Sri Lanka: Menschenrechtspolitik ist kein Wettbewerbsnachteil

Eine konsequente Menschenrechtspolitik hat den demokratischen Wandel in Sri Lanka beschleunigt. Die Verschuldung gegenüber China steht einer Aufarbeitung des Krieges nicht im Wege. Eine Replik.

Chinesische Baustelle am Galle Face Green im Zentrum Colombos.

In seinem Beitrag in der FAZ vom 19. Dezember 2016 (“Gefangen in Chinas Schuldenfalle“) beschreibt Christoph Hein, wie die militärische Unterstützung Chinas während der letzten Phase des sri lankischen Bürgerkriegs das Tor für chinesisch finanzierte Großprojekte eröffnete. „Der Westen pochte auf die Menschenrechte und ließ die strategisch wichtige Insel links liegen“, schreibt Hein. Das ist eine einseitige Darstellung.

Wahr ist nämlich auch, dass westliche Staaten schon lange vor China den sri lankischen Kurs der militärischen Bekämpfung der Rebellenorganisation der Tamil Tigers unterstützten. Das US State Department stufte die Organisation bereits 1997 als ausländische terroristische Organisation ein. Selbst als sich die sri lankische Regierung mit den Tamil Tigers in Friedensverhandlungen befand, durften Rebellenvertreter nicht zu einer Geberkonferenz in Washington D. C. im April 2003 fahren. Die Rebellenorganisation nutzte diese Absage als Vorwand, um ihre Teilnahme an den Friedensverhandlungen auszusetzen.

Nachrichtendienstliche Erkenntnisse der USA und Indiens  halfen der sri lankischen Marine, die „schwimmenden Warenhäuser“ der Tamil Tigers im indischen Ozean zu identifizieren und zu zerstören. Bis 2008 lieferten Großbritannien, Tschechien und andere europäische Staaten Sri Lanka Militärfahrzeuge, Kleinwaffen und Granaten.

Spät, zu spät begannen die USA, Großbritannien und Indien, sich bei der sri lankischen Regierung für „humanitäre Feuerpausen“ einzusetzen. Sie standen unter Druck der tamilischen Diaspora bzw. der Regionalregierung in Tamil Nadu. Doch kurz vor dem Ziel ließ sich Präsident Mahinda Rajapaksa nicht aufhalten. Entsprechend perplex reagierte er auf die Forderungen dieser Länder, Vorwürfe massiver Menschenrechtsverletzungen nach dem Krieg aufzuarbeiten. Laut einem bei Wikileaks veröffentlichten US-Drahtbericht vom 18. September 2009 beschrieb Rajapaksa gegenüber der US-Botschafterin, wie der frühere US-Präsident George W. Bush ihn „persönlich ermutigt habe, die Niederschlagung der LTTE (Tamil Tigers) zu verfolgen“. Rufe nach Aufarbeitung fehlte es schlicht an Glaubwürdigkeit.

Chinas Bereitschaft, Sri Lanka mit Infrastrukturprojekten unter die Arme zu greifen, kam gerade recht für Präsident Rajapaksa. Seine Strategie nach dem Krieg sah einen vor allem durch materielle Entwicklung erkauften Frieden vor. Die Regierung investierte zusammen mit internationalen Partnern wie Indien und Japan in Straßen, Eisenbahnverbindungen, Häuser und Elektrizitätsversorgung in den ehemaligen Rebellengebieten im Norden und Osten der Insel.

Im Gegenzug wollte Rajapaksa großangelegte Projekte in den Süden, seine politische Heimat, bringen. Warum sollte China sonst einen ungenutzten Flughafen und einen weitgehend überflüssigen Tiefseehafen in Hambantota finanzieren? Dies waren zuvorderst sri lankische Prioritäten. Chinas Unterstützung für den Hafen kam erst ins Spiel, nachdem Indien abgesagt hatte. Sri Lanka ist kein führerloses Schiff, das hilflos den geostrategischen Interessen von Großmächten ausgesetzt ist.

Weiterhin beschreibt Hein die Entwicklung Sri Lankas nach dem Ende des Bürgerkriegs im Mai 2009 als „Fallbeispiel für das Vordringen Chinas“,  dem weder die neue Regierung noch die westlichen Industriestaaten etwas entgegenzusetzen hätten.

Keine Frage, die hohe Verschuldung des sri lankischen Staates, insbesondere bei China, stellt eine große Belastung für den Haushalt dar. Die Verantwortung dafür liegt bei der Vorgängerregierung unter Präsident Rajapaksa. Wegen vorher festgesetzten Vertragsstrafen bei Bauunterbrechung von „Knebelverträgen“ und „Erpressung“ zu sprechen, wie Hein es tut, ist jedoch reichlich hochgegriffen. So manche deutsche Landesregierung kann ein Lied davon singen, dass unliebsame Projekte der Vorgängerregierung aus rechtlichen Gründen und entgegen von Wahlkampfversprechen nicht mehr zu verhindern sind. In einem Rechtsstaat sind Verträge nun einmal einzuhalten.

Rein finanziell können westliche Industriestaaten nicht die gleichen Summen wie China für ein Land, das die Weltbank nicht mehr zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, aufbringen. Geld übersetzt sich aber nicht eins zu eins in politischen Einfluss.

Die Situation in Sri Lanka stellt keinesfalls einen geopolitischen Sieg Chinas dar, insoweit solche Kategorien überhaupt einen Erklärungswert besitzen. Weltpolitik ist schließlich kein Nullsummenspiel. Eine Mehrheit der sri lankischen Wahlbevölkerung hat am 8. Januar 2015 eine chinafreundliche Regierung abgewählt. Mahinda Rajapaksa stand für einen zunehmend autokratischen Führungsstil, die Einschränkung des Rechtsstaats, Übergriffe auf religiöse Minderheiten und grassierende Korruption.

Von den USA und Großbritannien organisierte Mehrheiten im UN-Menschenrechtsrat setzten die Regierung seit 2012 auch außenpolitisch unter Druck. Laut Diplomatenkreisen fürchteten sich singhalesische Geschäftsleute bereits vor möglichen US-Sanktionen, unbenommen davon, wie begründet diese Sorgen waren. Eine Isolation von westlichen Staaten, auf welche Sri Lanka unter Präsident Rajapaksa zusteuerte, wollten diese Kreise verhindern.

Nach knapp zwei Jahren im Amt hat die neue Regierung einer großen Koalition unter Präsident Maithripala Sirisena und Premierminister Ranil Wickramasinghe wichtige Reformvorhaben angestoßen.  Am 28. April 2015 verabschiedete das Parlament den 19. Verfassungszusatz, welcher die Kompetenzen und Amtszeit des Präsidenten begrenzte. Im September 2015 bekannte sich die Regierung im UN-Menschenrechtsrat zu einem umfassenden Programm zur Aufarbeitung des Bürgerkriegs.  Seit dem 5. April 2016 berät das Parlament als verfassungsgebende Versammlung. Das Ziel: eine neue Verfassung, welche Dezentralisierung stärkt und damit zur politischen Lösung des Konfliktes beiträgt. Und im Juli 2016 gab der Internationale Währungsfonds ein Paket im Wert von 1,5 Milliarden Dollar bekannt, das an kontinuierliche Wirtschaftsreformen gekoppelt ist.

China steht diesen Vorhaben nicht im Weg. Vielmehr hat die offensive Unterstützung für die Rajapaksa-Regierung ihr Einfluss gekostet, wie der von Hein erwähnte öffentliche Streit zwischen dem Finanzminister und dem chinesischen Botschafter in Colombo unterstreicht. Diejenigen Staaten, die seit Kriegsende beharrlich auf eine aufgeklärte Menschenrechtspolitik und die Aufarbeitung mutmaßlicher Kriegsverbrechen gesetzt haben, verfügen jetzt über sehr gute Beziehungen zur Regierung.

Die sri lankische Regierung sollte noch mehr tun, um die Aufarbeitung des Krieges voran zu treiben. Insbesondere sollte sie gegenüber der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit deutlicher die Notwendigkeit der Aufarbeitung erklären. Um ihren fiskalischen Spielraum zu vergrößern, könnte sie die Grundsteuer anheben anstatt wie bisher die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Und sie könnte den Verteidigungshaushalt senken und das Militär verkleinern.

Westliche Industriestaaten wie Deutschland sollten weiterhin denjenigen Kräften innerhalb der Regierung den Rücken stärken, die sich für Aufarbeitung von Unrecht und Reformen einsetzen. Sie sollten sicherstellen, dass die Vereinten Nationen auch nach der nächsten Sitzung des Menschenrechtsrates im März 2017 eine Rolle spielen, die Umsetzung von Sri Lankas eigenen Verpflichtungen zu überprüfen und mit Expertenwissen zu unterstützen. Wenn das geschieht, kann Sri Lanka zu einem Fallbeispiel erfolgreicher Menschenrechtspolitik und nachhaltiger Friedensarbeit werden.