz, die wegen der Covid-19-Pan­demie jedoch erst im Herbst 2020 stattfand.

Auch der Friedensprozess mit den bewaffneten Gruppen barg aus Sicht der FFC-Parteien die Gefahr, sie an den Rand zu drängen. Die Vertreter des Sicher­heitssektors dominierten die Verhandlungen in der südsudanesischen Hauptstadt Juba, was FFC-Vertreter später als großen Fehler bezeichneten.66 Die bewaffneten Gruppen, die das Friedensabkommen von Juba (Juba Peace Agreement, JPA) am 3. Oktober 2020 unterschrieben, hatten für sich zuvor eine Quote von 25 Prozent der Kabinettsposten sowie drei zusätzliche Positionen im Souveränitätsrat ausgehandelt, und das, obwohl ihre Bedeutung für die Sicherheitslage in den meisten Konfliktregionen eher marginal war. Tatsächlich stiegen die Zahlen der Opfer bewaffneter Gewalt nach dem Friedensabkommen an.67 Nun drängten die FFC-Parteien Hamdok auch zu einer sichtbareren Regierungsbeteiligung, nachdem sie schon bei der Frage des Subventionsabbaus ihre Veto­macht demonstriert hatten. So wurde am 10. Februar 2021 das neue »politische Kabinett« mit Mitgliedern der Gruppen, die das JPA unterzeichnet hatten, sowie Politiker:innen der FFC ins Amt eingeführt.68

Allerdings verschlechterte der Eintritt der FFC-Politiker:innen auch das Verhältnis zwischen dem zivilen und dem militärischen Teil der Übergangs­regierung. Deren zivile Mitglieder standen jetzt stärker in der Pflicht, Fortschritte bei der Aufgabenbewältigung zu erreichen. Im März 2021 einigten sich die Partner in der Regierung darauf, vom Militär kontrol­lierte Unternehmen unter zivile Aufsicht zu bringen.

Trotz dieser Vorstöße für eigene Sichtbarkeit gelang es den FFC nicht, wichtige Bestandteile des Übergangsarrangements zu etablieren. Es sollten Institutionen geschaffen werden, um die immer mehr vom Militär dominierte Exekutive zu kontrol­lieren, eine Plattform für Deliberation politischer Vorhaben zu bieten, die Vorhaben der Transforma­tion auf eine breitere gesellschaftliche Grundlage zu stellen und für juristische Schiedsmechanismen zu sorgen. Diese Institutionen hätten eine erneute Machtergreifung des Militärs zumindest erschwert. Sie hätten aber auch den individuellen Einfluss der oft kleinen Mit­gliedsparteien der FFC verringert.

Die geplante Übergangsversammlung wurde nie eingesetzt.

So wurde die Einsetzung einer Übergangsversammlung mit geplant 300 Delegierten (Transitional Legis­lative Council, TLC), welche Gesetze beschließen und die Regierungsarbeit kontrollieren sollte, immer wie­der verschoben und fand letztlich nicht statt. Bereits im September 2019 hatte RSF-Führer Hemedti den bewaffneten Gruppen versprochen, die Versammlung erst nach Abschluss eines Friedensabkommens zu installieren.69 Proteste von Seiten der FFC verhallten ungehört.70 Später konnten sich die FFC-Mitglieder nicht auf die Verteilung der Abgeordneten unter den einzelnen Mitgliedsparteien einigen: Das Gremium sollte komplett ernannt werden, doch gab es keine verlässliche Grundlage für die Aufteilung der Man­date. FFC-Vertreter verwiesen später auf Blockaden aus dem Sicherheitssektor, der allen Ernennungen zustimmen musste, räumten aber ein, dass die meiste Schuld für die Verzögerung bei ihnen selbst lag.71

Die Übergangsregierung bemühte sich außerdem kaum darum, die zivilen Strukturen auf kommunaler und bundesstaatlicher Ebene zu stärken. Zum Zeit­punkt des Putsches im Oktober 2021 gab es zwar in allen 18 Bundesstaaten Gouverneure, die von der zivilen Regierung ernannt worden waren, aber keine Minister:innen. Einige kleinere Parteien in den FFC lehnten frühe Kommunalwahlen ab. Diese hätten der Bevölkerung erlaubt, sich in ihrer unmittelbaren Umgebung an öffentlichen Institutionen zu beteiligen, aber auch die Macht dieser Parteien auf der nationalen Ebene in Frage gestellt.72

Schließlich ernannte die Übergangsregierung kein neues Verfassungsgericht, nachdem es das alte auf­gelöst hatte. Deshalb konnten die vielen Unklarheiten und Lücken der Übergangsverfassung nicht auf juri­stischem Wege beseitigt werden, sondern wurden de facto vom Justizministerium bearbeitet. Dieses besaß aber weder die Kapazität noch die Autorität für ver­bindliche Entscheidungen.73

Die Schwierigkeiten entsprangen nicht den verschiedenen Ausrichtungen der politischen Parteien. Deren Pluralität war eher eine Stärke, insofern sie die unterschiedlichen Strömungen in der sudanesischen Gesellschaft widerspiegelte. Doch das beständige Dominanzstreben erschwerte es den Parteien, einen institutionellen Rahmen zu festigen, innerhalb dessen sie ihre Interessen hätten wahrnehmen können. Zudem fiel es den Sicherheitskräften leich­ter, die Macht zu ergreifen, wenn sie lediglich die wichtigsten zivilen Führer verhaften lassen mussten.

Scheitern des Militärputsches

Dass sich mit Bashirs Fall etwas Grundsätzliches in der sudanesischen Politik geändert hatte, wurde spätestens nach dem Militärputsch 2021 deutlich. Die Sicherheitskräfte konnten zwar relativ leicht eine nationale Krise heraufbeschwören und Hamdok sowie die FFC-Minister:innen absetzen. Eine neue stabile Regierung konnten sie jedoch nicht auf die Beine stellen. Das alte Muster von Repression, Kooption und ziviler Fassade funktionierte nicht mehr. Nach 2019 scheiterte damit bereits zum zweiten Mal der Ver­such, eine reine Militärregierung zu installieren.

Transaktionale Handlungsmuster greifen nicht mehr

Es gelang den Sicherheitskräften, die angespannte Situation im Frühherbst 2021 zu einer nationalen Krise zu steigern, welche den Boden für den Staatsstreich bereitete. Nach einem Putschversuch mutmaßlich durch Anhänger des NCP-Regimes im Sep­tember 2021 spitzte sich die Lage zu. Eine wochenlange Blockade des Hafens in Port Sudan verschärfte die wirtschaftliche Versorgungslage in Khartum. Die Blockade wurde vom High Council for the Tribes of the Beja unter Führung des ehemaligen NCP-Abgeord­neten Sayed Tirik organisiert, vorgeblich aus Frustration über das Ostsudan-Protokoll des Friedens­abkommens von Juba.74 Anfang Oktober gründeten 16 politische und bewaffnete Gruppen eine rivalisierende FFC-Fraktion.75 Unter Führung von Gebreil Ibrahim und Mini Minawi, die ihre Regierungsposten der Zusammenarbeit mit dem Sicher­heitssektor verdankten, organisierte diese FFC2 genannte Frak­tion Proteste und eine mehrtägige Sitzblockade vor dem Präsidentenpalast, bei der unverhohlen eine Militärregierung gefordert wurde.76

Am 25. Oktober 2021 riefen die Sicherheitskräfte den Ausnahmezustand aus. Ihr eigentliches Ziel, mittels einer Technokratenregierung eine zivile Fassade für ihre Herrschaft zu schaffen, erreichten sie nicht. Außerdem hatten die Sicherheitskräfte gehofft, Hamdok mit seinen guten internationalen Verbindungen im Amt behalten zu können.77 Die FFC2-Parteien waren zu schwach, um eine sogenannte Expertenregierung einzusetzen, und die restlichen FFC1-Parteien sowie unabhängige Technokraten weigerten sich, als Steigbügelhalter des Militärs zu agieren.

Der massive Druck durch anhaltende Demonstrationen und Streiks hatte großen Anteil daran, dass keine zivile Fassade für eine Militärregierung auf­gebaut werden konnte. Anders als die Sicherheits­kräfte – nicht zuletzt mit Blick auf weitere Putsche in dieser Zeit – erwartet hatten, begrüßten keine jubelnden Massen den Staatsstreich, sondern zahl­reiche Demonstrierende wandten sich dagegen. Nach dem Putsch waren mehr Demonstrationen zu verzeichnen als während der (kürzeren) Proteste gegen Bashir 2018/19, zwei Drittel davon außerhalb des Bundesstaats Khartum.78 Zwar setzten die Sicher­heitskräfte tödliche Gewalt gegen diese Proteste ein, bei denen bis März 2023 über 120 Menschen starben.79 Doch die repressiven Maßnahmen der Sicherheitskräfte blieben hinter dem Ausmaß des Massakers vom Juni 2019 zurück.80

Die Widerstandskomitees ließen sich nicht von Sicherheitseliten kooptieren. Vielmehr wandten sie sich nach der Erklärung Hamdoks mit Burhan vom 21. November 2021 auch von den politischen Parteien in den FFC1 ab. Daraufhin begannen die Komitees einen aufwendigen Prozess, um eine Charta mit politischen Forderungen zu formulieren.81 In deren Zentrum stand die Etablierung eines Übergangsparla­ments, das die Arbeit einer neuen Übergangsregierung effektiv überwachen sollte. Dezentralisierung und lokale Politik sollten eine wichtige Rolle spielen – genau die Bereiche, welche die FFC in ihrer Regie­rungszeit vernachlässigt hatten.82 Die Mitglieder des Übergangsparlaments sollten von Basisversammlungen aller Nachbarschaften ernannt werden.83 Die Widerstandskomitees luden politische Parteien und andere zivile Kräfte ein, sich ihnen anzuschließen. Sie selbst lehnten direkte Verhandlungen mit den Sicherheitskräften unter deren damaliger Führung ab.84

Ein weiterer Faktor für das Scheitern des Militärs, eine Fassadenregierung einzusetzen, war das Verhal­ten internationaler Geber und Finanzinstitutionen nach dem Putsch. Diese suspendierten ihre bilaterale Zusammenarbeit, stoppten bereits zugesagte Zahlun­gen in Höhe von rund einer Milliarde US-Dollar 2021 sowie weiteren zwei Milliarden pro Jahr (2022 und 2023) und unterbrachen den Entschuldungsprozess.85 In der Folge schnellten die Preise in die Höhe; allein der Brotpreis im Bundesstaat Khartum versechsfachte sich binnen drei Monaten.86 Gleichzeitig stellte die Regierung das Family Support Programme mit seinen Direktüberweisungen an bedürftige Familien ein, weil die internationalen Mittel dafür nicht mehr flossen. Der wirtschaftliche Niedergang nach dem Putsch betraf auch die Mitglieder der Sicherheits­kräfte. Es gab Berichte über Plünderungen durch Uniformierte, die nicht von den Unternehmensbeteiligungen der Sicherheitskräfte profitierten. All diese Schwierigkeiten verschärften zudem das Verhältnis zwischen SAF und RSF.

Aufstieg der RSF ins politische Zentrum Sudans und Spannungen im Sicherheitssektor

Vielleicht den tiefgreifendsten Wandel in Sudans politischem System bildete der Aufstieg der RSF zu einer der beiden schlagkräftigsten bewaffneten Ein­heiten des Landes, deren Führung gleichzeitig einen großen Teil der Wirtschaft kontrollierte und poli­tischen Einfluss ausübte. Die Präsenz zweier etwa gleich starker Sicherheitskräfte in Form der SAF und RSF erhöhte das Risiko für einen Bürgerkrieg in einer Situation, in der beide miteinander um die Kontrolle des Staates wetteiferten und es keine übergeordnete Instanz (Präsident Bashir) bzw. gemeinsamen Gegner (die zivile Komponente in der Übergangsregierung) mehr gab (siehe Grafik 1, S. 17). Denn weder SAF-Führer Burhan noch RSF-Chef Hemedti konnten ohne Rück­griff auf Dritte dem jeweils anderen glaubwürdig versichern, Abmachungen zur Umstrukturierung des Staates zu respektieren. Beide hatten einen Anreiz, die Macht des jeweils anderen zu übernehmen. Typi­scherweise bereitet eine solche Konkurrenzsituation den Boden für einen Putsch oder eine Säuberungs­aktion, das heißt den Ausschluss eines Konkurrenten und seiner Verbündeten aus der Herrscherelite, zumal wenn die Konkurrenz eine ethnische Dimension hat.87

Weil beide konkurrierende Sicherheitskräfte etwa gleich stark waren, wuchs die Bürgerkriegsgefahr.

Nach dem Fall Bashirs gewannen die RSF so viel Macht, dass die SAF nicht in der Lage waren, sie durch den Austausch ihrer Führer zu übernehmen. Eine offene Konfrontation, das wurde zunehmend klar, bedeutete Krieg. Aus dem Putschrisiko wurde somit ein Kriegsrisiko, erst recht nach dem Wegfall der zivilen Komponente mit dem Putsch vom Oktober 2021.

Die RSF unter Hemedtis Führung waren zum Zeit­punkt von Bashirs Sturz im April 2019 bereits ein mächtiger und reicher Akteur, vor allem seit dem lukrativen Söldnereinsatz im Jemenkrieg im Auftrag der VAE. Der Einfluss der RSF wuchs jedoch noch weiter, als die Übergangsregierung gebildet wurde. Hemedti hatte sich selbst zum Stellvertreter Burhans ausgerufen und behielt diese Position, als der Über­gangsmilitärrat Teil des Souveränitätsrats der Über­gangsregierung wurde. Dass der Souveränitätsrat eine ihm ursprünglich nicht zugedachte exekutive Rolle erhielt, vermehrte auch Hemedtis politischen Ein­fluss. Derweil rekrutierten die RSF in vielen Teilen Sudans neue Mitglieder, so dass sie laut Schätzungen ihre Personalstärke innerhalb von vier Jahren nahezu verdreifachten.88

Islamistische Anhänger des NCP-Regimes behielten großen Einfluss in den SAF und auf Burhan selbst. Die SAF-Führung schaute auf Hemedti und seine Fami­lie als Emporkömmlinge aus der Peripherie herab, und einfache Soldaten misstrauten ihm wegen der Rolle der RSF bei der Niederschlagung des Protest­camps im Juni 2019.

SAF und RSF setzten auch auf unterschiedliche internationale Partner, deren Rivalität sie sich für ihre innenpolitische Konkurrenz zunutze machten. Hatten sie nach dem Sturz Bashirs noch auf die gemeinsame Unterstützung durch Ägypten, die VAE und Saudi-Arabien zählen können, verschlechterte sich auch das Verhältnis dieser Regionalmächte untereinander.89 Berichten zufolge spielte Ägyptens Geheimdienst in den Wochen vor dem Putsch 2021 eine entscheidende Rolle, indem er zwischen SAF und RSF vermittelte und damit deren Machtergreifung erst ermöglichte.90 Die VAE und Saudi-Arabien unter­stützten Bemühungen der Vereinten Nationen, nach dem Putsch Gespräche zwischen den Militärs und den FFC zu arrangieren. Als Teil der Quad-Gruppe mit den USA und Großbritannien begleiteten sie die ver­trau­lichen Gespräche, welche am 5. Dezember 2022 im Rahmenabkommen resultierten.

Das Rahmenabkommen sah vor, dass eine rein zivile Regierung gebildet werden sollte. Die VAE zeig­ten ihre Wertschätzung für die Einigung: Gut eine Woche später unterschrieben die Abu Dhabi Ports Group und Invictus Investment ein vorläufiges Inve­stitionsabkommen zum Bau eines Hafens in Nord­sudan im Wert von sechs Milliarden US-Dollar.91 Ägypten organisierte demgegenüber ein Treffen von Führern bewaffneter Gruppen und politischer Partei­en unter dem Mantel der FFC2 (unter ihnen Minawi und Ibrahim), welche die Verhandlungen und später das Rahmenabkommen ablehnten. Aus Sicht einiger FFC1-Politiker waren Ägyptens Bemühungen darauf ausgelegt, den gesamten Prozess zu unterminieren.92

Solange Hamdok und die FFC Teil der Regierung waren, sorgten sie dafür, dass die Spannungen zwischen SAF und RSF nicht ausuferten. Mit dem Putsch änderte sich diese Dynamik. Burhan, nicht zuletzt unter Druck von Hardlinern in der Militär­führung, holte Tausende Anhänger des NCP-Regimes zurück in den öffentlichen Dienst und die Justiz, um Kontrolle über den Staatsapparat zu erlangen. Zwar war die NCP zu sehr in Verruf geraten, als dass es möglich gewesen wäre, ihr Verbot offiziell aufzu­heben und sie formell erneut an der Regierung zu beteiligen. Doch ihre Mitglieder und ehemaligen Führer wie die früheren Außenminister Ali Karti und Ibrahim Gandour kehrten ins öffentliche Leben zurück, nachdem die Militärregierung sie nach dem Putsch aus dem Gefängnis entlassen hatte.93 Der Wiederaufstieg der NCP-Anhänger musste Hemedti alarmieren, den diese des Verrats bezichtigten.

Sudans erneuter Krieg und seine Folgen

Im Frühjahr 2023 waren die Bedingungen vorhanden, die den Ausbruch massiver bewaffneter Gewalt in der sudanesischen Hauptstadt am 15. April ermöglichten und deren schnelle Beendigung beträchtlich erschwer­ten. Die Sicherheitskräfte nutzen jeden Spielraum, um sich nach und nach wieder mehr Einfluss zu ver­schaf­fen. Viele Beteiligte betrachteten Politik weiter­hin als Nullsummenspiel, bei dem die Gewinne des einen Verluste für den anderen bringen. Die FFC-Parteien hatten es nicht vermocht, die Revolution institutionell tiefer zu verankern.

Hemedti konnte immer mehr Macht auf sich und die RSF konzentrieren.

Gleichzeitig griffen die alten transaktionalen Handlungsmuster des Sicherheitssektors nicht mehr, nämlich sich mit Repression und Kooption an der Macht zu halten. Opportunistische Vertreter bewaff­neter Gruppen und Ableger politischer Parteien trugen zur Spaltung des zivilen Lagers bei, indem sie in der engeren Zusammenarbeit mit dem Sicherheitssektor den eigenen Vorteil in Form von Posten suchten, welche angesichts mangelnder gesellschaftlicher Basis ihr politisches Überleben sichern sollten. Das Militär bekam jedoch beständig Absagen von Personen aus der sudanesischen Elite, die sie für Ministerposten angefragt hatte. Hemedti war seit dem Sturz Bashirs in die höchste Liga der sudanesischen Politik aufgestiegen und konnte immer mehr Macht auf sich und die RSF konzentrieren. Der Putsch von 2021 und die folgende Weigerung der FFC1-Parteien, sich vom Militär kooptieren zu lassen, brachte RSF und SAF in direkte Konkurrenz um die politische und militärische Führung des Staates. Aus Sudans tradi­tionellem Putschrisiko wurde das Risiko für einen bewaffneten Konflikt im Zentrum des Staates – genau das Szenario, vor dem zivile Politiker wie Khalid Omer Yousif seit Jahren gewarnt hatten. Von Anfang an bildete die Konkurrenz innerhalb des Sicherheitssektors die größte Gefahr für die sudanesische Transition.

Kriegsausbruch als Folge einer Eskalationsspirale

Der Ausbruch des bewaffneten Konflikts zwischen SAF und RSF am 15. April 2023 war die Folge einer Eskalationsspirale, die wiederum aus einem Sicherheitsdilemma resultierte. Rein rational betrachtet konnte ein Krieg zwischen SAF und RSF weder im Interesse des einen noch des anderen sein, weil keine schnelle militärische Klärung zu erwarten war und eine andauernde bewaffnete Auseinandersetzung beide schwächen würde. Die Konfliktlinie zwischen SAF und RSF war nicht neu; beide kannten die Fähig­keiten des jeweils anderen. In den Wochen zuvor hatten sie Truppen an strategischen Orten zusammen­gezogen, um für einen möglichen Angriff des Kontra­henten gewappnet zu sein – oder auch die Gelegenheit für eine schnelle Machtergreifung zu nutzen. Letzte Vermittlungsbemühungen von Mitgliedern des Souveränitätsrats sowie den UN bis in die Nacht vor dem Tag des Kriegsausbruchs scheiterten mit den Gefechten am Morgen des 15. April.

Es ist unbekannt, wer den ersten Schuss abfeuerte. Beide Parteien beschuldigen sich gegenseitig. Einige Quellen deuten darauf hin, dass SAF-Generäle in Abstimmung mit Akteuren des früheren NCP-Regimes ihrer Entmachtung zuvorkommen wollten, die ihnen durch die Einsetzung einer zivilen Regierung oder einen Putsch der RSF womöglich gedroht hätte. Dazu passt, dass die SAF sich zunächst mit den RSF und den Unterzeichnern des Rahmenabkommens auf einen Plan für eine phasenweise zu verwirklichende Integration der RSF binnen zehn Jahren einigten,94 sich Ende März 2023 jedoch wieder davon distanzierten.95 Für Aufsehen sorgte zudem, dass Tut Gatluak – Berater von Südsudans Präsident Salva Kiir Mayardit, Adoptivsohn von Omar al-Bashir und Chef­vermittler für das Friedensabkommen von Juba – seine Familie wenige Tage vor Kriegsausbruch aus Khartum in Sicherheit brachte.96 Selbst wenn die Initiative zur Gewaltanwendung von einer SAF-Einheit ausgegangen sein sollte, waren die RSF besser vor­bereitet. Sie verfügten überall in der Hauptstadt­region über Waffendepots und drangen bereits am Morgen des ersten Kriegstags in das Gästehaus des Präsidenten ein, der nur mit Mühe in das nahe Militär­hauptquartier fliehen konnte.97

Aus der immer weiter gewachsenen Spannung zwischen SAF und RSF war eine Situation entstanden, deren Dynamik beide Seiten nicht mehr kontrollieren konnten. Da der Kampf nun einmal begonnen war, führten sie ihn mit großer Härte fort.

Konfliktdynamik zwischen Bürgerkrieg und Vernichtung

Der Krieg metastasierte innerhalb weniger Monate, so dass man von sich überlagernden Konflikten auf verschiedenen Ebenen sprechen kann. Neben den Konflikten um politische und militärische Dominanz im Bundesstaat Khartum sowie um strategische Infrastruktur im Rest des Landes gibt es eine anders gelagerte Dynamik in Teilen der Region Darfur. Satellitenbilder und die Aussagen von nach Tschad Geflüchteten zeigen, dass die RSF und die arabischen Milizen gezielt Angehörige der Masalit vertreiben, ihre Dörfer niederbrennen, Frauen vergewaltigen und Zivilisten massenhaft töten.98 Die RSF werfen den Masalit vor, sich ihnen im Kampf gegen die SAF nicht anzuschließen und sich stattdessen von den SAF bewaffnen zu lassen. Arabische Stämme verfolgen darüber hinaus eigene, lokale Ziele, auch aus Unmut über das Friedensabkommen von Juba, das beispielsweise eine Rückkehr der (nichtarabischen) Binnen­vertriebenen vorsah. Selbst wenn die RSF-Führung ihre Bekenntnisse zur Aufarbeitung von Verbrechen ernst meinen sollte, wäre sie darauf bedacht, diese Stämme nicht von sich zu entfremden, und würde sie daher auch kaum zur Zurückhaltung gegenüber der Zivilbevölkerung drängen.

Darüber hinaus nutzten einige bewaffnete Gruppen den Kriegsausbruch für ihre Zwecke. Die SPLA/M‑N unter Abdel-aziz al-Hilu hat mehrere Stellungen der SAF in Südkordofan erobert und damit ihr Terri­to­rium vergrößert.99 Ähnliche Ziele verfolgt die SLA-AW in Jebel Marra. Im November 2023 kündigten JEM und SLA-MM ihre bisherige militärische Neutra­lität auf, nachdem Angehörige der von ihnen gebil­deten gemeinsamen Truppe zum Schutz von Versorgungskonvois zunehmend unter Beschuss der RSF geraten waren.100 Burhan dankte den ehemaligen Rebellengruppen für ihre Beteiligung an SAF-Opera­tionen im Februar 2024.101 Diese nichtstaatlichen Gewalt­akteure verfolgen ihre jeweils eigenen Ziele, die nur vorübergehend mit denen der SAF oder (weniger) der RSF zusammenfallen.

Die RSF kontrollieren einen Großteil der Stadt Khartum sowie weite Teile der Region Darfur im Westen Sudans, der südlichen Bundesstaaten West‑ und Nordkordofan und des Bundesstaats Al‑Dschazira im Zentrum des Landes. Dagegen halten die SAF Teile Omdurmans, Khartums Schwesterstadt am Nil, sowie im Norden, Osten und Zentrum Sudans. Das Land bewegt sich auf eine De-facto-Spaltung zu. Eine schnelle militärische Entscheidung ist nicht zu erwarten. SAF und RSF besitzen unterschiedliche militärische Fähigkeiten. Weil die SAF eine Luftwaffe, schwere Artillerie und Panzer haben, sind sie mehr auf die Verteidigung fester Orte konzentriert. Im Gegensatz dazu verfügen die RSF über eine hoch­mobile Infanterie auf Pick-up-Trucks, die zusätzlich mit tragbaren Flugabwehrraketen und Drohnen ausgestattet ist. Um Luftangriffen zu entgehen, ver­teilte sich die RSF schnell über die Stadt Khartum und nahm Wohnhäuser in Beschlag, welche die SAF mit Explosivwaffen beschossen.102 Mittlerweile haben die RSF mehrere Stützpunkte der SAF eingenommen und dort weitere schwere Waffen erbeutet. Die RSF profitieren von Waffenlieferungen der VAE über Tschad, die SAF dagegen von Lieferungen türkischer Drohnen durch Ägypten sowie von Drohnen und weiteren Waffen aus Iran.103

SAF-Chef Burhan rief die Bevölkerung auf, sich zu bewaffnen.104 Die SAF eröffneten Rekrutierungscamps in den von ihnen kontrollierten Gebieten, und auch die RSF rekrutierten weitere Kämpfer. Teilweise wech­seln Einheiten zwischen beiden Parteien die Loyalität. Folge dieser Aufrufe und Rekrutierungen ist eine wei­tere Militarisierung der Gesellschaft. Damit schrumpft der Raum für die zivilen Kräfte erheblich, sich politisch bemerkbar zu machen.

Auch in Gebieten, die nicht direkt von Kämpfen betroffen sind, leiden Menschen große Not.

In Khartum sind wichtige Teile der Infrastruktur wie die Versorgung mit Wasser, Elektrizität und Telekommunikationsdiensten zerstört. Ein Drittel der Bevölkerung des Bundesstaats Khartum, mehr als 3,5 Millionen Menschen, ist innerhalb des ersten Dreivierteljahres geflohen, darunter ein großer Teil der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes. Die von den SAF kontrollierten Ministerien haben ihre Regierungsaktivitäten nach Port Sudan verlegt. Im Laufe des Jahres 2023 wurde Sudan zum Land mit den meisten Binnenvertriebenen weltweit (über 9 Millionen, zusätzlich zu mehr als 1,8 Millionen Geflüch­teten).105 Die Zentralisierung des Staates und der Wirtschaft in der Hauptstadtregion erwies sich im Krieg als besonders nachteilig für das Land. Wäh­rend der Kampfhandlungen in und um Khartum wurden viele Märkte, Geschäfte und Banken zerstört, sodass auch die Versorgung des restlichen Landes mit Gütern des täglichen Bedarfs und mit Finanzmitteln stark beeinträchtigt ist.106 So leiden Menschen große Not auch in Gebieten, die nicht direkt von Kämpfen betroffen sind.107

Aussichten für eine zukünftige politische Ordnung nach dem Krieg

Die ersten Monate seit Kriegsbeginn sahen eine Fülle von internationalen Vermittlungsversuchen, die alle nach kurzer Zeit ins Stocken gerieten. Es war die Afrikanische Union, welche bereits am 20. April 2023 die größte Staatengruppe zusammenbrachte, um einen sogenannten erweiterten Mechanismus zu initiieren. Neben allen Nachbarstaaten umfasste sie die arabischen Länder sowie die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, die EU, Deutschland und andere Geber.108 Doch die Bemühungen der AU verzögerten sich. Währenddessen verkündete die zwischenstaat­liche Behörde für Entwicklung (Intergovernmental Authority on Development, IGAD) eine Roadmap und präsentierte ein Quartett von Vermittlern in Gestalt der Staatspräsidenten Äthiopiens, Dschibutis, Süd­sudans und Kenias (das den Vorsitz innehat).109 Parallel dazu brachten die USA und Saudi-Arabien Verhandlungsdelegationen von SAF und RSF nach Dschidda, wo diese im Mai 2023 eine humanitäre Prinzipienerklärung unterschrieben und im November 2023 ein humanitäres Forum schufen, geleitet von der UN-Koordinierungsstelle für humanitäre Angelegenheiten (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, UN OCHA). Nachdem zahlreiche Waffenstillstandsversprechen beider Seiten nicht eingehalten worden waren, wurden die Verhandlungen vertagt. An diesen Ver­handlungen beteiligten die USA und Saudi-Arabien weder ihre Quad-Kollegen VAE und Großbritannien noch andere Länder und bezogen auch keine zivilen Vertreter ein.110 Sowohl AU als auch IGAD versprachen Konsultationen mit sudanesischen Stakeholdern aus dem zivilen Spektrum, konnten sich aber (Stand Februar 2024) nicht darauf einigen, wer zu den Beratungen eingeladen werden sollte. Die Spannungen zwischen den arabischen Regionalmächten offenbarten sich auch in den Vermittlungsangeboten. In Abgrenzung zu den Dschidda-Gesprächen brachte Ägypten Staats- und Regierungschefs von Sudans Nachbarstaaten für eine Initiative nach Kairo, lud dazu jedoch nicht die Konfliktparteien ein.

Zivile Zusammenschlüsse und Erklärungen gab es verschiedene. Im Oktober 2023 einigte sich eine Versammlung gesellschaftlicher und politischer Akteure in Addis Abeba auf die Gründung einer Coordination of Civil Democratic Forces (Taqaddum), deren Vor­bereitungsausschuss der frühere Premierminister Hamdok leitet. Uneinigkeit besteht vor allem darüber, wer solchen Koalitionen beitreten darf und wie genau die Ziele formuliert werden sollen. Gegen den Krieg an sich zu sein reicht für einige nicht aus, weil unter dieser Maxime SAF und RSF gleichbehandelt würden, obwohl die SAF zumindest institutionell als nationales Militär größere Legitimität aufwiesen und die RSF für massive Plünderungen in Khartum und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung verantwortlich seien. Taqaddum sah sich Kritik ausgesetzt, sich einseitig zu positionieren, als Hamdok und Hemedti am 2. Januar 2024 eine gemeinsame Erklärung unter­zeichneten, die ein Ende des Kriegs und den Wiederaufbau des Staates versprach.111 Andere wollen eine möglichst breite Front schaffen und dabei Sympathisanten des früheren Regimes einbeziehen, was einige FFC-Führer vehement ablehnen.112 Dass viele An­gehörige von Eliten geflohen sind oder vertrieben wurden, erschwert die Koordination. Eine Schlüsselfrage, die bereits die SPA und die FFC umtrieb, ist der Aufbau einer handlungsfähigen Organisation einschließlich der Besetzung von Führungsgremien.113 Das Verhältnis zwischen politischen Parteien und restlicher Zivilgesellschaft innerhalb der Koali­tion bleibt angespannt.

Der Krieg wird erst enden, wenn es Chancen für eine neue politische Ordnung gibt.

Klar ist, dass der Krieg in Sudan nur enden wird, wenn es Aussicht auf eine neue politische Ordnung gibt. Ein vollständiger militärischer Sieg von SAF oder RSF ist auf absehbare Zeit wenig wahrscheinlich. Erfolgversprechend scheint weder eine erneute Machtteilung zwischen SAF und RSF noch zwischen Sicherheitssektor und politischen Parteien, wie sie nach dem Fall Bashirs 2019 versucht wurden. In der Vergangenheit stärkten internationale Friedensvermittlungen stets ein System, das Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Interessen legi­timierte.114 Wegen der ausufernden Verbreitung von Milizen und bewaffneten Gruppen, die oft ihre jeweils eigenen Ziele verfolgen und Territorium kontrollieren, wird ohnehin kein Prozess genügen, der sich allein auf SAF und RSF oder gar auf Burhan und Hemedti konzentriert. Angesichts der geo­politischen Span­nungen scheint auch eine einheit­liche hochrangige internationale Vermittlung nicht in Sicht. Noch ferner liegen militärische oder andere sicherheitspolitische Garantien gewichtiger inter­nationaler Akteure. Solche Garantien wären aber nötig, um ein Abkommen zur Klärung des zukünf­tigen Verhältnisses von SAF und RSF einschließlich der Auflösung von Milizen und der Integration von Kämpfern durchzusetzen.

Einbindung statt Rechenschaft: Diskussion über den inter­nationalen Ansatz in Sudan

Der Kriegsausbruch in Sudan hat auch eine Debatte über den Ansatz westlicher Akteure während der Übergangsprozesse in Sudan ausgelöst. Die Umsetzung der Reformvorhaben der Übergangsregierung hing entscheidend von der Kooperation des Sicherheitssektors ab. Doch der internationale Druck jenseits von Statements traf im Ergebnis eher die Bevölkerung. Internationale Akteure gingen bei ihren Entscheidungen immer wieder auf die Prioritäten der Sicherheitskräfte ein und respektierten deren Machtressourcen, obwohl der gewaltfreie, andauernde Widerstand der sudanesischen Zivilgesellschaft diese in Frage stellte.

Im Bereich Sicherheit entschied sich der UN-Sicherheitsrat auf Antrag der sudanesischen Regierung, die gemeinsame hybride Mission von UN und AU in Darfur (UNAMID) zum 31. Dezember 2020 zu beenden. Damit lag die Verantwortung für die physische Sicherheit allein bei den sudanesischen Sicherheitskräften, und das in einer Region, in der sich verschiedene Bevölkerungsgruppen vom poli­tischen Wandel in Khartum mehr Einfluss erhofften und darüber in Konflikt gerieten.115 Als mächtigste Sicherheitskräfte in Darfur gingen die RSF gestärkt aus dem Abzug UNAMIDs hervor.

In der Wirtschaft spielten die Sicherheitskräfte ebenfalls die dominante Rolle. Sie kontrollierten den größten Teil der Wirtschaftsleistung und profitierten am meisten von den Steuerprivilegien. Die Auflagen für den multilateralen Entschuldungsprozess und die Mobilisierung internationaler finanzieller Unter­stützung sahen jedoch nicht vor, die Ressourcen des Sicherheitssektors anzuzapfen, sondern in erster Linie Subventionen zu streichen und das Wechselkurs­regime zu liberalisieren. Immerhin leisteten die Sicherheitskräfte 2020 einen einmaligen freiwilligen Beitrag von zwei Milliarden US-Dollar zum Staatshaushalt, ein Sechstel der geplanten Ausgaben.116 Recherchen über die wirtschaftlichen Ressourcen der Sicherheitskräfte legen nahe, dass in den Folgejahren weitere Beiträge möglich gewesen wären.117

Dabei sahen sich Sudans internationale Partner immer wieder vor eine ähnliche Herausforderung gestellt. Sollten sie Prozesse unterstützen, welche sudanesische Eliten überwiegend miteinander aus­gehandelt hatten und die zumindest auf dem Papier die Möglichkeit für weitere Reformschritte boten? Oder sollten sie sich heraushalten bzw. gezielter Druck ausüben, weil sie den Versprechen der Sicher­heitskräfte und politischen Eliten keinen Glauben schenkten?

Gleichwohl erzeugten die institutionellen Voraussetzungen und politischen Entscheidungen der internationalen Partner einige Zielkonflikte. Ohne den Abzug UNAMIDs hätten Aufstellung und Aus­bildung einer gemeinsamen Schutztruppe der Unter­zeichner des Friedensabkommens von Juba, welche für Sicherheit sorgen sollte, gründlicher und mit weniger Zeitnot angesichts der eskalierenden Gewalt in Teilen Darfurs erfolgen können. Sudans Löschung von der Liste terrorismusfördernder Länder, Voraussetzung für Wirtschaftshilfen und Entschuldung, machten die USA davon abhängig, dass Sudan seine diplomatischen Beziehungen zu Israel normalisierte.

Die scheinbar pragmatischen Ansätze, die Sudans internationale Partner zusammen mit der Hamdok-Regierung und den FFC verfolgten, stärkten immer wieder diejenigen, die über materielle Macht verfüg­ten, vor allem das Militär und die Sicherheitskräfte. Diese Art der Rücksichtnahme war jedoch fragwürdig angesichts des gut organisierten gewaltfreien Wider­stands. Einige beteiligte Diplomaten kritisierten diese Prioritätensetzung im Nachhinein.118

Immer wieder suchten zentrale internationale Akteure wie die Quad nach einem Deal mit den Mili­tärs zur Machtteilung, selbst nachdem deren Vertreter sie offen belogen hatten.119 Nach Hamdoks umstrittener Vereinbarung mit Burhan vom 21. November 2021 sorgte UN-Generalsekretär Antonio Guterres für Unmut bei den Widerstandskomitees in Sudan mit dem Appell an den »common sense« aller Beteiligten und nannte es »sehr gefährlich für Sudan«, die Ver­einbarung in Frage zu stellen.120 Diese Art von inter­nationaler Unterstützung half die Position der Gene­räle zu konsolidieren, die innenpolitisch massiv unter Druck standen.

Gleichzeitig trafen die Strafmaßnahmen inter­nationaler Akteure die Bevölkerung hart. Weltbank und internationale Geber setzten sofort nach dem Putsch große Teile ihrer Hilfen aus. Mitglieder von Widerstandskomitees und Vertreter von Entwicklungsorganisationen hatten wenig Verständnis dafür, dass selbst Mittel für Projekte abseits direkter Kon­trolle der Putschregierung dauerhaft ausgesetzt wur­den, auch wenn der wirtschaftliche Druck die Put­schisten zu isolieren half.121 Weder die USA noch die EU konnten sich bis Kriegsbeginn auf gezielte Sank­tionen gegen Unternehmen oder Personen aus dem Sicherheits­sektor einigen,122 mit Ausnahme von US-Sanktionen gegen die sudanesische Central Reserve Police.123 Zumindest im Nachhinein argumentierten Beteiligte wie der damalige US-Sondergesandte für das Horn von Afrika, Jeffrey Feltman, dass mehr Druck die Abwägungen der Sicherheitskräfte möglicher­weise verändert hätte: »Wir vermieden es, Konsequen­zen für wiederholte Akte der Straflosigkeit zu ziehen, die sonst möglicherweise einen Wechsel des Kalküls erzwungen hätten. Stattdessen beschwichtigten wir reflexhaft die beiden Warlords und banden sie ein. Wir betrachteten uns als pragmatisch. Im Rückblick scheint Wunschdenken eine bessere Beschreibung zu sein.«124

Wäre ein anderer Ansatz erfolgreicher gewesen? Die wichtigste Rolle spielten sudanesische Akteure und Dynamiken. Debatten zwischen internationalen Akteuren spiegelten teilweise die Diskussionen, die es auch in der sudanesischen Zivilgesellschaft gab. Viel­leicht bestand ein zentrales Problem darin, dass der Umgang mit Sudans Gewaltakteuren entweder auf volle Rücksichtnahme oder komplette Zurückweisung hinauslief. Beide Positionen waren unrealistisch. Die hoch mobilisierte Zivilgesellschaft ließ sich nicht wieder verdrängen, auch mit Gewalt nicht. Genauso wenig ließ sich die Dominanz der Sicherheitskräfte über Gewaltmittel und wirtschaftliche Ressourcen wegverhandeln. Während Sudans Transition hätte mehr Priorität daraufgelegt werden müssen, die Macht der Sicherheitskräfte stückweise zu reduzieren, vor allem durch tiefere institutionelle Reformen, internationale Anreize und mehr Distanz.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Der Krieg in Sudan ist Ausdruck der enormen Risiken, die der Wandel eines festgefahrenen, von Gewalt­unternehmern dominierten autoritären Regimes birgt. Bashirs Sturz war eine Folge der Widersprüche seines Systems, aber nicht dessen Ende. Letztlich ist der Krieg zwischen SAF und RSF eine Spätfolge der Art und Weise, wie das NCP-Regime Aufstände durch Milizen bekämpfen ließ und eine Konkurrenz im Sicherheitssektor aufbaute, um die eigene Herrschaft abzusichern. Seit 2019 ist es den zivilen Kräften nicht gelungen, die Kapazitäten des Sicherheitssektors substantiell zu reduzieren. Vielmehr gab die Macht­teilung in der Übergangsregierung den Sicherheitskräften die Gelegenheit, deren Arbeit zu torpedieren und sich im Fall der RSF in der politischen Struktur des Landes festzusetzen. Da die FFC1 stets einen erneuten Militärputsch fürchten mussten, gerieten sie mindestens implizit in eine Abhängigkeit von den RSF, die Hemedti auszunutzen wusste. Sowohl Hamdok als auch den FFC1 fiel es schwer, diejenige Machtressource entschieden einzusetzen, die ihr größtes Pfund hätte sein können: die Legitimität einer gut organisierten und mobilisierten Zivilgesellschaft.

Deutschland unterstützte Sudans Übergangs­prozesse auf vielfältige Weise. Die Bundesregierung gründete die Kontaktgruppe der Friends of Sudan mit, veranstaltete die erste Partnerschaftskonferenz für Sudan und handelte im UN-Sicherheitsrat zusammen mit Großbritannien das Mandat der politischen Mission UNITAMS aus. Heiko Maas war im September 2019 der erste westliche Außenminister, der die Übergangsregierung in Khartum traf, gefolgt von Bundespräsident Steinmeier im Februar des darauffolgenden Jahres.125 Damit änderte Deutschland seinen außenpolitischen Kurs, hatte die Bundesregierung doch ähnlich wie andere westliche Regierungen noch kurz vor Bashirs Sturz auf eine Annäherung an dessen Regime gesetzt.126

Der Bundestag beschloss 2020, die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit Sudan nach dreißig Jahren Pause wieder aufzunehmen.127 Deutschland beteiligte sich auch an Verhandlung, Ausgestaltung und Finanzierung sowohl des Family Support Pro­gramme als auch des multilateralen Entschuldungsprozesses. Mit dem Putsch fielen diese Ansatzpunkte für deutsche Unterstützung jedoch weg.

Für Geberländer wie Deutschland war es schwierig, einen effektiven Zugang zur sudanesischen Demo­kratiebewegung in ihrer gesamten Breite zu finden. Direkt fördern kann das Auswärtige Amt nur Orga­nisationen, die offiziell registriert sind, wovor viele zivilgesellschaftliche Bewegungen zurückschreckten. Mittler­organisationen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung und das Goethe-Institut konnten einige Projekte im Bereich Demokratieförderung übernehmen. Die Diskussionen über die Wirtschaftsreformen und Finanz­hilfen orientierten sich aber überwiegend an der Regierung als direktem Gegenüber. Geber wie die Bundesregierung standen vor der Herausforderung, Projekte aufzusetzen, die einerseits den zivilen Teil der Übergangsregierung direkt unterstützen sollten, aber gleichzeitig resilient gegen Verände­rungen wie einem erneuten Putsch sein sollten. Auf das Family Support Programme traf zwar ersteres, nicht aber letzteres zu.

Aus diesen Erfahrungen sollte Deutschland lernen, um einen Beitrag zu leisten, den verheerenden Krieg zu beenden und das Fundament für einen neuen Übergangsprozess zu legen.

  • Die Bundesregierung sollte sich bei ihren regionalen Partnern, welche die Führung in der Vermittlung behalten sollten,128 für einen breiten und inklusiven Mediationsansatz stark machen. Neben Vertretern von SAF und RSF sollten sowohl bewaff­nete Gruppen mit Kontrolle über Territorium als auch ein Spektrum ziviler Akteure in einem Multi-Stakeholder-Format beteiligt werden. Wo von zivi­len Akteuren wie den Mitgliedern des Zusammen­schlusses Taqaddum gewünscht, sollte Deutschland Angebote unterbreiten, die deren Kapazität stärken können, sich wirkungsvoll an einem politischen Prozess zu beteiligen.
  • Deutschland sollte zivile sudanesische Akteure darin unterstützen, Ansätze für den Umgang mit Gewaltunternehmern in einer zukünftigen poli­tischen Ordnung zu entwickeln. Wichtige Themen­gebiete dafür betreffen eine Sicherheitssektor­reform, eine Übergangsjustiz und die Förderung von Rechtsstaatlichkeit. Jeglicher Waffenstillstand, den regionale Akteure mit den Konfliktparteien vereinbaren mögen, wird nur dann zu längerfristigem Frieden führen können, wenn es zumindest die Aussicht auf Eckpunkte einer neuen politischen Ordnung gibt. Die zentrale Herausforderung wird darin bestehen, dass sich auch die Sicherheitskräfte in dieser Ordnung wiederfinden und gleichzeitig einem Abbau ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht – wahrscheinlich nur unter Druck – zustimmen.
  • Deutschland sollte sich dafür einsetzen, das materi­elle und militärische Unterstützungsnetzwerk der sudanesischen Gewaltunternehmer auszutrocknen. Firmen, die im EU-Binnenmarkt agieren, sollte ver­boten werden, Geschäfte mit RSF, SAF und ihren jeweils wichtigsten Unternehmen zu machen. Dazu sollten die EU-Mitgliedstaaten sich auf weitere Namen für das im Oktober 2023 eingerichtete Sanktionsregime einigen.129 Zusätzlich zu sudanesischen Firmen sollten diese Maßnahmen ins­besondere emiratische Unternehmen treffen, die Gold von den RSF kaufen und von denen eines wohl sogar einen Sitz in Deutschland hat.130 Um das komplexe Firmengeflecht des sudanesischen Sicherheitssektors und seine internationalen Geschäftspartner aufzudecken, sollte Deutschland ferner einschlägige Investigationskapazitäten bei der EU stärken. Verknüpft werden sollten die Sanktionen mit einer kohärenten politischen Strategie, den Einfluss der Gewaltunternehmer zurückzudrängen und den Krieg zu beenden.
  • Deutschland sollte bei den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats darauf hinwirken, das UN-Waffen­embargo von Darfur auf ganz Sudan auszudehnen und damit auch das Mandat der UN-Experten­gruppe. Grundsätzlich haben sich sowohl die stän­digen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats als auch die Nachbarstaaten bereits gegen militärische und finanzielle Unterstützung für die Konfliktparteien ausgesprochen.131
  • In der Zusammenarbeit mit einer zukünftigen Übergangsregierung in Sudan sollte die institu­tionelle Verankerung von Reformen stärker im Vordergrund stehen. Das hieße unter anderem, eine parlamentarische Versammlung zu bilden sowie die zivile Kontrolle und Beteiligungsformate auf der Ebene der Bundesstaaten und jener der Kommunen zu stärken. Zwar bedarf es selbst unter Friedensbedingungen großer Ausdauer, den sudanesischen Staat im Sinne der Bevölkerung umzubauen. Dennoch sollte eine neue zivile Regierung ermutigt werden, wichtige Posten in Justiz und Verwaltung nach Kompetenz und nicht nach poli­tischen oder sonstigen sachfremden Kriterien zu besetzen.
  • In der Zwischenzeit sollte die Bundesregierung mit internationalen und nichtstaatlichen Organisationen zusammenarbeiten, welche die sudanesische Zivilgesellschaft und deren politische Selbstorganisation auch unter Kriegsbedingungen langfristig unterstützen. Das sollte die Bereitstellung von Plattformen, Expertise, finanzieller Förderung und Ausbildung von Fähigkeiten einschließen.132 Suda­nesische Akteure haben gezeigt, dass sie trotz der immensen Herausforderungen von Krieg und Ver­treibung in der Lage sind, sich zu vernetzen und zu organisieren.133

Stabilisierung: Mit feministischer Außen­politik pragmatische Konfliktbearbeitung in fragilen Kontexten neu denken

Erschienen in: Claudia Zilla (Hg.): Feministische Außen- und Entwicklungspolitik konkret. Anforderungen und Potenziale, SWP-Studie 2024/S 07, 28.02.2024, doi:10.18449/2024S07

Stabilisierung in fragilen Kontexten stellt eine beson­dere Herausforderung für eine feministische Außen­politik (FAP) dar. Erklärtes Ziel von Stabilisierung ist es, auch in den schwierigsten Gemengelagen von Gewaltkonflikten und terroristischer Bedrohung kon­struktive Beiträge zur Konfliktbearbeitung zu leisten. Dies bedeutet oft, mit und in den bestehenden loka­len Machtstrukturen zu arbeiten, um kurzfristig und pragmatisch Verbesserungen der Sicherheitslage zu erreichen.1 Demgegenüber gehört es zum Wesenskern feministischer Ansätze in der Außen- und Ent­wicklungspolitik, patriarchale, neokoloniale und andere Machtstrukturen kritisch zu beleuchten und eine Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse anzustreben.

Die feministische Kritik an internationaler Stabilisierungsarbeit problematisiert verschiedene Aspekte. Vor dem Hintergrund eines postkolonialen Verständnisses geht es um die Motive derjenigen externen Akteur:innen, die sich um Stabilisierung in anderen Teilen der Welt bemühen. Der rhetorische Einsatz für Frieden, Demokratie und Menschenrechte verschleiere einseitig definierte nationale Interessen, etwa zur Eindämmung irregulärer Migration.2 Und wessen Sicherheit soll bei Stabilisierungsvorhaben im Vorder­grund stehen, wenn diese möglicherweise auf die Zusammenarbeit mit patriarchalen, ausbeuterischen lokalen Eliten setzen, deren Dominanzstreben für Gewaltkonflikte verantwortlich ist?3 Genderrollen sowie das Sicherheitsempfinden von Frauen und an­de­ren marginalisierten Gruppen könnten dabei trotz gegenteiliger Zielsetzungen aus dem Blick geraten. Überdies wird vor einer Militarisierung des humanitären Raums durch eine zu enge Verknüpfung von politischen Zielen der Konfliktbearbeitung mit huma­nitärer Unterstützung gewarnt.4 Die Staatszentriert­heit von Stabilisierungsansätzen ist aus feministi­scher Perspektive ebenfalls diskussionswürdig, da es häufig gerade der Staat ist, der Gewalt beispielsweise durch den Einsatz übergriffiger Sicherheitskräfte ausübt anstatt Frauen bzw. generell die Zivilbevölke­rung davor zu schützen.

Der Status quo in der deutschen Stabilisierungspolitik

Weltweit ist Deutschland seit 2017 das größte Geber­land im Bereich der zivilen Konfliktbearbeitung.5 Das Auswärtige Amt (AA) verfügte im Jahr 2023 über 565 Millionen Euro für die drei Säulen seines integrierten Friedensengagements: Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung.6 Auch andere Ressorts, insbesondere das Bundesministerium für wirtschaft­liche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), för­dern Projekte, die in einem weiteren Sinne der Stabi­lisierung in fragilen Kontexten dienen. Im letzten Berichtsjahr 2022 lagen die etwas breiter gefassten weltweiten Ausgaben der Bundesregierung für »zivile Friedensförderung, Konfliktprävention und Resolu­tion« insgesamt laut der Organisation für wirtschaft­liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei 960 Millionen US-Dollar (etwa 875 Millionen Euro).7

Den Begriff Stabilisierung verwendet im deutschen Kontext nur das AA. Es versteht darunter einen Bei­trag, »politische Prozesse zur Einhegung von Gewalt zu unterstützen, legitime Governance-Strukturen zu stärken und erste Schritte hin zu einer Versöhnung zwischen Konfliktparteien zu ermöglichen«.8 Stabi­lisierung umfasst mit der Stärkung staatlicher Insti­tutionen, der Sicherheitssektorreform (SSR), Program­men zu Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung (DDR), Rechtsstaatsförderung (RSF) oder Friedensmediation eine Reihe von Instrumenten.9 Wichtige Partnerländer und ‑regionen, die das AA immer wieder nennt, sind die Ukraine, die Tschadsee-Region und der Nordosten Syriens. Häufig arbeitet die Bundesregierung, etwa im Rahmen der Stabilisierungs­fazilitäten des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP), mit anderen Geberinnen und internationalen Organisationen zusammen

Genderfragen spielen in der deutschen Friedensarbeit seit längerem eine Rolle.

Genderfragen spielen in der deutschen Friedens­arbeit bereits seit längerem eine Rolle. Der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der Agenda »Frauen, Frie­den und Sicherheit« (WPS) ist ein Ausdruck davon.10 In seinen Leitlinien zur feministischen Außenpolitik (FAP) erwähnt das AA Stabilisierung in der zweiten Leitlinie: »Bei Maßnahmen der Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung beziehen wir Frauen und marginalisierte Gruppen systematisch ein und berücksichtigen geschlechtsspezifische Risiken. Wir wollen Fortschritte zu gendergerechteren Gesell­schaften erzielen und unser internationales Krisen­engagement gendertransformativ gestalten.«11

Konkret nennt das AA vor allem Projekte zum Aus­bau der Rechte, Ressourcen und Repräsentation von Frauen (zum Beispiel die Ausbildung und Entsendung von »Genderexpert*innen« durch das Zentrum für Inter­nationale Friedenseinsätze [ZIF]).12 Damit bewegt sich das AA bei seinen Bemühungen um die Verbesserung der Position von Frauen und marginalisierten Gruppen weiterhin innerhalb des existierenden Sys­tems von Konfliktbearbeitung, ohne die eigenen An­sätze grundsätzlich infrage zu stellen. Die Wirkung gendertransformativ ausgebildeter Expert:innen bleibt aber begrenzt, wenn der politische Wille fehlt, die daraus resultierenden Gesichtspunkte und Per­spektiven in eine umfassendere Strategie einzubetten.

Sowohl in den FAP-Leitlinien als auch im Stabilisie­rungskonzept des AA finden sich zwar feminis­tische Prinzipien, die über die 3R hinausgehen, doch deren praktische Bedeutung wird mitunter zugleich ein­geschränkt. Ein Beispiel: Von »gendersensiblen Kon­fliktanalysen« erhofft man sich im Stabilisierungs­konzept »neue Ansätze, Handlungsräume und Ak­teure«. »Zielkonflikte« bestünden aber insbeson­dere dort, wo »männlich dominierte Machtakteure« ein­gebunden werden müssten. Hier nehme sich das AA vor, seine prinzipiengeleitete Position vorzutragen und ansonsten eine »systematische Abwägung von kurz­fristigen Zielen (beispielsweise ein Waffenstillstand) mit mittel- bis langfristigen Zielen einer gesell­schaftlichen Transformation« anzustellen.13 Diese Aus­sage könnte suggerieren, dass Geschlechtergerechtigkeit eine mittel- bis langfristige Aufgabe ist, die im Gegensatz zu anderen Stabilisierungszielen steht. Aller­dings zeigt der zitierte Absatz auch, dass das AA Spannungen zwischen den Zielen von Stabili­sierung und FAP explizit anerkennt und zumindest den Ver­such unternimmt, seine Handlungsweise in kritischen Situationen zu systematisieren. Das ist ein Fort­schritt gegenüber früheren Regierungsdokumenten, in denen normative Ziele gleichberechtigt auf­gelistet oder Zielkonflikte lediglich abstrakt benannt wurden, ohne zu konkretisieren, wie damit umzugehen sei.

Hinsichtlich der Ressourcen für Geschlechter­gerechtigkeit schwankten die deutschen Ausgaben in den letzten Jahren stark. Im letzten Berichtsjahr 2022 wurden 50 Prozent der ODA-Mittel14 zur zivilen Kon­flikt­bearbeitung für Projekte eingesetzt, die Geschlech­tergerechtigkeit als Nebenziel (GG1-Kennung des OECD DAC) verfolgen, und 2,8 Prozent für solche mit Geschlechtergerechtigkeit als Hauptziel (GG2). Bis 2025 möchte das AA für diese Kategorien einen Mit­tel­aufwand von 85 bzw. 8 Prozent erreichen.15 Ent­gegen der entsprechenden Gleichsetzung dieser Ken­nungen in den AA-Leitlinien sind sie nicht deckungsgleich mit den Zielen gendersensibler bzw. gender­transformativer Ausgestaltung. Ein Projekt kann sich beispielsweise zwar an Frauen als Hauptzielgruppe richten (GG2), ohne dass damit die Ge­schlechterbezie­hun­gen an sich infrage gestellt werden.

Gerade einige machtkritische Impulse der feministischen Forschung können für Stabilisierungsvorhaben gewinnbringend sein.

Mögliche Beiträge feministischer Außenpolitik

Eine kritisch verstandene FAP vermag einen Beitrag dazu zu leisten, Stabilisierungsmaßnahmen effek­ti­ver, belastbarer und inklusiver als bisher zu gestalten. Sie bietet Anhaltspunkte, Annahmen, Konzepte und Vorgehensweisen, die unter Stabilisierungsexpert:in­nen bereits diskutiert werden, um die bisherige Praxis eingehender zu durchleuchten und teilweise auch neue Antworten zu finden. Gerade einige machtkri­tische Impulse der feministischen Forschung können für Stabilisierungsvorhaben gewinnbringend sein.

FAP kann helfen, einseitige liberale Friedensförderung zu überwinden

Sowohl in der feministischen Forschung als auch in jener zu Stabilisierung und Friedensförderung gibt es eine breite Kritik am sogenannten »liberalen Frie­den«, also an der Idee, dass marktwirtschaftliche Reformen, demokratische Öffnung und die Beilegung bewaffneter Konflikte sich gegenseitig befördern.16 Der Fokus auf solche langfristigen Prozesse marginalisiert die Agency der Zivilgesellschaft,17 die politische Gewaltökonomie von Kriegen18 und die Ausgren­zungs­mechanismen, die insbesondere Frauen betref­fen,19 um nur einige Kritikpunkte zu nennen.

Die FAP-Perspektive hilft dabei, strukturelle Aspekte in den Blick zu nehmen, die dazu führen, dass Gewalt andauert. Die Einseitigkeit liberaler Friedensförderung lässt sich auch an den 3R im Kontext von Frie­dens­prozessen aufzeigen: Frauen einzubinden (Reprä­sentation), ihre Rechte durch eine veränderte Gesetz­gebung auszubauen oder Institutionen mit einem hohen Frauenanteil zu finanzieren (Ressourcen) ist zwar wichtig, reicht aber nicht aus. So können Frauen­gruppen an Friedensprozessen beteiligt sein, ohne dass ihre Anliegen beachtet werden. Oft werden nicht ein­mal die verbindlich vereinbarten Repräsentationsquo­ten erfüllt. Zum Beispiel schreibt das Juba-Friedens­abkommen von 2020 für Sudan eine Frauenquote von 40 Prozent auf allen politischen Ebenen des Landes vor.20 Diese wurde nie verwirklicht: Die Umsetzung des Friedensabkommens stärkte hingegen den männ­lich dominierten Sicherheitssektor in Sudan und verschärfte die politische Krise vor dem Putsch.21

Ein intersektionaler Ansatz, der feministische und postkoloniale Perspektiven verbindet, führt zu der Frage, für wen eigentlich was stabilisiert werden soll. Externe Akteur:innen können nur dann erfolgreich Stabilisierung betreiben, wenn sie lokale Bemühungen legitimer Autoritäten unterstützen. Das Verhältnis zwischen staatlichen Institutionen und der Bevöl­kerung ist in fragilen Situationen oft zerrüttet. Staat­liche Sicherheitskräfte in Nigeria riegelten zum Bei­spiel Dörfer ab, weil sie dort Aufständische vermuten, statt die Zivilbevölkerung vor Plünderungen und Zwangsrekrutierungen bewaffneter Gruppen wie Boko Haram zu schützen. Daher ist es das erklärte Ziel deutscher Stabilisierungsbemühungen im Nordosten Nigerias, die Legitimität staatlicher Institutionen zu untermauern, etwa indem Gemeinden in die Lage versetzt werden, die Versorgung mit elementaren Gütern und Dienstleistungen wie Wasser, Ernährung, Gesundheit und Bildung sicherzustellen.22 Die femi­nistische Perspektive hilft dabei zu erkennen, dass staatliche Institutionen nur dann erfolgreich Stabi­lisierungsbemühungen realisieren können, wenn die Bevölkerung sie als legitim akzeptiert.

Analyse von Macht und Sicherheit

Stabilisierungsprojekte erfordern eine kontinuierliche Kontext- und Konfliktanalyse, die insbesondere die Ursachen, Akteure und Dynamiken bewaffneter Gewalt berücksichtigt. Als Expert:innen für kritische Macht­analysen können Feminist:innen zu diesen Analysen entscheidende Beiträge leisten. Mit gendersensiblen Konfliktanalysen23 lassen sich zentrale Dynamiken aufzeigen, die weit über die mangelnde Teilhabe von Frauen hinausgehen. Überdies tragen einige Genderrollen auch zu Gewalt bei,24 beispielsweise indem bestimmte Männlichkeitsvorstellungen bewaffneten Gruppen die Rekrutierung erleichtern, wie auch das AA erwähnt.25

Ein feministisches Sicherheitsverständnis stellt gängige Annahmen einer liberalen Stabilisierungspraxis infrage. Allzu oft verfolgen internationale Akteur:innen Abkommen und Deals mit existierenden (oft männlich dominierten) Eliten selbst dann, wenn diese nachweislich die Gewalt nicht ein­däm­men und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nicht verbessern.26 »Stability and durability can simply mean that the men with guns continue to run the show and that the ›trains run on time‹«, schreibt Ní Aoláin.27

Statt am Erreichen des nächsten fragilen Eliten-Deals misst eine feministisch geprägte Stabilisierungs­politik Sicherheit an der konkreten Wahrnehmung von Frauen und anderen marginalisierten Bevölkerungsgruppen in ihrem täglichen Leben. Die Befra­gung von Betroffenen und andere Methoden, die Wahrnehmung der lokalen Bevölkerung regelmäßig zu erfassen, sollten ein wichtiges Instrument für Sta­bilisierungsvorhaben sein.28 Erst wenn alle Menschen sich in einem Ort sicher fühlen, können sie Vertrauen in die lokalen Institutionen gewinnen und darauf ver­zichten, bewaffneten Gruppen beizutreten.

Ein feministischer Ansatz für Konfliktbearbeitung

Zu realpolitischen Eliten-Deals und einem überschwänglichen liberalen Interventionismus als gän­gigen Ansätzen der Konfliktbearbeitung bietet FAP Alternativen an. Diese gründen in einer »feminis­tischen Fürsorge-Ethik«, die bei der Suche nach neuen Ansätzen der Konfliktbearbeitung hilfreich sein kann. Sie entspringt einer »Fürsorge« (care), weil sie mora­lisches Handeln mit aufmerksamem, geduldigem Zu­hören verbindet und sich darauf einlässt, Zielkonflikte immer wieder auszubalancieren und ihre Annahmen anzupassen – anstatt eine universalistische Gerechtig­keit zu propagieren, die sich durch ihre Abgrenzung von mutmaßlich rückwärtsgewandten lokalen Vorstellungen definiert.29 Feministisch ist diese Ethik, weil sie das (autoritäre) »Skript des Patriarchats« hin­terfragt.30

Feministische Stabilisierung aus einer solchen »Für­sorge-Ethik« kommt nicht von außen, um lokale Kon­flikte zu lösen, sondern setzt sich mit den glo­balen, regionalen und lokalen Beziehungen ausein­ander, in deren Rahmen diese Auseinandersetzungen entstehen. Es geht eben nicht allein darum, Frauen stärker an politischen Prozessen zu beteiligen, weil diese per se friedfertiger wären, sondern darum, die Hierarchisierung zwischen Gruppen – beispielsweise Männern und Frauen, Eliten und Bevölkerung, jun­gen und alten Menschen – und die ihnen zugeschrie­benen Handlungsweisen in der Gesellschaft generell zu hinterfragen. Feministische Stabilisierungspolitik achtet besonders auf den lokalen Kontext und akzep­tiert, dass die Wirksamkeit und moralische Eindeutigkeit von Maßnahmen oft mit Unsicherheiten behaf­tet sind.31

Selbstreflexion und Lernprozesse

Schließlich können feministische Ansätze durch empathische Selbstreflexion einen wichtigen Beitrag zu Monitoring, Evaluation und Lernprozessen leisten. Diese sind vor allem in hochvolatilen Stabilisierungskontexten von großer Bedeutung, in denen Projektverantwortliche eng und agil steuern müssen, um Projekte an sich schnell verändernde Umstände an­zupassen. Mangels eines universal anwendbaren Stabilisierungsrezepts sind das ständige Ausprobieren und Justieren von Maßnahmen entscheidend.32

FAP kann lokalen und internationalen Stabilisierungsakteuren dabei helfen, über alle Arten von Macht­strukturen ebenso zu reflektieren wie über die eigene Rolle. Internationale Stabilisierungsakteure bringen beispielsweise ihre eigenen Gendernormen in fragile Kontexte mit und legen teilweise eine »inter­national fraternity« mit lokalen männlichen Eliten an den Tag.33 So gibt es immer wieder Botschafter:innen, die mit Stolz auf ihre Beziehung zum autoritären Prä­sidenten ihres Gastlands im Bürgerkrieg verweisen und ihn bei jeder Gelegenheit umarmen. Diplomat:­in­nen sowie andere Stabilisierungsakteure sollten aber ihre notwendige Empathie in politischen Pro­zessen nicht mit Sympathie für Kriegsfürsten ver­wechseln. Darüber hinaus gilt es aus Sicht der FAP, das häufige rhetorische Bekenntnis vieler Stabilisierungsakteure zur Zusammenarbeit mit lokalen Orga­nisationen auch in der Praxis ernst zu nehmen – etwa indem lokale Graswurzelorganisationen mög­lichst bereits in die Konzeption von Projekten ein­bezogen werden.

FAP kann dort frische Impulse geben, wo sie über die För­derung von Ge­schlechtergerechtig­keit hin­aus­geht.

Fazit

FAP hilft, Stabilisierung besser, gerechter und kon­textsensibler als bisher zu gestalten, indem sie tra­dierte Annahmen im Gesamtansatz, in der Analyse, in Prozessen, Projektdesign und Wirkungsüberprüfung hinterfragt. Sie kann insbesondere dort frische Impulse liefern, wo sie über die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit hinausgeht. Mit seinen FAP-Leitlinien bleibt das AA hier noch unter den Möglichkeiten eines feministischen Ansatzes. Femi­nistische Analysen zeigen die ungleichen, oft kon­flikt­antreibenden Machtstrukturen auf, die durch eine mangelnde Geschlechtergerechtigkeit, aber auch einseitig definierte Geschlechterrollen und Ausgrenzungs­mechanismen entlang weiterer Unterscheidungs­merkmale entstehen.

Bei der Weiterentwicklung und Umsetzung einer feministischen Stabilisierungsarbeit geht es nicht allein um normativ-menschenrechtliche Fragen. Viel­mehr vermag die Einbeziehung feministischer Per­spek­tiven auch einen Beitrag zum pragmatischen Anspruch von Stabilisierung in fragilen Kontexten zu leisten,34 wenn es beispielsweise darum geht, Em­pathie statt Überheblichkeit ins Zentrum von Kon­flikt­bearbeitung zu stellen.

Es liegt im Wesen von Stabilisierung, sich am Status quo zu orientieren, weil dessen Veränderung kaum kurzfristig zu erreichen ist und die Wiederherstellung von Ordnung Priorität hat. Nach dieser Logik handeln auch Diplomat:innen, die Ausdruck eines zwischenstaatlichen Systems sind, das sich oft schwer damit tut, in fragilen Kontexten tragfähige Partnerschaften jenseits nationaler, oft bevölkerungsferner Regierungen aufzubauen. Machtkritische Aspekte femi­nistischer Außen- und Entwicklungspolitik umzusetzen ist daher kein leichtes Unterfangen. Feministische Argumente können jedoch zu laufenden Reflexionsprozessen über die Ausrichtung von Stabilisierung anregen, die darauf zielen, das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Regierung zu verbessern.

Unruhe am Horn von Afrika: Riskanter Deal zwischen Äthiopien und Somaliland

SWP-Podcast 2024/P 02, 01.02.2024

Somaliland soll Äthiopien Zugang zum Meer gewähren. Als Gegenleistung will es als Staat anerkannt werden. Gerrit Kurtz erklärt, welche Interessen hinter diesem Deal stecken und wie dieses Vorgehen die Stabilität am Horn von Afrika gefährdet. Moderation: Dominik Schottner.

Neue Unruhe am Horn von Afrika: Somaliland bietet Äthiopien Hafen gegen Anerkennung

Jemenitische Huthis beschießen Schiffe im Roten Meer. Auf der anderen Seite der Meerenge kocht nun ein weiterer Konflikt hoch. Jetzt reist Außenministerin Baerbock in die Region.

Erschienen im Tagesspiegel, 24.01.2024

Während die Huthi-Angriffe auf Schiffe im Roten Meer internationale Aufmerksamkeit auf den Jemen lenken, spitzt sich auch am anderen Ufer die regionale Konfrontation zu. Das Abkommen, das Äthiopien und Somaliland am 1.Januar 2024 unterzeichneten, beunruhigt die Region am Horn von Afrika.

Sowohl Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed als auch Somalilands Präsident Muse Bihi Abdi verfolgen mit dem Abkommen langjährige Interessen ihrer beiden Länder. Die nördliche Region Somaliland erhebt seit 1991 den Anspruch auf Unabhängigkeit von Somalia, dem bisher allerdings kein UN-Mitglied gefolgt ist. Allerdings treiben die beiden Regierungschefs mit ihrer unabgestimmten Vorgehensweise eine ohnehin konfliktreiche Region weiter auseinander. In dieser Form gefährdet der Deal die Stabilität am Horn von Afrika und dient kurzfristigen politischen Prioritäten.

Als Teil des Abkommens will Äthiopien einen 20 Kilometer langen Küstenstreifen in Somaliland für 50 Jahre pachten, um kommerzielle Hafendienste zu nutzen und eine Basis für die im Aufbau befindliche äthiopische Marine zu errichten. Äthiopien hatte 1993 mit der Unabhängigkeit Eritreas den direkten Zugang zum Meer verloren. In einer viel beachteten Rede hatte Abiy im Oktober 2023 gar davon gesprochen, dass Äthiopien als bevölkerungsreichstes Binnenland der Welt nicht ein „Gefangener der Geographie“ werden dürfe. Die Benutzung des Hafens von Dschibuti, den Äthiopien derzeit überwiegend für seinen Handel nutzt, kostet die Wirtschaft rund 1,5 Milliarden US-Dollar Gebühren pro Jahr.

Im Gegenzug, und das ist der kontroverse Teil der Abmachung, stellt Äthiopien Somaliland in Aussicht, das Land diplomatisch anzuerkennen. Somaliland bezieht sich auf die Grenzen des früheren britischen Protektorats, das 1960 für fünf Tage unabhängig war, bevor es sich mit der früheren italienischen Kolonie am Indischen Ozean zu Somalia vereinigte. In den 1980er Jahren gab es einen brutalen Bürgerkrieg zwischen somaliländischen Rebellen und der Zentralregierung, in deren Folge sich die Region abspaltete. Während Somalia nach dem Sturz des Diktators Siad Barres ins Chaos stürzte, bauten die Menschen in Somaliland ohne viel äußere Hilfe ihren Staat auf, der traditionelle und demokratische Elemente vermischt.

Ob das völkerrechtlich nicht bindende Abkommen tatsächlich die von den beiden Regierungen erhoffte Wirkung zeigen wird, ist allerdings offen. Der Text selbst wurde nicht veröffentlicht. Äthiopien stellte klar, dass es lediglich versprochen habe, „eine tiefgehende Bewertung durchzuführen hinsichtlich einer Position gegenüber den Bemühungen von Somaliland Anerkennung zu erlangen.“ Es ginge eher um Geschäftsinteressen, erklärte der nationale Sicherheitsberater Äthiopiens, Radwan Hussein. Als Bezahlung soll Somaliland entsprechende Anteile an der Fluggesellschaft Ethiopian Airlines erhalten, da Äthiopien über kaum Devisen verfügt.

Seit der Bekanntmachung des Abkommens zwischen Äthiopien und Somaliland ist die Region in Aufruhr. Somalias Präsident Hassan Sheikh Mohamud versprach dem Parlament, „jeden Zoll unseres Territoriums zu schützen“ und mobilisiert diplomatische Unterstützung. Eritrea, Ägypten, die Arabische Liga und die USA sprachen sich gegen das Abkommen aus.

Entscheidend ist das politische Signal, das von dem Abkommen ausgeht. Es zerstört Vertrauen, das ohnehin Mangelware am Horn von Afrika ist. Sowohl Abiy als auch Bihi stehen innenpolitisch stark unter Druck, wie bewaffnete Konflikte in den äthiopischen Regionen Amhara und Oromia sowie in der Region um Las Anod im östlichen Somaliland zeigen. Davon soll der Deal mutmaßlich ablenken und Autonomie- und Abspaltungstendenzen entgegenwirken.

Sowohl Äthiopiens Interesse an einem gesicherten Meereszugang als auch Somalilands Streben nach Anerkennung mögen nachvollziehbar seien. Doch um beide Ziele langfristig abzusichern, braucht es eine Verständigung mit allen betroffenen Stakeholdern. Dazu gehören die Staaten der Region einschließlich der Zentralregierung in Mogadischu. Tatsächlich hatten Somalia und Somaliland nur wenige Tage vor der Verkündung des Abkommens unter Vermittlung Dschibutis beschlossen, Gespräche über ihr gemeinsames Verhältnis wiederaufzunehmen.

Zudem trägt die Abmachung zu einer Lagerbildung bei, welche außerregionale Mächte einschließt. Somalia und Eritrea suchen die Kooperation Ägyptens. Umgekehrt verbinden Äthiopien und Somaliland enge Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auch im Krieg im Nachbarland Sudan unterstützen Ägypten und die VAE unterschiedliche Seiten.

Die Regionalorganisation IGAD ist gespalten, wie ihr jüngster Gipfel letzte Woche in Kampala zeigte. Dort stand das Abkommen auf der Tagesordnung, doch Abiy blieb dem Treffen fern.

Es bräuchte ein Dialog-Format, bei dem sowohl die regionalen als auch die außer-regionalen Regierungen zusammenkommen, was weder bei der Afrikanischen Union noch der Arabischen Liga der Fall ist. Die EU sollte eine entsprechende regionale Diplomatie unterstützen. Außenministerin Baerbock, die diese Woche die Region bereist, könnte sich dafür einsetzen.


Äthiopien: Fragile Macht am Horn von Afrika

Erschienen in: Barbara Lippert/Stefan Mair (Hg.): Mittlere Mächte – einflussreiche Akteure in der internationalen Politik, SWP-Studie 2024/S 01, 23.01.2024, 94 Seiten, doi:10.18449/2024S01

Seit Jahrzehnten ist Äthiopien ein zentraler Partner für externe Akteure. Das liegt nicht zuletzt an seiner strategischen Lage am Horn von Afrika, aus der sich verschiedene Rollen ergeben. Äthiopien ist eine Brücke zwischen der arabisch-muslimischen und der afrikanischen Welt, war einer der frühesten christlich geprägten Staaten, später eine afrikanische Imperialmacht, die sich auf Augenhöhe mit den europäischen Großmächten sah, und fungiert heute als Sitz der Afri­kanischen Union (AU). Seine Beziehungen zu den USA und zur EU haben sich in den letzten Jahren jedoch erheblich abgekühlt. Grund dafür ist vor allem der Bürgerkrieg mit der Tigray People’s Liberation Front (TPLF) im Norden des Landes, bei dem es zu mas­siven Menschenrechtsverletzungen kam. Premier­minister Abiy Ahmed verfolgt einen nationalistischen Erneuerungskurs, mit dem er sowohl innen- als auch außenpolitisch an die Grenzen von Äthiopiens staat­lichen Fähigkeiten stößt. An Ambitionen mangelt es ihm nicht. 2021 sagte Abiy vor dem nationalen Parla­ment, bis zur Mitte des Jahrhunderts solle Äthiopien eine von zwei globalen Supermächten werden.1 Äthio­pische Experten sehen das Land derzeit jedoch kaum auf der Höhe von Mittelmächten wie Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE).2

Dabei untermauern zumindest einige materielle Indikatoren den Führungsanspruch Äthiopiens. Unter Afrikas Staaten hat es mit 126 Millionen Menschen die zweitgrößte Bevölkerung, die zudem rasant wächst. In den letzten zwanzig Jahren gehörte Äthio­pien zu den Ländern mit den höchsten wirtschaft­lichen Zuwachsraten der Welt – sein Bruttoinlandsprodukt hat sich in der Zeit mehr als versechzehnfacht. Mittlerweile verfügt Äthiopien auch über die zahlenmäßig größte Militärmacht in Sub-Sahara-Afrika, nachdem es seine Verteidigungsausgaben im Zuge des Bürgerkriegs erheblich gesteigert hat.3

Potential und Anspruch des Landes stehen jedoch in deutlicher Spannung zu seiner Fragilität. Schon die Vorgängerregierung unter Führung der Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) sorgte sich um die Stabilität des Vielvölkerstaates. Laut der außen- und sicherheitspolitischen Strategie der damaligen Regierung waren Äthiopiens ökono­mische und (nach ihrem Verständnis) demokratische Defizite das größte Sicherheitsrisiko, weshalb es höchste Priorität haben müsse, rasch für mehr Ent­wicklung zu sorgen.4 Das stark von staatlicher Seite forcierte Wirtschaftsmodell geriet Mitte der 2010er Jahre aber zunehmend unter Druck, weil es nicht genügend Beschäftigung hervorbrachte.

Nach seinem Amtsantritt als Folge eines Machtwechsels innerhalb der EPRDF im April 2018 steuerte Abiy mit wirtschaftlichen und politischen Reformen um. Diese gerieten wegen der Covid-19-Pandemie aber schon bald ins Stocken. Der Krieg gegen die TPLF ab November 2020 stürzte das Land in eine tiefe Krise. Der Friedensprozess, der mit dem Pretoria-Abkom­men im November 2022 einsetzte, brachte neue Schwierigkeiten mit sich. Zusehends entglitt der Regierung das Gewaltmonopol. Äthiopiens bevölkerungsreichste Bundesstaaten Amhara und Oromia sowie weitere Teile des Landes werden heute von be­waffneten Konflikten, Kriminalität und Vertreibung erschüttert. Das Verhältnis zu Eritrea, das seine Inter­essen im Pretoria-Abkommen nicht berücksichtigt sah, verschlechterte sich in einem Maße, dass mittel­fristig ein erneuter Waffengang zwischen beiden Staaten droht. Der Eritreisch-Äthiopische Krieg von 1998 bis 2000 wirkt bis heute nach.

Für deutsche wie europäische Entscheidungsträgerinnen und ‑träger bleibt Äthiopien wichtig. In ihren Augen ist das Land schlichtweg zu groß, um es als staatliches Gemeinwesen scheitern zu lassen – seine Fragilität ist ein systemisches Risiko für die regionale Ordnung in Afrika, an der die EU ein eminentes Inter­esse hat. Äthiopien leistete in der Vergangenheit wich­tige Beiträge zur Konfliktbearbeitung in seinem Umfeld und setzte sich für die regionale Integration ein. Dabei hängt die Entwicklung des Landes nicht primär von Europa ab.

In den letzten Jahren entfernte sich Äthiopien von seiner international balancierenden Position, die es lange Zeit eingenommen hatte. Zwar sieht sich die politische Elite dank langjähriger Kooperation den westlichen Staaten und demokratischen Werten ver­bunden, doch setzt die Regierung stark auf eine Kooperation mit China, Russland und den VAE. Ob Äthiopien künftig eine Führungsrolle spielen kann und wie sich seine außenpolitische Handlungsfähigkeit gestaltet, dürfte insbesondere von der inneren Entwicklung und der regionalen Ausrichtung des Landes bestimmt werden.

Grundzüge der Außenpolitik unter Abiy

Abiys Regierung verfolgt einen neuen ideologischen Kurs, der eine Rückbesinnung auf die antiken Wur­zeln des äthiopischen Staatswesens propagiert.5 Spä­testens seit dem Sieg über italienische Kolonialkräfte in der Schlacht von Adua 1896 sah sich bereits das abessinische Kaiserreich als gleichberechtigten Teil der internationalen Ordnung. Im Gegensatz zu den sozialistisch geprägten EPRDF-Eliten vertritt Abiy einen eher wirtschaftsliberalen Ansatz, den er um das kulturelle Kapital der Traditionslinie zur antiken Zivi­lisation ergänzt. Dabei bleiben Äthiopiens Innen- und Außenpolitik, die stark auf den Premierminister aus­gerichtet sind, unter Abiy teilweise erratisch. So lässt sich derzeit nur begrenzt von einer übergeordneten außenpolitischen Identität des Landes sprechen. Der Kurs nationaler Größe, den die aktuelle Regierung verfolgt, wird jedoch immer wieder durch länger­fristig wirkende Faktoren eingehegt – wie den pan­afrikanischen Multilateralismus und das äthiopische Streben nach einem Ausgleich zwischen den Groß­mächten. Abiys Forderung etwa, dem Land einen direkten Zugang zum Roten Meer zu verschaffen,6 entspringt nicht allein dem Wunsch nach nationalem Prestige und regionaler Vorherrschaft, sondern eben­so dem Ziel, die heimische Wirtschaft von Großmacht­konflikten, welche Äthiopiens Nachbarn betreffen könnten, unabhängiger zu machen.

Die Folgen dieser politischen Neuausrichtung zeigen sich in Äthiopiens regionaler Orientierung. Hatte die EPRDF-Regierung, deren dominanter Teil die TPLF war, stets eine führende Rolle in den afrika­nischen Regionalorganisationen gespielt, werden diese von Abiy eher vernachlässigt. Abiys wechselnde regionale Partnerschaften erschweren die regionale Integration. Während des Kriegs gegen die TPLF arbei­tete Äthiopien militärisch eng mit Eritrea und Soma­lia zusammen. Asmara entsandte erhebliche Kontin­gente in den Kampf gegen die TPLF. Mit Sudan kam es währenddessen zu Grenzscharmützeln. In dieser Phase verringerte sich Äthiopiens Beitrag zu UN-Frie­densmissionen, deren größter Truppensteller das Land noch Mitte 2020 gewesen war, um über 75 Pro­zent. Zwar spielten AU und IGAD eine wichtige Rolle bei der Verhandlung des Pretoria-Abkommens, das den Krieg im Norden Äthiopiens beenden sollte. In der Folge kühlten sich Äthiopiens Beziehungen mit Eritrea jedoch ab, das seine Interessen im Frieden mit der TPLF nicht berücksichtigt sah. Nachdem Äthiopien Somaliland am 1. Januar 2024 in Aussicht gestellt hatte, dessen Unabhängigkeit von Somalia anzuerkennen, im Gegenzug für einen fünfzig Jahre gelten­den Meereszugang für die im Aufbau befindliche äthiopische Marine, verschlechterte sich auch das bilaterale Verhältnis zu Somalia.

Äthiopien will sich nicht vorschreiben lassen, mit welchen Ländern es prioritär zusammenarbeitet. Durch den Bürgerkrieg haben sich seine Partnerschaften verschoben. Die USA hatten gute Beziehungen zur EPRDF-Regierung. Aus amerikanischer Sicht war Äthiopien ein Stabilitätsanker am Horn von Afrika und ein wichtiger Partner im Kampf gegen islamistischen Terrorismus. Doch im Laufe des Krieges kappte Washington viele dieser Beziehungen und entzog Äthiopien Handelsprivilegien. Dass die Rolle des Lan­des als regionaler Sicherheitspartner Amerikas ver­fällt, werten manche Beobachter als »eines der fol­gen­reichsten strategischen Debakel, das die US-Außen­politik seit einer Generation in Afrika erlebt hat«.7

China investierte bereits unter der EPRDF-Regie­rung stark in Äthiopien, vor allem in den Transport- und Energiesektor. Dies betraf etwa die Eisenbahnstrecke zwischen Addis Abeba und Dschibuti. Ihr Maximum hatten chinesische Kredite für Äthiopien bereits vor rund einem Jahrzehnt erreicht.8 Mittlerweile ist die Volksrepublik der größte bilaterale Aus­landsschuldner des Landes.9 Auf diplomatischer Ebene sind die Beziehungen weiterhin eng. Die erste Reise des damals neu ernannten chinesischen Außen­ministers Qin Gang führte im Januar 2023 nach Addis Abeba. Ein Jahr zuvor hatte China bereits seine Ini­tiative für die »friedliche Entwicklung am Horn von Afrika« vorgestellt.10

Die Beziehungen Äthiopiens zu Russland reichen bis 1898 zurück, als beide Länder noch Monarchien waren. Äthiopien ist zwar von den wirtschaftlichen Auswirkungen des russischen Überfalls auf die Ukraine betroffen (vor allem bei Dünger), profitierte jedoch während des Krieges mit der TPLF auch von Moskaus Schutz im UN-Sicherheitsrat. Um ein eigenes Kernkraftwerk zu errichten, kooperiert Äthiopien mit Rosatom, der russischen Agentur für Atomenergie.

Daneben wurden die VAE zu einem der wichtigs­ten Partner des Landes. Die Emirate boten Abiy eine schnelle Finanzierung zu Beginn seiner Reform­agenda 2018. In kurzer Zeit stiegen sie überdies zu Äthiopiens wichtigstem Handelspartner auf – über 25 Prozent aller äthiopischen Exporte, vor allem Gold, gingen 2022 in die VAE, mehr als auf den gesamten afrikanischen Kontinent.11 Die Emirate lieferten (neben der Türkei und Iran) bewaffnete Drohnen an Äthiopien, die entscheidend dazu beitrugen, den Vormarsch der Tigray Defence Forces im Herbst 2021 zurückzuschlagen.12

Angesichts dieser geopolitischen Ausrichtung ent­schied der 15. BRICS-Gipfel im August 2023, Äthio­pien in die Gruppe aufzunehmen. Für Abiy ist der 2024 anstehende Beitritt zum Kreis der BRICS+-Länder »einer der größten diplomatischen Siege des Landes in den letzten Jahrzehnten«.13 Die Kooperation mit dem Format fügt sich ein in Abiys Ziel, Äthiopien zu einer führenden Macht zu entwickeln, dient aber vor allem auch den wirtschaftlichen Interessen und finan­ziellen Bedarfen des Landes.

Äthiopiens regionales und internationales Engagement

Auch unter der Vorgängerregierung war Äthiopien in wichtigen Fragen selten ein enger Partner Deutsch­lands, wie sich am Abstimmungsverhalten der beiden Länder in der UN-Generalversammlung zeigt. Äthio­pien stimmt seit über zwanzig Jahren öfter mit China als mit Deutschland. Mittlerweile gehört Letzteres so­gar zu den zehn Ländern, mit denen Äthiopien in den Vereinten Nationen am seltensten übereinstimmt.14

Deutschlands Interesse an Äthiopien gilt nicht zu­letzt dessen Beiträgen zu regionaler Kooperation, zu Friedensförderung und afrikanischer Handlungsmacht auf globaler Ebene. Das Land ist überdies an der militärischen Aufstandsbekämpfung in Soma­lia beteiligt. Dies geschieht über die EU-finanzierte Afri­can Union Transition Mission in Somalia (ATMIS) und die regionale Frontline States Task Force. Zudem ist Äthiopien eines der wichtigsten Aufnahmeländer für Geflüchtete in Afrika.

Auf kontinentaler Ebene engagierte sich Äthiopien im Zuge der Covid‑19-Pandemie. Im März 2020 rief Abiy die G20-Staaten auf, zusätzliche Finanzmittel für alle afrikanischen Staaten zu mobilisieren, denn nur so könne Corona umfassend bekämpft werden.15 In diesem Zusammenhang machte er Äthiopien zum kontinentalen Hub für die Verteilung medizinischer Güter, wozu er Ethiopian Airlines einsetzte.16

Seit dem Abkommen von Pretoria bemüht sich Äthiopien um eine Wiederannäherung an westliche Länder, mit einigem Erfolg. So nahm Abiy am US-Afrika-Gipfel Ende 2022 in Washington teil. Im Jahr darauf war er jeweils zweimal in Paris und Rom. Äthiopien ist insbesondere an vertiefter wirtschaft­licher Zusammenarbeit, an Schuldenumstrukturierung und Unterstützung für einen Kredit des Inter­nationalen Währungsfonds (IWF) interessiert. Die enormen Kosten des heimischen Krieges und der an­haltenden Sicherheitsprobleme in vielen Teilen des Landes belasten den Staatshaushalt. Hinzu kommen eine hohe Inflation von über 30 Prozent und ein Mangel an Devisenreserven, mit denen sich Importe finanzieren ließen. Trotz dieser wirtschaftlichen Nöte verwahrt sich die äthiopische Regierung gegen eine starke Konditionierung internationaler Finanzhilfen.

Schlussfolgerungen

Äthiopien nimmt keine »Mittelposition« in der auf­kommenden Bipolarität ein, sondern orientiert sich mehr an einer von China und Russland geprägten Ordnung. Deutschland sollte sich darauf einstellen, dass Äthiopien auch weiterhin seine Souveränität betonen und Beziehungen transaktional gestalten wird. In einer fluideren Weltpolitik, in der es wenig verlässliche Bündnisse gibt, bestehen jedoch Ansatz­punkte für eine bilaterale Kooperation.

Deutschland sollte mit der äthiopischen Regierung auf Politikfeldern, an denen beiderseitiges Interesse besteht, in einer Weise zusammenarbeiten, die über­geordnete deutsche Prioritäten nicht untergräbt, was die Glaubwürdigkeit internationaler Normen, der eigenen Kooperationsinstrumente und multilateraler Institutionen betrifft. Kommunikativ sollte die Bun­desregierung den Eindruck vermeiden, Äthiopien sei ein demokratisches Land, bloß weil dort Wahlen stattfinden.17

Deutschland hat ein Interesse daran, dass Äthiopien wieder zum Exporteur von Frieden und Stabilität in der Region wird.

Äthiopien bleibt Partnerland im »Compact with Africa« – einem Format, in dem die Regierungschefs aller Partnerländer von der Bundesregierung regel­mäßig zu Wirtschaftsgipfeln nach Berlin eingeladen werden. Fraglich ist jedoch, wie sehr diese diplomatischen Treffen und entsprechende Förderinstrumente der Bundesregierung dazu beitragen können, privat­wirtschaftliche Investitionen deutscher Unternehmen in Äthiopien anzuregen. Das größte Hindernis für solche Investitionen entsteht durch den politisch-wirtschaftlichen Kontext dort, insbesondere die be­waffneten Konflikte und die engen Kapitalverkehrskontrollen. Ein hochrangiger Dialog mit Addis Abeba zur Förderung von Investitionen kann nur dann Erfolg haben, wenn er sensible Governance-Themen offen thematisiert. Die von Äthiopien benötigten multilateralen makroökonomischen Hilfen bieten einen wichtigen Hebel, um von der Regierung mehr Transparenz und Rechenschaftspflichtigkeit gegenüber der eigenen Bevölkerung einzufordern.

Gemeinsame Interessen Deutschlands und Äthiopien bestehen beim Klimaschutz. Hier engagiert sich das Land im Rahmen seiner Green Legacy Initiative mit massenhaften Baumpflanzungen. Darüber hinaus ist es im deutschen Interesse, dass Äthiopien Kon­flikte im eigenen Land und in der Region gewaltfrei bear­beitet, damit es wieder zum Exporteur von Frie­den und Stabilität am Horn von Afrika wird.

Everybody’s Business

The War in Sudan as a Threat to International Peace and Security

This article was published by Verfassungsblog on 21 December 2023.

War has devastated Sudan since it first broke out on 15 April 2023. What started as a power play between the country’s two most powerful armies, the Sudanese Armed Forces (SAF) and the paramilitary Rapid Support Forces (RSF), has since metastasized into a major civil war. International actors have not paid this war the high-level attention it requires and deserves. On 1 December, the UN Security Council decided to terminate the mandate of the UN International Transition Assistance Mission in Sudan (UNITAMS), a political mission originally tasked with supporting Sudan’s transition to democracy. While the Council acted on a short-term request by the Sudanese authorities (controlled by SAF), it has not been able to agree on a substantive resolution since the war started. Driven by divisions, it has abdicated its responsibility under the UN Charter.

In this blog post, I explain why international actors need to pay more attention to what is happening in the strategically located country at the crossroads between the Red Sea and the Sahel, between the Arab and African worlds. The war threatens Sudan’s integrity as a state, displaces millions and draws in neighbouring and other regional countries, all in a region already in turmoil because of coups, insurgencies and violent extremism.

A War within the Security Sector

The conflict originates in a competition between the regular armed forces, the SAF, and the paramilitary force, RSF, for control over the security sector and ultimately the state as a whole. Having dislodged long-term ruler Omer al-Bashir from power in the face of broad public protests in April 2019, SAF and RSF agreed to share power with civilian parties a few months later. In October 2021, they felt the civilians were overreaching, arrested the civilian prime minister and declared a state of emergency. Since then, they have not been able to agree on forming a new government, trying instead to seize power yet again, this time from each other. This has led to the current hostilities.

While the conflict parties increasingly appeal to ethnic and racial identities to mobilize support, many Sudanese do not consider themselves truly represented by either armed force. The SAF, whose leadership comes from the riverine region of Central and Northern Sudan, are supported by elements of the former Islamist government as well as some armed groups. SAF generals look down on the RSF, whose commanders they consider uneducated. The RSF was created out of informal Arab militias, called “Janjaweed”, who embraced an ideology of Arab Supremacy already during the genocidal violence against non-Arab groups such as the Masalit and Zaghawa in Darfur in the West of Sudan twenty years ago. Since then, the RSF have recruited widely among Sudan’s peripheral communities, drawing on citizens of other Sahelian states (such as Chad) and co-opting units from SAF and other armed groups.

The Destruction of a Major African Capital

The war has wreaked havoc on Khartoum and the adjoining cities of Omdurman and Bahri. The RSF have captured most of the tri-state capital area, as they continue to engage in fierce artillery battles with the SAF. RSF troops occupy residential areas and loot vehicles and other valuables on a large scale. Around 37% of Khartoum state’s pre-war population of 9.4 million have left their homes. This will be the bulk of the country’s political and economic elite, its upper and middle class and others with means to make the journey. With records of their properties being deliberately destroyed, they will struggle to return. This is by design: Many RSF fighters, coming from the country’s poor peripheries, feel that the riverine elite that has dominated Sudan for decades has marginalized and instrumentalized them. Thus, while successive Sudanese governments have equipped and supported some Nomad communities, for example, to fight insurgencies for them, Nomad children go to primary school far less often than their peers from displaced communities. For those RSF fighters sensing a lack of respect, this is payback time. The result: a major African capital is falling apart in an effort to reshape the country. In time, this could lead to the split of Sudan into several territories, as the SAF-controlled ministries have already moved their administration to Port Sudan on the Red Sea coast.

The World’s Largest IDP Crisis

Sudan now also presents the world’s largest internal displacement crisis. Since the war started, out of a total population of around 49 million, 5.4 million people have been internally displaced, while more than 1.4 million have crossed into other countries (mainly Chad, Egypt and South Sudan). When fighting broke out, Sudan already had around 3.7 million IDPs, mainly in Darfur, and 800,000 Sudanese were already refugees in third countries. Sudan was also hosting more than a million refugees from other countries such as South Sudan. Many of the latter have now sought to return home (or make their way to third countries). All told, there are likely more than ten million Sudanese that have left their homes both before and after the war started. With every new offensive, there are going to be more people fleeing from one place to the next.

The Commission of International Crimes

What is more, the conflict parties are likely committing international crimes. SAF engages in indiscriminate bombing, killing civilians in the process. RSF fighters and allied Arab militias loot properties, engage in sexual and gender-based violence and kill members of non-Arab groups, in particular Masalit. 68 villages in the greater Darfur area showed signs of fire damage, some were burnt down almost completely.

Many of these atrocities have taken place in West Darfur, where most Masalit used to live. Now around half a million have fled over the border to Chad. A detailed Reuters investigation based on interviews with survivors and open-source information found that the SAF officers had deserted the base in Ardamata in early November when they could no longer defend it. The remaining SAF rank and file and members of an allied Masalit armed group negotiated a surrender with the dominant RSF troops and gave up their weapons in exchange for promises to be spared. Instead, the RSF ordered the men out of the houses and started shooting them, targeting mainly the Masalit. Perhaps 1300 people were killed within two or three days.

Several international actors have classified these and other acts by the belligerents as international crimes, i.e. as erga omnes violations of international law. This means that all states have an obligation to prevent them. On 6 December, the US State Department issued an “atrocity determination”, where it formally found that the SAF and the RSF had committed war crimes and the RSF had committed also crimes against humanity and ethnic cleansing as laid out above. Previously, Alice Wairimi Nderitu, the UN Special Advisor on the Prevention of Genocide, observed after a visit to refugee camps in Chad that many risk factors of genocide were in place. “In Darfur, innocent civilians are being targeted on the basis of race,” she said earlier.

Adding Fuel to Fire

Regional actors further fuel the conflict by delivering arms or allowing those deliveries to take place via their respective territories. The UAE supports the RSF with weapons and vehicles through Chad. Libya (under Haftar), Kenya, Uganda, the Central African Republic and more recently Ethiopia also seem to be involved in facilitating such shipments, as have been Russian mercenaries in Libya and CAR. In contrast, Egypt supports the SAF with weapons and other military support, including guns for tens of thousands of newly recruited SAF soldiers as well as Turkish Bayraktar drones. There have also been reports about Ukrainian drones and special forces supporting SAF, although the sourcing was relatively thin.

Insofar as they enter Darfur, many of those arms deliveries are a violation of the UN Security Council arms embargo on Darfur originally imposed in 2005. Even though it was never very effective as it only applied to one region within a larger country, it still provides ground for in-depth investigations by the UN Panel of Experts whose next report is due in early 2024.

The Threat of Spill Over

The war in Sudan is likely to spill over to neighbouring countries in various ways. Currently, the most-watched case is Chad. President Deby plays a risky balancing game by allowing the UAE to use Chadian territory for arms supplies to the RSF. The RSF have incorporated a significant number of Chadian Arabs and are increasingly getting into conflict with the Zaghawa in Darfur, the same ethnic group of Deby’s governmental elite. Unrest within the Chadian elite may lead to a military coup, or returning Chadian Arab fighters may strengthen armed opposition groups and ignite a civil war.

South Sudan’s transitional government may also feel the heat from the war in Sudan. Angelina Teny, South Sudan’s interior minister, confirmed that South Sudanese have joined both SAF and RSF. These might later return to their home country with their military equipment and join any number of armed opposition groups. Furthermore, small arms are flooding informal markets in Sudan at cheap prices.

Moreover, the hostilities threaten to disrupt the export of oil from the South to markets via the pipelines to Port Sudan. This might bankrupt South Sudan’s kleptocratic government at a time this money is needed to smooth over differences resulting from planned but likely flawed elections in December 2024.

Flawed Mediation Efforts

Mediation efforts by international and regional actors have not succeeded in halting the violence so far. Their response has been lacklustre, with no sustained high-level commitment. Mediators also continue to follow a deeply flawed approach. They focus excessively on SAF and RSF as well as their respective leaders, General Abdel Fattah al-Burhan, SAF’s commander-in-chief, and General Mohamed Hamdan Dagalo, called Hemedti, RSF’s commander.

For example, on 9 December, an extraordinary summit of the Intergovernmental Authority on Development (IGAD), the regional organisation in the Horn of Africa, heard pledges from both Burhan and Hemedti for a personal one-on-one meeting as well as for an “unconditional ceasefire.” This ignores that neither of them appears capable of controlling the war on their own anymore, given the significant role of elements of the former regime, ethnic militias as well as other armed groups, some of which have increased the territory under their control in the Nuba mountains and in Central Darfur. Moreover, IGAD and AU member states lack leverage in holding the belligerents accountable. Within a week after these pledges, the SAF bombed Nyala, the capital of South Darfur, and the RSF started a major offensive in Al Jazeera state in central Sudan, a major humanitarian hub and breadbasket of the country. The RSF captured the state capital Wad Madani within four days.

What is urgently needed is a multi-stakeholder dialogue, something that a joint AU and IGAD team has been preparing for months. However, there are disagreements regarding the participation of the conflict parties as well as representatives of the former Bashir regime, which some civilian parties reject out of hand. It remains to be seen whether the Coordination of Civil Democratic Forces or “Taqaddum”, a new civilian coalition whose preparatory committee was founded in Addis Abba in October, can prove more effective. They are in touch with the conflict parties based on their own roadmap.

A Threat to International Peace and Security

The war in Sudan poses a threat to international peace and security, requiring European actors including Germany to engage more forcefully. Encouraging regional actors to convene a credible multi-stakeholder and potentially sequenced dialogue is one way. States such as the UAE and Egypt that are fuelling the war with arms deliveries should also be held accountable, at least by calling them out. The EU should also start adding names to the sanctions regime on Sudan that it created in October and ensure that companies active in its common market do not interact with the RSF, SAF and their respective economic entities.

Mobilising diplomatic and political capital to stop the war in Sudan is not just the right thing to do, it should be everybody’s business given the high stakes involved.

Die Folgen der Straflosigkeit im Sudan

Im Schatten des Kriegs zwischen den Sicherheitskräften im Sudan greifen die »Rapid Support Forces« (RSF) und verbündete Milizen immer wieder gezielt einzelne ethnische Gruppen an. Nun droht der Konflikt sich auf den Tschad auszuweiten.

Dieser Text erschien am 17.November 2023 bei Zenith Online.

In den vergangenen Wochen konnten die »Rapid Support Forces« (RSF) einige militärische Erfolge im Krieg gegen die Sudanesische Armee (SAF) erzielen. Sie eroberten Kasernen in drei Landeshauptstädten im westlichen Darfur: Nyala (Süd-Darfur), Zalingei (Zentral-Darfur) und El-Geneina (West-Darfur) sowie ein Ölfeld in West-Kordofan. Die paramilitärischen RSF kontrollieren mittlerweile weite Gebiete des Landes westlich des Nils sowie einen großen Teil von Khartum. Mehr als sieben Monate nach Beginn des Kriegs um die Vorherrschaft im Sicherheitssektor ist kein baldiges Ende in Sicht.

Die Gewalt beschränkt sich aber nicht auf Auseinandersetzungen zwischen den Hauptkonfliktparteien RSF und SAF. Beide Seiten nehmen keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Die RSF plündern und besetzen private Wohnhäuser, während die SAF mit wenig präziser Artillerie und Luftschlägen auf RSF-Positionen zivile Opfer in Kauf nehmen.

Insbesondere gegen die RSF werden jedoch weit schwerwiegendere Vorwürfe laut: Im August schlugen UN-Experten, die vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzt wurden, Alarm, dass die RSF sexuelle Gewalt einsetzten, um die Zivilbevölkerung »zu bestrafen und zu terrorisieren«. Laut Zeugenaussagen entführen RSF-Angehörige Frauen und halten sie unter »Sklaverei-ähnlichen Bedingungen«.

Politische Führer der Masalit sowie Anwälte und Aktivisten wurden gezielt ermordet

Die RSF und verbündete arabische Milizen gehen teilweise gezielt gegen Angehörige einiger ethnischer Gruppen vor. Dies betrifft insbesondere die Masalit, eine nicht-arabische Gruppe, die hauptsächlich in West-Darfur beheimatet ist. Seit dem Beginn des Kriegs sind mehrere Vorfälle bekannt geworden, in denen RSF und verbündete arabische Milizen (die nicht immer klar voneinander zu unterscheiden sind) für Massentötungen von Masalit verantwortlich gemacht werden. Ein erster Höhepunkt dieser Art von massenhafter Gewalt gegen die Masalit war zwischen Ende April und Juni, der zweite Anfang November.

Augenzeugen sprachen davon, dass Menschen in El-Geneina aufgrund ihrer Hautfarbe angegriffen wurden. Männer im wehrfähigen Alter wurden getötet, Frauen vergewaltigt, zivile Einrichtungen geplündert. Politische Führer der Masalit sowie Anwälte und Aktivisten wurden gezielt ermordet. Als Khamis Abdullah Abkar, der Gouverneur von West-Darfur und Führer der »Sudanese Alliance«, am 14. Juni in einem Interview davon sprach, dass die RSF für die massenhafte Gewalt der letzten Wochen verantwortlich sei, während die SAF tatenlos in ihrer Kaserne sitze, wurde er kurz darauf umgebracht. Eine unabhängige Konfliktbeobachtungsplattform, die vom US-Außenministerium unterstützt wird, stufte diese Tat als extralegale Tötung ein.

Angaben über die genauen Opferzahlen sind schwierig wegen des begrenzten Zugangs unabhängiger Akteure. Menschen, die mit den Vereinten Nationen kurz nach ihrer Ankunft in Tschad sprachen, berichteten jedoch übereinstimmend von verwesenden Leichen in den Straßen und am Wegesrand. Allein auf einem Friedhof in El-Geinena sollen mehr als 1.000 Tote bis Mitte Juni begraben worden sein. Die Analyse von Satellitenbildern zeigt, dass zwischen April und Mitte Oktober 68 Orte in der Region Darfur Feuerschäden aufweisen. Einige, die vor allem von nicht-arabischen Minderheiten bewohnt wurden, wurden fast vollständig niedergebrannt.

Ardamata wäre mit bis zu 1.300 Toten das größte Einzelmassaker seit Beginn des Kriegs im April

Hundertausende entflohen dieser Gewalt, mittlerweile über eine halbe Million über die nahe Grenze nach Tschad. Einige Masalit wagten nicht die gefährliche Reise über die Grenze, sondern flohen in die SAF-Basis in Adarmata, einem Vorort von El-Geneina. Als die RSF die Kaserne der SAF dort schließlich am 4. November 2023 einnahmen, verübten sie innerhalb weniger Tage ein erneutes Massaker an den Masalit. Das Un-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sprach von mehr als 800 Opfern, eine lokale NGO von 1.300 Menschen, deren Namen sie erfasst habe. Ardamata wäre damit das größte Einzelmassaker seit Beginn des Kriegs im April.

Diese identitätsbasierte Gewalt steht einerseits in einem engen Zusammenhang zum Krieg zwischen RSF und SAF, andererseits hat sie deutlich längere und tiefere Wurzeln. Beide Episoden massenhafter Gewalt ereigneten sich im Zusammenhang mit Kämpfen zwischen RSF und SAF in West-Darfur. Kämpfer der »Sudanese Alliance«, einer bewaffneten Gruppe, die Teil des Juba-Friedensabkommens (JPA) von 2020 ist, verstärkten nach der gezielten Gewalt gegen die Masalit im Frühjahr die Verteidigung der Kaserne, in die sich auch viele Zivilisten geflüchtet hatten.

Die UN wollen Vorwürfen nachgehen, nachdem es auch Angriffe von Masalit-Milizen auf arabische Personen in den letzten Wochen in Ardamata gegeben habe. Dies scheint aber wenig an der Überlegenheit der RSF und arabischen Milizen sowie an der Einseitigkeit der Gewalt gegen die Masalit zu ändern, wie es sie in West-Darfur seit 2019 episodenhaft mehrfach gegeben hat.

Die Gräueltaten der RSF und der mit ihnen verbündeten arabischen Milizen in Darfur verkomplizieren die Vermittlungsbemühungen. Mittlerweile gibt es zwar eindeutige Äußerungen internationaler Akteure, doch diesen Worten Nachdruck zu verleihen, erweist sich als schwieriger: »Was dort geschieht, grenzt an das pure Böse« (Clementine Nkweta-Salami, Stellvertretende Leiterin der UN-Mission in Sudan), » alle Kennzeichen ethnischer Säuberung« (Andrew Mitchell, britischer Staatssekretär für Afrika), »Die internationale Gemeinschaft kann nicht die Augen vor den Geschehnissen in Darfur verschließen und einen weiteren Völkermord in dieser Region zulassen.« (Josep Borell, Hoher Repräsentant der EU).

Der Internationale Strafgerichtshof sieht die derzeitigen Vorfälle als Teil seines 2005 für Darfur erteilten Mandats

Im Oktober setzte der UN-Menschenrechtsrat eine internationale Untersuchungsmission ein, die Beweise für Menschenrechtsverletzungen sammeln soll, die in zukünftigen Gerichtsprozessen genutzt werden könnten. Der Internationale Strafgerichtshof gab im Juli bekannt, dass er die derzeitigen Vorfälle als Teil seines 2005 für Darfur erteilten Mandats sieht. Dass diese Mechanismen abschreckend auf die RSF wirken könnten, ist bisher nicht abzusehen.

Internationale Vermittlungsbemühungen für den Krieg in Sudan haben bisher kein separates Augenmerk auf die besondere Art der Gewalt in Darfur gelegt. Die RSF scheinen sich ohnehin um ihre Versprechen wenig zu scheren. Währen ihre Delegierten in Dschidda sich zur Verbesserung des humanitären Zugangs bekannten, begingen die RSF-Milizen das Massaker von Ardamata. Abdelrahim Dagalo, der Stellvertretende Kommandeur der RSF, der bei den jüngsten militärischen Erfolgen in Darfur zugegen war, sprach kurz danach davon, die »Kriminellen«, die das Land für dreißig Jahre regiert hätten, »endgültig zu eliminieren«.

Derweil kündigt sich eine weitere Eskalation der Gewalt im Kampf um El-Fasher an, die Hauptstadt Nord-Darfurs und letzte Hochburg der SAF in der Region. Am 16. November verkündeten bewaffnete Gruppen aus Darfur, die um El-Fasher Tausende Kämpfer kontrollieren, dass sie ihre bisherige Neutralität aufgeben und auf der Seite der SAF in den Krieg einsteigen wollten. El-Fasher hat über eine Million Einwohner, davon eine halbe Million Binnenvertriebene. Die RSF könnten den Einstieg der bewaffneten Gruppen als Grund nehmen, auch gegen andere nicht-arabische Bevölkerungsgruppen wie die Zaghawa und Fur gezielt vorzugehen, wie bereits vor zwanzig Jahren.

Dies könnte nicht zuletzt die Regierung von Tschad vor weitere Herausforderungen stellen, da ihre Regierungselite aus Zaghawa besteht, aber gleichzeitig den Vereinigten Arabischen Emiraten erlaubt, über Amdjarass im Nordosten Tschads Waffen an die RSF zu liefern. Eine weitere regionale Eskalation des Kriegs in Sudan wird damit wahrscheinlicher.

Internationales Krisenengagement: Raus aus den Pfadabhängigkeiten

SWP 360 Grad zur nationalen Sicherheitsstrategie, 4.September 2023 (zusammen mit Judith Vorrath)

Als Teil des Ansatzes der Integrierten Sicherheit bündelt das integrierte Friedensengagement Mittel und Instrumente für den Umgang mit Krisen und Gewaltkonflikten. Doch das entsprechende Kapitel in der Nationalen Sicherheitsstrategie enthält lediglich eine Aneinanderreihung bekannter Maßnahmen ohne Prioritätensetzung oder Innovation. Das zeigt sich schon in vorherrschenden Formulierungen wie „ausbauen“, „stärken“ oder „zusammenführen“. Dies verwundert, da das AA bereits in seinem Konzept für integriertes Friedensengagement vom Dezember 2022 Pragmatismus, Risikobereitschaft und flexible Steuerung propagierte. Ein „more of the same“ birgt dagegen die Gefahr, zentrale Lehren aus dem Engagement in Afghanistan und Mali auszublenden. Denn dort zeigte sich, dass starke Pfadabhängigkeiten bei Zielen und Instrumenten – etwa durch enge Anlehnung an internationale Partner – eigene Friedensanstrengungen unterminieren können.

Für einen Primat der Prävention, den die Bundesregierung in der Sicherheitsstrategie erneut betont, sind Leitplanken und Prozesse unabdingbar, mit denen sich ein integriertes Friedensengagement entlang von Werten und strategischen Interessen steuern lässt. Zusätzlich bedarf es stärkerer politischer Impulse für die Administration, koordiniert und frühzeitig zu agieren. Für beides bietet die Sicherheitsstrategie wenig Orientierung. Freilich sind wissenschaftsbasierte Prozesse für Krisenfrüherkennung oder globale Partnerschaften relevante Ansatzpunkte. Hier stehen sie aber ohne inneren Zusammenhang neben Maßnahmen und Instrumenten, die teils besser in anderen Kapiteln aufgehoben wären, wie Migrationspartnerschaften und die Bekämpfung von Hungerkrisen.

Deutschland ist weltweit größter Geber im Bereich zivile Friedensförderung und einer der wichtigsten Finanziers von VN-Friedensmissionen, der Friedens- und Sicherheitsarchitektur der Afrikanischen Union, humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Daher sollte die Bundesregierung eine Führungsrolle beim Friedensengagement übernehmen und eigene Vorschläge in internationalen Prozessen auch außenpolitisch konsequent nutzen. Es geht nicht nur um einen Zuwachs an Mitteln, sondern darum, wie (und wo) diese verwendet werden. Ein gemeinsamer Fonds für zivile Konfliktbearbeitung, gepaart mit Steuerungs- und Lernmechanismen, könnte mehr Ressortkohärenz zwischen AA und BMZ schaffen. Die Bundesregierung sollte in Abstimmung mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zivile Planziele zur langfristigen Finanz- und Personalplanung entwickeln, wozu sie sich im Koalitionsvertrag verpflichtet hat. Diese würden zum Beispiel helfen, mehr Polizeikräfte für internationale Friedensmissionen verfügbar zu machen. Zivile Fähigkeiten könnten so perspektivisch leichter in Koordination mit militärischen Instrumenten wie Ertüchtigung eingesetzt werden.

Bei der Implementierung der Sicherheitsstrategie sollte die Bundesregierung das eigene Profil schärfen, Synergien nutzen und klare Prioritäten verfolgen.

Sudan: The Legitimization Strategies of Violence Entrepreneurs

Chapter in: Marianne Beisheim (Hg.): Country-level Politics around the SDGs. Analysing political will as a critical element of the Mid-Term Review of the 2030 Agenda and the SDGs, SWP Research Paper 2023/RP 07, 10.07.2023

Sudan faces huge challenges to implementation of the SDGs: political instability following decades of authoritarian rule, armed conflict, a skewed economy in deep macroeconomic crisis, and the impacts of climate change. Consequently, Sudan is among states making the slowest progress towards the SDGs, with an SDG index ranking of 159 out of 163.1

Sudan’s VNR report from 2022 does not pretend anything different. It acknowledges the country’s significant development shortcomings, the lack of suf­ficient current data and the state’s very weak im­plementation capacity in virtually all relevant areas. This apparent honesty is both selective and strategic, however. It omits the single most important factor keeping the Sudanese poor, namely the domi­nance of the security sector in politics and the econo­my. Appear­ing to care for the civilian population is a deliberate legitimization strategy on the part of the authors of the report, which was compiled by the Ministry of Finance and Economic Planning (MoFEP). Its head, Sudan’s Minister of Finance Geibril Ibrahim, is a former rebel, an Islamist and a supporter of the military coup of October 2021. Any international support for sustainable development in Sudan thus needs to adopt an adaptive approach that includes peacebuilding and diplomacy.

Political instability and Sudan’s violent entrepreneurs

Pretending to promote broad-based development when actually engaging in politics that undermine it has a long tradition in Sudan, particularly among its armed movements. Peace agreements are full of nor­mative language, as are the pronouncements of elite negotiators purporting to serve the interests of mar­gin­alized populations in the periphery. Power- and rent-sharing arrangements are the core objectives of Sudan’s violent entrepreneurs.2 These include regular security forces, paramilitary forces, irregular militias and armed movements, who compete or cooperate on the basis of temporary shared interests.3

SDG implementation came to a halt in recent years as Sudan experienced considerable upheaval and lacked effective government. The breakdown culmi­nated in military conflict in April 2023. Country-wide demonstrations in 2019, provided the motivation for a palace coup that ousted Omar al-Bashir after nearly thirty years in power. A civilian-military transitional government took the reins in August 2019, led by the former UN official Abdalla Hamdok. The military and security forces retained influence in the Sovereign Coun­cil (the collective presidency) and in security-related cabinet portfolios. In October 2020, the gov­ernment signed the Juba Peace Agreement (JPA) with thirteen armed movements across the country. They joined the government in February 2021, and Geibril Ibrahim became minister of finance.

Having supported the military in sidelining civil­ians, he and fellow JPA signatories remained in office when security forces arrested Prime Minister Hamdok and some of his ministers on 25 October 2021.

Since the coup, Sudan has had no fully functioning government. The military did not replace civilian min­is­ters who resigned, instead promoting undersecretaries to become acting ministers. General Fattah Abdel al-Burhan, the head of the Sudanese Armed Forces (SAF) and chair of the Sovereign Council, claimed that he had seized power only to “correct” the path of the popular revolution that started in December 2018.4 When the military realized they could not succeed, Burhan announced he would be ready to hand over power to a civilian government that was either elected or created by “consensus”.5 On 5 December 2022, after months of behind-the-scenes negotiations, a framework agreement was finalized between the military and a coalition of civilian groups. Geibril and his allies rejected the framework agree­ment because it included a review of the earlier peace agreement, which guaranteed them their positions.6 Negotiations on outstanding issues for a final agree­ment escalated into armed conflict between the SAF and the paramilitary Rapid Support Forces (RSF) shortly before a planned handover to a civilian gov­ern­ment in April 2023.

The VNR’s selective treatment of development challenges

The preparation of Sudan’s second VNR fell in the period after the October 2021 coup.7 This put the draft­ers in the interesting position of describing the achievements of a transitional government for whose demise their military allies were responsible. The fact that Sudan decided nevertheless to submit the VNR in such a volatile situation points to the main purpose of the report: courting international favour for an ille­gitimate government. The government also wanted to restart international financial support and debt relief, as highlighted in the VNR’s opening statement and again in the conclusion.

The main purpose of the report lies in courting international favour for an illegitimate government.

The report includes an initially perhaps surprisingly open acknowledgement of Sudan’s development chal­lenges. It describes Sudan’s three-digit inflation and negative economic growth and mentions the escala­tion of “tribal and intercommunal violence”.8 Given that the process was still ongoing when the report was submitted, it can only acknowledge that “consul­tations with assistance from the international and regional partners to resolve the political crises and con­tinue the path towards peace and democratic transition” were taking place.9

The report’s description of Sudan’s (lack of) achieve­ments in ending extreme poverty (SDG1) demonstrates important characteristics that apply across its treatment of the Agenda 2030. It acknowledges the dire situation, citing data where available. On poverty, the only source is a projection based on the government’s last national household budget and poverty survey from 2014/15, which was prepared in the con­text of the transitional government’s work with the IMF and the World Bank on a poverty reduction strat­egy paper. According to the VNR, poverty in­creased to 64.2 percent in 2020, up from 46.5 percent in 2009.10 Even that could be an undercount according to the director of the then new Social Security Commission in 2020, who spoke of 77 percent of the population living on less than US$1.90 per day.11

The disparities in the poverty count underline the lack of reliable current data. The VNR report acknowl­edges that gap and notes that the lack of disaggregated current socio-economic data makes it very difficult to identify those most affected by the lack of develop­ment and thus ensure that no one is left behind, a core objective of the Agenda 2030.12

The absence of regionally disaggregated economic data is not simply a consequence of the lack of state capacity, but is rooted in wilful government policy going back to colonial times. The British colonial administration wanted “to avoid publishing numbers about Sudan’s economy for fear of making regional inequities obvious to the public. Rather than buck this trend, subsequent post-independence regimes fol­lowed suit”, write Matthew Benson and Musan Alneel on the basis of their study of Sudan’s tax system.13

The transitional government had identified a strat­egy to reduce poverty, which the VNR presents as a response to the dire situation. The heart of that gov­ern­ment’s development strategy – prepared in con­junction with its international partners – was aboli­tion of the fuel subsidy and floating of the Sudanese currency. The short-term pain was to be alleviated by a broad cash-transfer programme funded by donors. The Sudan Family Support Programme or Thamarat was to provide up to 80 percent of the population with the equivalent of US$5 per month. Its roll-out was delayed because the US government first needed to delist Sudan from its list of State Sponsors of Ter­ror­ism. Under enormous economic pressure, the Sudanese government cut the subsidies – resulting in huge price rises for transport and food. A pilot of the Thamarat project was launched in February 2021, but quickly stopped after the European Union, the United States, Germany and the World Bank halted their funding following the October coup, depriving 9.2 million registered beneficiaries of future assis­tance.14

As well as send a message to the coup leaders, donors wanted to prevent misuse of funds. Inter­national funding had flowed through a multi-donor trust fund into the coffers of the Sudanese Central Bank. The influx of foreign currency stabilized Sudan’s reserves, allowing the government to finance imports of food and other commodities, and thus stabilized the fragile transitional government. Abort­ing funding for the trust fund and thus for the Thamarat programme was intended to avoid propping up the coup author­ities, whose ministry of finance also controlled the Central Bank.

The government’s narrative ignores the most significant obstacle to in­clusive and sustainable development: the dominance of the security sector.

In short, the VNR describes Sudan’s dire situation relatively accurately, in a way that serves the interests of the government and in particular the armed move­ment–led ministry of finance.15 The report locates the causes of the problems in the long rule of the for­mer Bashir regime, against which the armed move­ment fought and which the coup government pur­ported to overcome in accordance with the Sudanese revolution. The programmes and projects of the tran­sitional government of 2019 to 2021 are presented as still providing a response to this legacy. This narrative might suggest that all that is needed is for Sudan’s international partners to resume their funding. That, however, would be to ignore the most significant ob­stacle to inclusive and sustainable development: the dominance of the security sector, and the political sys­tem it has created to serve its interests.

Conflict and military repression as central development challenges

Sudan has been ruled by authoritarian military lead­ers for most of its post-independence history. Suc­cessive governments created an exploitative sys­tem based on the extraction of resources from the periph­eries for the benefit of urban elites in the centre.16 Where populations resisted such extraction, governments deployed significant force to maintain the sys­tem. Sudan has experienced armed conflict for most of its history, with fighting and violence against civil­ians located almost exclusively in the peripheries.17

The Sudanese Armed Forces and other security actors became strongly engaged in the economy. This impeded the development of the private sector, but allowed the military to control vast swathes of the country’s resources and productive economy. Key stakeholders were appointed to positions of authority in exchange for their loyalty.

One of the armed movements formed in response to state violence was the Justice and Equality Move­ment (JEM), led by Geibril Ibrahim from 2012. Once a considerable military force, JEM largely disintegrated over peace talks with the government and was defeated by government forces and expelled from Darfur in 2015. After that, it had only a few hundred troops in South Sudan and Libya.18 The JPA gave JEM and other signatories a new lease of life.

Against this background, Sudan’s 2022 VNR report serves a clear purpose. Both the coup government and Geibril personally have an incentive to emphasize their supposedly popular credentials, while distracting from their lack of legitimacy. Indeed, Geibril’s own support base is now so narrow that he travelled to Darfur in January 2023 “under heavy protection” for fear of attacks from his own Zaghawa tribe.19 Any international aid would allow him to bolster his lead­er­ship ambitions, both across Sudan and within Darfur.

Implications for donor governments

Ensuring effective international support for accelerated SDG implementation is immensely challenging in a situation of armed conflict and state capture by vio­lence entrepreneurs. Donors need to ensure that their aid does not strengthen – even inadvertently or in­directly –the extremely exploitative and extractive system keeping most Sudanese poor. At the same time, a highly risk-averse approach would essentially shift the burden to humanitarian aid. Some communities, for example in IDP camps, have received food aid for decades, keeping whole generations aid de­pend­ent.

Since the October 2021 coup, international devel­op­ment partners have started to reorientate. Inter­national officials repeatedly warned the military government that time was running out to access the funds and programmes that had been granted to the transitional government but were blocked after the coup.20 Sudan’s debt relief process under the Heavily Indebted Poor Countries Initiative (HIPC) was effec­tive­ly halted, as was progress on Sudan’s poverty reduc­tion process agreed with the World Bank and IMF.21

Even if a civilian government is finally formed, its absorption and implementation capacity will remain very limited. In the past, donors found it difficult to get the detailed applications and reports needed to fulfil their funding requirements. As a result, it was easier to plan around the state structures. While such a procedure allows projects to proceed for the benefit of civilian populations, it undermines the govern­ment’s ownership and capacities. Any new government would need to revise or at least update the existing development planning documents.

Finally, the security sector will remain a significant impediment to any civilian government and to inter­national donors willing to fund implementation of the SDGs. Supporting basic service delivery removes the government from its responsibility in that core area to some extent, especially when projects are implemented beyond government structures. Inter­national funding of schools, hospitals and utilities allows the government to continue spending large amounts of its own budget on the security sector and to maintain fiscal practices benefitting military-owned companies. Moreover, it is likely that the military will resist giving up its control of a large section of state-owned companies to a new civilian government; this was already a major sticking point during the 2019–2021 transitional government. Com­panies, banks and other entities owned or con­trolled by the paramilitary RSF may be even harder to transfer to civilian control. There is no transparency about their budgets and profits. As an indication of their wealth, the IMF reported a “non-transparent con­tribution of $2 billion from security sector owned companies” into the state budget in 2020.22

The 2030 Agenda recommends more integrated approaches to sustainable development. In Sudan this would be a development approach that includes peace­building and humanitarian concerns (the “triple nexus”) and is guided by an adaptive political strat­egy.23 An adaptive approach acknowledges complexity and uncertainty and thus allows for continuous moni­toring, evaluation and learning processes above and beyond conventional project-based programming cycles. It could include, for example, small pilot projects with state-level or local governments, which could quickly be expanded or adjusted if they prove successful.

Recent research calls for a more fundamental re­think of development cooperation in conflict settings in general. Specifically, donors should take the exist­ing coping mechanisms, perceptions and relationships of local communities more seriously in their programming decisions.24 Unpacking the political economy of conflict-affected countries’ SDG reporting should be part of such reflections.