Sudan: Schwer zu vermitteln

Der Krieg in dem nordafrikanischen Land steht für die Krise internationaler Konfliktbearbeitung. Aus Sicht Deutschlands, das diplomatische Ansätze stets unterstützt, sind das schlechte Nachrichten.

Internationale Politik 1/2025, erschienen am 30.12.2024.

(Photo: US Sondergesandter Tom Periello trifft SAF Führer Abdelfattah al-Burhan, Port Sudan, 18.12.2024)

Nirgends sind mehr Menschen vertrieben (über 14 Millionen), nirgends leiden mehr Menschen Hunger (über 25 Millionen) als im Sudan. Im Land herrscht die größte humanitäre Krise weltweit. Nur etwa jedes zehnte Kind hier hat seit Kriegsbeginn eine Schule besucht, rund zwei Drittel der Bevölkerung haben keinen Zugang zu medizinischen Einrichtungen. Sexuelle Gewalt wird als Waffe eingesetzt, und das so systematisch und brutal, dass einige Frauen eher Suizid begehen, als sich ihr auszuliefern.

Am 15. April 2023 begann der Krieg in der Hauptstadt Khartum und weitete sich noch am selben Tag auf andere Landesteile aus. Lange schwelende Spannungen zwischen der regulären Armee, den Sudanese Armed Forces (SAF), und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) eskalierten. Eigentlich hatten beide Parteien zugesagt, nach einem gemeinsamen Putsch im Oktober 2021 die Macht an eine zivile Regierung abzugeben. Doch sie konnten sich nicht darauf einigen, wie ihr künftiges Verhältnis aussehen und in welchem Tempo die RSF integriert werden sollten. Nun offenbaren sich im Krieg die tiefen Gräben innerhalb des Landes.


Wettbewerb der Vermittler

Internationale Bemühungen, den Krieg zu beenden, begannen kurz nach Ausbruch der Kämpfe. Es entwickelte sich geradezu ein Wettbewerb zwischen den Initiativen unterschiedlicher Vermittler. Doch keine von ihnen brachte substanzielle Ergebnisse. 

Der Krieg spiegelt damit auch eine Krise der bestehenden Mediationsansätze wider und zeigt die Dysfunktionalität multilateraler Formate. Aus deutscher Perspektive ist das insofern besonders bedauernswert, als die Bundesregierung traditionell darauf setzt, internationale Organisationen zu unterstützen, die ein Mandat zur Konfliktbearbeitung haben, statt sich selbst in den Vordergrund zu spielen.

Weder die Initiativen von Institutionen wie den Vereinten Nationen, der Afrikanischen Union oder der regionalen Intergovernmental Authority on Development noch die der USA, Saudi-Arabiens und anderer Staaten waren im Sudan bislang von Erfolg gekrönt. 

Natürlich hat das viel mit der verfahrenen Situation im Land zu tun. Es ist aber auch darauf zurückzuführen, dass alle diese Initiativen immer wieder unter ihren Möglichkeiten geblieben sind; weil sie den Konflikt nicht tiefgehend genug analysierten, weil sie sich Illusionen über die Möglichkeit eines Verhandlungsdeals machten oder weil sie einseitig agierten. Hinzu kommt, dass die internationalen Organisationen durch geopolitische Spannungen geschwächt sind und – auch das ist ein Teil der Wahrheit – oft eine außer­ordentliche Trägheit an den Tag legen. 

Für eine politische Vermittlung auf Ebene der Vereinten Nationen blieb nach dem Ende der politischen Mission UNITAMS im Februar 2024 nur noch der persönliche Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für den Sudan, Ramtane Lamamra. Dieser übt sein Mandat in Teilzeit aus, verfügt über einen nur sehr kleinen Mitarbeiterstab und hat kaum Mittel für eigene programmatische Aktivitäten. 

António Guterres legte Ende Oktober 2024 dem UN-Sicherheitsrat einen Bericht mit Empfehlungen zum Schutz der Zivilbevölkerung im Sudan vor. Diese waren jedoch sehr zurückhaltend formuliert. Ein eher SAF-freundlicher Resolutionsentwurf von Großbritannien und Sierra Leone zum Thema scheiterte im November 2024 an einem Veto Russlands; vermutlich, weil Moskau London wegen dessen Unterstützung der Ukraine Steine in den Weg legen wollte. 

Die Afrikanische ­Union (AU) ihrerseits schaffte es vergleichsweise schnell, eine Kontaktgruppe für den Sudan zu bilden, berief diese allerdings nur unregelmäßig ein. Die SAF lehnt die AU ohnehin als Vermittlerin ab, solange der Sudan wegen des Putsches vom Oktober 2021 suspendiert bleibt. Folglich wollte sich die AU darauf konzentrieren, einen politischen Prozess mit Vertretern der Zivilgesellschaft zu organisieren. Doch auch hier gab es jede Menge Verzögerungen. Die AU ernannte zwar eine hochrangige Vermittlungsgruppe. Nach zwei Vorbereitungstreffen mit unterschiedlichen sudanesischen Gruppen im Juli und August 2024 wurde die geplante Konferenz jedoch immer wieder verschoben, zur großen Frustration der beteiligten politischen Parteien.

Bleibt noch die Intergovernmental ­Authority on Development (IGAD). Vor rund zehn Jahren hatte sie eine Führungsrolle bei den Friedensverhandlungen im Südsudan gespielt; jetzt aber kam sie auch nicht recht voran. Die Organisation der Staaten am Horn von Afrika ernannte ein Verhandlungsquartett unter Führung Kenias (mit Äthiopien, Dschibuti und dem Südsudan) sowie einen Sondergesandten für den Sudan. 

Ihr Vorschlag, ein persönliches Treffen zwischen SAF-Führer Abdelfattah al-Burhan und RSF-Führer Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti, zu arrangieren, scheiterte jedoch an der Weigerung Burhans. Als sich die IGAD-Staatschefs schließlich nur mit Hemedti im Januar 2024 in Kampala trafen, nahmen die SAF das zum Anlass, die Mitgliedschaft des Sudan auszusetzen.


Ausbeutung und Autokratie

Sudanesische Gesprächspartner betonen immer wieder, dass jede Anstrengung, den Krieg zu beenden, die historische Krise des Staates im Sudan als Ausgangspunkt nehmen muss. Doch genau an so einer gemeinsamen Problemdefinition fehlt es vielen der internationalen Vermittler.

Sowohl die IGAD als auch die AU bemühten sich explizit um ein persönliches Treffen von Burhan und Hemedti. Die Idee, es handele sich im Sudan um einen bloßen Machtkampf zweier Generäle, ist jedoch so irreführend wie zu kurz gegriffen. SAF und RSF bilden vielmehr die Spitzen von Koalitionen bewaffneter Kämpfer, über die sie keine vollständige Kontrolle haben.

Burhan erklärte im Mai 2024, dass drei Viertel der Kämpfer auf Seiten der Armee Freiwilligenverbände seien. Diese stehen oft unter dem Einfluss der Netzwerke des früheren Bashir-Regimes und agieren halbautonom. Hinzu kommen diverse bewaffnete Gruppen sowie zahlreiche ausländische Söldner auf beiden Seiten. Sollte Burhan einen Waffenstillstand unterschreiben, könnte er schnell von einem seiner Konkurrenten innerhalb der Armee entmachtet werden.


13 Jahre zivile Herrschaft

Seinem Wesen nach ist der Konflikt ohnehin ganz grundsätzlicher Natur: Es geht um die Frage, wie Staat und Gesellschaft sich zueinander verhalten sollen. Der Sudan ist seit Langem geprägt von der Ausbeutung der Peripherie durch Eliten im Zentrum des Landes. Die Geschicke des Landes werden im Sicherheitssektor entschieden – mit drei kurzen Ausnahmen seit 1958: 1964, 1985 und 2019 sorgten Volksaufstände, gepaart mit einer Unzufriedenheit von Teilen des Regierungs­apparats, für insgesamt 13 Jahre mehr oder weniger ziviler Herrschaft. Der Klimawandel verstärkte den Zulauf zu bewaffneten Aufständischen, weil weite Flächen, die vorher für Ackerbau oder nomadische Viehzucht genutzt wurden, in den vergangenen 40 Jahren brach fielen, insbesondere in Darfur.

Um Aufstände zu bekämpfen, setzte die sudanesische Regierung auf die Rekrutierung, Ausbildung und Bewaffnung von oft ethnisch definierten Milizen. Präsident Omar al-Bashir, der 1989 mittels eines Putsches an die Spitze einer islamistisch-militärischen Regierung gelangte, versuchte immer wieder, Rebellionen zu spalten, indem er abtrünnige Führer und deren Gruppen unterstützte, ob im Süden oder in Darfur. Aus einer Gruppe der Dschan­dschawid-Milizen aus Darfur entstanden schließlich die Rapid Support Forces.

Der heutige Machtkampf ist das Produkt dieses Musters von Ausbeutung, Aufstandsbekämpfung, Militarisierung und autokratischer Herrschaftssicherung. Gleichzeitig treibt der Krieg die Fragmentierung des Landes weiter voran. Es entstehen neue bewaffnete Gruppierungen, die den Krieg als Gelegenheit sehen, historisches Unrecht zu begleichen oder sich zu bereichern.


Viele Gespräche, wenig Ertrag 

Neben den multilateralen Initiativen gab es von Saudi-Arabien und den USA organisierte Gespräche mit den SAF und den RSF im saudischen Dschidda im Mai und im November 2023. Im Januar 2024 fanden zudem hochrangige Gespräche zwischen SAF und RSF in Bahrain statt, und im August 2024 luden die USA zu Waffenstillstandsgesprächen in die Schweiz ein. 

Unterschrieben SAF und RSF in der ersten Runde in Dschidda noch eine – nie umgesetzte – gemeinsame Erklärung zum Schutz der Zivilbevölkerung, so wurde es danach immer schwieriger, die beiden Parteien dazu zu bekommen, gemeinsame Erklärungen zu unterzeichnen oder überhaupt an einen Tisch zu kommen. Diese Initiativen konzentrierten sich auch deshalb auf die Kriegsparteien RSF und SAF, weil die USA und andere Vermittler dringend Ergebnisse erreichen wollten. Es war klar, dass es viel Geduld und Zeit brauchen würde, bis lokale Friedensbemühungen Früchte tragen würden oder bis eine gemeinsame zivile Plattform etabliert wäre, die eine glaubwürdige Alternative zur Gewalt bieten könnte. 

Weder RSF noch SAF lassen derzeit eine ernsthafte Bereitschaft erkennen, 
Waffenstillstands­gespräche zu führen

Doch das Ausmaß der humanitären Krise, das Nachlassen der politischen Aufmerksamkeit und die Suche nach einem schnellen Erfolg gerade mit Blick auf die ablaufende Amtszeit der US-Regierung sorgten dafür, dass die ­Vermittler eher kurzsichtige Ansätze verfolgten. Weder RSF noch SAF lassen derzeit eine ernsthafte Bereitschaft erkennen, Waffenstillstandsgespräche zu führen. Die RSF stellen sich dabei gern als Kraft dar, die an den bisherigen Initiativen konstruktiv mitgewirkt habe, während die Gegenseite sich entweder zurückgezogen habe oder gar nicht erst erschienen sei. Da ist zweifelsohne etwas dran – doch ist auch auffällig, dass es bereits mehrfach zu einem Anstieg von Gräuel­taten der RSF im Sudan kam, während ihre Verhandlungsdelegationen gerade in Konferenzräumen saßen. Die Eroberungsfeldzüge der RSF strafen ihre Rhetorik, sie würden sich nur verteidigen, Lügen.

Solange sich eine in dieser Hinsicht unglaubwürdige Konfliktpartei wie die RSF für Frieden und Demokratie einsetzt, untergräbt das die Konzepte selbst. Sich für Frieden einzusetzen, gilt bei vielen Sudanesen mittlerweile als Pro-RSF-Position. Ein verhandeltes Abkommen, das die RSF zunächst weiter bestehen ließe, wird auch über die Kreise der SAF und ihrer islamistischen Verbündeten hinaus abgelehnt. 

Die meisten Mediationsformate legitimieren notwendigerweise diejenigen, die ihre Ziele mit Gewalt erreichen wollen. Positionen, die im zivilen politischen Betrieb nicht durchsetzbar waren, werden dort zur Verhandlungsmasse. Doch die Rücksichtnahme auf die Interessen der Sicherheitskräfte ist ja gerade eine zentrale Ursache für die Eskalation der Gewalt im Sudan. 

Vertreter der sudanesischen Zivilgesellschaft und einige der beteiligten Diplomaten kritisierten im Nachhinein, dass es nach Etablierung der Übergangsregierung 2019 und nach dem Putsch zwei Jahre später nicht genügend Druck auf die Sicherheitskräfte gegeben habe. So strichen internationale Geber nach dem Putsch zwar einige Gelder, konnten sich aber kaum auf gezielte Sanktionen gegen die Generäle einigen, die auf die Zehntausenden von Demonstranten schießen ließen.

Problematische Parteinahme

Mittlerweile gewinnen die regulären Sudanese Armed Forces auch international an Akzeptanz. Schließlich kontrollieren diese die Ministerien, die sich in den ersten Kriegsmonaten nach Port Sudan am Roten Meer zurückgezogen hatten. Die Rapid Support Forces machen ihrerseits vor allem mit ihrer brutalen Gewalt auf sich aufmerksam. Nicht nur viele afrikanische Staaten, auch die Vereinten Nationen betrachten die SAF-kontrollierten Ministerien als offizielle Vertretung des Sudan. 

Umgekehrt bleibt das Land seit dem Putsch von 2021 aus der Afrikanischen Union ausgeschlossen. Zwar gibt es mittlerweile in mehreren von den RSF kon­trollierten Bundesstaaten Regierungen, doch existiert derzeit keine alternative Regierung auf nationaler Ebene, die internationale Anerkennung finden könnte. Aus moralischen, völkerrechtlichen oder geopolitischen Motiven scheint der Gedanke nahe zu liegen, die RSF zu verdammen und gleichzeitig den Rest von Staatlichkeit in Port Sudan zu stärken.

Die Armee ist in den
30 Jahren unter 
Präsident Bashir ebenso 
systematisch von der 
Islamischen Bewegung ausgehöhlt worden wie der übrige Staatsapparat

Das wäre jedoch ein Trugschluss. Schlimmer noch: Eine solche Parteinahme würde die Chancen auf eine friedliche Beilegung des Krieges weiter schmälern. Denn bei genauerem Hinsehen teilen die Armee und die Paramilitärs gewisse Ähnlichkeiten. Die RSF sind nicht als Rebellengruppe entstanden, sondern waren zu Beginn des Krieges eine reguläre Sicherheitskraft. Hemedti selbst war seit 2019 Stellvertreter Burhans im Souveränitätsrat und trat quasi als Vizepräsident auf. 

Die Armee ist in den 30 Jahren unter Präsident Bashir ebenso systematisch von der Sudanesischen Islamischen Bewegung ausgehöhlt worden wie der übrige Staatsapparat. Sie repräsentiert in ihrer Führung keineswegs die Vielfalt des Landes. Es mag sein, dass die RSF für deutlich mehr Gewalt gegen die Zivilbevölkerung verantwortlich sind. Doch die SAF bombardieren ebenfalls Märkte, Krankenhäuser und Wohngebiete, verüben Massaker und verhaften auf der Grundlage eines rassistischen Gesetzes systematisch Menschen, deren Aussehen oder Namen auf eine Verbindung zu arabischen Gruppen im Westen schließen lässt. Und während die RSF von Waffenlieferungen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten profitieren, paktiert die Armee mit Ägypten, dem Iran und Russland.

Legitimität ist zudem ein zentrales Druckmittel für Verhandlungen, das man nicht leichtfertig aus der Hand geben sollte. Noch in Dschidda hatten RSF und SAF es akzeptiert, als reine Militärs zu verhandeln. In der Schweiz im August 2024 hätten die SAF als Regierung des Sudan auftreten wollen und hatten unter anderem deshalb keine Delegation geschickt, weil sie das nicht durften. Bei seinem Besuch in Port Sudan im November bezeichnete der US-Sondergesandte Tom Perriello jedoch Burhan als Präsidenten des Souveränitätsrats und hob ihn damit auf eine höhere Stufe als die RSF. Der UN-­Sicherheitsrat übernahm diese Formel.


Was zu tun wäre

Damit zukünftige Vermittlungen für ein Ende der Gewalt im Sudan erfolgreicher verlaufen können, sollten alle Beteiligten ihre Lehren aus den bisherigen Erfahrungen ziehen. Wenn wir uns das Ausmaß der Vertreibung, Polarisierung und bewussten Instrumentalisierung des sozialen Gefüges anschauen, dann deutet alles darauf hin, dass der Krieg noch Jahre andauern wird. Ein militärischer Sieg einer Seite ist nicht abzusehen. Die implizite oder explizite Anerkennung gegenseitiger Einflusssphären erscheint wahrscheinlicher, während bewaffnete Auseinandersetzungen vor allem im Zentrum und Süden des Landes anhalten könnten. Wer nur mit SAF und RSF verhandelt, wird jedoch keinen stabilen Frieden erreichen.

 Frauen und junge Menschen, die Treiber der 
Proteste seit 2018, ­können wichtige Kräfte 
der ­Veränderung sein

Entscheidend wird es sein, jegliches Friedensengagement langfristig, strukturiert und differenziert anzulegen. Dafür sollten Vertreter der sudanesischen Politik und der Zivilgesellschaft die Führung übernehmen und international unterstützt werden. Die Förderer und Vermittler sollten die vielfältige und stark polarisierte zivile Szene dabei nicht unter Druck setzen, sich auf eine einzige Plattform zu einigen. Die „Taqaddum“ genannte Koalition unter Vorsitz des ehemaligen Premierministers Abdalla Hamdok etwa genießt nur wenig Vertrauen in der Bevölkerung.

Wichtig wäre es, lokale Initiativen für den Schutz ziviler Infrastruktur oder einzelner Orte zu unterstützen. Frauen und junge Menschen, die Treiber der Proteste seit Dezember 2018, sollten nicht als bloße optionale Zusätze zu Verhandlungen ge­sehen werden, sondern als wichtige Kräfte der Veränderung. So retten Freiwilligennetzwerke gerade dort viele Leben, wo internationale Hilfe nicht hingelangt. Mit ihren Suppenküchen und Versorgungsangeboten tragen sie auch zum sozialen Zusammenhalt bei.

Darüber hinaus sollten die Bundesregierung und ihre europäischen Partner die externen Unterstützer der ­Konfliktparteien stärker unter Druck setzen und ­genauer bei einigen Themen hinschauen, die (auch) den Sudan betreffen. So sollten sie sich dafür einsetzen, den Goldhandel aus kleinen Minen stärker zu regulieren, internationale Geldwäschestandards strenger anzuwenden und den Endverbleib von Militärgüterlieferungen penibler zu kontrollieren. Des Weiteren sollten die Einhaltung von Menschenrechtsstandards bei europäischen Migrationspartnerländern wie Ägypten und Tunesien strenger angemahnt werden und mehr Staaten und Personen auf die europäischen Sanktionslisten gesetzt werden. 

Im Krieg im Sudan sollten die Euro­päer sich nur auf eine Seite stellen: auf die der mutigen Frauen und Männer, die weiterhin mit gewaltfreien Mitteln eine lebenswerte Zukunft schaffen wollen.  

«Humanitäre Hilfe für Sudan ist Tropfen auf heissen Stein»

Interview mit SRF Echo der Zeit, 29. August 2024.

SRF News: Wie geht es im Sudan weiter, nachdem in Genf kein Durchbruch möglich geworden ist?

Gerrit Kurtz: Die Amerikaner haben vermutlich die Erwartungen zu hoch gesteckt, als sie für die Gespräche in Genf einen Waffenstillstand als Ziel formuliert hatten. Als sie merkten, dass die sudanesische Armee im Gegensatz zu den paramilitärischen RSF-Milizen keine direkte Delegation schickt, konzentrierte man sich auf humanitäre Fragen. Der vereinbarte sichere Zugang für humanitäre Hilfe in Adré an der Grenze zwischen Tschad und Sudan im Westen ist ein kleiner Fortschritt. Man einigte sich zudem auch auf Hilfslieferungen von Port Sudan über den Norden und damit über die Frontlinie nach Darfur.

Über 700’000 Menschen stehen quasi vor dem Hungertod.

Wirkt sich der sichere Zugang für humanitäre Hilfe über Adré bereits aus?

Seit der Einigung konnten laut UNO 38 Lastwagen mit Hilfsgütern für rund 199’000 Menschen die Grenze passieren. Aber es ist natürlich viel zu wenig angesichts der Millionen, die auf Hilfe angewiesen sind. Über 700’000 Menschen stehen quasi vor dem Hungertod.

Wird die Menge an Hilfsgütern in den nächsten Tagen und Wochen steigen?

Das ist noch schwierig abschätzbar. Die Einigung muss halten. Bereits in den ersten Tagen ging die Grenze nach wenigen Lastwagen wieder zu. Erst seit einem Anruf von UNO-Generalsekretär António Guterres beim sudanesischen Machthaber und Armeeführer Abdelfatah Burhan rollen die Transporte wieder. Dazu kommen die saisonalen Überschwemmungen im Westen wie auch im Osten. Brücken stürzten ein, Strassen sind zum Teil unpassierbar. Hilfe nach Darfur wird in den nächsten Wochen nur erschwert möglich sein

Nach den Gesprächen wurde die Hoffnung geäussert, dass die erste humanitäre Hilfe der Anfang sei. War das berechtigt?

Der US-Sondergesandte Tom Perriello gab heute bekannt, dass es jetzt die erste Runde von virtuellen Gesprächen mit den Delegationen geben soll. Es soll also auch ohne formelle Gesprächsrunden weitergehen. Die internationale Gruppe, die in der Schweiz zusammengekommen ist, soll weiterbestehen und weiter auf hochrangiger Ebene Druck machen. Die stellvertretende UNO-Generalsekretärin Amina Mohammed ist heute in Port Sudan und morgen in Adré, um weitere Fortschritte zu versuchen.

Für mittel- und langfristige Fortschritte braucht es deutlich mehr. Doch dafür ist der Ansatz der USA und ihrer Partner nicht wirklich geeignet.

Haben die Gespräche in der Schweiz also immerhin Kommunikationskanäle geöffnet, um die Lage mittel- und langfristig zu verbessern?

Für mittel- und langfristige Fortschritte braucht es deutlich mehr. Doch dafür ist der Ansatz der USA und ihrer Partner meines Erachtens nicht wirklich geeignet. Denn selbst bei allfälligen Gesprächen über einen Waffenstillstand soll das nur mit den bewaffneten Akteuren geschehen, nicht aber direkt auch mit den zivilen. Die Erfahrungen mit Friedensprozessen gerade auch in Sudan zeigen, dass das nicht funktioniert. Dieser Ansatz müsste dann wohl doch noch geändert werden.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

„Man spürt auch hier, dass die USA mehr nach innen gekehrt sind“

Interview mit Die Welt, 20.August 2024

Der Krieg im Sudan hat die größte Flüchtlingskrise der Welt ausgelöst. Die USA organisierten internationale Verhandlungen in der Schweiz, um den Krieg zu beenden – aber die Armee des Landes nahm gar nicht erst teil. Sudan-Experte Gerrit Kurtz sieht vor allem einen Akteur kritisch.

Seit 16 Monaten bekämpfen sich die sudanesische Armee und die Miliz Rapid Support Forces (RSF). Zehntausende Menschen starben, jeder fünfte Bürger wurde vertrieben. Und jeder zweite Sudanese ist von einer akuten Hungerkatastrophe bedroht. Gerrit Kurtz (38), Sudan-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, über die Chancen, den Krieg und die größte Flüchtlingskrise der Welt zu beenden, die Rolle der Akteure – sowie strategische Fehler der USA und Europa.

WELT: Sudans Armee hat Gespräche mit der RSF-Miliz in Genf abgelehnt, am Montag aber dann Vertreter zu Gesprächen mit US-Vermittlern nach Ägypten geschickt. Gibt Ihnen das Hoffnung, dass doch noch Bewegung in die Friedensinitiative kommen könnte?

Gerrit Kurtz: Im Vorfeld der Schweiz-Konferenz waren Unstimmigkeiten mit Sudans Armee nicht ausgeräumt worden. Sie lehnt die Teilnahme der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) als Beobachter ab, kritisiert seit Monaten deren Unterstützung für die RSF mit Waffen und Geld. Es ist aber natürlich genau deshalb entscheidend, dass die VAE bei diesen Verhandlungen eingebunden sind, weil sie eben Einfluss auf die RSF haben. So wie Ägypten Einfluss auf die Armee hat und ebenfalls eingeladen wurde. Vorwürfe der Armee an die RSF, wie etwa die Blockade humanitärer Hilfe, treffen auf sie selbst genauso zu. Das sind für mich also vorgeschobene Gründe. Die Generäle fürchten, dass sich Verhandlungen negativ auf ihre Machtkämpfe innerhalb der Armee auswirken könnten. Aber immerhin finden in Kairo ja nun persönliche Gespräche mit US-Mediatoren statt. Das ist ein Hoffnungsschimmer.

WELT: Wurden Fehler gemacht?

Kurtz: Der Zeitpunkt für die Schweiz-Konferenz war ungünstig angesetzt. Der Beginn am 14. August ist der Tag der Armee im Sudan, an dem Armee-Chef Abdel Fattah al-Burhan eine große kämpferische Rede gehalten hat. Es wirkt auch so, als hätte es mehr Gespräche der USA im Vorfeld geben müssen. Aber man ist natürlich unter Zeitdruck. Wegen der unglaublich dramatischen humanitären Situation, aber auch den anstehenden US-Wahlen, wegen denen ja unklar ist, ob das Mandat des US-Sondergesandten für den Sudan, Tom Perriello, fortgesetzt werden kann. Aber das Ziel des Waffenstillstands setzt die Klärung politischer Rahmenbedingungen voraus. Es steht die Frage im Raum: Was passiert mit den Konfliktparteien am Tag nach dem Waffenstillstand? Das wurde nicht ausreichend verhandelt.

WELT: Sie argumentieren, dass der Sudan kein Stellvertreterkrieg ist und beschreiben die Lage eher als einen Konflikt um die Vorherrschaft des Sicherheitssektors und die Kontrolle der Wirtschaft. Gleichzeitig heizt die Unterstützung von Regionalmächten den Krieg an. Wie passt das zusammen?

Kurtz: Es geht mir um die Charakterisierung des Konflikts, da spielen die Interessen von außen nicht die primäre Rolle. Aber natürlich haben auch geopolitische Rivalitäten Einfluss, wie etwa zwischen den VAE und dem Iran. Abu Dhabi möchte als maritime Macht nicht, dass Teheran als Unterstützer der Armee an Einfluss am Roten Meer gewinnt. Die VAE verfolgen insgesamt eine sehr aggressive Außenpolitik in der Region, das kennen wir auch aus Äthiopien und Libyen. Es handelt sich um ein sehr autokratisches Land, in dem wenige Menschen viel Einfluss haben, ohne für ihre Entscheidungen auch intern viel Rechenschaft ablegen zu müssen. Diese Akteure können mit den Geschicken anderer Länder regelrecht spielen, ohne die Auswirkungen davon zu spüren, über Flüchtlingsströme etwa. Das ist ein großer Unterschied zu Ägypten oder anderen Nachbarländern Sudans.

WELT: Über die Vereinigten Arabischen Emirate wird nicht nur das Gold aus dem Sudan gewaschen, sondern auch das aus anderen Konfliktländern wie Mali. Warum wird so wenig internationaler Druck auf das Land ausgeübt?

Kurtz: In die Richtung der Finanzflüsse zum Konfliktgoldhandel müsste tatsächlich mehr Druck auf die VAE ausgeübt werden, auch aus Europa. Da wurde zuletzt etwas verstärkt draufgeschaut – aber immer noch nicht im ausreichenden Maße. Man verlässt sich darauf, dass die Emirate sich bei der Überwachung selbst überwachen. Die VAE waren mal auf der „Grauen Liste“ der Financial Action Task Force, einem internationalen Gremium zur Bekämpfung illegaler Geldströme, wurden dann aber wieder heruntergenommen, weil sie behaupteten, ausreichend Maßnahmen getroffen zu haben. Mit Blick auf den Konflikt im Sudan ist das aber nicht ersichtlich. Da müsste man womöglich auch noch mehr VAE-Wirtschaftsakteure im Goldsektor sanktionieren und von europäischen Banken abschirmen und Reisen nach Europa ausschließen.

WELT: Fehlt es an einem europäischen Bewusstsein zur Rolle der VAE?

Kurtz: Es ist ein Problem, dass die afrikanischen Konflikte häufig nicht so hoch auf der Agenda von bilateralen Gesprächen westlicher Länder mit den VAE rangieren, anders als etwa der Nahost-Konflikt oder das Thema Energie. Die Geheimdienste dürften klare Beweise haben. Man spricht das vielleicht an. Mehr aber auch nicht.

WELT: Glauben Sie, dass diese Interessen im Nahost-Konflikt oder bei der Energieversorgung so sehr überwiegen, dass man deshalb Themen wie die Ausbeutung afrikanischer Rohstoffe nicht zur Sprache bringt?

Kurtz: Ja. Wenn man es überhaupt zur Sprache bringt, ist gleichzeitig klar, dass keine Konsequenzen zu befürchten sind. Diese müsste man klarer signalisieren und auch durchsetzen. Und da habe ich zumindest meine Zweifel, dass das ausreichend passiert.

WELT: Die USA haben eine von Sanktionen begleitete Geschichte mit dem Sudan. Wird das Land überhaupt als neutraler Vermittler akzeptiert?

Kurtz: Es gibt natürlich keine große Freundschaft mit den USA. Aber das Militär weiß, dass die USA auch bei vergangenen Kriegen wie im Darfur-Konflikt oder dem Unabhängigkeitskrieg des Südens viel Druck ausüben konnten. Aber Sudan hat inzwischen an Relevanz in den USA verloren, der Sondergesandte war früher direkt dem Präsidenten unterstellt, jetzt ist er Gesandter des Außenministers. Man spürt auch hier, dass die USA, abgesehen von der aktuellen Situation in Israel, weit mehr nach innen gekehrt sind als noch vor 20 Jahren. Das gilt besonders für die Situation in Sudan, und das spiegelt sich auch auf den politischen Einfluss dort wider. Natürlich könnte man, wenn man wollte, auch andere Großnarrative finden, die aktuell noch in den USA relevant sind, wie den Einfluss von China und Russland. Aber das sind nun einmal nicht die wichtigsten Akteure im Sudan.

WELT: Russland hat sich bislang beide Kriegsparteien warmgehalten. Glauben Sie, dass der Kreml sein Gewicht klar hinter eine Seite verlagern wird?

Kurtz: Russland ist ein opportunistischer Akteur und versucht, so viel wie möglich aus Sudan herauszuholen. Das betrifft Gold und andere Ressourcen, die Sicherheitspolitik über die geplante Militärbasis am Roten Meer und andere Möglichkeiten, dem Westen zu schaden. Es liegt den Russen näher, mit einem formellen Militär und einer Regierung zu arbeiten. Aber sollte RSF-Anführer Hemedti die Macht übernehmen, dann würde Russland nicht zögern, auch offiziell mit ihm Geschäfte zu machen.

    WELT: Viele fürchten, dass der Krieg in einem Libyen-Szenario resultieren wird, bei dem der Westen dauerhaft von der RSF und der Osten von der Armee kontrolliert wird. Teilen Sie diese Sorge?

    Kurtz: Es ist auf jeden Fall ein realistisches Szenario. Aber es hat zuletzt signifikante Geländegebiete der RSF im Zentrum des Landes gegeben. Es ist nicht gesagt, dass die Front so bleibt, wie sie ist.

    WELT: Gibt es irgendetwas, das Ihnen Hoffnung für den Sudan gibt?

    Kurtz: Der Sudan hat weiterhin eine sehr starke Zivilgesellschaft, die trotz des Krieges ein anderes Ausmaß hat als die in Ländern wie Äthiopien oder Südsudan. Das allein wird nicht den Krieg beenden, aber das sollte uns auch weiterhin Hoffnung machen. Solange der Krieg anhält, ist jede Form der zivilen Herrschaft natürlich unmöglich. Armee und RSF wollen die Vorherrschaft über Sicherheitsapparat und Wirtschaft. Aber sie wollen nicht wirklich regieren, dafür fehlen ihnen die Strukturen. Eine gewisse zivile Mitbestimmung ist auch in Zukunft möglich. Aber leider absehbar nicht im Sinne einer Demokratie mit gleichen Rechten für alle. Ein System ohne massiven Einfluss der Gewaltakteure ist aktuell nicht vorstellbar.