Bürgerkrieg im Sudan: Deutschland kann mehr tun, um eine der größten Krisen unserer Zeit abzumildern

In: Tagesspiegel, 15.4.2024

Der Krieg in Sudan gefährdet auch europäische Sicherheitsinteressen. Deutschland sollte bei der humanitären Geberkonferenz Mitte April die Arbeit von Freiwilligen ins Zentrum rücken.

Seit Beginn des Krieges am 15. April 2023 erreichen die Entwicklungen in Sudan immer neue traurige Rekorde: Es handelt sich bereits um die größte Vertreibungskrise der Welt. Doch Sudan könnte Ort der größten Hungerkrise werden.

Über 220.000 Kinder könnten in den nächsten Monaten an Unterernährung sterben. Und das Risiko für weitere Massenverbrechen steigt.

In Sudan kämpfen die regulären Streitkräfte (Sudanese Armed Forces, SAF) gegen die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) um die Vorherrschaft im Staat. Die Armee arbeitet mit bewaffneten Gruppen aus Darfur, neu aufgestellten Freiwilligenverbänden und islamistischen Milizen zusammen. Die RSF haben ebenfalls massiv rekrutiert und kooperieren mit vorwiegend arabischen Milizen sowie abtrünnigen Armee-Angehörigen.

Der Krieg betrifft auch europäische Sicherheitsinteressen. Iran und Russland drängen die sudanesischen Behörden dazu, Militärbasen am Roten Meer einzurichten, einer der wichtigsten Versorgungsrouten zwischen Europa und Asien. Der US-Nachrichtendienstkoordinator warnte kürzlich davor, dass sich wie bereits Anfang der 1990er Jahre islamistische Terroristen und kriminelle Netzwerke in Sudan ausbreiten könnten. Der Krieg könnte sich darüber hinaus weiter destabilisierend auf Tschad und Südsudan auswirken. Menschen aus beiden Ländern verdingen sich bereits bei den Konfliktparteien.

Die internationale Aufmerksamkeit ist gering und wird dem Ausmaß dieser Eskalation nicht gerecht. Angesichts der Komplexität der Herausforderungen ist es auch leicht, sich frustriert, überfordert und gelähmt zu fühlen. Bisher sind alle Bemühungen für einen Waffenstillstand gescheitert.

Die Afrikanische Union, die Arabische Liga, die USA, Saudi-Arabien, Ägypten und IGAD, die Regionalorganisation am Horn von Afrika, kämpfen um ihre eigene Sichtbarkeit. Die Gespaltenheit und Schwerfälligkeit dieser Akteure erleichtert es den Konfliktparteien, deren Vermittlungsbemühungen gegeneinander auszuspielen.

Deutschland, Frankreich und die EU hoffen nun auf neuen Schwung durch eine humanitäre Geberkonferenz für Sudan, die sie am 15. April in Paris ausrichten. Das Hauptziel ist, mehr Mittel für die humanitäre Hilfe zu mobilisieren. Bisher ist der entsprechende Aufruf der Vereinten Nationen für 2024 zu weniger als sechs Prozent finanziert. Es werden noch knapp drei Milliarden US-Dollar benötigt.

Internationales Engagement sollte jedoch nicht bei humanitärer Hilfe stehen bleiben. Eine Gesamtstrategie für Frieden, die alle relevanten internationalen und sudanesischen Akteure berücksichtigt, ist nicht in Sicht. Zu tief sitzt das Misstrauen, zu stark ist das Geltungsbedürfnis der Konfliktparteien und ihrer Unterstützer.

Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung keine eigene Vermittlungsinitiative starten will. Deutschland kann den Konflikt in Sudan nicht allein beenden oder die dysfunktionale Landschaft von Vermittlungsakteuren kurzfristig verändern, auch wenn Bemühungen um mehr Koordination wichtig sind. Deutschland kann allerdings dazu beitragen, Bedingungen zu schaffen, die eine Beendigung des Kriegs ermöglichen. Gleichzeitig kann es temporäre und lokal begrenzte Ansätze fördern, um die Auswirkungen der Gewalt zu lindern oder eine weitere Eskalation zu vermeiden. Deutschland sollte auch eine stärkere Führungsrolle in der EU einnehmen, wie es auch von unseren europäischen Nachbarn erwartet wird.

Die Unterstützung ziviler Akteure aus Sudan sollte an erster Stelle stehen. Die sudanesische Zivilgesellschaft ist breit und vielfältig. Internationale Akteure sollten das politische Engagement von Parteien, Frauenorganisationen, Gewerkschaften, Jugend- und Menschenrechtsorganisationen finanziell und mit internationaler Expertise unterstützen. Geber sollten sich nicht nur auf einen Ansprechpartner wie den ehemaligen Premierminister Abdalla Hamdok und die von ihm geführte Koalition „Tagadum“ beschränken. In Kampala, Nairobi, Kairo und Addis Abeba finden in dichter Folge Workshops, Seminare und Konferenzen statt, die helfen können, eine neue politische Ordnung in Sudan vorzubereiten.

Internationale Geber wie Deutschland sollten in der humanitären Hilfe stärker mit Freiwilligennetzwerken in Sudan zusammenarbeiten. Diese operieren auch in den umkämpften Gebieten, organisieren Gemeinschaftsküchen und medizinische Versorgung. Letztes Jahr erreichten sie damit mehr als vier Millionen Menschen, und das mit einem Bruchteil der Mittel, die internationalen Organisationen zur Verfügung stehen. Seit Beginn des Konflikts erhielten sie gerade einmal rund zwei Millionen US-Dollar. Geber sollten innovative Wege finden, diese informellen „Emergency Response Rooms“ zu unterstützen, beispielsweise über einen dafür bestimmten Fonds.  

Die Ministerinnen und Minister, die sich in Paris treffen, sollten auch Druck auf die Konfliktparteien selbst ausüben. Im Fokus sollten Maßnahmen stehen, welche der Zivilbevölkerung helfen, sich selbst zu schützen. Die sudanesischen Behörden sollten den Zugang zu Telekommunikationsdienstleistungen wiederherstellen – er wurde Anfang Februar weitgehend eingestellt. Die Konfliktparteien müssten dazu bewegt werden, Verbote und Repressionen gegen die freiwilligen humanitären Helfer zurückzufahren, alle Grenzübergänge für internationale Konvois zu öffnen und aufzuhören, Warenlager von Hilfsgütern zu plündern.

Der internationalen Druck sollte auch darauf abzielen, weitere Massaker zu verhindern. Derzeit ist das Risiko für weitere Massenverbrechen am größten in und um Al-Faschir. Die Stadt ist Hauptstadt des Bundesstaats Nord-Darfur und letzte Bastion der SAF im Westen Sudans. Internationale Vermittler dort könnten sudanesische Bemühungen unterstützen, um die Situation zu entspannen. In der Umgebung leben rund eine halbe Million Binnenvertriebene. Sollte die RSF die Stadt vollständig einnehmen, könnte es zu massiven ethnisch motivierten Angriffen zwischen den arabischen Mitgliedern der RSF und dortigen bewaffneten Gruppen und Einwohnern von Al-Faschir kommen, die hauptsächlich der Gruppe der Zaghawa angehören.

Schließlich sollten Deutschland, Frankreich und die EU sich um größeren Druck auf diejenigen externen Akteure bemühen, die den Krieg durch Waffen und Finanztransaktionen anheizen. Besonders die Vereinigten Arabischen Emirate auf der einen (RSF) sowie Iran und Ägypten auf deren anderen Seite (SAF) sind hier zu nennen. Deutschland hat allerdings auch allen Grund, eigenes Handeln zu hinterfragen: Der Bundessicherheitsrat darf nicht zustimmen, dass sechs Airbus-A400m-Transportflugzeuge an die VAE geliefert werden. Die Pläne dazu wurden letztes Jahr bekannt. Die VAE haben in den vergangenen Jahren auch in Libyen und Äthiopien maßgeblich mit Waffenlieferungen eingegriffen.

Ein schnelles Ende der Gewalt in Sudan ist leider nicht in Sicht. Umso mehr sollte sich Deutschland bemühen, alle Ansatzpunkte und Kanäle zu nutzen, um die Friedensbemühungen der sudanesischen Zivilgesellschaft zu stärken.

Author: Gerrit Kurtz

Researcher working on conflict prevention, diplomacy, peacekeeping and the United Nations, with a focus on the Horn of Africa. Associate, German Institute for International and Security Affairs (SWP).

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