Stabilisierung: Mit feministischer Außen­politik pragmatische Konfliktbearbeitung in fragilen Kontexten neu denken

Erschienen in: Claudia Zilla (Hg.): Feministische Außen- und Entwicklungspolitik konkret. Anforderungen und Potenziale, SWP-Studie 2024/S 07, 28.02.2024, doi:10.18449/2024S07

Stabilisierung in fragilen Kontexten stellt eine beson­dere Herausforderung für eine feministische Außen­politik (FAP) dar. Erklärtes Ziel von Stabilisierung ist es, auch in den schwierigsten Gemengelagen von Gewaltkonflikten und terroristischer Bedrohung kon­struktive Beiträge zur Konfliktbearbeitung zu leisten. Dies bedeutet oft, mit und in den bestehenden loka­len Machtstrukturen zu arbeiten, um kurzfristig und pragmatisch Verbesserungen der Sicherheitslage zu erreichen.1 Demgegenüber gehört es zum Wesenskern feministischer Ansätze in der Außen- und Ent­wicklungspolitik, patriarchale, neokoloniale und andere Machtstrukturen kritisch zu beleuchten und eine Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse anzustreben.

Die feministische Kritik an internationaler Stabilisierungsarbeit problematisiert verschiedene Aspekte. Vor dem Hintergrund eines postkolonialen Verständnisses geht es um die Motive derjenigen externen Akteur:innen, die sich um Stabilisierung in anderen Teilen der Welt bemühen. Der rhetorische Einsatz für Frieden, Demokratie und Menschenrechte verschleiere einseitig definierte nationale Interessen, etwa zur Eindämmung irregulärer Migration.2 Und wessen Sicherheit soll bei Stabilisierungsvorhaben im Vorder­grund stehen, wenn diese möglicherweise auf die Zusammenarbeit mit patriarchalen, ausbeuterischen lokalen Eliten setzen, deren Dominanzstreben für Gewaltkonflikte verantwortlich ist?3 Genderrollen sowie das Sicherheitsempfinden von Frauen und an­de­ren marginalisierten Gruppen könnten dabei trotz gegenteiliger Zielsetzungen aus dem Blick geraten. Überdies wird vor einer Militarisierung des humanitären Raums durch eine zu enge Verknüpfung von politischen Zielen der Konfliktbearbeitung mit huma­nitärer Unterstützung gewarnt.4 Die Staatszentriert­heit von Stabilisierungsansätzen ist aus feministi­scher Perspektive ebenfalls diskussionswürdig, da es häufig gerade der Staat ist, der Gewalt beispielsweise durch den Einsatz übergriffiger Sicherheitskräfte ausübt anstatt Frauen bzw. generell die Zivilbevölke­rung davor zu schützen.

Der Status quo in der deutschen Stabilisierungspolitik

Weltweit ist Deutschland seit 2017 das größte Geber­land im Bereich der zivilen Konfliktbearbeitung.5 Das Auswärtige Amt (AA) verfügte im Jahr 2023 über 565 Millionen Euro für die drei Säulen seines integrierten Friedensengagements: Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung.6 Auch andere Ressorts, insbesondere das Bundesministerium für wirtschaft­liche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), för­dern Projekte, die in einem weiteren Sinne der Stabi­lisierung in fragilen Kontexten dienen. Im letzten Berichtsjahr 2022 lagen die etwas breiter gefassten weltweiten Ausgaben der Bundesregierung für »zivile Friedensförderung, Konfliktprävention und Resolu­tion« insgesamt laut der Organisation für wirtschaft­liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei 960 Millionen US-Dollar (etwa 875 Millionen Euro).7

Den Begriff Stabilisierung verwendet im deutschen Kontext nur das AA. Es versteht darunter einen Bei­trag, »politische Prozesse zur Einhegung von Gewalt zu unterstützen, legitime Governance-Strukturen zu stärken und erste Schritte hin zu einer Versöhnung zwischen Konfliktparteien zu ermöglichen«.8 Stabi­lisierung umfasst mit der Stärkung staatlicher Insti­tutionen, der Sicherheitssektorreform (SSR), Program­men zu Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung (DDR), Rechtsstaatsförderung (RSF) oder Friedensmediation eine Reihe von Instrumenten.9 Wichtige Partnerländer und ‑regionen, die das AA immer wieder nennt, sind die Ukraine, die Tschadsee-Region und der Nordosten Syriens. Häufig arbeitet die Bundesregierung, etwa im Rahmen der Stabilisierungs­fazilitäten des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP), mit anderen Geberinnen und internationalen Organisationen zusammen

Genderfragen spielen in der deutschen Friedensarbeit seit längerem eine Rolle.

Genderfragen spielen in der deutschen Friedens­arbeit bereits seit längerem eine Rolle. Der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der Agenda »Frauen, Frie­den und Sicherheit« (WPS) ist ein Ausdruck davon.10 In seinen Leitlinien zur feministischen Außenpolitik (FAP) erwähnt das AA Stabilisierung in der zweiten Leitlinie: »Bei Maßnahmen der Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung beziehen wir Frauen und marginalisierte Gruppen systematisch ein und berücksichtigen geschlechtsspezifische Risiken. Wir wollen Fortschritte zu gendergerechteren Gesell­schaften erzielen und unser internationales Krisen­engagement gendertransformativ gestalten.«11

Konkret nennt das AA vor allem Projekte zum Aus­bau der Rechte, Ressourcen und Repräsentation von Frauen (zum Beispiel die Ausbildung und Entsendung von »Genderexpert*innen« durch das Zentrum für Inter­nationale Friedenseinsätze [ZIF]).12 Damit bewegt sich das AA bei seinen Bemühungen um die Verbesserung der Position von Frauen und marginalisierten Gruppen weiterhin innerhalb des existierenden Sys­tems von Konfliktbearbeitung, ohne die eigenen An­sätze grundsätzlich infrage zu stellen. Die Wirkung gendertransformativ ausgebildeter Expert:innen bleibt aber begrenzt, wenn der politische Wille fehlt, die daraus resultierenden Gesichtspunkte und Per­spektiven in eine umfassendere Strategie einzubetten.

Sowohl in den FAP-Leitlinien als auch im Stabilisie­rungskonzept des AA finden sich zwar feminis­tische Prinzipien, die über die 3R hinausgehen, doch deren praktische Bedeutung wird mitunter zugleich ein­geschränkt. Ein Beispiel: Von »gendersensiblen Kon­fliktanalysen« erhofft man sich im Stabilisierungs­konzept »neue Ansätze, Handlungsräume und Ak­teure«. »Zielkonflikte« bestünden aber insbeson­dere dort, wo »männlich dominierte Machtakteure« ein­gebunden werden müssten. Hier nehme sich das AA vor, seine prinzipiengeleitete Position vorzutragen und ansonsten eine »systematische Abwägung von kurz­fristigen Zielen (beispielsweise ein Waffenstillstand) mit mittel- bis langfristigen Zielen einer gesell­schaftlichen Transformation« anzustellen.13 Diese Aus­sage könnte suggerieren, dass Geschlechtergerechtigkeit eine mittel- bis langfristige Aufgabe ist, die im Gegensatz zu anderen Stabilisierungszielen steht. Aller­dings zeigt der zitierte Absatz auch, dass das AA Spannungen zwischen den Zielen von Stabili­sierung und FAP explizit anerkennt und zumindest den Ver­such unternimmt, seine Handlungsweise in kritischen Situationen zu systematisieren. Das ist ein Fort­schritt gegenüber früheren Regierungsdokumenten, in denen normative Ziele gleichberechtigt auf­gelistet oder Zielkonflikte lediglich abstrakt benannt wurden, ohne zu konkretisieren, wie damit umzugehen sei.

Hinsichtlich der Ressourcen für Geschlechter­gerechtigkeit schwankten die deutschen Ausgaben in den letzten Jahren stark. Im letzten Berichtsjahr 2022 wurden 50 Prozent der ODA-Mittel14 zur zivilen Kon­flikt­bearbeitung für Projekte eingesetzt, die Geschlech­tergerechtigkeit als Nebenziel (GG1-Kennung des OECD DAC) verfolgen, und 2,8 Prozent für solche mit Geschlechtergerechtigkeit als Hauptziel (GG2). Bis 2025 möchte das AA für diese Kategorien einen Mit­tel­aufwand von 85 bzw. 8 Prozent erreichen.15 Ent­gegen der entsprechenden Gleichsetzung dieser Ken­nungen in den AA-Leitlinien sind sie nicht deckungsgleich mit den Zielen gendersensibler bzw. gender­transformativer Ausgestaltung. Ein Projekt kann sich beispielsweise zwar an Frauen als Hauptzielgruppe richten (GG2), ohne dass damit die Ge­schlechterbezie­hun­gen an sich infrage gestellt werden.

Gerade einige machtkritische Impulse der feministischen Forschung können für Stabilisierungsvorhaben gewinnbringend sein.

Mögliche Beiträge feministischer Außenpolitik

Eine kritisch verstandene FAP vermag einen Beitrag dazu zu leisten, Stabilisierungsmaßnahmen effek­ti­ver, belastbarer und inklusiver als bisher zu gestalten. Sie bietet Anhaltspunkte, Annahmen, Konzepte und Vorgehensweisen, die unter Stabilisierungsexpert:in­nen bereits diskutiert werden, um die bisherige Praxis eingehender zu durchleuchten und teilweise auch neue Antworten zu finden. Gerade einige machtkri­tische Impulse der feministischen Forschung können für Stabilisierungsvorhaben gewinnbringend sein.

FAP kann helfen, einseitige liberale Friedensförderung zu überwinden

Sowohl in der feministischen Forschung als auch in jener zu Stabilisierung und Friedensförderung gibt es eine breite Kritik am sogenannten »liberalen Frie­den«, also an der Idee, dass marktwirtschaftliche Reformen, demokratische Öffnung und die Beilegung bewaffneter Konflikte sich gegenseitig befördern.16 Der Fokus auf solche langfristigen Prozesse marginalisiert die Agency der Zivilgesellschaft,17 die politische Gewaltökonomie von Kriegen18 und die Ausgren­zungs­mechanismen, die insbesondere Frauen betref­fen,19 um nur einige Kritikpunkte zu nennen.

Die FAP-Perspektive hilft dabei, strukturelle Aspekte in den Blick zu nehmen, die dazu führen, dass Gewalt andauert. Die Einseitigkeit liberaler Friedensförderung lässt sich auch an den 3R im Kontext von Frie­dens­prozessen aufzeigen: Frauen einzubinden (Reprä­sentation), ihre Rechte durch eine veränderte Gesetz­gebung auszubauen oder Institutionen mit einem hohen Frauenanteil zu finanzieren (Ressourcen) ist zwar wichtig, reicht aber nicht aus. So können Frauen­gruppen an Friedensprozessen beteiligt sein, ohne dass ihre Anliegen beachtet werden. Oft werden nicht ein­mal die verbindlich vereinbarten Repräsentationsquo­ten erfüllt. Zum Beispiel schreibt das Juba-Friedens­abkommen von 2020 für Sudan eine Frauenquote von 40 Prozent auf allen politischen Ebenen des Landes vor.20 Diese wurde nie verwirklicht: Die Umsetzung des Friedensabkommens stärkte hingegen den männ­lich dominierten Sicherheitssektor in Sudan und verschärfte die politische Krise vor dem Putsch.21

Ein intersektionaler Ansatz, der feministische und postkoloniale Perspektiven verbindet, führt zu der Frage, für wen eigentlich was stabilisiert werden soll. Externe Akteur:innen können nur dann erfolgreich Stabilisierung betreiben, wenn sie lokale Bemühungen legitimer Autoritäten unterstützen. Das Verhältnis zwischen staatlichen Institutionen und der Bevöl­kerung ist in fragilen Situationen oft zerrüttet. Staat­liche Sicherheitskräfte in Nigeria riegelten zum Bei­spiel Dörfer ab, weil sie dort Aufständische vermuten, statt die Zivilbevölkerung vor Plünderungen und Zwangsrekrutierungen bewaffneter Gruppen wie Boko Haram zu schützen. Daher ist es das erklärte Ziel deutscher Stabilisierungsbemühungen im Nordosten Nigerias, die Legitimität staatlicher Institutionen zu untermauern, etwa indem Gemeinden in die Lage versetzt werden, die Versorgung mit elementaren Gütern und Dienstleistungen wie Wasser, Ernährung, Gesundheit und Bildung sicherzustellen.22 Die femi­nistische Perspektive hilft dabei zu erkennen, dass staatliche Institutionen nur dann erfolgreich Stabi­lisierungsbemühungen realisieren können, wenn die Bevölkerung sie als legitim akzeptiert.

Analyse von Macht und Sicherheit

Stabilisierungsprojekte erfordern eine kontinuierliche Kontext- und Konfliktanalyse, die insbesondere die Ursachen, Akteure und Dynamiken bewaffneter Gewalt berücksichtigt. Als Expert:innen für kritische Macht­analysen können Feminist:innen zu diesen Analysen entscheidende Beiträge leisten. Mit gendersensiblen Konfliktanalysen23 lassen sich zentrale Dynamiken aufzeigen, die weit über die mangelnde Teilhabe von Frauen hinausgehen. Überdies tragen einige Genderrollen auch zu Gewalt bei,24 beispielsweise indem bestimmte Männlichkeitsvorstellungen bewaffneten Gruppen die Rekrutierung erleichtern, wie auch das AA erwähnt.25

Ein feministisches Sicherheitsverständnis stellt gängige Annahmen einer liberalen Stabilisierungspraxis infrage. Allzu oft verfolgen internationale Akteur:innen Abkommen und Deals mit existierenden (oft männlich dominierten) Eliten selbst dann, wenn diese nachweislich die Gewalt nicht ein­däm­men und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nicht verbessern.26 »Stability and durability can simply mean that the men with guns continue to run the show and that the ›trains run on time‹«, schreibt Ní Aoláin.27

Statt am Erreichen des nächsten fragilen Eliten-Deals misst eine feministisch geprägte Stabilisierungs­politik Sicherheit an der konkreten Wahrnehmung von Frauen und anderen marginalisierten Bevölkerungsgruppen in ihrem täglichen Leben. Die Befra­gung von Betroffenen und andere Methoden, die Wahrnehmung der lokalen Bevölkerung regelmäßig zu erfassen, sollten ein wichtiges Instrument für Sta­bilisierungsvorhaben sein.28 Erst wenn alle Menschen sich in einem Ort sicher fühlen, können sie Vertrauen in die lokalen Institutionen gewinnen und darauf ver­zichten, bewaffneten Gruppen beizutreten.

Ein feministischer Ansatz für Konfliktbearbeitung

Zu realpolitischen Eliten-Deals und einem überschwänglichen liberalen Interventionismus als gän­gigen Ansätzen der Konfliktbearbeitung bietet FAP Alternativen an. Diese gründen in einer »feminis­tischen Fürsorge-Ethik«, die bei der Suche nach neuen Ansätzen der Konfliktbearbeitung hilfreich sein kann. Sie entspringt einer »Fürsorge« (care), weil sie mora­lisches Handeln mit aufmerksamem, geduldigem Zu­hören verbindet und sich darauf einlässt, Zielkonflikte immer wieder auszubalancieren und ihre Annahmen anzupassen – anstatt eine universalistische Gerechtig­keit zu propagieren, die sich durch ihre Abgrenzung von mutmaßlich rückwärtsgewandten lokalen Vorstellungen definiert.29 Feministisch ist diese Ethik, weil sie das (autoritäre) »Skript des Patriarchats« hin­terfragt.30

Feministische Stabilisierung aus einer solchen »Für­sorge-Ethik« kommt nicht von außen, um lokale Kon­flikte zu lösen, sondern setzt sich mit den glo­balen, regionalen und lokalen Beziehungen ausein­ander, in deren Rahmen diese Auseinandersetzungen entstehen. Es geht eben nicht allein darum, Frauen stärker an politischen Prozessen zu beteiligen, weil diese per se friedfertiger wären, sondern darum, die Hierarchisierung zwischen Gruppen – beispielsweise Männern und Frauen, Eliten und Bevölkerung, jun­gen und alten Menschen – und die ihnen zugeschrie­benen Handlungsweisen in der Gesellschaft generell zu hinterfragen. Feministische Stabilisierungspolitik achtet besonders auf den lokalen Kontext und akzep­tiert, dass die Wirksamkeit und moralische Eindeutigkeit von Maßnahmen oft mit Unsicherheiten behaf­tet sind.31

Selbstreflexion und Lernprozesse

Schließlich können feministische Ansätze durch empathische Selbstreflexion einen wichtigen Beitrag zu Monitoring, Evaluation und Lernprozessen leisten. Diese sind vor allem in hochvolatilen Stabilisierungskontexten von großer Bedeutung, in denen Projektverantwortliche eng und agil steuern müssen, um Projekte an sich schnell verändernde Umstände an­zupassen. Mangels eines universal anwendbaren Stabilisierungsrezepts sind das ständige Ausprobieren und Justieren von Maßnahmen entscheidend.32

FAP kann lokalen und internationalen Stabilisierungsakteuren dabei helfen, über alle Arten von Macht­strukturen ebenso zu reflektieren wie über die eigene Rolle. Internationale Stabilisierungsakteure bringen beispielsweise ihre eigenen Gendernormen in fragile Kontexte mit und legen teilweise eine »inter­national fraternity« mit lokalen männlichen Eliten an den Tag.33 So gibt es immer wieder Botschafter:innen, die mit Stolz auf ihre Beziehung zum autoritären Prä­sidenten ihres Gastlands im Bürgerkrieg verweisen und ihn bei jeder Gelegenheit umarmen. Diplomat:­in­nen sowie andere Stabilisierungsakteure sollten aber ihre notwendige Empathie in politischen Pro­zessen nicht mit Sympathie für Kriegsfürsten ver­wechseln. Darüber hinaus gilt es aus Sicht der FAP, das häufige rhetorische Bekenntnis vieler Stabilisierungsakteure zur Zusammenarbeit mit lokalen Orga­nisationen auch in der Praxis ernst zu nehmen – etwa indem lokale Graswurzelorganisationen mög­lichst bereits in die Konzeption von Projekten ein­bezogen werden.

FAP kann dort frische Impulse geben, wo sie über die För­derung von Ge­schlechtergerechtig­keit hin­aus­geht.

Fazit

FAP hilft, Stabilisierung besser, gerechter und kon­textsensibler als bisher zu gestalten, indem sie tra­dierte Annahmen im Gesamtansatz, in der Analyse, in Prozessen, Projektdesign und Wirkungsüberprüfung hinterfragt. Sie kann insbesondere dort frische Impulse liefern, wo sie über die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit hinausgeht. Mit seinen FAP-Leitlinien bleibt das AA hier noch unter den Möglichkeiten eines feministischen Ansatzes. Femi­nistische Analysen zeigen die ungleichen, oft kon­flikt­antreibenden Machtstrukturen auf, die durch eine mangelnde Geschlechtergerechtigkeit, aber auch einseitig definierte Geschlechterrollen und Ausgrenzungs­mechanismen entlang weiterer Unterscheidungs­merkmale entstehen.

Bei der Weiterentwicklung und Umsetzung einer feministischen Stabilisierungsarbeit geht es nicht allein um normativ-menschenrechtliche Fragen. Viel­mehr vermag die Einbeziehung feministischer Per­spek­tiven auch einen Beitrag zum pragmatischen Anspruch von Stabilisierung in fragilen Kontexten zu leisten,34 wenn es beispielsweise darum geht, Em­pathie statt Überheblichkeit ins Zentrum von Kon­flikt­bearbeitung zu stellen.

Es liegt im Wesen von Stabilisierung, sich am Status quo zu orientieren, weil dessen Veränderung kaum kurzfristig zu erreichen ist und die Wiederherstellung von Ordnung Priorität hat. Nach dieser Logik handeln auch Diplomat:innen, die Ausdruck eines zwischenstaatlichen Systems sind, das sich oft schwer damit tut, in fragilen Kontexten tragfähige Partnerschaften jenseits nationaler, oft bevölkerungsferner Regierungen aufzubauen. Machtkritische Aspekte femi­nistischer Außen- und Entwicklungspolitik umzusetzen ist daher kein leichtes Unterfangen. Feministische Argumente können jedoch zu laufenden Reflexionsprozessen über die Ausrichtung von Stabilisierung anregen, die darauf zielen, das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Regierung zu verbessern.

Author: Gerrit Kurtz

Researcher working on conflict prevention, diplomacy, peacekeeping and the United Nations, with a focus on the Horn of Africa. Associate, German Institute for International and Security Affairs (SWP).

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