Horn von Afrika: Politisches Versagen führt zu Hungersnot

Dieser Beitrag erschien am 01.07.2022 in: Aljoscha Albrecht, Gerrit Kurtz, Bettina Rudloff, Andrea Schmitz, Christian Wagner, Isabelle Werenfels, Claudia Zilla: Krieg und Hunger – Versorgungsrisiken, Lösungsansätze, Konfliktkonstellationen, SWP 360 Grad.

Die Länder am Horn von Afrika leiden seit längerem weltweit mit am stärksten unter Ernährungsunsicherheit. In Äthiopien, Sudan, Südsudan, Somalia und Kenia sind davon 2022 bis zu 38 Millionen Menschen akut betroffen, so die Welternährungsorganisation (FAO) und das Ernährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP). Rund 700.000 Menschen droht ohne schnelle externe Hilfe der Hungertod. Gegenüber dem Preisschock bei Weizen als Folge des Ukraine-Krieges sind diese Länder besonders verwundbar. Verantwortlich dafür sind eine ohnehin schlechte Versorgungslage, bewaffnete Konflikte, politische Instabilität, Überflutungen und aktuell die schlimmste Dürrekrise seit 40 Jahren.

Weizen gehört zu den wichtigsten Lebensmitteln in Äthiopien und Sudan. Ein Fünftel der täglichen Kalorienzufuhr in Sudan stammt aus Weizenmehl. Laut FAO deckt das Land 77 Prozent seines entsprechenden Verbrauchs durch Importe, die 2021 zu rund 35 Prozent aus Russland und der Ukraine kamen. Äthiopien importierte 2020/21 etwa 30 Prozent seines Weizenbedarfs, davon wiederum 20 Prozent aus der Ukraine.

Zu Preissteigerungen von geschätzt 20 Prozent für Weizen kommen in Sudan höhere Kosten für Energie und Düngemittel, was zu Versorgungsengpässen führt. 2021 machte Nahrung für den Großteil der Bevölkerung zwei Drittel ihrer Gesamtausgaben aus. Dabei erhielten insgesamt 27,8 Millionen Menschen in Äthiopien, Somalia, Südsudan und Sudan humanitäre Nahrungsmittelhilfe.

Schon länger gilt am Horn von Afrika das erklärte Ziel, die eigene Weizenproduktion zu steigern. Äthiopiens Regierung fördert den Anbau des Getreides und will bis 2023 unabhängig von Importen sein, worin Deutschland sie unterstützt. Die Regierung kauft alle Weizenimporte selbst; bereits 2021 senkte sie den Zoll, um Einfuhren günstiger zu machen. Sudan konnte seine Weizenernte durch verbessertes Saatgut zwischen 2015 und 2020 mehr als verdoppeln. Die Regierung erwarb üblicherweise die Ernte von Bauern zu festgelegten Preisen. Seit dem Putsch im Oktober 2021 befindet sich das Land in einer politischen Krise, was die Wirtschaftslage verschärft und bisherige Ansätze hemmt. Während Millionen hungern, droht geernteter Weizen wegen schlechter Lagerung zu verrotten, da der Staat ihn nicht mehr abkaufen kann.

Der Spielraum regionaler Regierungen ist begrenzt, eine weitere Weizenpreissteigerung abzufedern, denn wegen bewaffneter Konflikte und politischer Instabilität fehlen Währungsreserven und sind die Staatskassen leer. Politische Eliten investieren in Sicherheit und die Versorgung ihrer Netzwerke statt in Agrarproduktion und Nahrungsmittelversorgung. In der Folge erwächst aus Ernährungsunsicherheit eine lebensbedrohliche Hungersnot.

Ausdauernde, aber sanfte Diplomatie nötig

In vielen Staaten Afrikas weht gerade ein Wind der Veränderung. Deutschland sollte die Übergangsprozesse unterstützen.

Dieser Text erschien am 19. August 2019 als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau.

Es weht ein neuer Wind in den Regierungsgebäuden wichtiger afrikanischer Länder. Die Einigung auf eine Übergangsregierung im Sudan Anfang Juli ist nur das jüngste Beispiel für Regierungswechsel in scheinbar erstarrten Regimen. Auch Äthiopien, Algerien, Kongo, Angola und Simbabwe erleben politischen Wandel in den letzten Jahren. Diese Prozesse haben regionale Ausstrahlungswirkung, eint jedoch auch eine anhaltende Rolle von Herrschaftseliten, eine große Rolle des Sicherheitsapparats und der fragile Charakter der Veränderungen. Internationale Diplomatie muss einen Weg finden, sowohl die erneute Konsolidierung autoritärer Herrschaft als auch Bürgerkrieg und Massengewalt zu verhindern. Dazu sollte die Bundesregierung die Kräfte des friedlichen Wandels umsichtig unterstützen.

Die Regierungswechsel waren stets auch Versuche der herrschenden Elite, angesichts wachsender Demonstrationen und Unzufriedenheit im Land die Proteste zu besänftigen. Saubere Schnitte mit der Vergangenheit waren es nicht. Angesichts der engen Verbindung von wirtschaftlichen und politischen Interessen war dies keine Überraschung: es gibt viel zu verlieren für all diejenigen, die von den bisherigen Verhältnissen profitiert haben.

Gleichzeitig ist die Beteiligung existierender Machteliten auch eine Chance für den Übergangsprozess. Sie erlaubt mögliche Friedensstörer zumindest anfangs einzubinden. Wenn Reformfiguren dem Status Quo entspringen, können sie auf existierende Netzwerke zur Umsetzung ihrer Ideen zurückgreifen. Premierminister Abyi Ahmed hat beispielsweise angefangen, weitgehende demokratische Reformen in Äthiopien umzusetzen. Medien- und Versammlungsfreiheit sind gewachsen, tausende politische Gefangen wurden frei gelassen, und die Privatisierung staatlicher Monopole hat begonnen. Letztes Jahr schloss Äthiopien Frieden mit Eritrea und eröffnete damit die Hoffnung, dass auch dort die Jahrzehnte der Isolation und Militarisierung zu Ende gehen könnten.

Doch die schnellen Reformen bringen auch die inneren Spannungen Äthiopiens zu Tage. 2018 wurden im Land fast drei Millionen Menschen durch gewaltsame Auseinandersetzungen vertrieben; so viele wie in keinem anderen Land. Ende Juni versuchten staatliche Sicherheitskräfte, die Regierung zu stürzen und töteten dabei unter anderem den Armeechef. Währenddessen drohen die Übergänge in Algerien und Simbabwe in alte Muster zurückzufallen, bevor sie richtig begonnen haben.

Für Deutschland und Europa sind diese Entwicklungen von großer Bedeutung. Äthiopien und die Demokratische Republik Kongo gehören zu den größten Empfängerländern von deutscher Entwicklungszusammenarbeit in Afrika. Äthiopien und Algerien haben sich in den vergangenen Jahren als wichtige Friedensvermittler hervorgetan, im Sudan und Südsudan bzw. in Mali. Wenn die Bundesregierung die Ziele der afrikapolitischen Leitlinien, welche sie dieses Jahr neu fasste, umsetzen will, müssen diese Übergangsprozesse friedlich verlaufen und nachhaltig inklusive Herrschaft garantieren.

Die Diplomatie steht jedoch vor schwierigen Herausforderungen. Zwei andere Übergangsprozesse der letzten Jahre zeigen, wie internationaler Einfluss nicht enden sollte: in Ägypten konnte sich das Militär mit Präsident al-Sisi an der Spitze behaupten, ohne dass es langfristige Einbußen der US-Militärhilfe hinnehmen musste. In Libyen zerfiel der Staat nach der international forcierten Entmachtung Gaddafis im Streit bewaffneter Gruppen.

Deutsche Diplomatie sollte also auf glaubwürdige Reformschritte drängen und die Erwartungen auch an konstruktive Regierungen wie die von Abyi Ahmed in Äthiopien nicht aus falscher Rücksichtnahme senken. Gewaltakte wie das Massaker der friedlichen Demonstranten am 3. Juni in Khartum müssen aufgeklärt werden. Die Bundesregierung sollte innerhalb der Staaten die Akteure unterstützen, die für einen gesellschaftlichen Wandel stehen. Entsprechend sollten deutsche Diplomaten bei ihren Vermittlungsbemühungen im Sudan und anderswo auch zivilgesellschaftliche Bewegungen wie die Sudanese Professionals Association involvieren. Gleichzeitig sollten sie weiterhin regionale Prozesse wie die Mediation der Afrikanischen Union im Sudan unterstützen. Um ein glaubwürdiges Auftreten zu ermöglichen, muss sich die Regierung auch noch stärker um einen kohärenten Ansatz zwischen den Ressorts und mit den europäischen Partnern bemühen.

Die Bevölkerungen im Sudan, Algerien und anderen Ländern haben gezeigt, dass sie nicht länger auf langfristige Reformversprechen warten wollen. Pusten wir Wind in ihre Segel.