Äthiopien: „Der nationale Dialog trägt zurzeit wenig bei“

Interview bei Africa.Table, 15.Oktober 2024

Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht keinegute Perspektive für den nationalen Dialog in Äthiopien, der denVielvölkerstaat eigentlich zusammenbringen soll. Im Gespräch mitMerga Yonas spricht er über Konfl ikte sowie über die Ängste undSorgen der Bevölkerung.

Herr Kurtz, Sie haben vor kurzem einen Artikel über den nationalenDialog in Äthiopien veröffentlicht. Warum halten Sie es gerade jetztfür wichtig, den nationalen Dialog in Äthiopien zu thematisieren?
Der nationale Dialog ist ein zentrales Vorhaben der Regierung. DasNarrativ der Regierung ist, dass dieser ein wesentliches Instrumentist, um die grundsätzlichen Konfl ikte, die das Land seit Jahrhundertenbewegen, anzugehen. Die äthiopische Bevölkerung und auchäthiopische Oppositionsgruppen müssen einen Umgang mit demDialog fi nden. Auch Äthiopiens internationale Partner suchen nacheinem konstruktiven Umgang mit den Konfl ikten im Land, damitÄthiopien nicht nur innerlich stabiler wird, sondern damit auchwieder mehr in die regionale Sicherheit investieren kann. Dafür sollteeigentlich ein solcher Prozess wie der nationale Dialog eine wichtigeRolle spielen.


Sie haben in Ihrer Veröffentlichung erwähnt, dass das Ziel desnationalen Dialogs darin besteht, die Bevölkerung hinter Abiys Einheitskonzept zu versammeln. Wie realistisch wird das sein?

Das ist genau das Problem: Im Moment hat der nationale Dialog sehrgeringe Chancen, zur Einigung des Landes beizutragen. Niemand istgrundsätzlich gegen die Herstellung eines nationalen Konsenses. DasProblem ist, dass diese nationale Einigung unter der Hegemonie Abiysbeziehungsweise der Prosperity Party stattfi nden soll. Es gibt sehr vielMisstrauen bei der Bevölkerung, bei bewaffneten Gruppen undanderen Oppositionsgruppen gegenüber dem nationalen Dialog, weildas Parlament, das die Kommission eingesetzt hat, massiv von derProsperity Party dominiert wird. Solange die Dominanz des gesamtenStaatsapparats durch die Regierungspartei so stark ist, wird es immerein hohes Misstrauen geben. In der Theorie ist der Dialog ein gutesInstrument, in der aktuellen Praxis gibt es sehr viele Fragezeichen.


Wenn Dialog hilft, Frieden zu schaffen, warum arbeitet die Regierung dann dagegen?
Ich glaube, es gibt eine komplexe Motivlage. Klar, die schärfstenKritiker würden sicherlich sagen, die Regierung hat den nationalenDialog nur geschaffen, um internationale Geber oder auchinnerstaatliche Kritiker zu besänftigen. Das funktioniert offensichtlichnicht. Die Leute, die den nationalen Dialog durchführen, meinen esdurchaus ernst. Es ist aber auch so, dass ein solcher Dialog ungewohntist, in dem Sinne, dass er eine staatsferne öffentliche Sphärevoraussetzt, bei der auch das Regierungshandeln infrage gestelltwerden könnte. Daher kommt dann auch dieser Widerspruch.


Die Opposition befürchtet, dass die Regierung den Dialog nutzen könnte, um Verfassungsänderungen durchzusetzen. Wenn sich diese Befürchtungen bewahrheiten, was wird dann aus der Regierung Abiy und dem Schicksal der Menschen in diesem Land?

Die Befürchtung der Oppositionsparteien ist eben, dass es Verfassungsänderungen gibt, mit denen sie nicht einverstanden sind,beispielsweise könnten einige der großen Bundesstaaten verkleinert werden oder das Prinzip des Ethno-Föderalismus gestrichen werden.Oder dass statt eines parlamentarischen Systems ein Präsidialsystemeingeführt werden könnte. Aber es ist ja noch nicht klar, welcheÄnderungen überhaupt angestrebt werden. Das kann man jetzt auchnoch nicht konkret sagen. Das löst diese Sorgen aus. Ich kann erstmalnur über diese berichten, die wiederum Ausdruck des Misstrauens inTeilen der Bevölkerung sind.


Die Menschen befürchten, dass der Dialog als Instrument benutztwerden könnte, um Artikel 39 der Verfassung abzuschaffen, der ein uneingeschränktes Recht auf Selbstbestimmung, einschließlich des Rechts auf Sezession, verspricht. Haben die Menschen bei Ihren Recherchen solche Befürchtungen geäußert?
Das ist genau die Sorge, dass es eine weitere Zentralisierung geben könnte. Die Transformation der früheren Regierungskoalition derEPRDF zur jetzigen Regierungspartei der Prosperity Party wird da alsein entsprechendes Zeichen gesehen. Im Gegensatz zur EPRDF ist diePP stärker hierarchisch an der Führung des Premierministersorientiert. Gleichwohl hat die aktuelle Regierung ja auch dieAnwendung der weiteren Selbstbestimmung im Süden des Landeszugelassen, wo neue Bundesstaaten entstanden sind.


Warum unterstützen Deutschland und NGOs wie die Berghof-Stiftung weiterhin die Kommission, obwohl sie bereits wussten, dass die Kommission auf dem falschen Weg ist?

Die Unterstützung ist ja genau darauf ausgerichtet, die
Kommissionsmitglieder zu unterstützen, den Prozess effektiver und
glaubwürdiger zu machen. Das Ziel ist nicht, damit per se die
Regierung zu unterstützen. Man sieht das Potenzial des nationalen
Dialogs und nicht viele Alternativen, die einer konstruktiven
Friedensförderung zumindest dienen könnten. Ich glaube, dass die
Gefahr noch nicht so groß ist, solange die Kommission Konsultationen
durchführt. Der mögliche Schaden würde erst eintreten, wenn daraus
Empfehlungen kommen oder wenn die Regierung diesen nationalen
Dialog beispielsweise für Verfassungsänderungen nutzen sollte oder
für andere politische Entscheidungen. Aus der deutschen und
internationalen Unterstützung entsteht natürlich auch eine gewisse
Legitimierung für den Prozess. Deswegen ist es so wichtig, dass diese
Partner genau beobachten, um nicht für eine autoritäre
Konsolidierung eingespannt zu werden.


Ist ein Dialog in der jetzigen Form und in dem Verfahren der
Kommission möglich? Wenn nicht, was sind die Alternativen?

Die hohen Ambitionen, welche das äthiopische Parlament für den nationalen Dialog formuliert hat, werden sicher nicht eingelöst werden. Im besten Fall könnte dieser Prozess auch eher den Rahmen dafür schaffen, nationale Streifragen in Zukunft konstruktiv auszutragen. Danach sieht es im Moment aber überhaupt nicht aus. Die äthiopische Regierung riskiert damit, dass einige der Streitfragen auch weiterhin gewaltsam ausgetragen werden und sich die Fliehkräfte vergrößern könnten. Alternativen könnten zumindest Dialoge auf lokaler und bundesstaatlicher Ebene sein, um die dortigen Streitfragen systematisch anzugehen, auch wenn Fragen der nationalen Identität, verfassungsmäßigen Ordnung und des politischen Systems aufgrund des autoritären Kontexts nicht offen besprochen werden können.

Dr. Gerrit Kurtz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Kurtz hat in Friedens- und Konfliktstudien am King’s College London promoviert. Vor kurzem hat er einen Artikel über die Herausforderungen des nationalen Dialogs in Äthiopien veröffentlicht.

Zivile Konfliktbearbeitung: Investieren statt kürzen

Die Bundesregierung plant massive Einsparungen bei Krisenprävention und Friedensförderung. Diese Kürzungen sind jedoch nicht mit den außen- und sicherheitspolitischen Erfordernissen einer gewaltsamen Welt im Umbruch zu vereinbaren, meint Gerrit Kurtz.

Kurz Gesagt, SWP, 13.August 2024

Die Stabilisierung der ukrainischen Energieinfrastruktur, der Wiederaufbau im Irak nach den Zerstörungen von Da‘esh, oder die Unterstützung der UN-Vermittlungsarbeit im Jemen: Deutschland finanziert weltweit Projekte ziviler Konfliktbearbeitung. Spätestens seit dem spektakulären Scheitern in Afghanistan und Mali ist allseits bekannt, dass diese Friedensarbeit schwierig ist. Doch sie trägt ebenso wie die angestrebte Vollausrüstung der Bundeswehr zur Sicherheit Deutschlands bei. 

Dennoch setzt die Bundesregierung nun die haushaltspolitische Axt an diese Arbeit. Bereits im Haushalt 2024 kürzte sie die dafür vorgesehenen Mittel des Auswärtigen Amtes (AA) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): allein 29% im entsprechenden Titel im AA. Der Kabinettsbeschluss vom 17. Juli 2024 sieht erneute massive Streichungen für das kommende Jahr vor: weitere 18% im genannten AA-Titel, 38% bei der Krisenbewältigung im BMZ, sowie über 50% im Bereich humanitäre Hilfe, die oft in Konfliktregionen eingesetzt wird. Diese Kürzungen fallen überproportional stark aus, weil die meisten anderen Titel des AA und BMZ nicht kurzfristig angepasst werden können.

Gleichzeitig überarbeiten die Ressorts derzeit turnusgemäß das strategische Grundlagendokument in diesem Bereich, die Leitlinien »Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern« von 2017. Die Leitlinien stellen das staatliche Handeln unter ein Friedensleitbild und nennen grundlegende Handelsprinzipien, Ziele, Instrumente und Aufgabenfelder für die zivile Konfliktbearbeitung im Ausland. Die Bundesregierung muss sich fragen, ob sie weiterhin die Vermeidung von Krieg und Gewalt als „deutsche Staatsraison“ bezeichnen kann (O-Ton Leitlinien), wenn sie Mittel dafür in so hohem Maße zusammenstreicht.

Zivile Ansätze sind gerade in angespannten Zeiten gefragt

Die Welt, in der wir leben, wird unsicherer. Es gibt es derzeit so viele bewaffnete Konflikte wie nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die sich immer mehr beschleunigende Klimakrise heizt Ressourcenkonflikte an. Transaktional agierende Mittelmächte wie die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emiraten prägen eine Weltordnung im Wandel, indem sie etwa in Afrika Waffen und Drohnen an Konfliktakteure liefern. Die neo-imperiale Aggression Russlands ist ungezügelt.

Deutschland kann es sich daher schlichtweg nicht leisten, weniger in Prävention, Diplomatie und Friedensförderung zu investieren. 

Bereits jetzt kann sich Deutschland weniger als bisher auf die multilateralen Organisationen und Alliierten verlassen, denen es in der Vergangenheit weitgehend die Führungsrolle zugesprochen hat. Zudem haben diese Partner immer wieder, aus deutscher (und lokaler) Sicht, problematische Schwerpunkte gesetzt, wie die USA in Afghanistan, Frankreich in Mali oder die Afrikanische Union in Sudan. Die Europäische Union unterstützt einerseits zivilgesellschaftliche Friedensbemühungen und andererseits die Migrationsabwehr autoritärer Staaten wie Libyen, Tunesien und Ägypten, welche Geflüchtete misshandeln und zurück in Konfliktgebiete wie Sudan schicken. 

Es braucht politische Führung und Demut

Geld allein reicht daher nicht. Deutschland sollte auch mehr prinzipiengeleitete Führung zeigen. In jedem Konflikt, ob in der Ukraine oder in Sudan, sind vor allem politische Strategien gefragt. Um diese auszuarbeiten, abzustimmen und umzusetzen braucht es jedoch das entsprechende Personal, belastbare Koordinationsmechanismen und die Nachfrage der jeweiligen Hausspitze. Der Bundestag sollte sowohl in den Haushaltsberatungen nachsteuern als auch die Entwicklung eines stärker abgestimmten Vorgehens der Ressorts einfordern.

Die Leitlinien hingegen sollten noch stärker die Grenzen deutscher Handlungsmöglichkeiten sowie postkoloniale Perspektiven anerkennen. Zielkonflikte sind der Normallfall in der Konfliktbearbeitung, sie können nicht ohne Weiteres aufgelöst werden. Wie mit ihnen umzugehen ist, sollten primär Akteure vor Ort entscheiden, die mit den Folgen von Krieg, Armut und Repression leben. In einer Zeit, in der das Zusammenleben auch in Deutschland und Europa spannungsgeladener wird, können wir noch Einiges von Gesellschaften lernen, die schon länger mit Polarisierung, Desinformation und Radikalisierung kämpfen.

The Narrow Limits of Ethiopia’s National Dialogue

In its current form, the process will do little to address the country’s structural problems.

SWP Comment 2024/C 32, 05.08.2024

Ethiopia has long been in a period of upheaval characterised by massive levels of violence. Relations between the largest ethnic groups are in flux, as is their relationship with the government. The state lacks legitimacy in the central regions of the country, its monopoly on the use of force is contested, and it does not have enough financial resources to provide for the population on a nationwide scale. The national dialogue is intended to facilitate Ethiopia’s transformation and increase support for the state among the population. However, the conditions for a confidence-building dialogue are not in place, given the armed uprisings in the two most populous states of Amhara and Oromia; the severely restricted independence of the media and free­dom of expression; and the dominance of the ruling party in parliament and society. An additional structured dialogue at the level of the most important political players could mitigate one of the main weaknesses of the process. International actors who, like Germany, support the national dialogue should be careful not to allow themselves to be used for authoritarian consolidation.

On 4 June 2024, the first event of the regional phase of the national dialogue at the level of the federal states and city admin­istrations concluded in Addis Ababa. The aim of the overall process is to identify the most important issues that are driving the country apart, determine possible solutions, and nominate representatives for the last round of consultations at the national level. The event in Addis Ababa alone was attended by more than 2,000 people who had been delegated from previous meetings at the local level in the city of Addis Ababa. Similar events are to follow in the other federal states.

The national dialogue is a central project of Prime Minister Abiy Ahmed’s government, which hopes that the dialogue can make a decisive contribution towards paci­fy­ing the country, increase the legitimacy of the state across the entirety of Ethiopian society, and thus also boost economic devel­opment. The overarching goal is to rally the population behind Abiy’s idea of national unity. The dialogue can only take place within the narrow confines of the government’s continued hegemony.

State and society under stress

Abiy has not succeeded in uniting Ethiopia in recent years. On the contrary, his style of governance, the way he has fought insur­gencies, and delayed economic reforms are partly responsible for the conflicts, vio­lence, and existential hardships in parts of the country. The Ethiopian state crisis that brought Abiy to office has been exacerbated by some of his actions.

Contrary to Abiy’s pan-Ethiopian rhetoric, the country continues to be characterised by its orientation along ethnic (or “national”) identities. The ethnic federalism enshrined in the 1995 constitution con­tinues to play an important role in terms of gaining access to state power. A new nation­al narrative has not yet been established. Instead, polarisation and a zero-sum men­tality characterise politics, as even Ethiopia’s National Security Council has noted. A greater role for one ethnic group is seen by others as a decline in their own level of influence. This is particularly evident in the rise of Oromos in politics after Abiy took office, a development that is viewed criti­cally by traditional elites from Amhara and Tigray.

But Abiy’s style of governance is based less on the hegemony of one ethnic group (although some accuse him of favouring Oromos in government and state enterprises) and more on shifting partnerships, in line with his understanding of pragmatic power politics. However, in a context char­acterised by a zero-sum mentality and a lack of national identity, Abiy’s trans­actional politics is alienating former sup­porters, especially in Amhara and Oromia. It is also fuelling conflict within ethnic groups between those who are cooperating with the government and those who are turning away in disappointment. Abiy himself accused the opposition of plotting a coup in early July.

Both the government and some elements of the opposition see violence as a legitimate means of conflict resolution. This atti­tude was reflected not only in the war in the north of the country between 2020 and 2022, but also in the uprisings in Oromia and Amhara. Although the government has recognised that it must also focus on nego­tiations with the armed groups, it always aims to do so from a position of military strength. For example, the Pretoria Agree­ment with the Tigray People’s Liberation Front (TPLF) was signed in November 2022, when the army was already close to Tigray’s capital, Mekelle.

At the same time, the way in which the government fights insurgencies tends to fuel conflicts. In the war against the TPLF, the government fought in conjunction with paramilitary forces and irregular Fano units from Amhara. When these Amhara regional militias were to be demobilised and dis­armed after the Pretoria Agreement, many of the units refused because they saw the agreement as a betrayal of Amhara inter­ests. The Fano were able to attract a con­siderable number of these well-trained paramilitary fighters, which enabled them to hold their own against the government army. Since then, the insurgents have con­trolled large parts of the rural areas and been able to occasionally advance into towns such as Amhara’s regional capital of Bahir Dar and the UNESCO World Heritage Site of Lalibela.

The government forces pose a significant threat to the civilian population in these conflict areas. The UN High Commissioner for Human Rights holds them responsible for 70 per cent of the human rights vio­lations that it documented in Ethiopia in 2023. The Ethiopian Human Rights Com­mis­sion reported about the extrajudicial killings by state security forces and mass arbitrary arrests in Amhara, Oromia, and Addis Ababa. In addition, the use of drones, which has resulted in high numbers of civilian casualties, has been criticised. There are reports that the army frequently kills civilians indiscriminately when it is unable to apprehend Fano rebels in Amhara. All of this is fuelling further resistance from the affected population.

Although the government is investing in prestigious projects in Addis Ababa, it is leaving large sections of the population behind. More than 21 million people in Ethiopia are dependent on humanitarian aid. In some parts of the country, there is acute food insecurity as a result of drought, conflict, and poor macroeconomic con­ditions. Although inflation has fallen since last year, it remains high at 22.7 per cent, particularly for food (19.9 per cent overall). Driven by rising prices, high unemployment, and restrictions on the freedom of movement, criminal violence is spreading. State institutions have withdrawn from some conflict areas. In the area surrounding Addis Ababa, the danger of becoming a victim of kidnapping is so great that many people no longer dare to leave the capital by land.

Economic relief can be provided through a recent external credit facility agreement with the IMF, budget support from the World Bank, as well as debt restructuring by donors. After years of negotiations, the government has accepted key reform conditions. In July, the National Bank of Ethiopia introduced a new, more flexible monetary policy to fight inflation and floated the exchange rate of the Ethiopian birr. The delay of these reforms had para­lysed private-sector productivity and dis­torted the economy. It will now be key to keep inflation in check and boost social and economic spending.

Very high ambitions for the national dialogue

In principle, the format of a national dialogue can accompany and promote far-reaching political change processes. In a context characterised by violence and repression, dialogue can offer a way to negotiate differences in a peaceful manner. It can also facilitate the opening up of political space by enabling the broader participation of civil society compared to negotiations among just elites. The over­arching objective plays an important role here. Is the aim to reach a consensus on fundamental issues or to create a mechanism for constructively – or at least peace­fully – resolving differences that are deeply rooted in history and identity? The establishment of a national dialogue can help a society to find a framework for its conflicts without necessarily resolving them.

The first initiatives to bring about such a dialogue after Abiy took office in April 2018 were constructive. Political prisoners were released, legislation for non-governmental organisations was relaxed, and opposition politicians returned from exile at the invi­ta­tion of the government. Efforts were made in civil society to organise an inclusive dialogue. To this end, informal and pre­para­tory seminars and workshops were held in 2019 and early 2020. There were also other activities that received the support of the government. In October 2020, a Multi-stake­holder Initiative for National Dialogue (MIND) was formed that included the Des­tiny Ethiopia Initiative, which acted as the secretariat; a number of civil society dia­logue initiatives; the Ethiopian Reconciliation Commission; the Ministry of Peace as the government representative; and the Joint Council of Political Parties (i.e. the opposition parties).

War broke out in Tigray at the beginning of November 2020. The armed conflict was accompanied by a significant polarisation of society and restrictions on the public sphere. Nevertheless, the government con­tinued to push ahead with the dialogue project. On 29 December 2021, the House of Peoples’ Representatives – the lower cham­ber of parliament – passed a proclamation that provided the mandate for the Ethiopian National Dialogue Commission (ENDC). The ENDC took up its work in February 2022. Its term of office is three years. The man­date sets out three overarching goals: to build a “national consensus” on the “most fundamental national issues”, to create trust among the ethnic groups as well as between them and the state, and to pave the way for a culture of dialogue. The ambitions could hardly be higher, as “internal problems that have been simmering for centuries”, accord­ing to the parliament’s declaration, are to be solved through this new culture of dia­logue.

The government itself emphasises that a successful national dialogue would mean significant changes to the way in which fundamental political and social differences have been dealt with up to now. Abiy spoke of how a culture of dialogue could dissolve the strict division between “winners and losers” that has prevailed in Ethiopia to date. However, Abiy’s image of himself as a peacemaker and reconciler of the nation does not match the behaviour of his govern­ment.

The Commission’s approach

The ENDC took a while to find its feet, define its work, and build trust with key stakeholders. Added to this was the logis­tical challenge of holding hearings through­out the country. This was also a learning process for the Commission, ac­cording to those involved. The only output is to be a public final report to parliament and to the government, with the ENDC also devel­oping a system to monitor the imple­menta­tion of the expected recommendations.

The basic design envisages a three-stage process: Events are initially held in all of the 769 districts (woredas), then at the level of the twelve federal states and the two federal cities (Addis Ababa and Dire Dawa), and finally the actual dialogue at the nation­al level. The ENDC is supported in its work by an advisory committee and a secretariat. Experts in constitutional issues attend the events in order to enable the participants to hold an informed discussion.

The hearings at the woreda level followed a standardised pattern. Cooperation part­ners invited a cross-section of the population, around 3,000 people, who exchanged views in rooms of 50 people each. After a briefing, these smaller groups themselves decided who would moderate, report, and who would be nominated for the next level up. The groups were categorised according to 10 demographic and socio-economic criteria, such as being women, young people, displaced persons, teachers, or representatives of the private sector, the public sector, or the subsistence economy (herders and farmers). Commission members accompanied these meetings, which were minuted and recorded for further processing.

In this way, the ENDC said it reached around one hundred thousand people (originally 1.5 million were planned). With the exception of Amhara and Tigray, all federal states were represented. According to the government, 12,294 participants from 679 districts were nominated for the regional conferences so far. These rounds of talks at the local and regional levels are merely intended to collect agenda items and nominate representatives of socio-economic groups for the actual dialogue at the national level. The basic idea is that only topics that cannot be addressed at the district or regional level are brought to the national level. The ENDC also listens to members of the Ethiopian diaspora via video conferences and reviews written submissions.

One challenge for the ENDC is to separate the wheat from the chaff. “Sometimes we don’t even know where to start,” said ENDC Chairman Mesfin Araya in a TV interview. There are “tonnes of agenda items”. No interlocutor was able to name a transparent mechanism for filtering and aggregating the many topics. However, the dialogue should focus on issues of fundamental importance that are controversial. For example, the ENDC identified the 10 most important issues from the regional dialogue in Addis Ababa. These included federalism, the national flag, disputes over land claims, and the constitutional status of Addis Ababa.

Conditions for success not met

The national dialogue currently has little chance of achieving its goals. If one applies the criteria for the success of such formats that comparative research has developed, it becomes clear that Ethiopia does not fulfil most of them.

Support for the initiative by the population and the political elites is central to the success of a national dialogue. To achieve this, the process should be inclusive and transparent, and the Commission should be perceived as impartial. It should also be able to take place in an environment that allows for a reasonably open exchange as well as criticism of the state and government without fear of repression.

The dialogue’s credibility is suffering because influential political forces are not participating. These include the Oromo Liberation Front and the Oromo Federalist Congress as well as the TPLF. Overall, the majority of the often very small opposition parties cooperate with the ENDC in one form or another, but others boycott it. In May 2024, a coalition of 11 opposition parties accused the ENDC of being instrumentalised for “political purposes”.

Many observers have questioned the impartiality of the ENDC and criticised the procedure used for appointing the com­missioners. Although nominations for these positions could be submitted to parliament, the requirement of an academic qualification excluded local and religious leaders, young people, and many women from the outset. The Strategic Initiative for Women in the Horn of Africa, a regional women’s rights organisation, has pointed out this shortcoming.

The Prosperity Party (PP), the ruling party of Prime Minister Abiy, dominates the state at all levels. The formation of the PP in 2019 from three of the four parties (all except the TPLF) of the Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) coalition that had governed Ethiopia since 1991, as well as parties from other federal states, was intended to counteract the fragmentation of the population. The PP is much more centralised than the EPRDF. According to its own figures, the PP is the largest party in Africa, with 14 million members – many members are also said to have dominated the consultations of the national dialogue. The PP holds more than 96 per cent of all seats in parliament. Some leaders of the small opposition groups in parliament also work with the government, not necessarily to the satisfaction of their members.

There is correspondingly great concern among the opposition that the government could use the national dialogue to push through constitutional amendments or co-opt additional members of opposition par­ties. The federal rights of ethnic groups and federal states could be restricted, and a presidential system could replace the current parliamentary system. In view of the prevailing majority, it is obvious that parliament, as the supervisory body of the ENDC, can hardly be considered independent. A representative of a human rights organisation therefore welcomed plans for a presidential system, as this could create more distance between the legislative and executive branches of government.

There is hardly any space for open and free exchanges in the country. Press free­doms are severely restricted and the general public is polarised and susceptible to dis­information campaigns. People with un­popular opinions from the media and politics are sometimes arrested or even killed.

Civil society organisations have been granted more rights since new legislation was passed in 2019, but they still have to deal with considerable restrictions on their work. The federal authority responsible announced in May 2024 that it planned to revoke the licences of almost half of the organisations registered because they did not meet the legal requirements or had not submitted any reports. Human rights or­gani­sations also criticise the restrictions and threats issued by the security forces when travelling abroad.

The ongoing violence in Amhara and parts of Oromia and the consequences of the destruction caused by the war in Tigray are also hampering the possibilities for the national dialogue. The ENDC has called on armed groups such as the Oromo Liberation Army (OLA) and the Fano in Amhara to par­ticipate, if necessary via proxies or through meetings in third countries. However, mak­ing direct contact appears to be difficult. For its part, the OLA has named specific conditions for participating in the process, in particular more political freedoms, peace negotiations, and a more independent commission. Just like other opposition forces, the armed group is concerned that the institutions dominated by the PP are supposed to monitor the dialogue and implement any results. They have long been calling for the formation of a transi­tional government. Abiy rejected this as undemocratic at the closing event of the regional dialogue in Addis Ababa in early June 2024.

Perhaps the greatest shortcoming of the national dialogue, however, is the lack of an accompanying dialogue at the political (elite) level. The government could have initiated a process with the most important representatives of the political-ethnic groups or parties that would have defined the parameters for the consultation pro­cedures of the national dialogue. This could have helped to set clearer objectives for the dialogue, which is also a condition for the success of this type of initiative.

Even if actual problems are addressed at the ENDC events and, from the opposition’s point of view, effective recommendations for solving them make it into the Commission’s final report, the process lacks the legitimacy and authority to ensure their implementation. It is unlikely that the national dialogue will significantly reduce the deficit of trust in the government among large segments of the population and elites. The initiative is also unlikely to create trust within the population, as it is primarily designed for the vertical relationship between the state and social groups, but it does not bring together representatives of different communities at the local level.

However, without an overarching consensus, there is a great risk that the govern­ment will use the national dialogue to circumvent or even isolate the main opposi­tion forces. For example, Abiy is said to be seeking to divide up more federal states, which would weaken the larger ethnic groups. Instead of creating an atmosphere of democratic debate, the dialogue could thus encourage authoritarian consolidation.

Risks and opportunities for peacebuilding

Some Ethiopian interlocutors who were certainly critical of the government pointed out the shortcomings of the national dia­logue described above, but also expressed concern about a possible failure of the pro­cess. This could lead to even more violence in the country. Some were therefore in favour of making the most of the opportunity. Particularly with regard to the goal of peaceful coexistence in the future, it is important to prevent the instrument of dialogue from being severely damaged and social mistrust from increasing further.

The Ethiopia Peace Observatory, an international research platform, points out that the national dialogue could still have constructive effects on some aspects of peacebuilding. As a nationwide consultation process, the national dialogue enables the PP to gather information about local and regional grievances and, on the basis of this knowledge, to increase the levels of trust between members of the PP and the respective administration. This could also put the government in a better position to deal with conflicts on the ground. The situation is similar in smaller regions on the periphery, where things are more peaceful than they have been in a long time. There have been successful peace processes with armed groups, but these are still fragile. In regions such as Benishangul-Gumuz, Afar, and Somali, parallel or se­quen­tial formats of the national dialogue could accompany the reorganisation of political and social relations initiated there. In southern Ethiopia, corresponding addi­tional formats resulting from the ENDC consultations could help the newly formed regions to increase their legitimacy and prevent conflicts.

In Amhara, Oromia, and Tigray, the national dialogue could contribute to con­flict resolution if there were credible peace negotiations (with Fano and the OLA) or if key parts of the Pretoria Agreement for Tigray were implemented. The TPLF and the government have recently committed them­selves to the latter, including the orderly return of hundreds of thousands of inter­nally displaced persons to the areas in western and southern Tigray that were occupied by Amhara forces during the war. The consultations could provide a forum for the ethnic groups in the conflict-affected regions to put forward their ideas on co­existence at the national level. Of course, this can only succeed if the political and armed groups that are involved trust the independence of the ENDC, for example by appointing additional commissioners in a second phase.

Finally, the national dialogue should be closely coordinated with other peacebuilding initiatives. In April 2024, the National Security Council, which Abiy chairs, com­mitted to coordinating the government’s various approaches to conflict resolution. In addition to the national dialogue, these include transitional justice; the demobilisation, disarmament, and reintegration of former combatants; the reconstruction of infrastructure in conflict areas; the strengthening of law enforcement agencies; and the fight against disinformation. In this context, however, the National Security Council also mentioned that it is sometimes necessary to deploy the armed forces “to maintain peace”. One task of the yet-to-be-established institutions of transitional justice would be to analyse the different historical interpretations and perspectives that have probably already come to light in the course of the ENDC consultations.

The demobilisation of combatants, the disbanding of militias, and accounting for past violations of fundamental rights require a basic level of trust in state insti­tutions. All of these measures should be embedded in an integrated peace architecture that also includes dialogue formats at the local and regional levels. Those who repeatedly raise the expectations of victims through consultations, initiatives, and announcements also increase the pressure to actually bring about improvements in concrete living conditions. Peacebuilding for the sake of appearances, on the other hand, is likely to further fuel anger, frustra­tion, and disappointment among the popu­lation.

Ultimately, all peacebuilding instruments face similar challenges to those of the national dialogue. The government – whose actions significantly (if not solely) promote conflicts, sow mistrust, and endan­ger the civilian population – cannot guar­antee the independence and effectiveness of these projects. These are entry points for international actors.

Implications for international players

International actors are already providing significant support for the national dialogue process. The UN Development Programme (UNDP) is coordinating the financial and technical assistance as part of a larger peacebuilding programme. The European Union and several member states, including Germany, as well as Norway are financing the ENDC’s work via UNDP with 7 million euros. In addition, technical expertise and training, which began several years before the ENDC was established, is being provided by the Berghof Foundation on behalf of the German Federal Foreign Office and other international partners.

The international players are endeavouring to perform a difficult balancing act. On the one hand, they want to use the national dialogue to strengthen an instrument of peacebuilding in a context where conflicts are often dealt with using violence and repression. On the other hand, external support lends the process additional legiti­macy, as confirmed by Ethiopian interlocutors. The international partners should be aware that they also assume a certain responsibility for the effectiveness of the national dialogue.

Persuading Ethiopia’s government to take a constructive stance on the national dia­logue and other mechanisms for reconciliation and conflict resolution requires an ex­tremely sensitive and considered approach. Germany should work with the Ethiopian government to advance peace negotiations in Amhara and Oromia. Such efforts on the part of Addis Ababa as well as progress in the implementation of the Pretoria Agree­ment in Tigray should be prerequisites of further international support for the na­tion­al dialogue in these regions. In any case, funds for the dialogue and peacebuilding as a whole should not flow directly to the government, but should be channelled in a targeted and transparent manner to the relevant institutions, such as the ENDC and their activities.

Ethiopia’s international partners should monitor the continued implementation of the national dialogue closely. With regard to their stance on the process, they should maintain a continuous dialogue with op­position and human rights representatives who take a differentiated view of the pro­cess. Some observers are already calling for the dialogue process to be paused so that it can be reformed and supplemented by a dialogue with the elites. Experiences with other countries such as Sudan and Yemen show that inordinate external support for a flawed national dialogue can legitimise authoritarian conflict management. The international promoters and facilitators of the national dialogue should be careful to make a clear distinction between the pro­cess and possible outcomes. They should not allow themselves to be used by the Ethiopian leadership for projects that do not improve the living conditions of the population but merely serve to enhance the government’s image.

Die engen Grenzen von Äthiopiens nationalem Dialog

Äthiopien befindet sich seit Längerem in einer Umbruchphase, die von massiver Gewalt gekennzeichnet ist. Die Beziehungen zwischen den größten Volksgruppen sind in Bewegung ebenso wie deren Verhältnis zur Regierung. Dem Staat mangelt es in zentralen Regionen des Landes an Legitimität, sein Gewaltmonopol ist umstritten und er verfügt kaum über finanzielle Ressourcen, um die Bevölkerung flächendeckend zu versorgen. Der nationale Dialog soll dazu dienen, den Wandel Äthiopiens zu beglei­ten und den Rückhalt des Staates unter der Bevölkerung zu erhöhen. Allerdings sind die Voraussetzungen für eine vertrauensbildende Aussprache nicht vorhanden an­gesichts bewaffneter Aufstände in den beiden bevölkerungsreichsten Bundesstaaten Amhara und Oromia, einer stark begrenzten Medien- und Meinungsfreiheit sowie der Dominanz der Regierungspartei in Parlament und Gesellschaft. Ein zusätzlicher strukturierter Dialog auf der Ebene der wichtigsten politischen Player könnte eine Hauptschwäche des Prozesses abmildern. Internationale Akteure, die wie Deutschland den nationalen Dialog unterstützen, sollten darauf achten, sich nicht für eine autoritäre Konsolidierung einspannen zu lassen.

In seiner derzeitigen Form kann der Prozess kaum zur Bearbeitung der strukturellen Probleme des Landes beitragen.

SWP-Aktuell 2024/A 40, 25.07.2024, doi:10.18449/2024A40

Am 4. Juni 2024 endete in Addis Abeba die erste Veranstaltung jener Phase des natio­nalen Dialogs, die auf der Ebene der Bundes­staaten und eigenständigen Stadtverwaltun­gen stattfindet. Das Ziel des Prozesses ist, die wichtigsten Themen zu identifizieren, die das Land auseinandertreiben, Lösungsansätze zu ermitteln und Repräsentanten für den letzten Teil der Konsultationen auf nationaler Ebene zu bestimmen. Allein an der Veranstaltung in Addis Abeba nahmen mehr als 2.000 Personen teil, die ihrerseits von vorherigen Versammlungen auf lokaler Ebene in der Stadt Addis Abeba delegiert worden waren. Weitere Veranstaltungen in den anderen Bundesstaaten sollen folgen.

Der nationale Dialog ist ein zentrales Projekt der Regierung von Premierminister Abiy Ahmed. Die Regierung hofft, dass der Dialog einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, das Land zu befrieden, die Legitimität des Staats in der Breite der äthiopischen Gesellschaft zu erhöhen und damit auch die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln. Das übergeordnete Ziel ist, die Bevöl­kerung hinter Abiys Vorstellung von nationaler Einheit zu versammeln. Der Dialog kann somit nur in den engen Gren­zen der fortgesetzten Hegemonie der Regie­rung stattfinden.

Staat und Gesellschaft unter Stress

Abiy ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, Äthiopien zu einen. Vielmehr sind sein Regierungsstil, die Art der Auf­standsbekämpfung und verzögerte wirt­schaftliche Reformen mitverantwortlich für Konflikte, Gewalt und existenzielle Not in Teilen des Landes. Die Krise des äthiopischen Staats, die Abiy ins Amt gebracht hat, ist durch einige seiner Handlungen weiter verschärft worden.

Entgegen Abiys panäthiopischer Rhetorik prägt die Orientierung an den Volksgruppen, an deren Spitze ethnisch-nationalistische Politikunternehmer stehen, weiterhin das Land. Der in der Verfassung von 1995 ver­ankerte ethnische Föderalismus spielt für den Zugang zum Staat weiterhin eine wich­tige Rolle. Ein neues nationales Narrativ konnte sich bislang nicht durchsetzen. Vielmehr prägen Polarisierung und Null­summen-Mentalität die Politik, wie selbst Äthiopiens nationaler Sicherheitsrat be­merkt. Eine größere Rolle einer Volks­gruppe wird von anderen als Minderung des eigenen Einflusses gesehen. Dies zeigt sich vor allem beim Aufstieg von Angehörigen der Oromos in der Politik nach Abiys Amtsantritt, den traditionelle Eliten aus Amhara und Tigray kritisch sehen.

Doch Abiys Regierungsstil basiert weniger auf der Hegemonie einer ethnischen Gruppe (auch wenn ihm einige die Bevorteilung von Oromos in Regierung und Staatsunternehmen vorwerfen), sondern auf wechselnden Partnerschaften, entsprechend seinem Verständnis von pragmatischer Macht­politik. In einem Kontext, der von Nullsummen-Mentalität und mangelnder natio­naler Identität geprägt ist, führt Abiys trans­aktionale Politik jedoch zur Entfremdung von einstigen Unterstützern, insbesondere in Amhara und Oromia. Sie befördert auch den Konflikt innerhalb ethnischer Gruppen zwischen denen, die mit der Regierung ko­operieren, und solchen, die sich enttäuscht abwenden. Abiy selbst warf Anfang Juli der Opposition Putschpläne vor.

Sowohl Regierung als auch Teile der Oppo­sition sehen Gewalt als legitimes Mittel der Konfliktaustragung an. Ausdruck dieser Haltung sind und waren nicht nur der Krieg im Norden des Landes zwischen 2020 und 2022, sondern auch die Auf­stände in Oromia und Amhara. Zwar hat die Regierung erkannt, dass sie auch auf Verhandlungen mit den bewaffneten Gruppen setzen muss; sie will dies aber stets aus einer Position der militärischen Stärke heraus tun. So wurde das Pretoria-Abkom­men mit der Tigray People’s Libera­tion Front (TPLF) im November 2022 unter­zeichnet, als die Armee bereits kurz vor Tigrays Hauptstadt Mekelle stand.

Gleichzeitig befeuert die Art und Weise, wie die Regierung Aufstände bekämpft, Kon­flikte eher noch. Im Krieg gegen die TPLF kämpfte die Regierung im Verbund mit para­militärischen Kräften und irregulären Fano-Einheiten aus Amhara. Als diese Regio­nalmilizen Amharas nach dem Pretoria-Abkommen demobilisiert und entwaffnet werden sollten, weigerten sich viele der Einheiten, weil sie ihre Interessen durch die Vereinbarung verraten sahen. Die Fano-Rebellen konnten einen erheblichen Zulauf von diesen gut ausgebildeten paramilitäri­schen Kämpfern verzeichnen, der es ihnen erlaub­te, gegen die Regierungsarmee zu be­ste­hen. Seither kontrollieren die Aufständischen weite Teile der ländlichen Gebiete und dringen ab und zu in Städte wie die amharische Regionalhauptstadt Bahir Dar oder die UNESCO-Welterbestätte Lalibela vor.

Die Regierungseinheiten sind eine erheb­liche Gefahr für die Zivilbevölkerung in die­sen Konfliktgebieten. Das UN-Hochkommis­sariat für Menschenrechte macht sie für 70 Prozent der im Jahr 2023 dokumentier­ten Menschenrechtsverletzungen in Äthio­pien verantwortlich. Die äthiopische Men­schenrechtskommission kritisiert extralegale Tötungen durch staatliche Sicherheitskräfte und massenhafte willkürliche Verhaftun­gen in Amhara, Oromia und Addis Abeba. Außerdem ist der Einsatz von Drohnen, bei dem teilweise hohe Zahlen an zivilen Opfern zu verzeichnen sind, in der Kritik. Berichte sprechen davon, dass die Armee immer wieder willkürlich Zivilisten tötet, wenn sie der Fano-Rebellen in Amhara nicht habhaft werden kann. All dies schürt weitere Gegen­wehr der betroffenen Bevölkerung.

Die Regierung investiert zwar in Prestige­projekte in Addis Abeba, lässt aber weite Teile der Bevölkerung zurück. Mehr als 21 Millionen Menschen in Äthiopien sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. In eini­gen Teilen des Landes herrscht eine akute Nahrungsmittelunsicherheit als Folge von Dürre, Konflik­ten und schlechten makroökonomischen Bedingungen. Die Inflation ist zwar seit letztem Jahr gesunken, bewegt sich aber gerade für Nahrungsmittel mit 22,7 Prozent weiter auf einem hohen Niveau (19,9 % insgesamt). Getrieben von steigenden Prei­sen, hoher Arbeitslosigkeit und Einschränkungen der Bewegungs­freiheit breitet sich kriminelle Gewalt aus. Aus einigen Kon­flikt­gebieten haben sich staatliche Institu­tionen zurück­gezogen. In der Umgebung von Addis Abeba ist es so gefährlich, Opfer von Entführungen zu werden, dass viele es nicht mehr wagen, die Hauptstadt auf dem Landweg zu verlassen.

Wirtschaftliche Entlastung könnte eine Vereinbarung mit dem IWF und der Welt­bank bringen, die sowohl eine direkte Unterstützung als auch einen Schulden­erlass von Gebern beinhalten würde. Doch trotz jahrelanger Verhandlungen konnten die Regierung und die internationalen Organisationen sich bisher nicht auf das geplante Unterstützungspaket von 10,5 Mil­liarden Dollar einigen. Die Anpassung des Wechselkurses ist das wichtigste Streit­thema. Die Regierung ist besorgt, dass eine zu schnelle Liberalisierung des Wechselkurses die Inflation anheizen könnte. Der Mangel an Devisen schwächt die heimischen Produktionskapazitäten. Gleichzeitig profitieren primär staatliche Importeure von dem parallelen Wechselkursregime.

Sehr hohe Ambitionen für den nationalen Dialog

Grundsätzlich kann das Format eines natio­nalen Dialogs tiefgreifende politische Ver­änderungsprozesse begleiten und voranbringen. In einem Kontext, der von Gewalt und Repression geprägt ist, kann der Dialog einen Weg aufzeigen, Differenzen auf fried­liche Weise zu verhandeln. Zudem kann er den Prozess einer demokratischen Öffnung be­gleiten, indem er eine breitere Beteiligung der Zivilgesellschaft ermöglicht als reine Elitenverhandlungen. Die Zielsetzung spielt dabei eine wichtige Rolle. Geht es darum, einen Kon­sens zu übergreifenden Fragen zu erzielen oder einen Mechanismus zu schaf­fen, um die tief in Geschichte und Identität verankerten Gegensätze konstruktiv oder zumindest friedlich auszutragen? Die Ein­richtung eines nationalen Dialogs kann einer Gesellschaft dabei helfen, den Rahmen für ihre Konflikte zu finden, ohne diese bereits aufzulösen.

Die ersten Initiativen zur Herbeiführung eines solchen Dialogs nach dem Amtsantritt Abiys im April 2018 deuteten in eine kon­struktive Richtung. Politische Gefangene wurden freigelassen, die Gesetzgebung für Nichtregierungsorganisationen gelockert und Oppositionspolitiker kehrten auf Ein­ladung der Regierung aus dem Exil zurück. In der Zivilgesellschaft gab es Bemühungen, einen inklusiven Dialog zu organisieren. Dazu fanden 2019 und Anfang 2020 infor­melle und vorbereitende Seminare und Workshops statt. Es gab weitere Aktivitäten, die auf die Unterstützung der Regierung trafen. Im Oktober 2020 wurde eine Multi-Stake­holder Initiative for National Dialogue (MIND) gebildet, an der neben der Destiny Ethiopia Initiative, die als Sekretariat fun­gier­te, eine Reihe zivil­gesellschaftlicher Dialog­initiativen, die äthiopische Versöhnungskommission, das Friedensministe­rium als Regierungsvertretung sowie der Joint Coun­cil of Political Parties (d. h. die Oppo­sitionsparteien) teilnahmen.

Anfang November 2020 brach der Krieg in Tigray aus. Der militärische Konflikt ging mit einer erheblichen Polarisierung der Gesellschaft und Beschneidungen des öffent­lichen Raums einher. Dennoch trieb die Regierung das Dialogprojekt weiter voran. Am 29. Dezember 2021 beschloss das House of People’s Representatives, die untere Parlamentskammer, eine Proklamation, die gleichzeitig das Mandat für die Ethiopian National Dialogue Commission (ENDC) dar­stellte. Diese nahm im Februar 2022 ihre Arbeit auf. Ihre Amtszeit währt drei Jahre. Das Mandat sieht drei übergreifende Ziele vor: einen »nationalen Konsens« über die »tiefgreifendsten Themen« des Landes her­zustellen, Vertrauen unter den Bevölkerungsgruppen und zwischen diesen und dem Staat zu schaffen sowie den Weg für eine Kultur des Dialogs zu bereiten. Die Ambition könnte kaum höher sein, sollen doch »interne Probleme, die seit Jahr­hunderten schwelen«, so die Erklärung des Parlaments, durch eine neue Kultur des Dialogs gelöst werden.

Die Regierung betont selbst, welch ein Wandel ein erfolgreicher nationaler Dialog für die Art und Weise bedeuten würde, in der bisher grundlegende politisch-gesell­schaftliche Differenzen bearbeitet wurden. Abiy sprach davon, dass eine Kultur des Dialogs die strenge Trennung von »Siegern und Verlierern«, wie sie bisher in Äthiopien vorgeherrscht habe, auflösen könne. Aller­dings passt das Bild eines Friedensstifters und Versöhners der Nation, das Abiy selbst von sich zeichnet, nicht mit dem Verhalten seiner Regierung zusammen.

Vorgehen der Kommission

Die Nationale Dialogkommission brauchte eine Weile, um sich zu finden, ihre Arbeit zu definieren und Vertrauen bei zen­tralen Stakeholdern aufzubauen. Dazu trat die logistische Herausforderung, Anhörungen im ganzen Land abzuhalten. Dies sei auch ein Lernprozess für die Kommission ge­wesen, heißt es von Seiten Beteiligter. Einziger Out­put soll ein öffentlicher Abschlussbericht sein, wobei die ENDC auch ein System ent­wickeln soll, um die Umsetzung der zu er­wartenden Empfehlungen zu überwachen.

Das grundsätzliche Design sieht ein drei­stufiges Verfahren vor. Zunächst soll es Veranstaltungen in allen der 769 Distrikte (Woreda) geben, dann auf der Ebene der zwölf Bundesstaaten und der beiden Städte, die sich selbst verwalten (Addis Abeba und Dire Dawa), und schließlich den eigentlichen Dialog auf nationaler Ebene. Bei ihrer Arbeit wird die ENDC von einem Beratungs­ausschuss und einem Sekretariat unterstützt. So sollen den Ver­anstaltungen Expert:innen in Verfassungsfragen beiwohnen, um die Teilnehmer:innen in den Stand zu setzen, eine informierte Diskussion zu führen.

Die Anhörungen auf Woreda-Ebene ver­liefen nach einem einheitlichen Muster. Ko­operationspartner luden einen Querschnitt der Bevölkerung ein, rund 3.000 Per­sonen, die sich in Räumen zu je 50 Diskutant:in­nen austauschten. Nach einer Einweisung bestimmten diese kleineren Gruppen selbst, wer moderiert, berichtet und wer für die nächsthöhere Ebene nomi­niert wird. Die Gruppen wurden nach zehn demografischen und sozioökonomischen Kriterien eingeteilt, also beispielsweise nach ihrer Eigenschaft als Frauen, Jugend­liche, Ver­triebene, Lehrer, Vertreter der Privatwirtschaft, des öffentlichen Sektors oder der Subsistenzwirtschaft (Hirten und Bauern). Kommissionsmitglieder begleiteten diese Sitzungen, die protokolliert und aufgezeich­net wurden zwecks weiterer Aufbereitung.

Auf diese Weise erreichte die ENDC nach eigenen Angaben rund hunderttausend Personen (ursprünglich waren 1,5 Millionen geplant). Bis auf Amhara und Tigray waren demnach alle Bundesstaaten vertreten. Aus 679 Distrikten seien laut Regierung 12.294 Teilnehmer:innnen für die regionalen Kon­ferenzen nominiert worden. Diese Ge­sprächs­runden auf lokaler und regio­naler Ebene dienen lediglich dazu, Agendapunkte zu sammeln und Repräsentant:innen der sozioökonomischen Gruppen für den eigent­lichen Dialog auf nationalem Level zu nominieren. Dabei ist es grundsätzlich die Vorstellung der ENDC, dass nur Themen auf die regio­nale oder nationale Stufe gehoben werden, die nicht bereits in dem jeweils darunter­liegenden Format angegangen werden kön­nen. Außerdem hört die ENDC Mitglieder der äthiopischen Diaspora über Video­konferenzen an und wertet schriftliche Ein­gaben aus.

Eine Herausforderung für die ENDC ist, die Spreu vom Weizen zu trennen. »Manch­mal wissen wir gar nicht, wo wir starten sollen«, sagte der ENDC-Vorsitzende Mesfin Araya in einem TV-Interview. Es gebe »tonnenweise Agendapunkte«. Einen trans­parenten Mechanismus, wie die vielen Themen gefiltert und aggregiert werden sollen, konnte kein Gesprächspartner nen­nen. Allerdings soll es um Sachfragen von grundsätzlicher Bedeutung gehen, die um­stritten seien. Aus dem regionalen Dialog in Addis Abeba kondensierte die ENDC bei­spielsweise die wichtigsten zehn Themen. Zu diesen gehörten unter anderem der Föderalismus, die nationale Flagge, Streitig­keiten um Land­ansprüche sowie der verfas­sungsrechtliche Status von Addis Abeba.

Erfolgsbedingungen nicht erfüllt

Der nationale Dialog hat derzeit geringe Chancen, seine Ziele zu erreichen. Wenn man die Kriterien für den Erfolg solcher Formate anlegt, die die vergleichende Forschung erarbeitet hat, wird deutlich, dass Äthiopien die meisten nicht erfüllt.

Zentral für das Gelingen eines natio­nalen Dialogs ist die Unterstützung der Initia­tive durch die Bevölkerung und die politi­schen Eliten. Dafür sollte der Prozess in­klusiv und transparent sein und die Kom­mission als unparteiisch wahr­genommen werden. Außerdem sollte er in einem Um­feld stattfinden können, das einen einiger­maßen offenen Aus­tausch und auch Kritik an Staat und Regierung erlaubt, ohne Angst vor Repression haben zu müssen.

Die Glaubwürdigkeit des Dialogs in Äthio­pien leidet darunter, dass einflussreiche politische Kräfte nicht an ihm teilnehmen. Dazu zählen die Oromo Liberation Front (OLF) und der Oromo Federalist Congress (OFC) sowie die TPLF. Insgesamt kooperiert zwar die Mehrheit der oft sehr kleinen Oppositionsparteien in der einen oder anderen Form mit der ENDC, aber andere boykottieren sie. Eine Koalition von elf Oppositionsparteien warf der ENDC im Mai 2024 vor, für »politische Zwecke« in­strumen­talisiert zu werden.

Viele Beobachter:innen haben die Unparteilichkeit der ENDC in Frage gestellt und das Prozedere bei der Ernennung der Kommissar:innen kritisiert. Zwar konnten für diese Posten Vorschläge beim Parlament ein­gereicht werden, aber die Bedin­gung einer akademischen Qualifikation schloss von vornherein lokale und religiöse Füh­rungspersönlichkeiten, junge Menschen und viele Frauen aus. Auf dieses Manko hat beispielsweise die Strategic Initiative for Women in the Horn of Africa, eine regio­nale Frauenrechtsorganisation, hingewiesen.

Die Prosperity Party (PP), die Regierungspartei von Premierminister Abiy, dominiert den Staat auf allen Ebenen. Bereits die Grün­dung der PP 2019 aus drei der vier Parteien (alle außer der TPLF) der EPRDF-Koalition, die Äthiopien seit 1991 regiert hatte, sowie aus Parteien aus anderen Bundesstaaten sollte der Fragmentierung der Bevölkerung entgegenwirken. Die PP ist deutlich zentra­listischer als die EPRDF aufgestellt. Nach eigenen Angaben ist die PP mit 14 Millionen Mitgliedern die größte Partei Afrikas – viele Mitglieder sol­len auch die Konsul­tationen des natio­nalen Dialogs dominiert haben. Die PP stellt mehr als 96 Prozent aller Sitze im Parlament. Einige der Führer der winzigen Oppositions­fraktionen im Parlament arbeiten noch dazu mit der Regierung zusammen, nicht unbedingt zur Zufriedenheit ihrer Mitglieder.

Entsprechend groß ist die Sorge in der Opposition, dass die Regierung den natio­nalen Dialog dazu nutzen könnte, Verfassungsänderungen durchzudrücken oder weitere moderate Flügel von Oppositionsparteien zu kooptieren. Die föderalen Rechte der ethnischen Gruppen und Bundesstaaten könnten eingeschränkt werden und ein Präsidialsystem das derzeitige parlamen­tarische System ablösen. Angesichts der Mehr­heitsverhältnisse ist augenfällig, dass das Parlament als Aufsichtsorgan der ENDC kaum als unabhängig gelten kann. Ein Ver­treter einer Menschenrechtsorganisation begrüßte daher Pläne für ein Präsidial­system, da dieses eine größere Distanz zwischen gesetz­gebender und ausführender Gewalt schaf­fen könne.

Ein Klima für offenen, freien Austausch besteht im Land kaum. Die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt, die Medienöffentlichkeit polarisiert und anfällig für Desinforma­tionskampagnen. Personen mit unliebsamen Meinungen aus Medien und Politik werden entweder ver­haftet oder sogar getötet.

Zivilgesellschaftliche Organisationen haben seit einer Gesetzesänderung von 2019 zwar mehr Rechte, müssen aber wei­terhin mit erheblichen Einschränkungen ihrer Arbeit umgehen. Die für sie zuständige Bundesbehörde gab im Mai 2024 bekannt, dass sie plane, fast der Hälfte der bisher regis­trierten Organisationen die Lizenz zu entziehen, weil sie die gesetzlichen Anforde­rungen nicht erfüllten oder keine Berichte eingereicht hätten. Menschenrechtsorganisationen kritisieren Einschränkungen und Drohungen der Sicherheitskräfte auch bei Auslandsreisen.

Die anhaltende Gewalt in Amhara und Teilen Oromias und die Folgen der Zer­störungen des Kriegs in Tigray beeinträch­tigen die Möglichkeiten des nationalen Dia­logs ebenfalls. Die ENDC hat zwar bewaffnete Gruppen wie die Oromo Liberation Army (OLA) und die Fano in Amhara dazu aufgerufen, sich zu beteiligen, wenn nötig auch über Proxies oder durch Treffen in Drittstaaten. Direkter Kontakt scheint aber schwierig zu sein. Die OLA nannte ihrer­seits konkrete Bedingungen, um an dem Prozess teilzunehmen, insbesondere mehr politische Freiheiten, Friedensverhandlungen und eine unabhängigere Kommission. Genauso wie andere Oppositionskräfte stört sich die bewaffnete Gruppe daran, dass die von der PP dominierten Institutionen den Dialog über­wachen und eventuelle Ergeb­nisse umsetzen sollen. Sie fordern seit langem die Bildung einer Übergangsregierung. Abiy lehnte dies bei der Abschlussveranstaltung des regionalen Dialogs in Addis Abeba Anfang Juni 2024 als undemo­kratisch ab.

Vielleicht der größte Mangel des natio­nalen Dialogs ist jedoch ein fehlender be­gleitender Dialog auf politischer (Eliten)­Ebene. Die Regierung hätte mit den wich­tigsten Vertreter:innen der politisch-ethni­schen Gruppen bzw. Parteien einen Prozess initiieren können, der die Parameter für die Konsultationsverfahren des nationalen Dialogs festgelegt hätte. Das hätte dazu bei­tragen können, dass für den Dialog klarere Ziele festgelegt werden, was eben­falls eine Erfolgsbedingung für diese Art von Initiati­ven ist.

Selbst wenn bei den Veranstaltungen der ENDC tatsächliche Probleme angesprochen werden und es aus Sicht der Opposition effektive Empfehlungen zu ihrer Lösung in den Abschlussbericht der Kommission schaf­fen sollten, fehlt dem Prozess die Legitimität und Autorität, für ihre Umsetzung zu sor­gen. Es ist unwahrscheinlich, dass der nationale Dialog das Vertrauens­defizit von weiten Teilen der Bevölkerung und Eliten in die Regierung signifikant ver­ringern wird. Auch innerhalb der Bevölkerung kann die Initiative wenig Vertrauen schaffen, da er primär auf das vertikale Verhältnis zwischen Staat und sozialen Gruppen aus­gelegt ist, aber auf der lokalen Ebene Vertreter:innen unterschiedlicher Communities gar nicht zusammenbringt.

Ohne einen übergreifenden Konsens besteht jedoch ein großes Risiko, dass die Regierung den nationalen Dialog nutzen wird, um die wichtigsten oppositionellen Kräfte zu umgehen oder gar zu isolieren. Abiy soll beispielsweise die Aufsplitterung weiterer Bundesstaaten anstreben, was die größeren Volksgruppen schwächen würde. Statt einer Atmosphäre der demokratischen Auseinandersetzung könnte der Dialog auf diese Weise der auto­ritären Konsolidierung Vorschub leisten.

Risiken und Chancen für Friedensförderung

Einige, durchaus regierungskritische äthio­pische Gesprächspartner verwiesen ihrer­seits auf die beschriebenen Unzulänglichkeiten des nationalen Dialogs, äußerten sich aber auch besorgt über ein mögliches Schei­tern des Prozesses. Dieses könne erst recht zu mehr Gewalt im Land führen. Einige sprachen sich daher dafür aus, das Beste aus der Gelegenheit zu machen. Gerade im Hinblick auf das Ziel eines zu­künftig fried­lichen Zusammenlebens gilt es, zu verhin­dern, dass das Instrument des Dia­logs insgesamt Schaden nimmt und das gesell­schaft­liche Misstrauen sich weiter erhöht.

Das Ethiopia Peace Observatory, eine internationale Forschungsplattform, weist darauf hin, dass der nationale Dialog für einige Aspekte von Friedensförderung noch konstruktive Effekte erzielen könnte. Als landesweiter Konsultationsprozess er­mög­licht es der nationale Dialog der PP, Infor­mationen über lokale und regionale Miss­stände zu sammeln und auf der Basis dieser Kenntnisse das Vertrauen zwischen Mit­gliedern der PP sowie zur jewei­ligen Ver­wal­tung zu verbessern. Damit könnte die Regierung auch eher in die Lage versetzt werden, Kon­flikte vor Ort zu bear­beiten. Ähnlich verhält es sich in kleineren Regio­nen in der Peripherie, in denen es so fried­lich wie lange nicht mehr ist. Dort hat es erfolgreiche Frie­densprozesse mit bewaffneten Gruppen gegeben, die aber noch fragil sind. In Regionen wie Benishangul-Gumuz, Afar und Somali könnten parallele oder sequentielle Formate des nationalen Dia­logs die dort eingeleitete Neugestaltung der politisch-gesell­schaftlichen Beziehungen begleiten. Im Süden Äthiopiens könnten entsprechende zusätzliche Formate, die sich aus den Konsultationen der ENDC ergeben, den in den letzten Jahren neu gebildeten Regionen helfen, ihre Legitimität zu er­höhen und Konflikten vorzubeugen.

In Amhara, Oromia und Tigray könnte der nationale Dialog dann einen Beitrag zur Konfliktbeilegung leisten, wenn es glaub­würdige Friedens­verhandlungen (mit Fano und der OLA) gäbe bzw. zentrale Teile des Pretoria-Abkommens für Tigray umgesetzt würden. Zumindest Letzteres haben sich TPLF und Regierung zuletzt vorgenommen, einschließlich der geregelten Rückkehr Hun­derttausender Binnenvertriebener in die Gebiete im Westen und Süden Tigrays, die von amharischen Einheiten während des Krieges besetzt wurden. Die Konsulta­tionen könnten für die Volksgruppen der von Konflikten betroffenen Regionen ein Forum bieten, um ihre Vorstellungen von dem Zusammenleben auf nationaler Ebene einzubringen. Freilich kann dies nur gelin­gen, wenn die beteiligten politischen und bewaffneten Gruppen der Unabhängigkeit der ENDC vertrauen, beispielsweise durch die Ernennung weiterer Kommissar:innen in einer zweiten Phase.

Schließlich sollte der nationale Dialog eng mit anderen Initiativen zur Friedensförderung koordiniert werden. Der Natio­nale Sicherheitsrat, dem Abiy vorsitzt, be­kannte sich im April 2024 dazu, die ver­schiedenen Ansätze der Regierung zur Konfliktbearbeitung miteinander ab­zustim­men. Neben dem nationalen Dialog sind dies die Aufarbeitung von vergangenem Unrecht (Transitional Justice), die Demobilisierung, Entwaffnung und Reinte­gration (DDR) von ehemaligen Kombattant:innen, der Wiederaufbau von Infrastruktur in den Konfliktgebieten, die Stärkung der Straf­verfolgungsbehörden und die Bekämpfung von Desinformation. Der nationale Sicher­heitsrat erwähnte in diesem Zusammenhang aber auch, dass es manchmal not­wendig sei, die Streitkräfte »zur Wahrung des Friedens« einzusetzen. Eine Aufgabe der noch zu gründenden Institutionen der Auf­arbeitung wäre es, die unterschiedlichen historischen Deutungen und Perspektiven zu untersuchen, die wahrscheinlich bereits im Zuge der ENDC-Konsultationen zutage getreten sind.

Die Demobilisierung von Kämpfern, die Auflösung von Milizen und die Aufarbeitung des begangenen Unrechts erfordern ein Grundmaß an Vertrauen in staatliche Institutionen. All diese Maßnahmen sollten in eine integrierte Friedensarchitektur ein­gebettet werden, die auch Dialogformate auf lokaler und regionaler Ebene einschließt. Wer durch Konsultationen, Initiativen und Ankündigungen wiederholt Erwartungen bei Opfern weckt, erhöht auch den Druck, tatsächlich Verbesserungen bei den kon­kreten Lebensbedingungen herbeizuführen. Peacebuilding nur zum Schein dürfte hin­gegen den Ärger, die Frustration und Ent­täuschung in der Bevölkerung weiter schüren.

Letztlich stehen alle Instrumente der Friedensförderung vor ähnlichen Herausforderungen wie der nationale Dialog. Die Regierung, deren Vorgehen selbst maß­geblich (wenn auch nicht allein) Konflikte be­fördert, Misstrauen säht und die Zivil­bevöl­kerung gefährdet, kann die Unabhängigkeit und Effektivität dieser Vorhaben nicht garantieren. Hier gibt es Ansatz­punkte für internationale Akteure.

Implikationen für internationale Akteure

Internationale Akteure unterstützen den nationalen Dialogprozess bereits signifikant. Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) koordiniert die finanzielle und technische Hilfe als Teil eines größeren Programms zur Friedensförderung. Die EU und mehrere Mit­gliedstaaten, einschließlich Deutschlands, sowie Norwegen finanzieren die Arbeit der ENDC über UNDP mit sieben Millionen Euro. Hinzu kommen technische Expertise und Trai­nings durch die Berghof-Stiftung im Auftrag des Auswärtigen Amts und weiterer inter­nationaler Partner, die bereits mehrere Jahre vor Einrichtung der ENDC begannen.

Die internationalen Akteure bemühen sich um einen schwierigen Balanceakt. Einerseits wollen sie mit dem nationalen Dialog ein Instrument der Friedensförderung in einem Kontext stärken, in dem auf Konflikte oft mit Gewalt und Repression reagiert wird. Andererseits verleiht die ex­terne Unterstützung dem Prozess zusätz­liche Legitimität, wie äthiopische Gesprächs­partner bestätigten. Die internationalen Partner sollten sich bewusst sein, dass sie damit auch eine gewisse Verantwortung für die Effektivität des nationalen Dialogs über­nehmen.

Äthiopiens Regierung zu einem konstruk­tiven Umgang mit dem nationalen Dialog und den anderen Mechanismen der Aus­söhnung und Konfliktbearbeitung zu be­wegen, erfordert eine äußerst sensible und überlegte Herangehensweise. Deutschland sollte sich bei der äthiopischen Regie­rung dafür einsetzen, Friedensverhandlungen in Amhara und Oromia voranzutreiben. Solche Bemühungen von Seiten Addis Abebas wie auch Fortschritte bei der Um­setzung des Pretoria-Abkom­mens in Tigray sollten die Voraussetzung für eine weitere internationale Unterstützung des nationalen Dialogs in diesen Regionen sein. In jedem Fall soll­ten Mittel für den Dialog und zur Friedens­förde­rung insgesamt nicht direkt an die Regierung fließen, sondern gezielt und nachvollziehbar den entsprechenden In­stitutionen wie der ENDC und deren Akti­vitäten zukommen.

Äthiopiens internationale Partner sollten den weiteren Verlauf des nationalen Dia­logs genau verfolgen. Im Hinblick auf ihre Haltung zu dem Prozess sollten sie einen engen Aus­tausch mit Oppositions- und Menschenrechtsvertreter:innen pflegen, die differen­ziert auf den Vorgang schauen. Einige Beobachter fordern bereits, den Dia­log­prozess zu pausieren, um ihn zu refor­mieren und um einen Eliten­dialog zu er­gänzen. Die Erfahrung mit anderen Län­dern wie Sudan und Jemen zeigt, dass eine übermäßige externe Unterstützung für einen fehlerhaften nationalen Dialog auto­ritäre Konfliktbearbeitung legitimieren kann. Die internationalen Förderer und Begleiter des nationalen Dialogs sollten darauf achten, zwischen dem Prozess und möglichen dar­aus folgenden Ergebnissen klar zu unter­scheiden. Sie sollten sich von der äthiopischen Führung nicht für Pro­jekte ein­spannen lassen, die keine Ver­besserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung bringen, sondern lediglich der Imagepflege der Regierung dienen sollen.

Bürgerkrieg im Sudan: Deutschland kann mehr tun, um eine der größten Krisen unserer Zeit abzumildern

In: Tagesspiegel, 15.4.2024

Der Krieg in Sudan gefährdet auch europäische Sicherheitsinteressen. Deutschland sollte bei der humanitären Geberkonferenz Mitte April die Arbeit von Freiwilligen ins Zentrum rücken.

Seit Beginn des Krieges am 15. April 2023 erreichen die Entwicklungen in Sudan immer neue traurige Rekorde: Es handelt sich bereits um die größte Vertreibungskrise der Welt. Doch Sudan könnte Ort der größten Hungerkrise werden.

Über 220.000 Kinder könnten in den nächsten Monaten an Unterernährung sterben. Und das Risiko für weitere Massenverbrechen steigt.

In Sudan kämpfen die regulären Streitkräfte (Sudanese Armed Forces, SAF) gegen die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) um die Vorherrschaft im Staat. Die Armee arbeitet mit bewaffneten Gruppen aus Darfur, neu aufgestellten Freiwilligenverbänden und islamistischen Milizen zusammen. Die RSF haben ebenfalls massiv rekrutiert und kooperieren mit vorwiegend arabischen Milizen sowie abtrünnigen Armee-Angehörigen.

Der Krieg betrifft auch europäische Sicherheitsinteressen. Iran und Russland drängen die sudanesischen Behörden dazu, Militärbasen am Roten Meer einzurichten, einer der wichtigsten Versorgungsrouten zwischen Europa und Asien. Der US-Nachrichtendienstkoordinator warnte kürzlich davor, dass sich wie bereits Anfang der 1990er Jahre islamistische Terroristen und kriminelle Netzwerke in Sudan ausbreiten könnten. Der Krieg könnte sich darüber hinaus weiter destabilisierend auf Tschad und Südsudan auswirken. Menschen aus beiden Ländern verdingen sich bereits bei den Konfliktparteien.

Die internationale Aufmerksamkeit ist gering und wird dem Ausmaß dieser Eskalation nicht gerecht. Angesichts der Komplexität der Herausforderungen ist es auch leicht, sich frustriert, überfordert und gelähmt zu fühlen. Bisher sind alle Bemühungen für einen Waffenstillstand gescheitert.

Die Afrikanische Union, die Arabische Liga, die USA, Saudi-Arabien, Ägypten und IGAD, die Regionalorganisation am Horn von Afrika, kämpfen um ihre eigene Sichtbarkeit. Die Gespaltenheit und Schwerfälligkeit dieser Akteure erleichtert es den Konfliktparteien, deren Vermittlungsbemühungen gegeneinander auszuspielen.

Deutschland, Frankreich und die EU hoffen nun auf neuen Schwung durch eine humanitäre Geberkonferenz für Sudan, die sie am 15. April in Paris ausrichten. Das Hauptziel ist, mehr Mittel für die humanitäre Hilfe zu mobilisieren. Bisher ist der entsprechende Aufruf der Vereinten Nationen für 2024 zu weniger als sechs Prozent finanziert. Es werden noch knapp drei Milliarden US-Dollar benötigt.

Internationales Engagement sollte jedoch nicht bei humanitärer Hilfe stehen bleiben. Eine Gesamtstrategie für Frieden, die alle relevanten internationalen und sudanesischen Akteure berücksichtigt, ist nicht in Sicht. Zu tief sitzt das Misstrauen, zu stark ist das Geltungsbedürfnis der Konfliktparteien und ihrer Unterstützer.

Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung keine eigene Vermittlungsinitiative starten will. Deutschland kann den Konflikt in Sudan nicht allein beenden oder die dysfunktionale Landschaft von Vermittlungsakteuren kurzfristig verändern, auch wenn Bemühungen um mehr Koordination wichtig sind. Deutschland kann allerdings dazu beitragen, Bedingungen zu schaffen, die eine Beendigung des Kriegs ermöglichen. Gleichzeitig kann es temporäre und lokal begrenzte Ansätze fördern, um die Auswirkungen der Gewalt zu lindern oder eine weitere Eskalation zu vermeiden. Deutschland sollte auch eine stärkere Führungsrolle in der EU einnehmen, wie es auch von unseren europäischen Nachbarn erwartet wird.

Die Unterstützung ziviler Akteure aus Sudan sollte an erster Stelle stehen. Die sudanesische Zivilgesellschaft ist breit und vielfältig. Internationale Akteure sollten das politische Engagement von Parteien, Frauenorganisationen, Gewerkschaften, Jugend- und Menschenrechtsorganisationen finanziell und mit internationaler Expertise unterstützen. Geber sollten sich nicht nur auf einen Ansprechpartner wie den ehemaligen Premierminister Abdalla Hamdok und die von ihm geführte Koalition „Tagadum“ beschränken. In Kampala, Nairobi, Kairo und Addis Abeba finden in dichter Folge Workshops, Seminare und Konferenzen statt, die helfen können, eine neue politische Ordnung in Sudan vorzubereiten.

Internationale Geber wie Deutschland sollten in der humanitären Hilfe stärker mit Freiwilligennetzwerken in Sudan zusammenarbeiten. Diese operieren auch in den umkämpften Gebieten, organisieren Gemeinschaftsküchen und medizinische Versorgung. Letztes Jahr erreichten sie damit mehr als vier Millionen Menschen, und das mit einem Bruchteil der Mittel, die internationalen Organisationen zur Verfügung stehen. Seit Beginn des Konflikts erhielten sie gerade einmal rund zwei Millionen US-Dollar. Geber sollten innovative Wege finden, diese informellen „Emergency Response Rooms“ zu unterstützen, beispielsweise über einen dafür bestimmten Fonds.  

Die Ministerinnen und Minister, die sich in Paris treffen, sollten auch Druck auf die Konfliktparteien selbst ausüben. Im Fokus sollten Maßnahmen stehen, welche der Zivilbevölkerung helfen, sich selbst zu schützen. Die sudanesischen Behörden sollten den Zugang zu Telekommunikationsdienstleistungen wiederherstellen – er wurde Anfang Februar weitgehend eingestellt. Die Konfliktparteien müssten dazu bewegt werden, Verbote und Repressionen gegen die freiwilligen humanitären Helfer zurückzufahren, alle Grenzübergänge für internationale Konvois zu öffnen und aufzuhören, Warenlager von Hilfsgütern zu plündern.

Der internationalen Druck sollte auch darauf abzielen, weitere Massaker zu verhindern. Derzeit ist das Risiko für weitere Massenverbrechen am größten in und um Al-Faschir. Die Stadt ist Hauptstadt des Bundesstaats Nord-Darfur und letzte Bastion der SAF im Westen Sudans. Internationale Vermittler dort könnten sudanesische Bemühungen unterstützen, um die Situation zu entspannen. In der Umgebung leben rund eine halbe Million Binnenvertriebene. Sollte die RSF die Stadt vollständig einnehmen, könnte es zu massiven ethnisch motivierten Angriffen zwischen den arabischen Mitgliedern der RSF und dortigen bewaffneten Gruppen und Einwohnern von Al-Faschir kommen, die hauptsächlich der Gruppe der Zaghawa angehören.

Schließlich sollten Deutschland, Frankreich und die EU sich um größeren Druck auf diejenigen externen Akteure bemühen, die den Krieg durch Waffen und Finanztransaktionen anheizen. Besonders die Vereinigten Arabischen Emirate auf der einen (RSF) sowie Iran und Ägypten auf deren anderen Seite (SAF) sind hier zu nennen. Deutschland hat allerdings auch allen Grund, eigenes Handeln zu hinterfragen: Der Bundessicherheitsrat darf nicht zustimmen, dass sechs Airbus-A400m-Transportflugzeuge an die VAE geliefert werden. Die Pläne dazu wurden letztes Jahr bekannt. Die VAE haben in den vergangenen Jahren auch in Libyen und Äthiopien maßgeblich mit Waffenlieferungen eingegriffen.

Ein schnelles Ende der Gewalt in Sudan ist leider nicht in Sicht. Umso mehr sollte sich Deutschland bemühen, alle Ansatzpunkte und Kanäle zu nutzen, um die Friedensbemühungen der sudanesischen Zivilgesellschaft zu stärken.

Stabilisierung: Mit feministischer Außen­politik pragmatische Konfliktbearbeitung in fragilen Kontexten neu denken

Erschienen in: Claudia Zilla (Hg.): Feministische Außen- und Entwicklungspolitik konkret. Anforderungen und Potenziale, SWP-Studie 2024/S 07, 28.02.2024, doi:10.18449/2024S07

Stabilisierung in fragilen Kontexten stellt eine beson­dere Herausforderung für eine feministische Außen­politik (FAP) dar. Erklärtes Ziel von Stabilisierung ist es, auch in den schwierigsten Gemengelagen von Gewaltkonflikten und terroristischer Bedrohung kon­struktive Beiträge zur Konfliktbearbeitung zu leisten. Dies bedeutet oft, mit und in den bestehenden loka­len Machtstrukturen zu arbeiten, um kurzfristig und pragmatisch Verbesserungen der Sicherheitslage zu erreichen.1 Demgegenüber gehört es zum Wesenskern feministischer Ansätze in der Außen- und Ent­wicklungspolitik, patriarchale, neokoloniale und andere Machtstrukturen kritisch zu beleuchten und eine Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse anzustreben.

Die feministische Kritik an internationaler Stabilisierungsarbeit problematisiert verschiedene Aspekte. Vor dem Hintergrund eines postkolonialen Verständnisses geht es um die Motive derjenigen externen Akteur:innen, die sich um Stabilisierung in anderen Teilen der Welt bemühen. Der rhetorische Einsatz für Frieden, Demokratie und Menschenrechte verschleiere einseitig definierte nationale Interessen, etwa zur Eindämmung irregulärer Migration.2 Und wessen Sicherheit soll bei Stabilisierungsvorhaben im Vorder­grund stehen, wenn diese möglicherweise auf die Zusammenarbeit mit patriarchalen, ausbeuterischen lokalen Eliten setzen, deren Dominanzstreben für Gewaltkonflikte verantwortlich ist?3 Genderrollen sowie das Sicherheitsempfinden von Frauen und an­de­ren marginalisierten Gruppen könnten dabei trotz gegenteiliger Zielsetzungen aus dem Blick geraten. Überdies wird vor einer Militarisierung des humanitären Raums durch eine zu enge Verknüpfung von politischen Zielen der Konfliktbearbeitung mit huma­nitärer Unterstützung gewarnt.4 Die Staatszentriert­heit von Stabilisierungsansätzen ist aus feministi­scher Perspektive ebenfalls diskussionswürdig, da es häufig gerade der Staat ist, der Gewalt beispielsweise durch den Einsatz übergriffiger Sicherheitskräfte ausübt anstatt Frauen bzw. generell die Zivilbevölke­rung davor zu schützen.

Der Status quo in der deutschen Stabilisierungspolitik

Weltweit ist Deutschland seit 2017 das größte Geber­land im Bereich der zivilen Konfliktbearbeitung.5 Das Auswärtige Amt (AA) verfügte im Jahr 2023 über 565 Millionen Euro für die drei Säulen seines integrierten Friedensengagements: Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung.6 Auch andere Ressorts, insbesondere das Bundesministerium für wirtschaft­liche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), för­dern Projekte, die in einem weiteren Sinne der Stabi­lisierung in fragilen Kontexten dienen. Im letzten Berichtsjahr 2022 lagen die etwas breiter gefassten weltweiten Ausgaben der Bundesregierung für »zivile Friedensförderung, Konfliktprävention und Resolu­tion« insgesamt laut der Organisation für wirtschaft­liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei 960 Millionen US-Dollar (etwa 875 Millionen Euro).7

Den Begriff Stabilisierung verwendet im deutschen Kontext nur das AA. Es versteht darunter einen Bei­trag, »politische Prozesse zur Einhegung von Gewalt zu unterstützen, legitime Governance-Strukturen zu stärken und erste Schritte hin zu einer Versöhnung zwischen Konfliktparteien zu ermöglichen«.8 Stabi­lisierung umfasst mit der Stärkung staatlicher Insti­tutionen, der Sicherheitssektorreform (SSR), Program­men zu Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung (DDR), Rechtsstaatsförderung (RSF) oder Friedensmediation eine Reihe von Instrumenten.9 Wichtige Partnerländer und ‑regionen, die das AA immer wieder nennt, sind die Ukraine, die Tschadsee-Region und der Nordosten Syriens. Häufig arbeitet die Bundesregierung, etwa im Rahmen der Stabilisierungs­fazilitäten des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP), mit anderen Geberinnen und internationalen Organisationen zusammen

Genderfragen spielen in der deutschen Friedensarbeit seit längerem eine Rolle.

Genderfragen spielen in der deutschen Friedens­arbeit bereits seit längerem eine Rolle. Der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der Agenda »Frauen, Frie­den und Sicherheit« (WPS) ist ein Ausdruck davon.10 In seinen Leitlinien zur feministischen Außenpolitik (FAP) erwähnt das AA Stabilisierung in der zweiten Leitlinie: »Bei Maßnahmen der Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung beziehen wir Frauen und marginalisierte Gruppen systematisch ein und berücksichtigen geschlechtsspezifische Risiken. Wir wollen Fortschritte zu gendergerechteren Gesell­schaften erzielen und unser internationales Krisen­engagement gendertransformativ gestalten.«11

Konkret nennt das AA vor allem Projekte zum Aus­bau der Rechte, Ressourcen und Repräsentation von Frauen (zum Beispiel die Ausbildung und Entsendung von »Genderexpert*innen« durch das Zentrum für Inter­nationale Friedenseinsätze [ZIF]).12 Damit bewegt sich das AA bei seinen Bemühungen um die Verbesserung der Position von Frauen und marginalisierten Gruppen weiterhin innerhalb des existierenden Sys­tems von Konfliktbearbeitung, ohne die eigenen An­sätze grundsätzlich infrage zu stellen. Die Wirkung gendertransformativ ausgebildeter Expert:innen bleibt aber begrenzt, wenn der politische Wille fehlt, die daraus resultierenden Gesichtspunkte und Per­spektiven in eine umfassendere Strategie einzubetten.

Sowohl in den FAP-Leitlinien als auch im Stabilisie­rungskonzept des AA finden sich zwar feminis­tische Prinzipien, die über die 3R hinausgehen, doch deren praktische Bedeutung wird mitunter zugleich ein­geschränkt. Ein Beispiel: Von »gendersensiblen Kon­fliktanalysen« erhofft man sich im Stabilisierungs­konzept »neue Ansätze, Handlungsräume und Ak­teure«. »Zielkonflikte« bestünden aber insbeson­dere dort, wo »männlich dominierte Machtakteure« ein­gebunden werden müssten. Hier nehme sich das AA vor, seine prinzipiengeleitete Position vorzutragen und ansonsten eine »systematische Abwägung von kurz­fristigen Zielen (beispielsweise ein Waffenstillstand) mit mittel- bis langfristigen Zielen einer gesell­schaftlichen Transformation« anzustellen.13 Diese Aus­sage könnte suggerieren, dass Geschlechtergerechtigkeit eine mittel- bis langfristige Aufgabe ist, die im Gegensatz zu anderen Stabilisierungszielen steht. Aller­dings zeigt der zitierte Absatz auch, dass das AA Spannungen zwischen den Zielen von Stabili­sierung und FAP explizit anerkennt und zumindest den Ver­such unternimmt, seine Handlungsweise in kritischen Situationen zu systematisieren. Das ist ein Fort­schritt gegenüber früheren Regierungsdokumenten, in denen normative Ziele gleichberechtigt auf­gelistet oder Zielkonflikte lediglich abstrakt benannt wurden, ohne zu konkretisieren, wie damit umzugehen sei.

Hinsichtlich der Ressourcen für Geschlechter­gerechtigkeit schwankten die deutschen Ausgaben in den letzten Jahren stark. Im letzten Berichtsjahr 2022 wurden 50 Prozent der ODA-Mittel14 zur zivilen Kon­flikt­bearbeitung für Projekte eingesetzt, die Geschlech­tergerechtigkeit als Nebenziel (GG1-Kennung des OECD DAC) verfolgen, und 2,8 Prozent für solche mit Geschlechtergerechtigkeit als Hauptziel (GG2). Bis 2025 möchte das AA für diese Kategorien einen Mit­tel­aufwand von 85 bzw. 8 Prozent erreichen.15 Ent­gegen der entsprechenden Gleichsetzung dieser Ken­nungen in den AA-Leitlinien sind sie nicht deckungsgleich mit den Zielen gendersensibler bzw. gender­transformativer Ausgestaltung. Ein Projekt kann sich beispielsweise zwar an Frauen als Hauptzielgruppe richten (GG2), ohne dass damit die Ge­schlechterbezie­hun­gen an sich infrage gestellt werden.

Gerade einige machtkritische Impulse der feministischen Forschung können für Stabilisierungsvorhaben gewinnbringend sein.

Mögliche Beiträge feministischer Außenpolitik

Eine kritisch verstandene FAP vermag einen Beitrag dazu zu leisten, Stabilisierungsmaßnahmen effek­ti­ver, belastbarer und inklusiver als bisher zu gestalten. Sie bietet Anhaltspunkte, Annahmen, Konzepte und Vorgehensweisen, die unter Stabilisierungsexpert:in­nen bereits diskutiert werden, um die bisherige Praxis eingehender zu durchleuchten und teilweise auch neue Antworten zu finden. Gerade einige machtkri­tische Impulse der feministischen Forschung können für Stabilisierungsvorhaben gewinnbringend sein.

FAP kann helfen, einseitige liberale Friedensförderung zu überwinden

Sowohl in der feministischen Forschung als auch in jener zu Stabilisierung und Friedensförderung gibt es eine breite Kritik am sogenannten »liberalen Frie­den«, also an der Idee, dass marktwirtschaftliche Reformen, demokratische Öffnung und die Beilegung bewaffneter Konflikte sich gegenseitig befördern.16 Der Fokus auf solche langfristigen Prozesse marginalisiert die Agency der Zivilgesellschaft,17 die politische Gewaltökonomie von Kriegen18 und die Ausgren­zungs­mechanismen, die insbesondere Frauen betref­fen,19 um nur einige Kritikpunkte zu nennen.

Die FAP-Perspektive hilft dabei, strukturelle Aspekte in den Blick zu nehmen, die dazu führen, dass Gewalt andauert. Die Einseitigkeit liberaler Friedensförderung lässt sich auch an den 3R im Kontext von Frie­dens­prozessen aufzeigen: Frauen einzubinden (Reprä­sentation), ihre Rechte durch eine veränderte Gesetz­gebung auszubauen oder Institutionen mit einem hohen Frauenanteil zu finanzieren (Ressourcen) ist zwar wichtig, reicht aber nicht aus. So können Frauen­gruppen an Friedensprozessen beteiligt sein, ohne dass ihre Anliegen beachtet werden. Oft werden nicht ein­mal die verbindlich vereinbarten Repräsentationsquo­ten erfüllt. Zum Beispiel schreibt das Juba-Friedens­abkommen von 2020 für Sudan eine Frauenquote von 40 Prozent auf allen politischen Ebenen des Landes vor.20 Diese wurde nie verwirklicht: Die Umsetzung des Friedensabkommens stärkte hingegen den männ­lich dominierten Sicherheitssektor in Sudan und verschärfte die politische Krise vor dem Putsch.21

Ein intersektionaler Ansatz, der feministische und postkoloniale Perspektiven verbindet, führt zu der Frage, für wen eigentlich was stabilisiert werden soll. Externe Akteur:innen können nur dann erfolgreich Stabilisierung betreiben, wenn sie lokale Bemühungen legitimer Autoritäten unterstützen. Das Verhältnis zwischen staatlichen Institutionen und der Bevöl­kerung ist in fragilen Situationen oft zerrüttet. Staat­liche Sicherheitskräfte in Nigeria riegelten zum Bei­spiel Dörfer ab, weil sie dort Aufständische vermuten, statt die Zivilbevölkerung vor Plünderungen und Zwangsrekrutierungen bewaffneter Gruppen wie Boko Haram zu schützen. Daher ist es das erklärte Ziel deutscher Stabilisierungsbemühungen im Nordosten Nigerias, die Legitimität staatlicher Institutionen zu untermauern, etwa indem Gemeinden in die Lage versetzt werden, die Versorgung mit elementaren Gütern und Dienstleistungen wie Wasser, Ernährung, Gesundheit und Bildung sicherzustellen.22 Die femi­nistische Perspektive hilft dabei zu erkennen, dass staatliche Institutionen nur dann erfolgreich Stabi­lisierungsbemühungen realisieren können, wenn die Bevölkerung sie als legitim akzeptiert.

Analyse von Macht und Sicherheit

Stabilisierungsprojekte erfordern eine kontinuierliche Kontext- und Konfliktanalyse, die insbesondere die Ursachen, Akteure und Dynamiken bewaffneter Gewalt berücksichtigt. Als Expert:innen für kritische Macht­analysen können Feminist:innen zu diesen Analysen entscheidende Beiträge leisten. Mit gendersensiblen Konfliktanalysen23 lassen sich zentrale Dynamiken aufzeigen, die weit über die mangelnde Teilhabe von Frauen hinausgehen. Überdies tragen einige Genderrollen auch zu Gewalt bei,24 beispielsweise indem bestimmte Männlichkeitsvorstellungen bewaffneten Gruppen die Rekrutierung erleichtern, wie auch das AA erwähnt.25

Ein feministisches Sicherheitsverständnis stellt gängige Annahmen einer liberalen Stabilisierungspraxis infrage. Allzu oft verfolgen internationale Akteur:innen Abkommen und Deals mit existierenden (oft männlich dominierten) Eliten selbst dann, wenn diese nachweislich die Gewalt nicht ein­däm­men und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nicht verbessern.26 »Stability and durability can simply mean that the men with guns continue to run the show and that the ›trains run on time‹«, schreibt Ní Aoláin.27

Statt am Erreichen des nächsten fragilen Eliten-Deals misst eine feministisch geprägte Stabilisierungs­politik Sicherheit an der konkreten Wahrnehmung von Frauen und anderen marginalisierten Bevölkerungsgruppen in ihrem täglichen Leben. Die Befra­gung von Betroffenen und andere Methoden, die Wahrnehmung der lokalen Bevölkerung regelmäßig zu erfassen, sollten ein wichtiges Instrument für Sta­bilisierungsvorhaben sein.28 Erst wenn alle Menschen sich in einem Ort sicher fühlen, können sie Vertrauen in die lokalen Institutionen gewinnen und darauf ver­zichten, bewaffneten Gruppen beizutreten.

Ein feministischer Ansatz für Konfliktbearbeitung

Zu realpolitischen Eliten-Deals und einem überschwänglichen liberalen Interventionismus als gän­gigen Ansätzen der Konfliktbearbeitung bietet FAP Alternativen an. Diese gründen in einer »feminis­tischen Fürsorge-Ethik«, die bei der Suche nach neuen Ansätzen der Konfliktbearbeitung hilfreich sein kann. Sie entspringt einer »Fürsorge« (care), weil sie mora­lisches Handeln mit aufmerksamem, geduldigem Zu­hören verbindet und sich darauf einlässt, Zielkonflikte immer wieder auszubalancieren und ihre Annahmen anzupassen – anstatt eine universalistische Gerechtig­keit zu propagieren, die sich durch ihre Abgrenzung von mutmaßlich rückwärtsgewandten lokalen Vorstellungen definiert.29 Feministisch ist diese Ethik, weil sie das (autoritäre) »Skript des Patriarchats« hin­terfragt.30

Feministische Stabilisierung aus einer solchen »Für­sorge-Ethik« kommt nicht von außen, um lokale Kon­flikte zu lösen, sondern setzt sich mit den glo­balen, regionalen und lokalen Beziehungen ausein­ander, in deren Rahmen diese Auseinandersetzungen entstehen. Es geht eben nicht allein darum, Frauen stärker an politischen Prozessen zu beteiligen, weil diese per se friedfertiger wären, sondern darum, die Hierarchisierung zwischen Gruppen – beispielsweise Männern und Frauen, Eliten und Bevölkerung, jun­gen und alten Menschen – und die ihnen zugeschrie­benen Handlungsweisen in der Gesellschaft generell zu hinterfragen. Feministische Stabilisierungspolitik achtet besonders auf den lokalen Kontext und akzep­tiert, dass die Wirksamkeit und moralische Eindeutigkeit von Maßnahmen oft mit Unsicherheiten behaf­tet sind.31

Selbstreflexion und Lernprozesse

Schließlich können feministische Ansätze durch empathische Selbstreflexion einen wichtigen Beitrag zu Monitoring, Evaluation und Lernprozessen leisten. Diese sind vor allem in hochvolatilen Stabilisierungskontexten von großer Bedeutung, in denen Projektverantwortliche eng und agil steuern müssen, um Projekte an sich schnell verändernde Umstände an­zupassen. Mangels eines universal anwendbaren Stabilisierungsrezepts sind das ständige Ausprobieren und Justieren von Maßnahmen entscheidend.32

FAP kann lokalen und internationalen Stabilisierungsakteuren dabei helfen, über alle Arten von Macht­strukturen ebenso zu reflektieren wie über die eigene Rolle. Internationale Stabilisierungsakteure bringen beispielsweise ihre eigenen Gendernormen in fragile Kontexte mit und legen teilweise eine »inter­national fraternity« mit lokalen männlichen Eliten an den Tag.33 So gibt es immer wieder Botschafter:innen, die mit Stolz auf ihre Beziehung zum autoritären Prä­sidenten ihres Gastlands im Bürgerkrieg verweisen und ihn bei jeder Gelegenheit umarmen. Diplomat:­in­nen sowie andere Stabilisierungsakteure sollten aber ihre notwendige Empathie in politischen Pro­zessen nicht mit Sympathie für Kriegsfürsten ver­wechseln. Darüber hinaus gilt es aus Sicht der FAP, das häufige rhetorische Bekenntnis vieler Stabilisierungsakteure zur Zusammenarbeit mit lokalen Orga­nisationen auch in der Praxis ernst zu nehmen – etwa indem lokale Graswurzelorganisationen mög­lichst bereits in die Konzeption von Projekten ein­bezogen werden.

FAP kann dort frische Impulse geben, wo sie über die För­derung von Ge­schlechtergerechtig­keit hin­aus­geht.

Fazit

FAP hilft, Stabilisierung besser, gerechter und kon­textsensibler als bisher zu gestalten, indem sie tra­dierte Annahmen im Gesamtansatz, in der Analyse, in Prozessen, Projektdesign und Wirkungsüberprüfung hinterfragt. Sie kann insbesondere dort frische Impulse liefern, wo sie über die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit hinausgeht. Mit seinen FAP-Leitlinien bleibt das AA hier noch unter den Möglichkeiten eines feministischen Ansatzes. Femi­nistische Analysen zeigen die ungleichen, oft kon­flikt­antreibenden Machtstrukturen auf, die durch eine mangelnde Geschlechtergerechtigkeit, aber auch einseitig definierte Geschlechterrollen und Ausgrenzungs­mechanismen entlang weiterer Unterscheidungs­merkmale entstehen.

Bei der Weiterentwicklung und Umsetzung einer feministischen Stabilisierungsarbeit geht es nicht allein um normativ-menschenrechtliche Fragen. Viel­mehr vermag die Einbeziehung feministischer Per­spek­tiven auch einen Beitrag zum pragmatischen Anspruch von Stabilisierung in fragilen Kontexten zu leisten,34 wenn es beispielsweise darum geht, Em­pathie statt Überheblichkeit ins Zentrum von Kon­flikt­bearbeitung zu stellen.

Es liegt im Wesen von Stabilisierung, sich am Status quo zu orientieren, weil dessen Veränderung kaum kurzfristig zu erreichen ist und die Wiederherstellung von Ordnung Priorität hat. Nach dieser Logik handeln auch Diplomat:innen, die Ausdruck eines zwischenstaatlichen Systems sind, das sich oft schwer damit tut, in fragilen Kontexten tragfähige Partnerschaften jenseits nationaler, oft bevölkerungsferner Regierungen aufzubauen. Machtkritische Aspekte femi­nistischer Außen- und Entwicklungspolitik umzusetzen ist daher kein leichtes Unterfangen. Feministische Argumente können jedoch zu laufenden Reflexionsprozessen über die Ausrichtung von Stabilisierung anregen, die darauf zielen, das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Regierung zu verbessern.

Internationales Krisenengagement: Raus aus den Pfadabhängigkeiten

SWP 360 Grad zur nationalen Sicherheitsstrategie, 4.September 2023 (zusammen mit Judith Vorrath)

Als Teil des Ansatzes der Integrierten Sicherheit bündelt das integrierte Friedensengagement Mittel und Instrumente für den Umgang mit Krisen und Gewaltkonflikten. Doch das entsprechende Kapitel in der Nationalen Sicherheitsstrategie enthält lediglich eine Aneinanderreihung bekannter Maßnahmen ohne Prioritätensetzung oder Innovation. Das zeigt sich schon in vorherrschenden Formulierungen wie „ausbauen“, „stärken“ oder „zusammenführen“. Dies verwundert, da das AA bereits in seinem Konzept für integriertes Friedensengagement vom Dezember 2022 Pragmatismus, Risikobereitschaft und flexible Steuerung propagierte. Ein „more of the same“ birgt dagegen die Gefahr, zentrale Lehren aus dem Engagement in Afghanistan und Mali auszublenden. Denn dort zeigte sich, dass starke Pfadabhängigkeiten bei Zielen und Instrumenten – etwa durch enge Anlehnung an internationale Partner – eigene Friedensanstrengungen unterminieren können.

Für einen Primat der Prävention, den die Bundesregierung in der Sicherheitsstrategie erneut betont, sind Leitplanken und Prozesse unabdingbar, mit denen sich ein integriertes Friedensengagement entlang von Werten und strategischen Interessen steuern lässt. Zusätzlich bedarf es stärkerer politischer Impulse für die Administration, koordiniert und frühzeitig zu agieren. Für beides bietet die Sicherheitsstrategie wenig Orientierung. Freilich sind wissenschaftsbasierte Prozesse für Krisenfrüherkennung oder globale Partnerschaften relevante Ansatzpunkte. Hier stehen sie aber ohne inneren Zusammenhang neben Maßnahmen und Instrumenten, die teils besser in anderen Kapiteln aufgehoben wären, wie Migrationspartnerschaften und die Bekämpfung von Hungerkrisen.

Deutschland ist weltweit größter Geber im Bereich zivile Friedensförderung und einer der wichtigsten Finanziers von VN-Friedensmissionen, der Friedens- und Sicherheitsarchitektur der Afrikanischen Union, humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Daher sollte die Bundesregierung eine Führungsrolle beim Friedensengagement übernehmen und eigene Vorschläge in internationalen Prozessen auch außenpolitisch konsequent nutzen. Es geht nicht nur um einen Zuwachs an Mitteln, sondern darum, wie (und wo) diese verwendet werden. Ein gemeinsamer Fonds für zivile Konfliktbearbeitung, gepaart mit Steuerungs- und Lernmechanismen, könnte mehr Ressortkohärenz zwischen AA und BMZ schaffen. Die Bundesregierung sollte in Abstimmung mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zivile Planziele zur langfristigen Finanz- und Personalplanung entwickeln, wozu sie sich im Koalitionsvertrag verpflichtet hat. Diese würden zum Beispiel helfen, mehr Polizeikräfte für internationale Friedensmissionen verfügbar zu machen. Zivile Fähigkeiten könnten so perspektivisch leichter in Koordination mit militärischen Instrumenten wie Ertüchtigung eingesetzt werden.

Bei der Implementierung der Sicherheitsstrategie sollte die Bundesregierung das eigene Profil schärfen, Synergien nutzen und klare Prioritäten verfolgen.

Äthiopiens Chance auf Frieden sichern

Das Ende des Krieges im Norden sollte der Auftakt für grundlegende Reformen der Regierungsführung sein

SWP-Aktuell 14/2023, erschienen am 1.März 2023

Das Abkommen, das die Tigray People’s Liberation Front (TPLF) und die äthiopische Regierung am 2. November 2022 unterschrieben haben, bietet eine reale Chance, einen der blutigsten Kriege weltweit zu beenden. Die Umsetzung der Vereinbarung verläuft bisher gut. Durch den Friedensprozess ist jedoch die Frage nach einer stabi­len Machtverteilung innerhalb Äthiopiens und am Horn von Afrika ins Blickfeld gerückt. Die Regierung unter Premierminister Abiy Ahmed steht vor drei zentralen Herausforderungen. Erstens muss sie die TPLF integrieren und sich gleichzeitig aus der Partnerschaft mit Eritrea lösen. Zweitens muss sie das innenpolitische Verhältnis der wichtigsten politischen Akteure neu austarieren, um eskalierende Gewalt in den Bundesstaaten Amhara und Oromia zu stoppen. Schließlich muss sie die durch den Krieg gespaltene und verarmte Gesellschaft wieder zusammenbringen. Internationale Partner sollten Äthiopien mit konditionierten Finanzhilfen und Projekten zur Frie­densförderung bei der Bewältigung dieser Herausforderungen unterstützen.

Im Januar besuchten Bundesaußenminis­terin Annalena Baerbock und ihre französische Amtskollegin Catherine Colonna zu­sammen Addis Abeba. Ihre Botschaft: Euro­päische Partner sind bereit, ihre Zusammen­arbeit mit der äthiopischen Regierung wie­der zu intensivieren, wenn der Friedens­prozess in Tigray glaubwürdig gestaltet wird und es vor allem Schritte zur Aufarbeitung massiver Menschenrechts­verletzungen gibt.

Äthiopiens Bürgerkrieg ist Ausdruck eines Machtkampfs innerhalb der regierenden Elite des Landes. Premierminister Abiy hatte sich 2018 in einer internen Abstimmung in der Mehrparteienkoalition Ethio­pian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) überraschend gegen den Kan­didaten der TPLF durchgesetzt. Als Abiy 2019 aus der alten Koalition die neue Pros­perity Party (PP) formte, blieb die TPLF, die seit 27 Jahren die Koalitionsregierung be­herrscht hatte, außen vor. Die TPLF zog sich nach Tigray zurück, während Abiy ihren Einfluss innerhalb des Regierungs- und Sicherheitsapparats zurückdrängte und eine politische und wirtschaftliche Reform­agenda vorantrieb.

Der zentralistische Kurs von Abiys Regierung stand jedoch den Forderungen nach größerer ethnischer Selbst- und Mitbestimmung von Bevölkerungsgruppen aus dem ganzen Land entgegen, die nach der Zurück­setzung der TPLF ihre Zeit gekommen sahen. Der Machtwechsel 2018 war zustande ge­kommen, nachdem in den Bundesstaaten Amhara und Oromia jahrelang gegen die Dominanz Tigrays protestiert worden war. Am stärksten verschärften sich jedoch die Differenzen zwischen der Regierung und der TPLF: Anfang November 2020 eskalierten sie in einem bewaffneten Konflikt.

Der Krieg war nicht auf Tigray beschränkt; daher kann es auch der Friedensprozess nicht sein. In Äthiopiens bevölkerungsreichsten Regionen Oromia und Amhara haben ethnonationalistische Kräfte in den letzten Jahren an Zulauf gewonnen, die teilweise gegen den Staat und auch gegeneinander kämpfen.

Abiys Machtbasis zerbröckelt als Folge dieser Verwerfungen, ohne dass sich ein alternatives Machtzentrum gebildet hätte. Auf dem Spiel steht dabei die Stabilität und letztendlich sogar die Einheit des äthiopischen Staates. Aus einer optimistischen Sicht bietet der Friedensprozess aber auch eine Gelegenheit, mehr Bevölkerungsgruppen einzubinden, die Zivilgesellschaft zu stärken und die Machtverteilung zwischen dem Zentrum und ethnisch definierten Bundesstaaten, die Äthiopien seit Jahr­zehnten beschäftigt, neu auszuhandeln.

Der Frieden dient dem Macherhalt

Die »Vereinbarung über einen dauerhaften Frieden durch einen permanenten Waffen­stillstand«, welche die TPLF und die äthio­pische Regierung auf Vermittlung der Afri­kanischen Union (AU) im südafrikanischen Pretoria unterzeichneten, kam durchaus überraschend. Eine etwa fünfmonatige Feuerpause in der ersten Jahreshälfte 2022 hatte keine Verhandlungsfortschritte ge­bracht. Die seit Ende August wieder auf­geflammten Kämpfe waren von einer be­sonderen Härte und einem massiven Trup­peneinsatz gekennzeichnet. Berichte spre­chen von bis zu einer Million Kämpfern auf allen Seiten. In einer gemeinsamen Offen­sive eroberten eritreische Truppen und die Ethiopian National Defense Forces (ENDF) strategisch wichtige Städte in Tigray und standen kurz vor der Regionalhauptstadt Mekele. Die AU war aus Sicht der TPLF kein rundum glaubwürdiger Vermittler und ver­zögerte den Beginn von Friedensgesprächen.

Angesichts der militärischen Lage ist vor allem das Rational der äthiopischen Regie­rung erklärungsbedürftig. Ihr Gegner, die Tigray Defense Forces (TDF), hatte zwar bereits 2021 in Guerilla-Aktionen die äthio­pischen Streitkräfte aus Tigray vertrieben und war danach nach Amhara und Afar vorgerückt. Allerdings gelang es den TDF damals nicht, Addis Abeba oder die Ver­sorgungswege zwischen dem wirtschaft­lichen Zentrum des Landes und dem Hafen in Dschibuti zu erreichen. Im Herbst 2022 gingen ihnen überdies Nachschub und Munition aus.

Für beide Seiten war der Krieg mit enormen Kosten verbunden. Schätzungen gehen von 518.000 zivilen Todesopfern allein in Tigray bis Ende 2022 aus. Hinzuzuzählen sind zivile Opfer in Afar und Amhara sowie vermutlich Hunderttausende gefallene Kämpfer. Dies entspricht auch den Größen­ordnungen, die hochrangige Vertreter der EU, der USA und der AU nennen. Somit könnte rund ein Zehntel der Vorkriegs­bevölkerung Tigrays im Krieg ihr Leben ver­loren haben, vor allem wegen mangelnder medizinischer Versorgung und Unter­ernäh­rung. Die Regierung blockierte monatelang den Zugang für humanitäre Organisationen und schnitt die Bevölkerung Tigrays von Elektrizität, Telekommunikation und Bank­dienstleistungen ab.

Abiy stimmte dem Abkommen wahrscheinlich vor allem deshalb zu, weil es da­zu beiträgt, seine eigene Macht zu sichern. Eine vollständige militärische Eroberung Tigrays hätte vermutlich bedeutet, dass die Regierung ihre militärischen Kräfte auf Dauer in Tigray hätte konzentrieren müssen, um mögliche Guerilla-Aktionen zu unter­binden. Die hohen Militärausgaben belaste­ten ohnehin den Staatshaushalt Äthiopiens. Für Abiy wäre es schwieriger geworden, öffentliche Investitionen zu finanzieren, die das Wirtschaftswachstum der letzten Dekade in erster Linie angetrieben haben und Gelegenheit für Patronage boten.

Eine permanente Truppenkonzentration in Tigray hätte die Regierung auch daran gehindert, mehr Militär in die anderen Kon­fliktgebiete des Landes zu verlegen. Außer­dem hätte dieses Szenario Abiys Abhängig­keit von Eritrea weiter verstärkt, das einen erheblichen Teil seiner Streitkräfte gegen die TDF eingesetzt hat.

Schließlich hätte ein militärisches Ende des Krieges die Regierung weiterem inter­nationalen Druck ausgesetzt. Hatte sie zu Beginn des Krieges noch Unterstützung für ihren Kurs von Seiten der Trump-Adminis­tration und des Vorsitzenden der AU-Kom­mission Moussa Faki Mahamat, so änderte sich das später. Die USA setzten zum 1. Januar 2022 Handelsprivilegien unter dem African Growth and Opportunity Act (AGOA) aus, was insbesondere den äthio­pischen Textilsektor empfindlich traf. Im US-Kongress verstärkte sich die Forderung nach weiteren Sanktionen. In der Region setzte sich Kenia für eine friedliche Lösung des Krieges ein. Nachdem der AU-Sonder­gesandte Olusegun Obasanjo keine Fort­schritte erzielt hatte, erweiterte die AU das Mediationspanel um Uhuru Kenyatta, Kenias Ex-Präsidenten, und Phumzile Mlambo-Ngcuka, eine frühere Vizepräsidentin Südafrikas.

Das Abkommen wirkt – bislang

Der Kern des Abkommens besteht aus einem Deal: die TPLF verpflichtete sich zur kom­pletten Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der TDF ins zivile Leben bzw. in reguläre Sicherheitskräfte Tigrays und zur friedlichen Übergabe der Kontrolle an die Polizei und Streitkräfte der Zentralregie­rung. Im Gegenzug soll die TPLF von der äthiopischen Terrorliste gestrichen werden, die Versorgung der Bevölkerung in Tigray wiederhergestellt werden und sollen nicht-föderale Truppen abziehen.

Das wichtigste Ziel des Abkommens wurde sehr schnell erreicht: ein Ende der Kampf­handlungen zwischen den TDF und den ENDF. Beide Streitkräfte zogen sich von den Frontlinien zurück. Für die meisten Menschen im Norden Äthiopiens verbesserte sich die Situation. 90 Prozent der Bevöl­kerung Tigrays sind auf Unterstützung bei der Nahrungsmittel­versorgung angewiesen. Ein Großteil von ihnen hat jetzt wieder Zu­gang zu Hilfslieferungen. Viele Städte wur­den im Dezember wieder an das Elektrizi­tätsnetz angeschlossen. Banken öffneten wieder, Telekommunikations- und Internet­verbindungen wurden wiederhergestellt. Ethiopian Airlines nahm wieder Direktflüge zwischen Mekele und Addis Abeba auf. Doch die Qualität der Infrastruktur ist oft noch schwach, und einige Gebiete sind weiterhin kaum für humanitäre Organisationen zugänglich, insbesondere solche ab­seits großer Straßen und an der Grenze zu Eritrea. 2,3 Millionen Kinder gehen allein in Tigray nicht zur Schule, mehr als die Hälfte davon seit mehr als zwei Jahren. Der Wiederaufbau wird noch lange dauern.

Enge Partnerschaft mit Eritrea

Ein Knackpunkt des Friedensprozesses bleibt der Umgang mit jenen bewaffneten Akteuren, die bei den Friedensverhandlungen nicht dabei waren, primär Eritrea und Gruppen aus Amhara.

Für Abiy war Eritreas Präsident Isaias Afwerki ein wichtiger Verbündeter in sei­nem Machtkampf gegen die TPLF. Isaias hegt seit dem Grenzkrieg um den Ort Badme im Norden Tigrays (1998–2000) eine tiefe Feindschaft gegenüber der TPLF. Obwohl die äthiopische Regierung das Territorium, das von einer internationalen Grenzkommis­sion Eritrea zugesprochen wurde, nach dem Krieg besetzt hielt, wurde Eritrea inter­national zunehmend isoliert. Als bekannt wurde, dass die Regierung in Asmara die somalische Al‑Shabaab unterstützte, ver­hängte der UN-Sicherheitsrat auf Betreiben Äthiopiens 2009 Sanktionen und ein Waf­fen­embargo gegen Eritrea. Die mutmaß­liche Bedrohung durch die TPLF, Äthiopiens damalige Regierungspartei, diente Isaias zur Begründung für die Einführung eines unbefristeten Wehr- und Arbeitsdiensts, zu dem eritreische Männer und Frauen gleichermaßen herangezogen werden.

Das Abkommen zwischen Eritrea und Äthiopien vom Juli 2018, das Abiy ein Jahr später den Friedensnobelpreis eintrug, hatte in der Grenzregion zwar wenig nachhaltige Fortschritte gebracht. Gleichwohl stärkte es die Sicherheits- und Geheimdienstkooperation beider Regierungen und führte zur Auf­hebung der UN-Sanktionen. Als sich das Ver­hältnis zwischen TPLF und Abiy verschlech­terte, wurde aus dem Friedensabkommen ein Kriegspakt. Monate vor Kriegsbeginn verlegte Abiy Militär nach Tigray. Eritrea organi­sierte ein Training für 60.000 Truppen des Bundesstaats Amhara (gemäß der födera­listischen Verfassung haben äthiopische Bundesstaaten eigene Sicherheitskräfte).

Isaias sieht den Friedensprozess zwischen der TPLF und der äthiopischen Regierung dementsprechend mit großer Skepsis. Auch wenn im Januar eritreische Truppen­bewegungen aus einigen Städten Tigrays als Rückzug vermeldet wurden, sind eritreische Militäreinheiten wohl weiterhin in einigen Gebieten Tigrays präsent, zusätzlich zu Spezialkräften anderer äthiopischer Bundes­staaten, vor allem aus Amhara. Die eritrei­schen und amharischen Truppen werden für Angriffe auf die Zivilbevölkerung verant­wortlich gemacht, die auch sexuelle Gewalt, Entführungen und Plünderungen einschlie­ßen. Dabei soll es allein zwischen Anfang Novem­ber und Ende Dezember 2022 meh­rere Tausend Todesopfer gegeben haben.

Dabei hatten sich die Oberkommandierenden der beiden Konfliktparteien in Nairobi geeinigt, dass alle Nicht-ENDF-Trup­pen gleichzeitig mit der Entwaffnung der TDF abziehen sollten. Zur Überwachung der Einhaltung des Abkommens setzte die AU einen Monitoring- und Verifikationsmecha­nismus unter Führung von Generalmajor Stephan Radina aus Kenia ein. Dieser nahm Ende Dezember seine Arbeit auf und be­stätigte am 10. Januar 2023, dass die TDF einen Groß­teil ihrer schweren Waffen an die ENDF abgegeben hatte, darunter Panzer und Artillerie. Einen Abzug der Nicht-ENDF-Truppen aus Tigray vermeldete das AU-Team bisher indes nicht.

Innenpolitische Spannungen

Das Waffenstillstandsabkommen bietet Anhaltspunkte für den weiteren Friedensprozess, es enthält aber keine umfassende Rege­lung längerfristiger Konflikte. Abiys Herausforderung ist es, im Rahmen des Frie­densprozesses Zugeständnisse an die TPLF zu machen, ohne dabei seine sonstigen innen­politischen Allianzen zu sehr zu belasten.

Zuerst ist da die zukünftige Rolle der TPLF in der äthiopischen Politik. Das Ab­kommen sieht vor, dass nach der Entlistung der TPLF als Terrororganisation eine inklu­sive Interimsverwaltung für Tigray gebildet werden soll. Es gilt als wahrscheinlich, dass die TPLF bei den noch nicht terminierten Wahlen für das Regionalparlament und für die Repräsentation Tigrays im äthiopischen Parlament eine breite Mehrheit erreichen wird. Die Frage ist, ob sich die TPLF in Abiys Regierung einbinden lassen, auf eine Oppo­sitionsrolle zurückziehen wird oder dauer­haft auf eine reine Regionalpartei reduzieren lassen will. Denn gleichzeitig muss sich die TPLF auch um einen offeneren und in­klusiven Regierungsstil in Tigray selbst be­mühen, den dortige Oppositionsparteien bereits einfordern.

Skepsis gegenüber dem Friedensprozess mit der TPLF begegnet Abiy aus Amhara. Amharen waren selbst Opfer von Massenverbrechen der TDF, bei denen es auch zu sexueller Gewalt und Plünderungen ziviler Infrastruktur gekommen ist. Amharische Führer haben sich daher für eine Aufarbeitung der Übergriffe der TDF eingesetzt und werden einer möglichen Einbindung der TPLF reserviert gegenüberstehen.

Einen Balanceakt wird Abiy darüber hin­aus im Hinblick auf Gebiete in West- und Süd-Tigray vollführen müssen, die amhari­sche Einheiten zusammen mit den ENDF zu Anfang des Krieges besetzten (siehe Karte). Dabei vertrieben sie einen Großteil der tigrinischen Bevölkerung im Zuge einer Kampagne, die ein umfassender Bericht von Human Rights Watch und Amnesty Inter­national als ethnische Säuberung bezeichnete. Die amharische Seite verweist darauf, dass die TPLF die Gebiete Anfang der 1990er Jahre dem Bundesstaat Tigray zugeschlagen und ihrerseits amharische Bewohner ver­trieben hatte. Das Waffenstillstandsabkom­men sieht lediglich vor, dass die Zugehörigkeit dieser Gebiete im Rahmen der Verfas­sung geregelt werden soll. Die äthiopische Regierung dürfte be­strebt sein, einen end­gültigen Beschluss über den Status der umstrittenen Gebiete so lange wie möglich hinauszuzögern, um sich nicht zwischen dem Friedenspartner TPLF und Verbündeten aus Amhara entscheiden zu müssen.

Schließlich versucht die Regierung be­reits seit Mitte 2022, den Einfluss irregu­lärer amharischer Milizen, der Fano, ein­zudämmen, mit denen sie während des Krieges zusammengearbeitet hatte. Diesen werden massive Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt. Mit einer Größe von zwischenzeitlich mehreren Zehntausend gefährden die Fano das Gewaltmonopol der Regierung. Sie sind auch in Oromia aktiv.

Eskalation in Oromia

Potentiell die größte Sprengkraft für Abiy und die Stabilität Äthiopiens haben mittler­weile nicht mehr der Konflikt in Tigray, sondern Konflikte in Oromia und Spannungen zwischen Oromos und Amharen. Der Friedensprozess mit der TPLF könnte dabei sowohl positive als auch negative Wirkungen auf den Umgang der Regierung mit die­sen Konflikten haben. Die Wurzel ist letzt­lich die gleiche, nämlich die Machtverteilung zwischen Regionen und Zentrum.

Obwohl sie mit rund einem Drittel der Bevöl­kerung die größte ethnische Gruppe des Landes sind, hatten Oromos in Äthio­piens Geschichte nie eine Führungsrolle. Weite Teile des heutigen Bundesstaats Oromia wurden erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Teil des äthiopischen Reiches.

Abiy stammt selbst aus Oromia, wo er in der Regionalregierung tätig war. Viele junge Menschen, die Treiber der Reformproteste vor 2018 waren, sehen in Abiys Unitarismus jedoch eine Rückkehr zur Anpassung an einen amharisch geprägten Zentralismus.

Am Ende des nationalistischen Spektrums operiert die Oromo Liberation Army (OLA), eine bewaffnete Gruppe, die sich 2018 von der jahrzehntealten Oromo Liberation Front (OLF) abspaltete. Die OLF unterzeichnete 2018 ein Friedensabkommen mit Abiys Regierung, was die OLA ablehnte. 2021 ver­bündete sich die OLA mit der TPLF. Nach verschiedenen Phasen des Aufs und Abs eskalierte die Gewalt wieder ab November 2022. Neben Angriffen auf zivile Infrastruktur kommt es dabei zu Zusammenstößen der OLA mit Fano-Milizen und regulären ENDF-Einheiten. Oromos sind besorgt, die Fano könnten ebenso wie in Tigray Land besetzen, das diese als amharisch betrachten. Landkonflikte zwischen Oromos und Amharas werden so von bewaffneten Gruppen beider Seiten politisiert. Hunder­tausende Menschen flohen bereits aus Oromia nach Amhara.

Die Gewalt in Oromia ist anders gelagert als der Konflikt mit der TPLF, aber dennoch ernst zu nehmen. Die OLA ist vermutlich zu klein, fragmentiert und schlecht ausgerüstet, um größere Städte oder gar Addis Abeba zu erobern, auch wenn sie teilweise bis zu 25 Kilometer nahe der Hauptstadt kämpft (siehe Karte). Die größere Folge ihres Agie­rens ist das Klima der Unsicherheit in einer wirtschaftlich wichtigen Region des Landes. So sprach der deutsche Botschafter in Äthio­pien bereits besorgt über Angriffe auf In­ves­toren in Oromia. Äthiopiens Hauptversor­gungsverbindungen mit dem Hafen von Dschibuti laufen ebenfalls durch Oromia.

Eskaliert der Konflikt zwischen bewaffne­ten Kräften Amharas und Oromias, könnte das ernste Konsequenzen für die Einheit und Regierbarkeit des Staates Äthiopien haben. Derzeit scheint dieses Szenario noch un­wahr­scheinlich zu sein, nicht zuletzt weil die politischen Akteure in beiden Bundesstaaten deutlich heterogener sind als in Tigray.

Der Friedensprozess im Norden könnte jedoch auch eine Vorbildfunktion für Oromia haben. Rund 80 Abgeordnete von Abiys Partei aus Oromia forderten ihn be­reits auf, in Friedensverhandlungen mit der OLA einzutreten. Die Regierung hat Ver­handlungen bisher mit Verweis auf die fragmentierte Führungsstruktur der OLA abgelehnt, die wie die TPLF als Terrorgruppe gelistet ist. In jüngerer Zeit zeigte sich Abiy jedoch offener für Verhandlungen.

Das Land zusammenhalten

Die bewaffneten Konflikte werden an­geheizt von einer polarisierten Gesellschaft und einer Wirtschaft in der Krise. Auch wenn Abiys Regierung derzeit nicht Gefahr läuft, durch Aufstände oder Wahlen gestürzt zu werden, muss sie ihre Position konsolidieren und die Gesellschaft einen.

Politiker und andere Akteure des öffentlichen Lebens haben die ethnische Polari­sierung während des Krieges verschärft. Premier­minister Abiy selbst bezeichnete die TPLF im Juli 2021 als »Unkraut« und »Krebs«, den es auszumerzen gelte. Während die Regierung betonte, dass sie zwischen der Bevölkerung Tigrays und der Partei TPLF unterscheide, gab es in den sozialen Medien dehumanisierende Statements gegenüber der Bevölkerung Tigrays generell, wie Alice Wairimu Nderitu, die UN-Sonderberaterin für die Prävention von Völkermord, im Oktober 2022 warnte. Aus Sicht vieler Men­schen in Tigray steht Abiys Regierung für einen Völkermord an ihrer Bevölkerung.

Eine Antwort auf die Polarisierung in der Gesellschaft kann möglicherweise der nationale Dialog liefern, den die Regierung mit der Einrichtung einer Kommission im Dezember 2021 angestoßen hat. Damit dieser Wirkung entfalten kann, müssten Oppositionskräfte, nicht zuletzt die TPLF und Parteien aus Oromia, daran mitwirken. Bisher nehmen viele den Prozess als zu ein­seitig von der Regierung dominiert wahr. Außerdem müsste die Regierung aufhören, den Zugang zu Medien einzuschränken. Wenn der nationale Dialog inklusiver und unabhängiger würde, eventuell auch dank der seit einiger Zeit laufenden deutschen Unterstützung für einen Multi-Track-Dia­log, könnte er eine wichtige Plattform bie­ten, um grundlegende gesellschaftliche und politische Fragen zu klären.

Mit Blick auf die jüngere äthiopische Ge­schichte argumentiert der Konfliktforscher Semir Yusuf, dass weder Protestbewegungen noch gewaltsamer Widerstand zur demokratischen Transformation Äthiopiens geführt haben. Für eine echte Demokratisierung brauche es vielmehr eine größere Unabhängigkeit der Institutionen und stär­kere Parteienstrukturen.

Nicht zuletzt haben auch die Wirtschaft und die Staatsfinanzen Äthiopiens enorm gelitten. Die Regierung schätzt den Bedarf für den Wiederaufbau in den kriegszerstörten Gebieten in Tigray, Afar und Amhara auf 20 Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig verzeichnet der Staatshaushalt wegen der hohen Militärausgaben und des wirtschaftlichen Rückgangs ein hohes Defizit. Sollte sich der Zugang zu finanziellen Ressourcen weiter verengen, dürfte es für die Regierung schwieriger werden, wichtige Eliten ein­zubinden. Angesichts von Währungs­reserven, die geringer sind als die in einem Monat anfallenden Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Ausland, warnte die Rating­agentur Fitch bereits vor einem erhöhten Kreditausfallrisiko Äthiopiens.

Neben dem Krieg leidet die Wirtschaft auch noch unter den Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie und der Preissteigerung bei Düngemitteln und Energie in der Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.

Die Bevölkerung spürt die Konsequen­zen. Die jährliche Inflationsrate lag im Dezember 2022 bei 33,9 Prozent, der dritthöchste Wert in Afrika. Wegen der bewaffneten Auseinandersetzungen und einer weiteren regionalen Dürre nach der fünften aus­gebliebenen Regen­zeit in Serie sind 28,6 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Die Regierung sucht daher dringend nach einem Schuldenanpassungsprogramm und finanzieller Unterstützung des Inter­nationalen Währungsfonds (IWF). Dieser hatte entsprechende Gespräche wegen des Wiederausbruchs der Kämpfe 2022 aller­dings aufgeschoben.

Europäische Unterstützung braucht Umsicht

Ihren Besuch in Äthiopien stellten Baer­bock und Colonna auch in den aktuellen geopolitischen Kontext. Vor Weizensäcken stehend, die die Ukraine gespendet hatte und deren Transport die beiden Regierungen finanziert hatten, begründete die deut­sche Außenministerin die Hilfe mit dem Ziel, »die Menschen in Äthiopien nicht auch noch zum Opfer des russischen Angriffskrieges werden« zu lassen.

Dieses Narrativ verfängt in Äthiopien nicht, dessen Beziehungen zu Russland und China seit dem Tigray-Krieg noch intensiver geworden sind. Beide Partner hielten ihre schützende Hand über Äthiopiens Regierung im UN-Sicherheitsrat. China ist die größte Quelle ausländischer Investitionen in Äthiopien.

Vielmehr bezeugt Baerbocks Aussage das Risiko, durch eine Fokussierung auf den geopolitischen Wettbewerb um Einfluss in dem nach Bevölkerung zweitgrößten Land Afrikas den spezifischen Kontext zugunsten eines regierungsfreundlichen Narrativs aus­zublenden. Neben der klimawandelbedingten Dürre sind in Äthiopien Millionen Men­schen wegen des Krieges im eigenen Land und der vorherigen huma­nitären Blockade von Abiys Regierung von Nahrungsmittel­unsicherheit betroffen. Im Februar startete Abiy sogar Weizenexporte, die dringend benötigte Devisen einbringen sollen.

Ein unkritisches Engagement Europas, um Boden gegenüber den geopolitischen Konkurrenten Russland und China gut­zumachen, könnte allerdings kontra­produktiv wirken. Es war nicht zuletzt der übermäßige internationale Enthusiasmus zu Beginn von Abiys Reformkurs, der den Premier­minister in seinem kompromiss­losen Kurs gegenüber der TPLF bestärkte.

Der Tigray-Krieg hat die Bundesregierung nicht dazu veranlasst, ihre bevorzugte Part­nerschaft mit der Regierung Äthiopiens auf Eis zu legen. Ende 2020 setzte sie eine schon zugesagte Reformfinanzierung zwar aus, behielt den Status Äthiopiens als Reformpartnerland der deutschen Entwicklungs­zusammenarbeit jedoch bei. Bundeskanzlerin Merkel warb bei ihrem Afrikagipfel im August 2021, an dem auch Abiy teilnahm, für deutsche Investitionen. Erst im Januar 2023 kündigte Entwicklungsministerin Svenja Schulze im Zuge der neuen Afrika-Strategie des BMZ an, die Reformpartnerschaften als Instrument auslaufen zu lassen.

Die Mitgliedstaaten der EU haben Ende Dezember 2022 ihre Bedingungen für eine graduelle Wiederaufnahme der auch von der EU ausgesetzten Budgethilfe ausbuchstabiert. Diese sind 1) Fortschritte bei der Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens, 2) ungehinderter Zugang für huma­nitäre Hilfe und 3) Aufarbeitung der mas­siven Menschenrechtsverletzungen. Ins­besondere in den ersten beiden Bereichen gibt es Fortschritte wie die Entwaffnung der TDF und Hilfslieferungen in weite Teile Tigrays. Anfang Februar 2023 traf Abiy TPLF-Vertreter das erste Mal seit Beginn des Krieges persönlich.

Was genau die Bedingung für die Auf­arbeitung beinhaltet, ist unbestimmt. Zwar lehnt die äthiopische Regierung die Inter­nationale Menschenrechtsexperten-Kommis­sion für Äthiopien ab, die der UN-Menschen­rechtsrat Ende 2021 eingesetzt hat. Doch die äthiopische Menschenrechtskommission arbeitet auch in der Frage der Aufarbeitung weiterhin mit dem Büro des UN-Hoch­kommissars für Menschenrechte (OHCHR) zu­sammen. Zudem veröffentlichte das äthiopische Justizministerium einen Ent­wurf für Leitlinien einer Übergangsjustiz.

Deutschland und seine europäischen Partner sollten den Friedensprozess, der richtigerweise vornehmlich von den äthio­pischen Konfliktparteien getragen und vorangetrieben wird, nach Kräften unter­stützen. Konkrete Projekte für Stabilisierung und Friedens­förderung sind dafür wichtig. Deutschland sollte aber auch darauf hin­wirken, dass Medien, Zivilgesellschaft und Wissenschaft in Äthiopien größere Frei­heiten erhalten. Aufarbeitung und Versöh­nung sollten auf der Agenda bleiben, ohne bestimmte Mechanismen vorzugeben. In jedem Fall sollte die Bundesregierung auch ihre Unterstützung der äthiopischen Men­schenrechtskommis­sion und der Wahlkommission fortsetzen.

Im Zuge der anstehenden Vertiefung der Beziehungen zu Äthiopien sollten Deutschland und seine europäischen Part­ner genauer die tieferen Probleme beachten, die ursächlich für Gewalt nicht nur in Tigray, sondern auch in Oromia und Amhara sind. Dafür müssen sie ihre bereits gesetzten Bedingungen nicht ändern, aber stärker auf Transparenz, Bevölkerungsorientierung, breite Inklusion und Rechenschaft der Regie­rung setzen. Dies gilt insbesondere für Wie­deraufbauhilfen und für die Modalitäten eines neuen IWF-Programms und des Schul­denabbaus im Rahmen der G20. Ein neuer Regierungspalast und Wohnkomplex in Addis Abeba, dessen Gesamtkosten fast dem gesamten Staatshaushalt entsprechen, wenn auch aus privaten und arabischen Quellen finanziert, setzt hier ein falsches Signal.

Wenn Äthiopien nachhaltigen Frieden und Stabilität erreichen will, braucht es ein inklusiveres politisches System. Der Frie­dens­prozess mit der TPLF und dessen kri­tisch-konstruktive Unter­stützung durch internationale Partner können der Aus­gangspunkt für eine entsprechende lang­fristige Entwicklung sein.

Dr. Gerrit Kurtz ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

The Spoilers of Darfur

Sudan’s protracted political crisis and the intensifying violence in Darfur are closely connected

SWP Comment 2022/C 53, 07.09.2022

The Juba Peace Agreement of October 2020 has not pacified conflicts in Sudan, and has instead actually created new alliances between armed groups and security forces. After decades of marginalisation, conflict entrepreneurs from the periphery are now shaping Sudan’s national politics and undermining the country’s potential to return to democratic transition. Insecurity in Darfur could escalate and contribute to fur­ther destabilisation of the country. International donors should pressure these con­flict entrepreneurs to relinquish power. They should also prudently promote projects to foster peace in Darfur at the same time.

Sudan’s political crisis continues. In July 2022, both the leader of the Sudanese Armed Forces (SAF) General Abdel Fattah al‑Burhan and the leader of the paramilitary Rapid Support Forces (RSF) Lieutenant General Mohamed Hamdan Dagalo, known as Hemedti, promised to hand over power to a civilian government if the political parties and social movements reached an agree­ment. But Sudan is still far from being able to transition to functioning, broadly popular non-military leadership. Thus, the country remains in limbo. Since the Octo­ber 2021 coup, security forces rule and they have only appointed a caretaker govern­ment.

Representatives of armed groups that supported the coup are a major obstacle to ending the political crisis (see below info box “Sudan’s conflict entrepreneurs”). They have become part of the government over the course of implementing the October 2020 Juba Peace Agreement (JPA).

Their inclusion in the government has not pacified Sudan’s conflicts in the periph­eral regions of the country, but rather fuels them. As is often the case in Sudan, armed violence in rural regions is exceedingly worse than in the political centre that is the area in and around the capital. While around 120 people have died in Khartoum since the coup at the hand of security forces during demonstrations, around ten times as many have died in attacks and armed con­frontations outside the capital during the same period – most notably in the five states of the western Darfur region.

The Sudanese government is trying to depoliticise the violence in Darfur, por­traying it as purely “tribal conflicts”. In reality, however, the conflicts occurring there have complex causes. The volatile political situation in Khartoum is exacer­bating local tensions in the periphery, while the peace process for the conflicts in Darfur and other peripheral regions of Sudan is shifting the balance of power in Khartoum in favour of conflict entrepreneurs who are not known to be friends of democracy.

Conflict dynamics in flux

Sudan’s conflict entrepreneurs State security forces whose organisation is regulated by law:
■ Sudanese Armed Forces (SAF; led by General Abdel Fattah al-Burhan) ■ Rapid Support Forces (RSF; emerged from Darfur’s Janjaweed militias; led by Lieutenant General Mohamed Hamdan Dagalo – who is also called Hemedti)
■ Police, Central Reserve Police, and the Gen­eral Intelligence Service (GIS)

13 armed groups from across Sudan that are signatories to the Juba Peace Agreement, including:
■ Justice and Equality Movement (JEM; Islamist; from Darfur; led by Sudanese Finance Minis­ter Gebreil Ibrahim)
■ Sudan Liberation Army – Minni Minawi (SLA-MM; from Darfur; led by Governor of the Darfur region Minni Minawi)
■ Sudan People’s Liberation Movement – North/Revolutionary (SPLM-N [Agar]; from the Blue Nile state; led by Member of the Sovereign Council Malik Agar)

Groups and ethnic/tribal militias that are not signatories to the Juba Peace Agreement, some based in Libya, including:
■ Sudan Liberation Army – Abdel Wahid (SLA‑AW; based in Jebel Marra/Darfur; led by Abdel Wahid al-Nur; most influential rebel group in Darfur)
■ Sudan People’s Liberation Movement-North (SPLM-N (al-Hilu); based in the Nuba Mountains; led by Abdel Aziz al-Hilu; controls the most territory in Sudan)
Most of the signatory groups were originally part of the Forces of Freedom and Change (FFC), but split from them in October 2021 and named themselves the FFC-National Accord (FFC-2); from August 2022 they rebranded as the National Con­sensus Forces. SAF leader Burhan is chair­man of Sudan’s governing Sovereign Council, and Hemedti describes himself as his deputy even though the constitutional document of 2019 does not include a deputy position.

Internationally, the Darfur region is mostly known for the mass atrocities against civil­ians in 2003/04, which then-US Secretary of State Colin Powell described as genocide. The Janjaweed (militias armed and sup­ported by the Sudanese government) ter­rorised the civilian population, leading to hundreds of thousands of deaths.

The current violence in Sudan is not as intense. According to a database main­tained by the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), over 2,600 people have died as a result of armed vio­lence in the five states within the Darfur region since the beginning of the Sudanese revolution in December 2018. Still, the num­ber of internally displaced people in Sudan (largely concentrated in Darfur) increased from 2.3 to 3.2 million between 2020 and 2021.

The main parties to the conflict have also changed. By the time Omar al-Bashir was ousted in April 2019, most armed groups from Darfur had already shifted their focus to Libya, mainly by offering mercenary ser­vices to Khalifa Haftar paid for by the United Arab Emirates (UAE).

In 2018, clashes between rebels (especially the SLA-AW) and security forces were respon­­sible for most of the victims of organised violence in Darfur. Nowadays, however, clashes with and among ethnically grouped, irregular militias claim the highest number of lives, especially when members of the Arab Rizeigat are involved. The change in conflict dynamics is also reflected in the shift of geographical hotspots: there are now fewer incidents in Central Darfur (the base of the SLA-AW) but more in South and West Darfur (see Map below).

The outbreaks of violence in Darfur follow a pattern. They are often triggered by individual disputes and criminal incidents with members of one ethnic group some­times holding entire other groups accountable for the misconduct of just one or a few antagonists. The attacked group is often armed and fights back. State security forces hold back, intervening belatedly or even retreating because they are no match for the attackers. Such violent clashes can some­times involve up to 3,000 fighters with vehicles on one side alone, as has been ob­served with the Rizeigat. Some members of the Rizeigat militia reportedly wear official RSF insignia during their attacks.

Old and new causes of conflict

The current conflict dynamics in Darfur can be traced back to both the long impact of past violence and the influences of the power struggle in Khartoum.

First, competition between groups pur­suing different types of livelihoods is inten­sifying due to desertification and erratic rainfall. Farmers may come into conflict with nomads with livestock, as conflicts often erupt over the use of arable or pas­ture land and water.

Second, socioeconomic inequalities and high youth unemployment contribute to conflict. Darfur’s nomadic communities have the least access to health and edu­cation, with only 9 per cent of 9 to 13-year-old girls and 17 per cent of boys of the same age attending school; compare this to the 50 per cent of internally displaced children who attend school. This remarkable finding also seems to be the result of one-sided inter­national support that has focused on internally displaced people (IDPs).

Third, traditional conflict management mechanisms have been weakened by dec­ades of civil war, local government reforms and the arming of ethnic militias. When marginalised groups rebelled against the government in the early 2000s, Khartoum armed and supported Arab militias loyal to the government to fight the uprisings. In doing so, the Sudanese government of the time also instrumentalised the widespread notion among the Arab population that they were superior to the non-Arab popu­lation and thus the rebels. As a result of this outsourcing of counterinsurgency, formal rule-of-law mechanisms have been eroded and police forces undermined. They are often unable to solve criminal incidents and small arms are widely used in Darfur.

During the civil war, Sudan developed into a “militarised political marketplace”. Armed attacks serve as a tool for political conflict entrepreneurs to make their pres­ence felt and raise the price of their loyalty in negotiations with government represen­tatives. The 2019 Sudanese transition and the 2021 military coup have brought a new dynamic to this marketplace. Both (Arab) nomadic tribes and (non-Arab) displaced groups in Darfur felt empowered by the new arrangement in Khartoum. The for­mer counted on support from the rise of Hemedti, who himself belongs to a Rizeigat tribe; and IDPs’ hopes grew that they would benefit from a peace process that would, among other things, allow them to per­ma­nently return to their fields. However, re­turn­ing IDPs now often come into conflict with the current users of the land.

The violence in Darfur is exacerbated by rivalries between armed movements seek­ing to gain greater influence in Khartoum. Some Arab groups feel set back by the re­cruitment of non-Arab RSF members and Hemedti’s alliance with the signatories of the JPA. Their desire for attention and pat­ron­age manifests itself in recurrent attacks on villages and IDP camps. They succeed with such efforts. Hemedti spent more than a month in the summer of 2022 in West Dar­fur attending tribal reconciliation confer­ences and building alliances with local elites.

Meanwhile, tribal self-defence units, such as that of the Masalit in West Darfur, are increasingly organising themselves. They are often well-armed and sometimes able to inflict heavy losses on attacking Rizeigat militias.

Hemedti himself blames Islamist forces loyal to the old Bashir government for the outbreaks of violence in Darfur as they strive to tie down his RSF forces in the periph­ery. The exact role of the Islamists remains unclear, but it is clear that they have gained momentum in the shadow of the coup. Their representatives are back in the civil service and Bashir’s former foreign minister Ali Karti was recently appointed secretary-general of the Sudanese Islamic Move­ment. The Movement continues to wield influence in the SAF, which Islamists see as a competitor to Hemedti’s more diffi­cult-to-control RSF.

Peace agreement with weaknesses

The current violence in Darfur also reveals the weaknesses of the JPA and its implemen­tation. These exacerbate Sudan’s politi­cal crisis.

The main armed groups (including JEM, SLA-MM and SPLM-N; see above info box “Sudan’s conflict entrepreneurs”) showed solidarity with the civilian actors even before the JPA, with whom they signed the Declaration for Freedom and Change in January 2019 – which is the founding docu­ment of the Forces of Freedom and Change (FFC). However, over the course of the revolution these armed groups were marginalised. It was ultimately the non-violent methods of civil society that brought down Bashir and renewed military rule, not the decades of rebels’ armed struggle. For the FFC representatives, the installation of a civilian-led transitional government was the top priority. They did not want to delay this with peace negotiations, and therefore they tasked the transitional government with these negotiations instead.

Peace negotiations began in October 2019 in Juba with South Sudan as the mediator. The civilian components of the transitional government left the talks pre­dominantly to representatives of the secu­rity agencies. The outcome, which was solemnly signed in October 2020, has so far mainly served to provide the signatory actors opportunities to enrich themselves and access government positions. It has hardly contributed to the pacification of the region. For at the time of the signing, the parties involved hardly had any troops of their own left in Darfur or other parts of Sudan (with the exception of the Blue Nile state in the South). At the same time, those actors who played the most important roles in conflicts in Darfur were not adequately represented. Hemedti himself could not speak for all Arab groups, and neither IDPs, women nor young people were sufficiently included. One of the most influential groups in Darfur, the SLA-AW, rejected the talks.

Of the many promises that the JPA made to marginalised segments of the Sudanese periphery, hardly any were fulfilled. It was already clear at the time of signing that the government would need to rely on inter­national donors to implement the agreement. However, these donors showed little willingness to provide substantial support to a peace agreement that they had hardly been involved in drafting. Anyways, the JPA had left the clarification of many details to implementation commissions.

The agreement does not specify how many fighters are to be demobilised or in­tegrated into state security forces. The gov­ernment has not yet appointed a de­mobili­sation commission for Darfur. Contrary to the expectations of the armed groups, Hemedti made it clear that he only wanted to integrate a small part of Darfur’s fighters into the RSF.

The JPA provides for the formation of a joint protection force numbering 20,000 soldiers, half of whom would come from government troops and the other half from armed movements. This force was a key argu­ment used by the transitional government to justify its push for the UN-AU Mis­sion in Darfur (UNAMID) to withdraw from the region after its mandate expired at the end of 2020.

However, with considerable delay, the government only just reported the com­pletion of training for the first 2,000 mem­bers of the joint protection force in the end of June 2022. Moreover, it is unclear why this force should be better able to protect the civilian population from violence than the individual units that are to be absorbed into it. After the withdrawal of UNAMID however, the prospect of a renewed inter­national peacekeeping mission is extremely slim. Therefore, only Sudanese units can make up a protection force.

Even the Permanent Ceasefire Commis­sion, which was established with the JPA, can only make a modest contribution to the implementation of the JPA. The United Nations Integrated Transition Assistance Mission in Sudan (UNITAMS) chairs the Com­mission and its sectoral sub-units, which consist of representatives of the sig­na­tories to the JPA. The Commission sup­ports the demobilisation or training of mem­bers of the armed groups and can in­vestigate violations of the ceasefire at the request of one of the parties. However, those involved in today’s conflicts often do not belong to one of the signatory groups.

New players in Khartoum

The dynamics of conflict in Darfur are also having a significant impact on Sudan’s national politics. Hemedti’s rise to become the country’s most important political actor is shaking the traditional foundations of Khartoum politics. Darfur serves as a source of income, a recruitment pool for the RSF and a base for Hemedti’s political ambitions at the national level.

Hemedti thereby operates on both the demand and supply side of security in Dar­fur. Although major acts of violence are a challenge to his authority, they allow the RSF leader to present himself as a peacemaker at tribal reconciliation conferences. However, the agreements reached at these conferences do not address the roots of the conflicts. His own RSF’s attacks on villages and IDP camps usually go unpunished, creat­ing a climate of impunity. An example of this can be seen in allegations that the chairman of the Peace and Reconciliation Committee and commander of the RSF in West Darfur, Mousa Ambeilo, led an attack against civilian populations in late 2019.

The Juba peace process also allowed Hemedti to forge alliances with his former opponents. Like the rebels, he did not trust the Sudanese armed forces under Burhan’s leadership. He resisted attempts to integrate the RSF into the regular army. Through cooperation with armed groups, Hemedti was able to build a “counterweight to the transition at the centre” and thus to the sphere of influence of the SAF and the civilian parties of the FFC.

In fact, the Juba peace process undermined democratisation from the beginning. The transitional government assured the armed groups that a transitional parliament would not be convened so long as peace negotiations were ongoing. Even after the Juba Peace Agreement was signed, differ­ences within the FFC blocked the formation of the transitional parliament, which could have formed a counterpart to the security sector and thus a safeguard against military takeover. The JPA gave the militias impor­tant government positions, and the influ­ence they were able to exert therefrom spanned far beyond their actual political significance. For example, Gebreil Ibrahim, the leader of JEM, became Sudan’s Minister of Finance, and Minni Minawi, leader of the SLA-MM, became Governor of the Darfur region. The SLA-MM had not fought against the armed forces in Sudan since 2014, JEM since 2015.

As members of armed groups became members of Prime Minister Abdalla Ham­dok’s cabinet in February 2021, the FFC parties also insisted on assuming government posts for which they had previously only nominated experts. However, the “political cabinet” entered into an increasingly open conflict with the representatives of the security sector. Here, representatives of the armed groups acted as allies of the military. They expanded the military’s political base to include signatories of the Declaration for Freedom and Change and thus the original opposition to the Bashir regime. In early October 2021, 16 armed groups, led by JEM and SLA-MM, split from the FFC forming the “FFC National Accord” or FFC-2. Shortly afterwards, they organised a sit-in in Khartoum and demanded that the other FFC parties leave the government. Consequently, the armed groups included the only non-military ministers and repre­sentatives in the Sovereign Council who retained their positions after the coup of 25 October 2021.

Finally, in the spring and summer of 2022, the FFC-2 representatives hampered the facilitation of the of AU-UNITAMS-IGAD (Intergovernmental Authority on Development) Trilateral Mechanism. They insisted on an “inclusive” round that included Islamist representatives (and themselves), while the remaining representatives of the groups now called the FFC-Central Com­mittee, or FFC-1, rejected the participation of “pro-coup parties”. The conflict between the FFC-1 and FFC-2 provided the military with the pretext to blame the “civilian” camp for the political crisis.

Current security risks

The rise of conflict entrepreneurs from Dar­fur and the lack of implementation of the JPA pose significant risks to security and stability in the region. After all, there are consequences if the state does not have the monopoly on the use of force. Stronger self-defence groups could develop into rebel groups – as they did 20 years ago – and conflicts between farmers and nomadic Rizeigat could escalate further.

Thousands of fighters from the signatory groups who have returned from Libya pose a risk to the population in Darfur as they often turn to criminal activities. At the same time, JPA signatories recruited new mem­bers en masse in Darfur to strengthen their following. One signatory group alone claimed to have already recruited 11,000 new fighters in the region. However, the groups have little to offer the recruits other than the tenuous promise of future posts in the state security forces.

Tensions are also arising from the possibly divided loyalties of the security forces in Darfur, which are officially under the high command of Governor of Darfur Minni Minawi, whose SLA-MM creates insecurity at the same time.

Moreover, the armed groups may lack credibility in the eyes of their members and supporters due to their involvement in the coup in Khartoum. The first members of the signatory groups have already turned their backs on their leaders and are now walking their own paths.

In addition, the SLA-AW under Abdel Wahid al-Nur is gaining popularity, as his notorious refusal to negotiate provides him with an image of trustworthiness. However, an attempt by the Sudanese Communist Party to persuade him to form a political alliance failed. The ceasefire between SLA‑AW and SAF is currently holding.

Historically, albeit with few exceptions, conflicts of the periphery have rarely directly affected the population in Sudan’s centre. With the presence of the leaders of the Darfur groups and some of their fighters in Khartoum, this could change. Crime is also said to have increased in the capital – in part due to triple-digit infla­tion and the growing supply crisis. The greatest potential for escalation would be a direct military confrontation between the SAF and RSF. Even if this is unlikely at present, the question remains how long their leaders will manage to keep the fight­ing between these rival security forces con­fined to Darfur. Violent conflict between and with their respective allied militias such as the Tamazuj, a signatory group said to have links to military intelligence, would also be possible. Indeed, in late July 2022, Hemedti blamed the Tamazuj for recent attacks in Darfur.

For Sudan’s neighbouring states, there is a risk that armed groups will continue to retreat to their border regions or directly join parties to the conflict there. This ap­plies particularly to Libya, where some Sudanese fighters are still present, but also to South Sudan, Chad and the Central African Republic (CAR).

Entry points for international peacebuilding

The international community should not wait until there is a new country-wide tran­sition process in place to address the con­flicts in Darfur. Rivalries between conflict entrepreneurs jostling for influence and access to patronage and resources will continue.

The UN is right to call on international donors to support peace projects in Darfur. Effective programmes at the local level may be able to reduce some of the security risks. After all, Darfur is also an arena for the power struggle in the centre of the country.

Germany can promote these efforts as the largest donor to the UN Peacebuilding Fund, and it can also provide direct assis­tance to local civil society organisations where possible.

Effective peacebuilding requires a comprehensive and conflict-sensitive approach that addresses the needs of all groups, in­clud­ing nomadic pastoralists and settled or displaced farmers. Members of signatory groups who were recruited after the con­clu­sion of the JPA should not receive greater benefits than those afforded to mem­bers of other groups, including infor­mal ones. When it comes to peacebuilding measures, the conflict hotspots in Darfur should be prioritised. Conceivable activities include supporting community programmes for vocational training, nurturing basic ser­vices in the fields of education and health, and strengthening local conflict management committees. The latter should prior­itise the inclusion of young people and women, not only tribal elders – as was the case with the agreements brokered by Hemedti.

The short-term goal of these measures should be to prevent the escalation of inter­personal disputes into larger conflicts that lead to the deaths of dozens or even hun­dreds. As long as the establishment of reli­able and legitimate state structures and basic services remains a distant goal, the main focus – within the framework of hu­manitarian aid – should be to strengthen individual resilience.

More intensive peacebuilding efforts on the part of the EU and Germany should go hand in hand with deeper diplomatic engage­ment. Their pressure should not just focus on the military, but also on the armed movements that support the coup. Even if it may not be feasible to exclude them from power completely (partly because of their post-JPA recruitment), leaders of the National Consensus Forces should demonstrate their readiness to nominate experts for a new cabinet instead of vehemently holding on to their ministerial positions by threat of renewed war. After all, they are demanding that the FFC-1 member groups agree to a so‑called technocratic transitional government as well. The Europeans and their transatlantic partners retain some leverage through the continued suspension of bi­lateral and multilateral financial assis­tance, amounting to several billion Euro, which clearly irritates the junta. Instead of generi­cally calling for all political actors to find common ground, Sudan’s international interlocutors should highlight the role that Darfur’s conflict entrepreneurs are playing in standing in the way of the country’s democratic progress.

Prävention, die sich lohnt

Wie Deutschland seine Führungsrolle bei der Friedensförderung und der Verhinderung von Krisen aus- bauen kann – und was zivile Konfliktbearbeitung von der Zeitenwende lernen sollte.

Erschienen in: Internationale Politik Spezial 5/2022, 29. August 2022.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat eine lebhafte Debatte über die Prioritäten deutscher Außen- und Sicherheitspolitik ausgelöst. Die Bundesregierung spricht von einer Zeitenwende und meint damit insbesondere die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und Waffenlieferungen an die Ukraine. Doch was bedeuten diese Veränderungen für das deutsche Engagement in anderen Krisen und Konflikten auf der Welt, zumal mit Mitteln der zivilen Konfliktbearbeitung?


Zumindest kurzfristig saugen der Krieg in der Ukraine und seine Folgen einen erheblichen Teil der außenpolitischen Aufmerksamkeit für die Bearbeitung von Krisen und Konflikten auf. Der Krieg prägt auch den Blick auf andere Weltregionen, insbesondere dort, wo Russland und seine Söldnertruppe Wagner unterwegs sind, etwa in Afrika. Die notwendigen Bemühungen um eine Stärkung der eigenen militärischen Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung könnten das Engagement für die Konfliktbearbeitung außerhalb Europas in den Hintergrund drängen.


Ohnehin steckt die Politik der Stabilisierung von fragilen Kontexten in einer Glaubwürdigkeitskrise. In Afghanistan haben zwei Jahrzehnte internationaler und afghanischer Bemühungen nicht genügt, um legitime und effektive staatliche Strukturen aufzubauen, die den Taliban gewachsen gewesen wären. Und auch Mali ist nicht gerade ein Nachweis für die Effektivität von internationaler Unterstützung für Sicherheit und Entwicklung – nach zwei Putschen, Massakern an der Zivilbevölkerung, der Einladung russischer Söldner und einem weitgehenden Rückzug des Staates angesichts der Bedrohung durch extremistische Gruppen sogar ganz gewiss nicht. Die deutsche Öffentlichkeit hört selten von Erfolgen ziviler Konfliktbearbeitung, aber umso mehr vom krachenden Scheitern überambitionierter Interventionen.


Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, eine Nationale Sicherheitsstrategie vorzulegen. Dieser Prozess bietet eine gute Gelegenheit, die Bedeutung und Wirksamkeit von ziviler Konfliktbearbeitung im Rahmen eines vernetzten Ansatzes herauszuarbeiten. Deutschland hat gute Voraussetzungen, seine Führungsrolle in diesem Bereich weiter auszubauen.


Statt sich in ideologischen Grabenkämpfen über das Verhältnis ziviler zu militärischen Mitteln in der deutschen Außenpolitik aufzureiben, sollten staatliche und nichtstaatliche Protagonisten die Aufmerksamkeit für den Krieg gegen die Ukraine und die Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes nutzen, um ihr Engagement für zivile Konfliktbearbeitung zu vertiefen. Dafür sollten Bundestag, Regierung und Zivilgesellschaft die Ziele und Schwerpunktsetzung klären, Gewissheiten in der Analyse von Krieg und Frieden hinterfragen, Ressourcen und Instrumente schärfen sowie konkrete Ansatzpunkte für glaubhafte Strategien entwickeln.


Schwerpunkte setzen

Es gibt heute mehr bewaffnete Konflikte als je zuvor seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach Berechnung der Vereinten Nationen lebt ein Viertel der Menschheit in Gegenden, die von Konflikten betroffen sind. Die Auswirkungen dieser Konflikte sind erheblich. In diesem Jahr waren schon vor der russischen Invasion in der Ukraine 274 Millionen Menschen auf humanitäre Unterstützung angewiesen, ein Rekordwert. Die Covid-19-Pandemie hat einen Vorgeschmack darauf geliefert, wie verheerend sich die immer bedrohlicher werdende Klimakrise auf die Stabilität von Staaten und Gesellschaften auswirken dürfte. Die Krise des Multilateralismus und die Fragmentierung der internationalen Ordnung verhindern oft ein abgestimmtes internationales Handeln.


Angesichts rapide steigender Bedürfnisse sehen sich Geberländer in wachsendem Maße dazu gezwungen, auszuwählen. Schwerpunktsetzung in der zivilen Konfliktbearbeitung ist nicht nur eine Frage von finanziellen Ressourcen, sondern auch von Personal, Expertise, politischer Aufmerksamkeit und Partnern – Ressourcen, die sich nicht so leicht aufstocken lassen wie ein Haushalt. Mit ziviler ­Konfliktbearbeitung sind etwa Dialogprozesse zwischen verfeindeten Gruppen, der Einsatz mobiler Gerichte oder der Aufbau legitimer öffentlicher Strukturen auf lokaler Ebene nach dem Abzug bewaffneter Gruppen gemeint.


Wenn man die Ziele für Friedenspolitik zu stark moralisch und historisch auflädt – ein Fehler, der in Deutschland gern begangen wird –, dann macht man es sich mit der Schwerpunktsetzung im Zweifel unnötig schwer. Zwar ist es grundsätzlich richtig, sich an hohen ethischen Maßstäben messen lassen zu wollen. Doch sollte darüber nicht der nüchterne strategische Wert von Konfliktbearbeitung vergessen werden.


Zudem gilt es immer wieder, die eigene Rolle zu hinterfragen: Hat man möglicherweise selbst zur Fragilität beigetragen? Entschiedene EU-Sanktionen gegen Russland hätten russischen Kriegsverbrechen in Syrien frühzeitig Einhalt gebieten können, deren Muster sich jetzt in der Ukraine wiederholt. In anderen Krisen wiederum sollte ein Land wie Deutschland sich bewusst machen, inwieweit es selbst die Konflikte verschärft hat – als Rüstungsexporteur oder als Emittent von Treibhausgasen.


In weiter Ferne, so nah

Die 2017 vom Bundeskabinett beschlossenen Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ nennen Anhaltspunkte zur eigenen Schwerpunktsetzung: „die unmittelbare Bedrohung für Frieden und Sicherheit, die Betroffenheit Deutschlands und Europas, die Erwartung an Deutschland zu handeln sowie unsere Fähigkeit, vor Ort einen Mehrwert zu leisten“. Diese Kriterien müssen mit Leben gefüllt werden.


Inwiefern Deutschland und Europa durch Kriege betroffen sind, deren zerstörerische Wirkung nur in den Nachrichtenbildern erlebbar wird, ist nicht immer so leicht nachzuvollziehen wie im Fall der Ukraine. Hier sind es die ukrainischen Familien in den Zügen der Deutschen Bahn, die steigenden Preise an der Zapfsäule oder fehlendes Sonnenblumenöl in den Geschäften, die den Menschen deutlich machen, dass es hier (auch) um ihre Belange geht. Und kommt nicht eine Art unterschwelliger Rassismus zum Vorschein, wenn man von „Städten und Menschen“ spricht, „die so aussehen wie wir“?


Umso wichtiger ist es, die Relevanz und die Wechselwirkungen scheinbar ferner Krisen so konkret und spezifisch wie möglich aufzuzeigen. Angst ist dabei ein schlechter Berater. Angst vor Terrorismus, Angst vor organisierter Kriminalität, Angst vor Geflüchteten führen zu Erpressbarkeit, zu faulen Deals mit problematischen Regimen und zu falschen oder zumindest nicht nachhaltigen Antworten. Besser ist es, herauszustellen, wie stark Deutschland und Europa von einer vernetzten und offenen Ordnung profitieren.


Oft würde es schon genügen, aus den ernüchternden Erfahrungen, liberale Friedensordnungen zu fördern, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Denn das würde dazu führen, dass man sich stärker an – progressiven – Interessen orientierte als an überschießenden normativen Zielen. Realistische Ziele sollten darauf ausgerichtet sein, eskalierende Entwicklungen mittels politischem Druck frühzeitig abzubremsen, die Folgen von Unrecht und Gewalt abzufedern (etwa durch den Kampf gegen Straflosigkeit) und da, wo es möglich ist, eine Konflikttransformation, also tiefe Reformprozesse von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, zu unterstützen. Die Situation durch eigenes Handeln oder Unterlassen nicht noch weiter zu verschlimmern, kann manchmal schon das Wichtigste sein.


Gewissheiten hinterfragen

Realistische Ziele sollten auf einer klaren Konfliktanalyse basieren. Die breitere Auseinandersetzung mit Gewaltprozessen anhand der russischen Invasion in der Ukraine kann helfen, verbreitete Gewissheiten zu hinterfragen, die auch in innerstaatlichen Konflikten eine Rolle spielen.


Für viele kam der russische Angriff überraschend, obwohl es zuvor zahlreiche Warnungen und detaillierte Hinweise etwa der amerikanischen Nachrichtendienste gegeben hatte. Während der russische Truppenaufmarsch sich über Monate vor den Augen der Welt hinzog, schien die Vorstellung eines breit angelegten Angriffs gegen einen souveränen Staat aus der Zeit gefallen – und angesichts der drohenden Wirtschaftssanktionen und Russlands ohnehin bereits bestehendem Einfluss in der Ostukraine auch nicht rational. Eine Herausforderung war es also, den passenden Maßstab dafür zu finden, was Russlands Führung antrieb. Die toxische Männlichkeit des abgeschotteten Herrscherzirkels um Putin und dessen imperiale Fantasien waren möglicherweise wichtiger als eine kühle Kalkulation der Kosten für Staat und Bevölkerung.


Auch der Verlauf des russischen Angriffskriegs gibt Anlass, manche Gewissheiten zu hinterfragen. Die langsamen militärischen Fortschritte der russischen Streitkräfte trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit gegenüber der Ukraine unterstreichen, dass kriegerische Auseinandersetzungen ausgesprochen dynamische Prozesse sind, die keinem mechanischen Schema folgen.


Analysten und Nachrichtendienstmitarbeiter sollten stärker als bislang in Szenarien denken, über die Bedingungen für mögliche Zukünfte sprechen und dabei ihre Annahmen und die damit verbundene Unsicherheit offenlegen. Sie sollten auf Kipppunkte, strukturelle Faktoren und mögliche Entscheidungspfade hinweisen, die das umreißen, was Soziologen einen Raum der Möglichkeiten nennen. Konkrete Ansatzpunkte für Veränderungen helfen, präventiv zu agieren, um Bedrohungen abzuwenden. Die politischen Empfänger sollten solche Szenarien einfordern, statt nur zu fragen, wer gewinnen und verlieren wird.


Umgekehrt können Erfahrungen der zivilen Konfliktbearbeitung aus anderen Krisenherden auch für den Krieg in der Ukraine relevant sein. Wenn es etwa um die Mechanismen der Konfliktbeendigung geht, so haben die Vertreterinnen und Vertreter deutscher Mediationsorganisationen darauf hingewiesen, was bei Verhandlungen in der Ukraine aus ihrer Sicht wichtig ist. So sollten Drittparteien in „hocheskalierten Konflikten“ zunächst nicht auf inhalt­liche Kompromisse drängen, sondern eher anbieten, einen klaren Verhandlungsprozess zu strukturieren. Zudem gilt, dass der Erfolg von Verhandlungen eine Frage von Zeitpunkt und Bedingungen wie dem Vorhandensein einer (auch nur vermeintlich) guten Alternative zu einer Einigung sind.


Wissen, was wirkt

Ein zentraler Bestandteil der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende ist die dauerhafte Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Wer aus dieser Steigerung militärischer Fähigkeiten einen neuen Führungsanspruch Deutschlands für das internationale Krisenmanagement ableitet, kann dies erst recht für die zivile Konfliktbearbeitung tun.


Deutschland ist hier seit 2017 der größte Geber. Laut Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gab die Bundesregierung 2020 über 666 Millionen Dollar für „zivile Friedensförderung, Konfliktprävention und Konfliktbeilegung“ aus – mehr als ein Viertel aller Geber in diesem Bereich. Damit liegt Deutschland weltweit auf dem Spitzenplatz, vor der EU, den USA und Großbritannien. Damit das so bleibt, müsste der Bundestag vor allem die mit dem Ende des dortigen Einsatzes entfallenden Mittel des Stabilitätspakts für Af- ghanistan (170 Millionen Euro im Jahr 2021) kompensieren und Sparpläne der Bundesregierung, den Haushalt des Auswärtigen Amts in den kommenden fünf Jahren um über ein Viertel zu kürzen, stoppen.


Helfen könnte bei den Haushaltsverhandlungen eine systematische und übergreifende Analyse des deutschen Engagements für zivile Konfliktbearbeitung. Bislang gibt es solche Auswertungen nur vereinzelt, da sie in der Regel auf Projekt- und Programmebene stattfinden. Im Frühjahr 2022 erschien die erste ressortübergreifende Evaluation des Engagements von AA und BMZ zur Stabilisierung des Irak von 2014 bis 2019. Weitere sollen folgen, insbesondere für das Engagement in Afghanistan. In beiden Fällen erfolgt die externe Begutachtung allerdings für den zivilen Bereich getrennt vom militärischen Einsatz, obwohl sich Deutschland gerade hier auf die Fahnen geschrieben hatte, dass zivile und militärische Mittel im Rahmen des vernetzten Ansatzes zusammenwirken sollten.


Die Irak-Evaluation kam zu dem Ergebnis, dass die beiden Ressorts „einen signifikanten Beitrag zur Bearbeitung der Krise“ leisten konnten. Ein wichtiger Gradmesser war, dass es auch aufgrund des deutschen Engagements gelang, die Bedingungen für eine Rückkehr von fast 75 Prozent der Binnenvertriebenen zu schaffen, die vor dem IS und den Kämpfen geflohen waren. Neben stabilisierenden Maßnahmen im engeren Sinne kamen insbesondere humanitäre Hilfe und strukturbildende Übergangshilfe zum Einsatz – und das in einem Umfang von insgesamt 2,1 Milliarden Euro im Betrachtungszeitraum 2014 bis 2019.


Dass zivile Konfliktbearbeitung in fragilen Kontexten oft mit einem erheblichen Risiko des Scheiterns einhergeht, liegt auf der Hand. Einige der Gründe für mangelnde Wirksamkeit liegen in der Konfliktdynamik begründet und können von der Bundesregierung nicht beeinflusst werden. Ihre eigenen Mechanismen kann sie jedoch verbessern. Dazu gehört zum einen, schnell und flexibel zu reagieren, wenn eine Krise sich zuspitzt oder sich Möglichkeiten des Wandels auftun. Dazu gehört zum anderen, auch in verzwickten Konflikten so zu handeln, dass man anschlussfähig an längerfristige Entwicklungszusammenarbeit bleibt.


Wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, um ein positives Beispiel zu nennen, begann das Auswärtige Amt bereits damit, erste Treibstofflieferungen an die Ukraine zu organisieren. In anderen Situationen ging es nicht so schnell. So war der Großteil der Stabilisierungsmaßnahmen zur Unterstützung des demokratischen Übergangsprozesses im Sudan auch zwei Jahre nach dessen Beginn noch nicht eingetroffen – dann kam es zum Putsch im Oktober 2021.


Besonders nachhaltig ist die Friedensförderung für gewöhnlich, wenn lokale Partner sie tragen. Doch schwache Regierungen sind oft überfordert, wenn es darum geht, eine Vielzahl von internationalen Akteuren zu koordinieren, von denen jeder seine eigenen Finanzierungs- und Unterstützungsmechanismen mitbringt. Ein gemeinsamer, multilateraler Mechanismus kann hier helfen.


Schließlich braucht es genügend Personal an deutschen Auslandsvertretungen und in Stabilisierungsprojekten, um einen regelmäßigen Dialog mit den politisch Handelnden jenseits der Regierung zu führen, um sich mit internationalen Partnern abzusprechen und um analytisch abgesichertes Wissen an die Entscheidungsebene der eigenen Behörden zu liefern. Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampelregierung dazu verpflichtet, das Auswärtige Amt ausreichend auszustatten und zivile Planziele für die schnelle Bereitstellung von Personal zu definieren.


Strategiefähiger werden

Um alle Elemente zusammenzubringen, müssen die Handelnden strategiefähiger werden. Strategiefähigkeit heißt, die eigenen Annahmen zu reflektieren, ­Ansatzpunkte für eigenes Handeln zu identifizieren und dieses bei Bedarf flexibel anzupassen. Ebenso wie wir darüber diskutieren, wie einzelne Waffensysteme bestimmte Fähigkeiten der ukrainischen Streitkräfte stärken, gilt es aufzuzeigen, wie genau die vielen zivilen Einzelmaßnahmen Deutschlands und seiner Partner sich zu einem kohärenten Ansatz in der Konfliktbearbeitung fügen.


Klingt selbstverständlich? Das sollte es für den größten Geber in Sachen zivile Konfliktbearbeitung sein, ist es in der Praxis aber nicht. Weder im Irak noch in Mali hat die Bundesregierung eine gemeinsame, ressortübergreifende Länderstrategie. Das Ressortprinzip führt oft zu Konkurrenz um Sichtbarkeit und Ressourcen zwischen Ministerien, befeuert von der jeweiligen politischen Spitze.


Gleichwohl gibt es Fortschritte in der Ressortkoordination. Die „gemeinsame Analyse und abgestimmte Planung“ sind ein Abstimmungsprozess von AA und BMZ für Länder, in denen beide mit Projekten tätig sind. Hier wird nach konkreten Ansatzpunkten Deutschlands oder der Wirkungs- und Interventionslogik von Projekten gefragt. Allerdings ist ein gemeinsamer Vermerk noch keine Länderstrategie. Wichtig wäre es, für einen mehrjährigen Zeitraum zentrale Annahmen, angepasste Ziele, Wechselwirkungen, Synergien und mögliche rote Linien aufzuzeigen. Eine belastbare Strategie sollte Ansätze nicht nur für ein Best-case-Szenario, sondern für verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten bereithalten. Rückschläge sind in Übergangsprozessen der Normalfall.


Solche Strategien auszuarbeiten, ist aufwendig und daher erstmal nur für wenige Schwerpunktländer zu leisten. Neben dem gemeinsamen Einüben von Verfahren ist es wichtig, die unterschiedlichen Perspektiven der Mitstreiter auf die gemeinsamen Ziele zu verstehen. ­Szenario-Übungen bis auf Kabinettsebene wie in den USA können zu einem gemeinsamen Verständnis über die Arbeitsebene hinaus beitragen. Gemeinsame Haushaltsmittel können Anreize zur Abstimmung setzen – wie es bereits bei AA und Bundesverteidigungsministerium für die Ertüchtigung von Sicherheitskräften praktiziert wird.


Schließlich braucht es hochrangige politische Führung. Wenn Mitglieder der Bundesregierung durch robuste Szenario-Übungen gegangen sind, sollte es ihnen leichter fallen, ihre internationalen Partner und das heimische Publikum zu überzeugen, statt wie in der Vergangenheit bei Ansätzen mitzumachen, an die sie selbst nicht so recht glauben. Expertinnen und Experten können ihren Beitrag über einen Wettbewerb der konstruktivsten ­Ideen für Konfliktbearbeitung leisten.


Klare politische Ziele ergeben thematische und geografische Schwerpunkte. Eine umfassende Konfliktanalyse berücksichtigt die Dynamik und Kontingenz von Gewaltprozessen. Zuverlässig wachsende Ressourcen erlauben es einem für fragile Kontexte geschulten Personal, schnell, effektiv und konfliktsensibel zur Stärkung legitimer öffentlicher Institutionen und Dienstleistungen beizutragen. Diese Überlegungen fließen in länderspezifische Strategien als Ergebnis ressortgemeinsamer Szenario-Übungen ein. So könnte eine Zeitenwende auch für die zivile ­Konfliktbearbeitung gelingen.