Gespräch über Hintergründe zum Konfliktgeschehen in Sudan

Erschienen in UNEINS Magazin 3/2025, Juli 2025

Sudans Geschichte ist von zahlreichen Kriegen und gewaltsamen Konflikten geprägt. Können Sie uns einen Überblick zur Kolonialgeschichte des Sudan geben?

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Sudan noch kein einheitlicher Staat. Das Gebiet war in unterschiedliche Sultanate und andere Herrschaftsformen unterteilt. Ab 1820 eroberten Kräfte aus Ägypten weite Teile des heutigen Staatsgebiets. Ägypten unterstand zu der Zeit der osmanischen Oberhoheit – der albanische Herrscher Muhammad Ali hatte es vorrangig auf Gold und Sklav:innen abgesehen, um seinen regionalen Einfluss zu vergrößern. Bereits unter dem turko-ägyptischen Einfluss galten dunkelhäutige Menschen aus dem Westen oder Süden als Sklav:innen, auch wenn sie Muslime wurden.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich zunächst eine einheimische Widerstandsbewegung um den Mahdi durch, eine religiöse und politische Erweckungsfigur, die einen erfolgreichen Aufstand gegen die koloniale Besatzung anführte (1883-98). Dabei gerierte sich die Mahdi-Herrschaft als Verteidiger marginalisierter Gruppen – die Armee bestand überwiegend aus Menschen aus Darfur und dem Süden. 1898 besiegten britische Truppen die Mahdi-Herrschaft und dehnten damit ihre Dominanz des Nilbeckens von Ägypten bis nach Sudan aus. Den Süden des Landes erklärten die Kolonialherren ab den 1920ern zum „geschlossenen“ Gebiet, wodurch der Aufbau von Infrastruktur und Zugang für Nicht-Einheimische beschränkt wurde. Das Sultanat von Darfur wurde erst 1916 Teil Sudans.

Die britisch-ägyptische Kolonialherrschaft beutete Rohstoffe, Arbeitskraft und Land in fruchtbaren Gebieten des Sudan im Zentrum aus. Gleichzeitig hatte Großbritannien das strategische Ziel, den eigenen Einflussbereich am Nil zu erweitern. Der Nil war zur Kontrolle von Ägypten entscheidend und Ägypten wiederum für den Suez-Kanal und die Route nach Indien. 

1956 wurde der Sudan unabhängig. Mit welchen Herausforderungen war das Land in Folge konfrontiert? 

Die Geschichte des Sudan seit der Unabhängigkeit ist geprägt von Bürgerkriegen und Militärherrschaften, aber auch von zivilen Aufständen dagegen. 

Seit 1956 wurde der Sudan die meiste Zeit von Militärs, die durch Putsche an die Macht kamen, regiert. Im selben Zeitraum gab es aber auch drei zivile Aufstände, die zum Sturz der jeweiligen Militärregierungen führten. Die Oktoberrevolution von 1964, die die Militärherrschaft von Ibrahim Abboud beendete, und der Aufstand 1985, der zum Sturz von Jafa’ar Nimeiri führte, sind bis heute wichtige Bezugspunkte, auf die sich z.B. auch die Revolutionsbewegung 2018/2019 berief. 

Zwei von insgesamt drei großen Bürgerkriegen im Sudan fanden zwischen Rebellenbewegungen im Süden – dem heutigen Südsudan – und Regierungen im Norden des Sudan statt. Der erste Bürgerkrieg von 1955 bis 1972 endete mit Zugeständnissen zugunsten der Autonomie des Südsudans. Im zweiten Bürgerkrieg von 1983-2005 waren die Kämpfe zwischen der Rebellenbewegung Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) sowie einer abtrünnigen Fraktion, die von der Regierung in Khartum unterstützt wurde, über weite Teile verlustreicher als Auseinandersetzungen zwischen SPLM und Regierungsarmee. 

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts brach ein weiterer Bürgerkrieg aus. Welche Ursachen gab es für den Darfur-Konflikt?

Die Geschichte und Politik Sudans ist geprägt von der Ausbeutung von Ressourcen und Arbeitskräften der Peripherie durch die wechselnden politischen Akteure im Land. Dies führte zu Gegenbewegungen in verschiedenen Teilen des Landes, besonders im Westen in der Region Darfur. Anfang der 2000er bildeten sich dort Rebellenbewegungen, gegen die die Regierung einen Krieg führte. Dieser wirkte sich stark zu Lasten der Zivilbevölkerung aus. 

Für den Darfur-Konflikt sind Auswirkungen der Klimaveränderung von großer Bedeutung. Sie betreffen die Region besonders stark; die erratischen Regenfälle und die Ausweitung der Wüste nach Süden führten zu einer Veränderung der saisonalen Migrationsbewegung. Das veränderte das Verhältnis zwischen nomadischer und sesshafter Bevölkerung, die oft unterschiedlichen Volksgruppen angehören, die „arabisch“ bzw. „afrikanisch“ gelesen werden. Dieses Konfliktpotential wurde von verschiedenen Seiten weiter politisiert und instrumentalisiert. 

Die Rebellen kamen aus nicht-arabischen Bevölkerungsgruppen aus Darfur, insbesondere den Zaghawa, Fur und Masalit. Gegen diese setzte die damalige Regierung unter Omar al-Bashir bereits bestehende Milizen ein, die sich aus arabischen Volksgruppen rekrutierten. Diese Milizen wurden bewaffnet, ausgebildet und arbeiteten mit dem formalen Militär zusammen. Sie wurden lokal Janjaweed (“Teufelsreiter”) genannt. Aus einer Gruppe der Janjaweed entstand 2013 die paramilitärische Miliz Rapid Support Forces (RSF), die im aktuellen Konflikt eine große Rolle spielt. Die Janjaweed gingen oft brandschatzend, plündernd und mordend gegen die nicht-arabische Zivilbevölkerung vor. Millionen von ihnen wurden vertrieben und blieben teilweise auch 20 Jahre nach Beginn des Kriegs noch in Vertriebenenlagern.

Die RSF besiegten die meisten bewaffneten Rebellengruppen schließlich, deren Reste sich nach Libyen zurückzogen. 2020 handelten Vertreter dieser besiegten Gruppen mit RSF und der Armee ein Friedensabkommen aus, das ihnen den Zugang zur Macht brachte und den Konflikt beendete – letzteres allerdings nur auf dem Papier.

2011 wurde der Südsudan unabhängig. Was bedeutete das für den Rest Sudans?

Die Unabhängigkeit Südsudans war in dem Umfassenden Friedensabkommen von 2005 als Möglichkeit vorgesehen. 2011 entschied sich die Bevölkerung des Südsudans in einem Referendum für die Unabhängigkeit. Dadurch verlor der Rest Sudans seine wichtigste Einkommensquelle: Ein Großteil der Staatseinnahmen und des Brutto-Inlandsprodukts kam aus der Ölindustrie. Die meisten Ölquellen befinden sich jedoch im Südsudan. Auch erhebliche Transferzahlungen für den Transport des Öls über Pipelines in Sudan zum Roten Meer konnten den Verlust dieser Einnahmequelle nicht ausgleichen. Das wurde zum Problem für das Regime von Omar al-Bashir. Das Regime praktizierte ein Patronage-Modell, durch das Treibstoff, Mehl und Medikamente für Eliten und die städtische Bevölkerung stark subventioniert wurde. Im Herbst 2018 wurden diese Subventionen zurückgefahren, was zu Protesten führte, die sich zuerst gegen den daraus folgenden Anstieg von Brotpreisen richteten.

Zur Revolution 2018/2019 und der Rolle der Jugendbewegungen darin gibt es bereits einen Beitrag im vorliegenden UNEINS Impulse. Können Sie uns erläutern, was nach dem Sturz von al-Bashir geschah?

Nach monatelangen Massenprotesten kam es schließlich zum Sturz von Bashir im April 2019. Das Militär und der Geheimdienst, die Bashir in einer Palast-Revolte entfernt hatten, glaubten, durch die Entfernung dieser Führungsfigur das System bewahren zu können. Das durchschauten die Protestierenden allerdings sofort. Sie verweigerten den Abbau des großen Protestcamps vor dem Militärhauptquartier im Zentrum von Khartum und forderten: “Wir wollen eine Madaniya, eine zivile Herrschaft”. Das Protestcamp bestand mehrere Monate lang. Im Morgengrauen des 3. Juni 2019 überfielen und zerstörten Sicherheitskräfte das Protestlager, töteten über 120 Menschen, vergewaltigten und verfolgten einzelne Protestierende. Doch trotz Internetsperren schaffte es die sudanesische Zivilgesellschaft Ende Juni, eine nie dagewesene Mobilisierung auf die Beine zu stellen – nicht nur in Khartum, sondern im ganzen Land. Gleichzeitig gab es Verhandlungen auch mit Unterstützung der Afrikanischen Union und Äthiopiens zwischen politischen Parteien, Gewerkschaften, Berufsverbänden und dem Militär, die schließlich im Sommer 2019 zur Einigung auf eine zivil-militärische Übergangsregierung führten. 

Wie kam es zum Kriegsausbruch 2023?

Der Übergangsregierung kam zunächst große Unterstützung und Euphorie in Sudan und in der Welt zuteil. Zu diesem Zeitpunkt war der Staat jedoch bereits ausgelaugt. Die Ministerien waren zuvor von Personen besetzt, die oft unqualifiziert waren, weil sie nur aufgrund ihrer Loyalität zum Regime diese Posten erhalten hatten. Sie wurden breitflächig entfernt, der Staat hatte im Anschluss jedoch sehr wenige Kapazitäten, um Reformen umzusetzen. In der Folge gab es Unruhen, gleichzeitig versuchten auch Kräfte des gestürzten Bashir-Regimes – er selbst war im Gefängnis – zurückzukommen. Diese Regierung hielt sich für rund zwei Jahre, bis es zu einem Putsch kam. Die paramilitärische RSF und die Armee putschten zusammen, bzw. sie entfernten die zivilen Anteile der Regierung, da sie selbst schon in der Regierung vertreten waren. Ihr Ziel war es, eine Technokraten-Regierung ohne zivile Parteien durchzusetzen. Das wollte die Zivilbevölkerung aber nicht zulassen. Es kam erneut zu langanhaltenden Protesten.

Konsultationen in diesem Zeitraum wurden von der zivilen Mission der Vereinten Nationen UNITAMS zusammen mit weiteren Akteuren geführt. Zum Sommer 2022 zeigte sich das Militär offen für Gespräche mit den zivilen Politikern der vorherigen Regierung, die fortan überwiegend unter sich im kleinen Kreis verhandelten, um die Putschsituation zu beenden. Sie einigten sich im Dezember 2022 auf ein sogenanntes Rahmenabkommen, mit dem der Grundstein für eine ausschließlich zivile Regierung gelegt werden sollte. Zuvor sollte es zur Beilegung von Streitfragen kommen, zu der auch das Thema der Sicherheitssektorreform gehörte: Wie sollte der Sicherheitssektor konkret organisiert werden? In welchem Zeitraum sollte die RSF in die Armee integriert werden? Wem sollte die RSF in der Zwischenzeit unterstehen? Am Ende gab es keine Einigkeit. Das war der Auslöser für die Schüsse und den Ausbruch des Kriegs zwischen den RSF und der sudanesischen Armee am 15. April 2023. Gleichzeitig war es eine Gelegenheit für Kräfte des früheren Regimes von Bashir, ihre Machtbasis auf Seiten der Armee und zulasten jedweder demokratisch gesinnter Kräfte zu vergrößern.

Im Unterschied zu vorherigen Bürgerkriegen Sudans begann dieser Krieg also im Zentrum des Landes und der Macht zwischen zwei konkurrierenden militärischen Einheiten. Auch wenn viele in der Zivilbevölkerung grundsätzlich beide militärischen Lager ablehnen, reicht der Krieg mittlerweile immer stärker in die ethnisch-sozialen Differenzen der Gesellschaft hinein. Hassrede und ethnisch basierte Mobilisierung spielen auf allen Seiten eine zunehmende Rolle.

Welche Rolle spielen internationale Akteure im aktuellen Konflikt?

Die internationale Einmischung ist massiv. Ausländische Regierungen unterstützen die Kriegsparteien und verlängern dadurch den Krieg. Auf der einen Seite unterstützen vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) die RSF, auch wenn sie das immer wieder leugnen. Diese Unterstützung geht über viele Nachbarstaaten des Sudans weiter, wo sich die VAE Einfluss erkauft haben, insbesondere über Tschad, Südsudan, aber auch über Uganda und Kenia sowie über Teile Somalias. Auf der anderen Seite steht die Armee, die die Regierung kontrolliert und auch von den Vereinten Nationen (VN) anerkannt wird. Sie sitzt mittlerweile in Port Sudan, da Khartum zwischenzeitlich stark umkämpft war. Die Armee wird militärisch von Ägypten unterstützt, dem traditionell wichtigsten Verbündeten. Zusätzliche Waffen und andere militärische Unterstützung kommen aus Iran, der Türkei, und von Russland. 

Das Versagen der internationalen Gemeinschaft in Sudan

Zitate in: Watson, 9.7.2025

Symbol globaler Ohnmacht: das Versagen des Sicherheitsrats

Der Sudan-Experte Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zeichnet ebenfalls ein düsteres Bild. Der UN-Sicherheitsrat, eigentlich für den internationalen Frieden zuständig, spiele bei diesem Krieg seit Langem “nur eine untergeordnete Rolle”.

Ein Resolutionsentwurf, der zumindest den Schutz der Zivilbevölkerung verbessern sollte, wurde 2024 von Russland blockiert – offenbar aus geopolitischem Kalkül: um westlichen Einfluss in der Region zu schwächen und die eigene Rolle als Schutzmacht einzelner Konfliktparteien zu wahren.

Sanktionen, Friedensmissionen und Mediationen sind alles Instrumente, die früher bei ähnlichen Konflikten auf UN-Ebene genutzt wurden. Heute seien sie kaum noch verfügbar. “Das ist Ausdruck einer massiven Krise multilateraler Konfliktbearbeitung”, sagt Kurtz gegenüber watson.

Viele der Staaten, die heute entscheidend Einfluss nehmen könnten, hätten andere Interessen: strategische Allianzen, Rohstoffe, Migration etwa. Die Rettung der sudanesischen Bevölkerung hat keine Priorität.

Lokaler Widerstand im Sudan: Die Hoffnung kommt von innen

Und doch gibt es sie: Orte der Hoffnung, die jedoch weitgehend von der sudanesischen Zivilgesellschaft selbst getragen werden. Immer wieder gelingt es Aktivist:innen laut Kurtz, lokale Waffenstillstände auszuhandeln, Evakuierungen zu organisieren oder Schutzräume für besonders gefährdete Gruppen einzurichten.

Diese Initiativen sind nicht nur mutig, sondern oft effektiver als die Handlungen offizieller internationaler Institutionen. Dem Experten zufolge ließen sich solche lokalen Strukturen mit gezielter internationaler Unterstützung ausbauen und stärken, auch ohne formalen Waffenstillstand. “Gleichzeitig muss klar sein, dass nur ein effektives Ende des Krieges wirklich nachhaltigen Schutz bieten kann”, sagt er.

Eine internationale Militärmission hingegen sei derzeit nicht realistisch. Es brauche vielmehr gezielten diplomatischen Druck, gezielte Finanzierung lokaler Partner und endlich eine handlungsfähige internationale Kontaktgruppe.

Ein solches Format war zuletzt im April 2025 bei einer Konferenz in London diskutiert worden. Doch die Gründung scheiterte – ausgerechnet an der Afrikanischen Union (AU), die zwar Vermittlungsformate etabliert hat, jedoch als ineffektiv gilt.

Ihre internen Widersprüche, mangelnde Ressourcen und die seit 2021 bestehende Suspendierung des Sudan aus der AU machen sie zu einem zahnlosen Akteur in einem blutigen Spiel.

Dass der Krieg im Sudan kein medialer Dauerbrenner ist, liegt nicht an mangelnder Kenntnis. “Die größte humanitäre Krise, die jemals gemessen wurde, ist kein ‘blinder Fleck’ der Weltpolitik”, sagt Kurtz. “Alle relevanten Regierungen wissen, was im Sudan geschieht, und tun dennoch nicht genug – wenn sie nicht sogar dazu beitragen, ihn anzuheizen.”

Kurtz warnt, dass internationale Normen “allenthalben von den mächtigsten Staaten der Welt ignoriert” würden: Der Trump-Regierung sei es beispielsweise augenscheinlich wichtiger, Migrant:innen “in Drittstaaten zu deportieren oder Rohstoffe zu extrahieren als sich um echte Diplomatie zu kümmern”. Weiter sagt Kurtz:

“Für andere, wie die Bundesregierung, sind die bilateralen Beziehungen zu einflussreichen Staaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Ägypten offensichtlich deutlich wichtiger als deren Einfluss in Sudan einzudämmen.”

“Das Korridorprojekt ist ein gewaltsames Modernisierungsprogramm der Städte zugunsten der Elite um Abiy Ahmed”

Zitate beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, 2.Juli 2025

„Das Korridorprojekt ist ein gewaltsames Modernisierungsprogramm der Städte zugunsten der Elite um Abiy Ahmed (Äthiopiens Ministerpräsident, Anm. d. Red.) und zugunsten der Unternehmen, die mit ihnen zusammenhängen“, sagt Gerrit Kurtz, Ostafrika-Forscher der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Das Projekt geht zulasten insbesondere der armen Menschen, die vertrieben werden.“ Zwar seien manche Umzüge freiwillig erfolgt und manche der neuen Wohneinheiten besser, aber Anspruch hat nur, wer legal gelebt und gearbeitet hat. Und das sind die wenigsten.

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Dass Arme keine große politische Lobby in Äthiopien haben, ist nicht neu. Im Fall des Korridorprojekts erfuhren viele erst kurz vor der Räumung überhaupt davon, was dort entstehen soll, wo sie wohnen. „Bisher waren Vertreibungen häufig im ländlichen Raum, nach Dürren oder in von Konflikten betroffenen Gebieten“, sagt Kurtz. „Aber jetzt geht es um die Umgestaltung der Zivilgesellschaft und den sozialen Zusammenhalt.“

Äthiopien ist auf dem Weg zum Polizeistaat

Für Leute, die umziehen müssen, bricht das gesamte soziale Netzwerk und die Existenzgrundlage weg. „Informelle Netzwerke sind gerade da wichtig, wo es keine ausreichenden sozialstaatlichen Umgebungen gibt“, sagt Kurtz. Man hilft sich, man kümmert sich, wenn einer krank wird, arbeitslos wird, wenn ein Kind geboren wird.

„Bei Initiativen von Abiy hat man häufiger das Gefühl, dass da schon etwas Gutes dabei ist, aber dass es eben nicht gut gemacht ist, den falschen Zwecken dient und zu mehr Problemen führt“, sagt Kurtz. Kritiker monieren etwa, dass das Projekt so schnell umgesetzt wird – während 28 Millionen Äthiopier, die dauerhaft auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, auf Handlungen der Regierung warten.

„Rückblickend gesehen“, sagt Gerrit Kurtz, „hat ihn der Friedensnobelpreis ermutigt, entschlossener gegen seine Feinde oder Gegner vorzugehen und war damit eher kontraproduktiv. Abiy Ahmed ist keine Friedensfigur, er ist eine komplexe Figur.“ Selbst für Experten ist der Politiker kaum durchschaubar, unklar, was ihn antreibt. Mal verbündet er sich mit der einen, mal mit der anderen Gruppe. Und hat gleichzeitig doch große Visionen für sein Land.

„Es ist ein zentrales Problem, dass die Entscheidungsfindung so auf das Büro des Premierministers zentralisiert wurde“, erklärt Kurtz, „das Regierungshandeln hat somit an interner Rechenschaft eingebüßt“. Bedeutet: Abiy Ahmed und seine Verbündeten können machen, was sie wollen. Es gibt kaum Gegenwind. Und wenn doch, kommt es zu Verhaftungen. „Äthiopien“, sagt Gerrit Kurtz, „ist eben keine Demokratie.“

Rethinking Mediation in Sudan

Contribution to “Ask the Experts”, Global Public Policy Institute, 27 June 2025

Any Leadership Welcome 

Gerrit Kurtz

Whether it be Saudi Arabia, the United States, Egypt, the African Union, the United Nations, IGAD, Türkiye, or Qatar – many countries and international organizations have been involved in mediation efforts in Sudan or have been suggested as potential mediators. The results: competition, forum-shopping, and ever more violence. Every mediator has weaknesses, be it their influence on, or bias toward one of the conflict parties, their lackluster approach, distraction, or lack of capacity. Ultimately, international actors (or, it seems, the Sudanese) have little influence on who will lead a peace process.

At the moment, no one party is really leading anything when it comes to Sudan. There has been a dearth of effective initiatives following frustration over the parties’ lack of commitment, the new government in the US and the battlefield advances of the Sudanese Armed Forces culminating in the recapture of central Khartoum in late March. Given the scale of the immense suffering in Sudan and the increasing regionalization of the conflict, this lack of leadership is an indictment of our current international order.

What Sudan needs in order to stop this madness is more coherent and effective international leadership. Everyone, including those in Europe, should be asking themselves what they can bring to the table and how they can contribute to shaping the mediation process. Effective mediation leadership would entail maintaining communication channels to the various parts of the armed coalitions, while being in continuous exchange with other diplomats about any openings and leads they may encounter. 

Increasing the cost (to meddle) for external sponsors can be just as essential as supporting civilian political organizing, ensuring humanitarian access, enabling mutual aid networks or establishing the documenting of human rights abuses.

No comprehensive and inclusive process is likely to emerge in the foreseeable future. In the meantime, virtually any leadership that will help stop this catastrophe is welcome to apply.

Sudan: Konflikt auf wichtige Hafenstadt übergegriffen

Interview in SRF Radio, 7.Mai 2025

Im Sudan tobt seit zwei Jahren ein Bürgerkrieg. Nun greifen die Rebellen die wichtigste Hafenstadt an: Port Sudan ist das Herz der sudanesischen Wirtschaft und Standort der internationalen Hilfsorganisationen. Das Gespräch mit Gerrit Kurtz von der Stiftung für Wissenschaft und Politik.

Quelle des Photos hier.

Trotz des Erfolges der Armee ist ein Ende der Kämpfe nicht in Sicht

Zitate in den Salzburger Nachrichten, 16. April 2025

Ukraine, Israel, Gaza und die US-Regierung: Für den Sudan ist häufig kein Platz in den Schlagzeilen. Dabei sind dort mehr Menschen auf der Flucht, als Österreich Einwohner hat.

Gudrun Doringer Salzburg, Khartum. Die Konkurrenz der Krisen sei verantwortlich dafür, dass die Katastrophe im Sudan zur Kurzmeldung verkomme, sagt Gerrit Kurtz. Er ist Sudan-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Für ihn ist sie mehr als das. Er beschäftigt sich tagein, tagaus eben mit dem Krieg im Sudan, der nun ins dritte Jahr geht.

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Warum wird überhaupt gekämpft in dem ostafrikanischen Land? Es ist der Machtkampf zweier Generäle, die einst verbündet waren. Gerrit Kurtz erklärt: „Abdel Fattah al-Burhan befehligt das Militär im Land. Mohamed Hamdan Daglo, bekannt als Hemeti, ist Chef der Rapid Support Forces, kurz RSF – eine Konkurrenzsicherheitskraft. Die RSF war unter dem früheren Herrscher Baschir aufgebaut worden, um sich vor Putschen zu schützen.“ Baschir war selbst unter einem solchen Putsch an die Macht gekommen. „Daher hat er Paramilitärs gefördert, um eine Konkurrenz herzustellen“, sagt Kurtz. „Die haben auch Aufstände [bekämpft] und Grenzen gesichert, aber sie waren von Anfang an als Konkurrenz angelegt. Als Baschir weg war, haben die beiden Kräfte erst einmal zusammengearbeitet, weil sie den Gegner in der zivilen Demokratiebewegung gesehen haben, mit der sie auch gut zwei Jahre lang mehr schlecht als recht zusammen regiert haben. Als sie dann geputscht haben im Oktober 2021, beide zusammen, da war der zivile Gegner in der Regierung nicht mehr da. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Sicherheitskräften musste geklärt werden: Wer ist die Nummer eins?“ Zu einer Einigung kam es nicht. Daran entzündete sich im April 2023 der Kriegsausbruch.

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Trotz des Erfolges der Armee ist ein Ende der Kämpfe nicht in Sicht. „Beide Seiten erhalten weiterhin reichlich Unterstützung von außen, um ihre Kämpfe fortzusetzen“, sagt Gerrit Kurtz. „Die RSF von den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Armee durch militärische Zusammenarbeit mit Ägypten, mit dem Iran, mit Russland und mit der Türkei.“ Für die Bevölkerung sind die Auswirkungen fatal. Hunger wird als Waffe eingesetzt. Sexuelle Gewalt ebenso. „Es ist ein Krieg, der die Körper von Frauen und Kindern als Kriegsstrategie benutzt“, sagt Hala al-Karib, Sudan-Direktorin der Frauenrechtsorganisation Siha.

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Hätte das Grauen ein Ende – was würde der Sieg einer der beiden Kriegsparteien für das verwundete Land bedeuten?

Der Sudan sei die meiste Zeit seit seiner Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich von Militärregierungen regiert worden, sagt Kurtz. „Wenn also die Armee die Regierungsgewalt zurückerobern würde, dann wüssten wir, wie das aussieht: harte autoritäre Repression. In den Gebieten, die sie gerade zurückerobert haben, hören wir von Erschießungen der Leute, denen sie vorwerfen, sie hätten mit den RSF zusammengearbeitet.“ Kurtz erwähnt auch die Angehörigen des früheren islamistischen Regimes von Umar al-Baschir, die auch jetzt militärisch eine große Rolle für die Armee spielen. Sie könnten im Fall eines Armeesieges zurückkommen. „Davor haben viele Angst. Einige Menschen sehen die Armee dennoch als kleineres Übel. Die RSF wird mittlerweile zusammengehalten von einem Freibrief zu Plünderung und Rache. Wir sehen Massaker an der Zivilbevölkerung. Das ist Gewalt, die wir auf diese Weise von der Armee nicht sehen.“

Eine einberufene Konferenz am Dienstag in London sagte dem Sudan 660 Millionen Euro Hilfsgelder zu. „Die Konferenz ist der Versuch, ein Thema aufs Tapet zu heben, das sonst nicht vorkommt, weil es auch europäische Politiker nicht hoch hängen“, sagt Gerrit Kurtz. „Es birgt Frustpotenzial, weil es an Einflussmöglichkeiten mangelt.“ Für die Menschen im Sudan bedeutet der Beginn des dritten Kriegsjahres Aufmerksamkeit – für einen Tag.

Die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in Sudan ist leider kein Einzelfall

Interview mit NDR Info, 15.April 2025.

Ein baldiger Frieden sei nicht in Sicht. Sowohl Armee als auch RSF greifen Zivilisten gezielt an, sagt Gerrit Kurz von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

“The wars in Sudan and South Sudan are increasingly intertwined”

Comments on the war in South Sudan, EFE Agency, 4 April 2025

“The wars in Sudan and South Sudan are increasingly intertwined, and each side is likely to support armed actors in the other territory,” I tell Spanish media.

Kurtz says that although “there is no solid evidence” that the Sudanese Army supports the White Army or groups linked to the South Sudanese opposition, “there are strong historical ties” between the Sudanese military and Machar.

However, he points out that the Sudanese Army “has an interest in preventing the South Sudanese government from allowing the RSF to operate in South Sudanese territory and receive weapons” through the neighbouring country, especially after the agreement between the paramilitaries and SPLM-N, Kiir’s ally.

The Sudanese military dome is also concerned about the opening of an UAE hospital in Madhol, in northern South Sudan, as they “suspect it could be used as a concentration point for RSF supplies, as well as for the treatment of its soldiers,” as happened with the Emirati medical centre in Amdjarass (Chad).


Although the expert points to a growing interconnection of both crises, he recalls that “neither the Sudanese or South Sudanese parties have much resources, they are unlikely to act as major material sponsors.”

Added to this is Uganda’s participation and the influence of the Emirates in the area, so “it is absolutely possible that the conflict will become increasingly regional.”

“But we are not seeing two clear blocks, but rather a complex tangle of contradictions,” he says.

„Ein ignorierter Krieg“

Diktator Omar al-Baschir hat den Sudan 30 Jahre lang unterjocht. Als er 2019 gestürzt wurde, schienen Demokratie und Frieden in dem afrikanischen Land zum Greifen nah. Doch nun herrscht ein blutiger Bürgerkrieg. Er hat eine Vorgeschichte.

“Der Rest ist Geschichte”, Deutschlandfunk, 3.April 2025

Photo: President Kagame, President Omar al Bashir and Thabo Mbeki during Tana High Level Forum on Security in Africa – Ethiopia, 20 April 2013