Nach drei Jahren war ich im März 2014 wieder für eine Woche im Norden Sri Lankas unterwegs.
Gleichmäßig tuckernd saust der Zug an knorrigen Bäumen und roter Erde vorbei. Ich befinde mich auf der Rückfahrt meines Ausflugs in die Nordprovinz Sri Lankas. In vier Tagen besuchte ich die ehemalige Hauptstadt der Tamil Tiger Rebellen Kilinochchi, die Orte der letzten Auseinandersetzungen zwischen Armee und Rebellen um PTK und Mullaitivu, das kulturelle Zentrum der Tamilen in Jaffna und zwei Inseln im äußersten Nordwesten des Landes, Delft und Nanaitivu.

Seit meinem letzten Besuch in Jaffna, damals auf Dienstreise mit der deutschen Botschaft, sind genau drei Jahre vergangen. Viel ist in dieser Zeit über die Situation in Sri Lanka geschrieben und gesagt worden, doch ich wollte endlich die Lage selbst sehen, wenn auch in der Kürze der Zeit erzwungenermaßen oberflächlich. Welche Spuren des Krieges und der Rebellen sind noch zu erkennen? Wie hat sich die wirtschaftliche Lage verändert?
Kilinochchi, das nach harten Kämpfen am 2. Januar 2009 an die Sri lankische Armee fiel, lässt jeglichen Hinweis auf die immerhin knapp fünfzehnjährige Existenz des Proto-Staates Tamil Eelam vermissen. Selbst der Krieg scheint fern – zerstörte Häuser sind äußerst selten, nur ein von der LTTE zerstörter Wassertank und ein Mahnmal der Armee erinnern direkt daran. Stattdessen dominiert die vierspurig ausgebaute Hauptverbindungsstraße zwischen Norden und Süden das Stadtbild. Genau wie die Zugstrecke wurde sie erst letztes Jahr wieder eröffnet. Jede Menge kleiner Läden säumen die Straßenränder. Zwei Kinderparks, von USAID und der Sri lankischen Armee, bieten Freizeitausgleich an. An den Verwaltungsgebäuden scheint die Farbe gerade getrocknet zu sein. Doch je länger ich durch die Stadt laufe, kommt mir das alles seltsam vor. Es scheint, als wäre die ganze Stadt mit wahrscheinlich mehreren zehntausend Einwohnern erst vor fünf Jahren gegründet worden. Es fällt schwer, irgendein Haus zu finden, das offensichtlich älteren Datums ist. Es ist eine Stadt ohne Seele.

Mit dem Tuk-Tuk mache ich mich auf den Weg Richtung Osten, wo die letzten Gefechte im Frühjahr 2009 ausgetragen wurden. Die Tamil Tigers hatten nach dem Fall Kilinochchis die Zivilbevölkerung gezwungen, sich mit ihnen zurück zu ziehen. In einem stetig schrumpfenden Gebiet waren auf diese Weise etwa 300.000 Zivilisten (exakte Zahlen sind heftig umstritten) den Kämpfen ausgeliefert. Das Kalkül der Rebellen, durch die damit verbundenen zivilen Opfer die Unterstützung und Intervention (auf welche Weise auch immer) der internationalen Gemeinschaft zu erlangen, scheiterte katastrophal. Nicht zuletzt kümmerte die Regierung sich herzlich wenig um die laute Rhetorik des Westens so kurz vor dem Ziel.
Auf dieser Straße war die Armee vorgerückt. Irgendwann sagt der Fahrer zu mir: “Here, war. Hundred people killed.” Diese Realität passt wenig mit der offiziellen Linie der Armee zusammen. Bei Puthukkudiyiruppu (PTK) hatte die Armee die erste “No Fire Zone” errichtet. In diese sollten die Zivilisten fliehen, aber Artillerieschüsse trafen Krankenhäuser und andere zivile Ziele hier trotzdem. In der Nähe hat die Armee heute ein “war Museum” eingerichtet, in dem sie Kriegsgerät der Rebellen ausstellen. Darunter sind auch kleine U-Boote, Schnellboote für Selbstmordattentate, Torpedos und Raketenwerfer. Die LTTE galt als eine der professionellsten Rebellengruppen der Welt. Auch Teile ihrer kleinen Luftwaffe werden ausgestellt. Diese als unbezwingbar geltende Gruppe hat also die heroische Sri lankische Armee in einer “Humanitarian Rescue Operation” besiegt. Eine kleine Ausstellung zeigt Bilder und schematische Truppenbewegungen, mit ausschließlich singalesischem Kommentar. Nebenan zeigt ein martialisches “Siegerdenkmal” einen überlebensgroßen Soldaten, der stolz sein Gewehr hoch reißt. Damit auch hier keine Missverständnisse aufkommen, wessen Sieg gemeint ist, hat die Armee die tamilischsprachige Plakette ausgelassen.

Zuletzt kommen wir an den Strand, an dem immer noch rund 250.000 Zivilisten ausharren mussten im April und Mai 2009. Fast kein Baum spendet hier Schatten, die Vegetation überdeckt die immer noch sichtbaren Einschlagskrater und Hinterlassenschaften der Vertriebenen nicht vollständig. Es ist ein bizarres Bild: feinster weißer Sandstrand lädt zum Baden ein, während direkt dahinter das Brachland des Schlachtfelds liegt. An diesem Punkt hatten sich die beiden aus gegensätzlichen Richtungen vorstoßenden Divisionen vereint und damit den noch verbliebenen wenigen hundert Rebellen mit ihrer Führung den Fluchtweg versperrt. Heute leben hinter dem Strand einige Familien in noch nicht fertig gestellten Häusern.
Die Situation im Norden ist wie eine Mango, sagte ein Tamile, den ich in Jaffna treffe. Von außen sieht alles herrlich frisch und neu aus, und erst wenn man die Mango aufschneidet, erkennt man, dass sie faul ist. Die wirtschaftliche Entwicklung, die ich sehen kann, ist in der Tat sehr beachtlich. Wo vor drei Jahren kaum Autos fuhren und der Markt in Jaffna kaum über Lebensmittel hinausging, erhebt sich jetzt eine Mall mit Kino und KFC Restaurant. Die gleiche Straße, die ausgestorben und voller Kriegsschäden war, hat jetzt neue Hotels, Restaurants und Einkaufsläden.
Gleichzeitig besetzt die Armee mit ihren vielen Kasernen und Baracken immer noch viel Land im Norden, das die eigentlichen Besitzer nicht bewirtschaften können. Abends machen sich einige Soldaten über die zahlreichen Kriegswitwen her, sagt der Tamile. Und Kriegsdenkmäler feiern stets auf die ein oder andere Weise den “Sieg über den Terrorismus”. Öffentliche Trauer, zumal über getötete Rebellen, ist nicht vorgesehen. Die Armee hat alle “Heldenfriedhöfe” der LTTE eingeebnet.

Doch noch in einem dritten Aspekt gleicht der Norden der einheimischen Mango. Es ist eine zutiefst sinnliche Erfahrung hier zu reisen. Die Landschaft ist von rauer, nicht selten atemberaubender Schönheit. Palmen, Palmyra und Wasserbecken, an deren Rändern Kühe grasen, beherrschen das trockene und flache Land. An Wasserlöchern im Distrikt von Mullaitivu labt sich eine Herde Wasserbüffel in der tief roten untergehenden Sonne. In Delft sind die Grundstücke mit kleinen Mauern aus Korallen eingefasst, während wilde Pferde über die Ebenen traben. Gott hat das Land noch nicht verlassen.